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Autoren
Claudia Gottschling
Editorial Director, Medscape
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.
Dr. Jürgen Schell
(freier Autor)
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.
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Claudia Gottschling, Dr. Jürgen F. Schell | 7. November 2017
Zwei Jahre nach unserer ersten Umfrage zu den heiklen Themen der Medizin erscheint nun der neue Ethik-Report 2017. Wir wollten wissen, wie Kliniker und niedergelassene Ärzte mit schwierigen Situationen im Alltag umgehen, welches ethische Dilemma sie immer wieder meistern müssen. Alle bei Medscape registrierten Ärzte waren eingeladen, Fragen zu Organspende, Interessenkonflikten bei Einladungen von Pharmafirmen, Impfpflicht oder Alkohol- und Drogenmissbrauch im Arbeitsalltag zu beantworten. Anonym teilen sie hier Ihre Erfahrungen und Geheimnisse mit der Öffentlichkeit.
551 Ärzte sind in Deutschland der Einladung von Medscape gefolgt und haben von April bis Juni 2017 auf die Fragen des Ethik-Reports geantwortet. Mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen haben mitgemacht. Die meisten sind zwischen 45 und 59 Jahre alt. 79% arbeiten in Vollzeit, jeder Fünfte in Teilzeit.
Regelmäßig fordern Gesundheitspolitiker, dass Menschen, die ungesund leben, etwa sich weigern das Rauchen aufzugeben oder abzunehmen, höhere Beiträge zahlen sollen. Viele Ärzte, die für die Gesundheitsprobleme der Betroffenen Lösungen finden müssen, zeigen sich in dieser Frage erstaunlich tolerant (44%). Nur einer von 4 würde eine Art Strafzahlung empfehlen. Im Vergleich dazu befürworten in Frankreich und in den USA rund doppelt so viele Mediziner, dass diese Patienten zur Kasse gebeten werden.
Die Impfpflicht ist ein ewiges Streitthema zwischen Patienten und Gesundheitsbehörden. Doch was denken die Ärzte? Die Mehrheit würde ungeimpfte Patienten behandeln. In Deutschland sind 2 Drittel dazu bereit, ähnlich wie in Frankreich. In den USA ist die Toleranz für Impfgegner dafür deutlich geringer ausgeprägt.
Wer in einem Gesundheitsberuf arbeitet, muss sich selbst schützen und auch seine Patienten. Doch wie weit sollten Vorschriften reichen? Mediziner in Deutschland, insbesondere Kardiologen, denken mehrheitlich nicht, dass man von Ärzten eine jährliche Grippeschutzimpfung verlangen sollte. Junge Kollegen unter 40 Jahren halten dagegen eine solche Forderung für gerechtfertigt (38%). In Frankreich und USA befürwortet die Hälfte, bzw. die Mehrheit einen Grippeschutz.
Eine Unsicherheit einzugestehen, kostet immer Überwindung. In allen 3 Ländern halten rund die Hälfte der Mediziner in dieser heiklen Frage dennoch Ehrlichkeit für den besten Weg. Ein Drittel entscheidet von Fall zu Fall, entsprechend der Umstände. Männer stehen in Deutschland eher zu ihrer Unerfahrenheit als Frauen.
Mit der Widerspruchsregelung würde jeder Patient, der keinen ausdrücklichen Einwand äußert, automatisch als potenzieller Spender registriert. Dieses System führt in einigen Ländern zu einer höheren Zahl an Spenderorganen. Auch hierzulande wird die Variante immer wieder diskutiert. Die Mehrheit der deutschen Ärzte befürwortet den Wechsel zu einer Widerspruchsregelung. Männer können sich eher damit anfreunden als Frauen.
Aufklärungsgespräche sind oft eine Gradwanderung. Weniger als ein Viertel der Ärzte in Deutschland und Frankreich würden in einer solchen Situation Risiken herunterspielen. In den USA sprechen sich Mediziner noch eindeutiger gegen eine solche Taktik aus. Jüngere deutsche Ärzte und Kliniker sind eher bereit, Patienten für eine Behandlung zu motivieren.
Die meisten Ärzte sind mit der gängigen Praxis, wie über lebenserhaltende Maßnahmen entschieden wird, zufrieden. Nur 5% teilen die Ansicht, dass z.B. die Geräte zu früh abgestellt werden. Jüngere Kollegen äußern diese Befürchtung doppelt so häufig. In Frankreich legt sich jeder 4. Arzt in dieser schwierigen Frage nicht fest.
Mediziner werden immer wieder unfreiwillig zu Mitwissern von Straftaten und geraten so in Gewissenkonflikte. Nur 16% der deutschen Ärzte haben einen Missbrauchsverdacht ignoriert. Die Ergebnisse sind jedoch stark vom Fachgebiet des Arztes abhängig. So hatte in Deutschland mehr als jeder 3. Psychiater mit einem Fall zu tun, den er nicht gemeldet oder weiter verfolgt hat.
Fast 2 Drittel der deutschen Ärzte legen sich in der schwierigen Frage zum Therapieabbruch nicht fest und machen ihre Antwort von weiteren Faktoren abhängig. In Frankreich dagegen würde sich jeder 2. Mediziner über die Entscheidung der Angehörigen hinwegsetzen – in der Annahme der Patient hätte eine Chance, sich zu erholen; in den USA jeder 5.. Sowohl in Frankreich wie auch in Deutschland stimmen mehr Männer dieser Haltung zu als Frauen. Hierzulande würden ältere Ärzte eher in einem solchen Fall die Therapie fortsetzen als ihre jungen Kollegen.
Sterbehilfe ist ein großes Streitthema in unserer Gesellschaft. Es polarisiert auch Mediziner. Fast die Hälfte der deutschen Ärzte spricht sich gegen Sterbehilfe aus, jeder dritte ist dafür. Die französischen Kollegen denken ähnlich darüber. In den USA dagegen ist mehr als die Hälfte der Ärzte für einen legalisierten, ärztlich assistierten Suizid.
Die Sorge um eine Sucht auf Rezept ist nicht abwegig. Im Jahr 2016 waren laut dem „Jahrbuch Sucht” 1,9 Millionen Menschen in Deutschland arzneimittel-abhängig. Die Mehrheit davon nimmt Schlaf- und Beruhigungsmittel. Zum Thema Opioid-Sucht liegen keine verlässlichen Zahlen vor. Der Gebrauch starker Opioide steigt jedoch seit Jahren an. Die meisten befragten Ärzte würden eine unzureichende Schmerztherapie nicht in Kauf nehmen. Französische Ärzte neigen eher dazu, vor allem die jüngeren Kollegen.
In Deutschland kann sich nur jeder 10. Arzt vorstellen, dass es Situationen gibt, in denen es vertretbar wäre, einen Behandlungsfehler zu vertuschen, wenn durch den Fehler ein Patient zu Schaden kommt. In Frankreich sind dies doppelt so viele Mediziner. Männer erliegen dieser Versuchung eher als Frauen. Die Mehrheit, besonders in den USA, hält jedoch ein solches Vorgehen für unwahrscheinlich.
Ein Viertel der Ärzte in Deutschland würde sich vorzugsweise um den jüngeren Patienten kümmern, wenn der Ältere dadurch nicht unmittelbar in Todesgefahr gerät. Mehr Männer setzen diese Priorität als Frauen. Fast die Hälfte der Mediziner ist jedoch unentschieden. In Frankreich tendieren sogar 4 von 10 Ärzten zu der Bevorzugung von jungen Menschen. In den USA spielt das Alter in einer solchen Frage eine geringere Rolle.
Kein Patient verlässt die Praxis ohne Rezept, so lautet ein gängiges Vorurteil. Zumindest ein Drittel der Ärzte in Deutschland ist eher streng und weigert sich, unnötige Pillen zu verschreiben, auch wenn der Patient darauf beharrt. Die Hälfte der Mediziner gibt jedoch den Wünschen nach und verschreibt ein nebenwirkungsarmes Präparat. Ähnlich verfahren die Amerikaner. Französische Mediziner, vor allem die jüngeren, greifen deutlich häufiger zum Rezeptblock.
Die Geschichten aus Arztromanen sind gar nicht so abwegig. Jeder 5. Mediziner in Deutschland hat kein schlechtes Gewissen, mit einem Patienten bzw. einer Patientin eine Liaison zu beginnen. Einer von 20 war zur Zeit der Befragung sogar mit einem Patienten liiert. Hinzu kommt: Jeder 4. schließt eine solche Beziehung nicht kategorisch aus. Nur eine kleine Mehrheit fordert Askese für das Arzt-Patientenverhältnis. Franzosen und Amerikaner haben hier eine etwas strengere Auffassung im Job als deutsche Mediziner.
Wenn vielleicht nicht der Patient selbst als potentieller Liebespartner in Frage kommt, dann zumindest seine Tochter, sein Sohn oder ein anderes Familienmitglied? Die Mehrheit der deutschen Mediziner ist durchaus offen für die Liebe oder Sex mit einem Angehörigen eines Patienten. 23% beantworten die Frage sogar mit einem eindeutigen „Ja”. 35% würden es erwägen – je nach Umständen. Auch hier sind die Jüngeren offener als ältere Kollegen. Franzosen denken ähnlich. In den USA dagegen sind Liebesaffären mit Angehörigen eher verpönt.
Einem Patienten mitzuteilen, dass er bald sterben wird, ist einer der schwierigsten Momente im Arztberuf. Umso erstaunlicher ist es, dass die Mehrheit der deutschen Mediziner die Wahrheit nicht beschönigen würde. Allerdings macht auch ein Drittel der Befragten ihr Vorgehen von der jeweiligen Situation abhängig. Auffällig ist, dass die meisten französischen Ärzte lieber Mut machen wollen. Männer motivieren dabei mehr als Frauen. Die Amerikaner sind dagegen rigoroser. 2 von 3 halten schlechte Nachrichten nicht zurück.
Nur wenige Ärzte würden in einem solchen Interessenkonlikt Informationen zurückhalten. Ein großer Teil (39%) will sich allerdings in der Frage nicht wirklich festlegen. Französische Kollegen wären noch am ehesten bereit, sich bei der Aufklärung eines Patienten von der Familie beeinflussen zu lassen.
Die meisten Ärzte sind nicht sehr experimentierfreudig, wenn die Gefahr besteht, einen Kunstfehler zu riskieren oder Therapien abseits der Lehrmeinung zu wählen. Allerdings ist auffallend, dass 4 von 10 deutschen Ärzten ihr Vorgehen von den Umständen abhängig machen, also doch von Fall zu Fall einen mutigeren Weg beschreiten würden. Eindeutiger entscheidet sich die Mehrheit der Kollegen in den USA und Frankreich gegen gewagte Abenteuer in der Behandlung.
Einen Kollegen – mit dem man vielleicht sogar befreundet ist – zu verpfeifen, weil er zum Beispiel seinen Job im Rausch ausübt, befürworten nur 2 von 10 Ärzten in Deutschland. Die meisten sind unentschieden. Jüngere Ärzte schätzen sich pflichtbewusster ein. 36% würden Drogenmissbrauch und gesundheitliche Beeinträchtigungen von Kollegen transparent machen. Noch deutlicher fallen die Antworten in Frankreich und USA aus. Die Mehrheit würde solche Probleme, die den Patienten gefährden können, ansprechen.
Interessenkonflikte sind ein heikles Thema im Medizinbetrieb. Die Vorschriften, die Arbeitgeber bezüglich Firmen-Einladungen ausgeben, sind immer strenger geworden. Die Mehrheit der Ärzte aus allen befragten Ländern ist davon überzeugt, dass ihr Verschreibungsverhalten durch die Zusammenarbeit mit pharmazeutischen Unternehmen nicht beeinflusst wird. Ein Drittel der Befragten glaubt immerhin, dass man dadurch – vielleicht auch unbewusst – seine Neutralität verliert.
Kaum ein Patient wagt, in der Sprechstunde seinem Arzt diese heikle Frage zu stellen. Zum Glück, denn viele würden in Erklärungsnot geraten. Ein bemerkenswert hoher Anteil an Ärzten in Deutschland wäre bereit, einen Eingriff durchzuführen, den sie für sich selbst in der gleichen Situation ablehnen würden. Unter Klinikärzten liegt der Anteil noch ein bisschen höher. Französische Kollegen sind dagegen vorsichtiger. Nur jeder 3. würde Patienten anders therapieren als sich selbst.
In den vergangenen 2 Jahrzehnten hat sich in Deutschland der Anteil berufstätiger Ärztinnen kontinuierlich erhöht. Er liegt inzwischen bei fast 50%. Während der Ausbildung liegt der Frauenanteil allerdings noch deutlich höher. Immerhin signalisiert eine deutliche Mehrheit der befragten Ärzte Offenheit statt Diskriminierung. Sie fühlt sich bei der Arbeit mit Kollegen beiderlei Geschlechts wohl.
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