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Interessenkonflikte

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Gerda Kneifel
Journalistin

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Medizin im Jahr 2015: Die wichtigsten Studien, Leitlinien und Diskussionen

Gerda Kneifel  |  Dezember 21, 2015

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Eindrucksvolles Comeback der endovaskulären Thrombektomie

MR CLEAN machte es möglich: Nachdem frühere Studien schon fast das Ende der Thrombektomie eingeläutet hatten, erlebt die mechanische Behandlungsmethode bei Schlaganfall nach dieser neuesten Studie ein fulminantes Revival. Studien, die auf MR CLEAN folgten, wurden aufgrund der eindeutigen Ergebnisse sogar abgebrochen: Behinderungen ließen sich demnach bei 5 bis 15 % der Patienten verringern oder gar verhindern. Zwar müssen weitere Forschungen zunächst einmal zeigen, welche Rolle der Faktor Zeit zwischen Symptombeginn und Intervention spielt. Doch schon werden Forderungen nach mehr Behandlungseinheiten in Schlaganfallzentren laut, um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Schließlich spielen auch die drastisch sinkenden Kosten eine Rolle – denn der durchschnittliche Krankenhausaufenthalt sinkt von 90 auf 14 Tage. Die sinkenden Pflegekosten kommen noch oben drauf.

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Neues Sterbehilfe-Gesetz: Nach dem Votum ist vor der Debatte

Lange wurde in Deutschland debattiert, doch am 6. November hat der Bundestag einen neuen Gesetzentwurf angenommen, der zwar geschäftsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe stellt, aber Angehörigen und nahestehenden Personen – im Zweifelsfall also auch Ärzten – im Einzelfall ein Eingreifen erlaubt.

Prof. Dr. Frank Montgomery stellte sich hinter das neue Gesetz, auch wenn der Begriff „geschäftsmäßig“ Spielraum für Interpretationen lässt. Die Befürchtung eines „Dammbruchs“ ähnlich wie in Belgien oder den Niederlanden sehen Experten für Deutschland allerdings nicht. Die Hemmschwelle, selbst Hand anzulegen und nicht durch ärztliches Zutun zu sterben, ist erfahrungsgemäß hoch. Dennoch gibt es auch Widerspruch. Sowohl Kirche als auch Palliativmediziner haben sich generell gegen Sterbehilfe ausgesprochen. Letztere halten das Gespräch mit dem Patienten für den einzig gangbaren Weg.

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SPRINT wird zur neuen Zielgerade für Hypertoniker

SPRINT – ein Meilenstein unter den Blutdruckstudien – hat die Leitlinien-Diskussion wieder angefacht, nachdem sie mit den neuen Leitlinien vor 2 Jahren gerade erst ad acta gelegt worden war. Im November 2015 war SPRINT auf der Tagung der American Heart Association in Orlando vorgestellt worden. In der Studie hatten Hochrisiko-Hypertoniker mit zumindest einem zusätzlichen kardiovaskulären oder renalen Problem, die auf einen Blutdruckwert von 120 mmHg eingestellt wurden, ein um 27 % niedrigeres Sterberisiko als die Gruppe, die auf 140 mmHg eingestellt worden war. Auch wenn der günstige kardiovaskuläre Effekt womöglich durch langfristige negative renale Effekte geschmälert werden könnte, werden die neuen Leitlinien nun wohl erneut angepasst und Ärzte noch konsequenter auf den Blutdruck achten müssen. Die Diskussion um die Blutdruckziele bei Diabetikern dürfte allerdings noch etwas länger dauern.

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Diabetologen sind begeistert – endlich gibt es auch etwas fürs Herz

Das Antidiabetikum Empagliflozin sorgte in diesem Jahr für eine weitere kleine medizinische Sensation. Denn das hat es noch nie gegeben: ein Antidiabetikum, das zugleich positiv aufs Herz wirkt. Der SGLT2-Inhibitor reduziert bei Typ-2-Diabetikern mit kardiovaskulären Erkrankungen über 3 Jahre die kardiovaskuläre Todesrate um 38 %. Das brachte überraschend die beim europäischen Diabeteskongress präsentierte EMPA-REG-OUTCOME-Studie zutage. Der günstige Effekt zeigte sich vor allem bei der Mortalität (-32 %) und bei den Herzinsuffizienzen (Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz -35 %). Experten vermuten, dass der diuretische Effekt des SGLT-2-Hemmers für dessen positive Wirkung eine Rolle spielen könnte. Denn Herzinfarkte und Schlaganfälle waren unter dem Antidiabetikum im Vergleich zu Placebo nicht reduziert. Auch die Senkung der Hyperinsulinämie, die bekanntermaßen assoziiert ist mit kardiovaskulären Risiken, könnte eine Rolle spielen. Haben sich die  Diabetologen bislang zu sehr auf den Glukosespiegel fokussiert?

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Stärkt das neue Gesetz tatsächlich die Versorgung?

Gegen weitreichende Widerstände der Ärzte verabschiedeten Politiker am 1. August 2015 das neue Versorgungsstärkungsgesetz. Hauptkritikpunkte der Mediziner waren und bleiben der Zwangsverkauf von Vertragsarztpraxen durch die Kassenärztlichen Vereinigungen in überversorgten Gebieten. Für die einen ist es ein unzulässiger Eingriff in die Niederlassungsfreiheit – für die anderen ein Weg hin zu gerechterer Patientenversorgung. Immerhin ließen sich die Politiker erweichen, statt ab 110 % erst ab 140 % Überversorgung die Aufkaufregel greifen zu lassen. Heftig aber umsonst wehrte sich die Ärzteschaft aufgrund ausufernder Bürokratie auch gegen die Terminservicestellen. Dabei macht das Saarland mit seinem Konzept von der dringlichen Überweisung vor, wie es auch anders und wesentlich unbürokratischer gehen kann.

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Wechselnde Ernährungsempfehlungen: Was ist denn nun gesund?

Die Volksdroge Zucker ist und bleibt im Fokus der Mediziner. Ob es sich in den neuen Leitlininen der WHO widerspiegelt, oder in politischen Debatten um eine Zuckersteuer. Wo die einen sich ähnliche Effekte wie bei der Tabaksteuer erhoffen, lehnen sie andere kategorisch ab, weil sie sozial schwächer Gestellte benachteilige. Doch wie soll man auch wissen, was man noch essen darf und essen sollte – beziehungsweise in welchen Mengen und in welcher Reihenfolge? Die medizinischen Fachgesellschaften sind sich selbst nicht einig – und nun sind auch die neuen Ernährungsempfehlungen der US-Amerikaner, die weltweiten Einfluss haben, in die Kritik geraten. Auch Eier sind bei hohem Cholesterinspiegel kein Tabu mehr. Bei allem Hin und Her bleibt eine Konstante: Die Mittelmeerdiät ist nach wie vor das Leitbild für gesunde Ernährung. Und die scheint umso besser zu schützen, je früher mit ihr begonnen wird.

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Neue Antikörper senken LDL-Cholesterin dramatisch

Nach einer längeren Flaute im Bereich des Cholesterins kommt nun Wind auf: Die EMA hat in diesem Jahr zwei der neuen PCSK9-Inhibitoren zugelassen. Alirocumab und Evolocumab sind Antikörper, die in den Lebermetabolismus eingreifen und frei zirkulierendes LDL-Cholesterin um gut 50 % senken können. Entsprechend groß war die Begeisterung, doch auch diese Neuerung hat einen Haken. Pro Patient und Jahr kostet die Behandlung etwa 8.000 Euro. Außerdem fehlt es noch an harten kardiovaskulären Endpunktstudien, die über Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken Auskunft geben. Trotz allem dürften die neuen Medikamente ein Segen für Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie sein, ebenso wie für Patienten, die auf die Standardtherapie mit Statinen und Ezetimib nicht ansprechen oder Statine nicht vertragen.

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Wende in der Krebstherapie: Das Immunsystem im Visier

35 Jahre nach der Implementierung der Stammzelltransplantation tut sich  mit der Immuntherapie wieder ein neuer Ansatz in der Onkologie auf. Die EMA jedenfalls ließ im Herbst dieses Jahres eine erste onkolytische Immuntherapie zu: eine Behandlung mit einem genmodifizierten Herpesvirus bei Patienten mit fortgeschrittenem Melanom. Bereits zugelassen sind auch sogenannte Checkpoint-blockierende Therapien, die an wichtigen Schaltstellen der Tumorabwehr eingreifen. Die Therapien erzielen teilweise enorme, teilweise auch keine Erfolge – es bleibt also viel zu forschen. Manche Ansätze wie die CAR-T-Therapie erwiesen sich durchaus auch als gefährlich. Dennoch gibt es große Erfolge zu vermelden – vor allem scheinen Kombinationstherapien mit bestimmten Checkpoint-Inhibitioren wesentlich bessere Resultate zu erzielen als Monotherapien. In einer Untersuchung konnte sogar jeder fünfte Patient mit metastasiertem Melanom in eine komplette Remission kommen – mit langanhaltendem Effekt. Da nahm der ein oder andere sogar schon das Wort „Heilung“ in den Mund.

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Die elektronische Gesundheitskarte: eine never ending story?

80.000 Menschen sterben Jahr für Jahr, weil lebensrettende Informationen zwar prinzipiell vorhanden, aber nicht im richtigen Moment am richtigen Ort sind. Das soll die elektronische Gesundheitskarte ändern. Gearbeitet haben daran bereits 4 Gesundheitsminister über mehr als 10 Jahre. Liegt es an der zögerlichen Selbstverwaltung der Ärzte? Zumindest eine Umfrage legt das nahe. Demnach sehen zwei Drittel der befragten Mediziner die eGK kritisch. Das eHealth-Gesetz soll nun zwar in der Sache Dampf machen – es wird Sanktionen genauso enthalten wie Vergütungsboni – doch bleiben die gesteckten Ziele noch immer weit hinter den Zeitplänen zurück. Ist dies am Ende gar nicht so schlecht? In den USA jedenfalls sind elektronische Patientenakten mittlerweile ein stark begehrtes Gut – für Hacker.

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Medizinische Versorgung von Flüchtlingen krankt an vielen Stellen

Auch wenn in diesem Jahr immens viel geleistet worden ist: eine umfassende medizinische Versorgung von Flüchtlingen ist noch nicht gewährleistet. Obwohl entsprechende Konzepte den Landesregierungen vorliegen, fehlt es etwa in den Erstaufnahmelagern noch immer an medizinischen Versorgungszentren. Es geht z.B. darum die Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern. Auch die psychologische Betreuung insbesondere von Kindern und Jugendlichen ist dringend notwendig. Stattdessen ließen jüngst einige Politiker und Mediziner im Zuge des verschärften Asylrechts verlauten, eine posttraumatische Belastungsstörung sei kein Grund, eine Abschiebung zu verhindern.

Natürlich kostet die große Zahl ankommender Flüchtlinge auch das Gesundheitssystem große Anstrengungen und viel Geld. Doch wären rund  40 % Kosten gespart worden , würden Flüchtlinge gleich bei Ankunft eine Gesundheitskarte ausgehändigt bekommen – auch das zeigte eine Studie aus diesem ereignisreichen Jahr.

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Ein neuer Paragraph im Strafgesetzbuch widmet sich Ärzten

Hat die Korruption im Gesundheitswesen epidemische Ausmaße angenommen oder handelt es sich bloß um „einzelne schwarze Schafe“? Wie weit die Vorteilsnahmen unter Medizinern verbreitet sind, darüber gehen die Meinungen erwartungsgemäß auseinander. Fakt ist: Es wird ein Anti-Korruptionsgesetz geben – die Weichen wurden in diesem Jahr gestellt. Der Bundesregierung jedenfalls ist das Gesetz sogar einen eigenen neuen Paragraphen wert: § 299a. Darin wird Bestechung oder Bestechlichkeit – also das Fordern oder Inanspruchnehmen von Vorteilen für sich oder für Dritte – mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafen bis zu 3, in besonders schlimmen Fällen im Rahmen „organisierter Banden“; bis zu 5 Jahren geahndet. Allerdings moniert unter anderen die Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte (MEZIS), dass der Gesetzentwurf schwammig formuliert ist und kein exakt formulierter Katalog vorliege, was genau nun eigentlich korrupt sei. Sogar der Richterbund vermisst klar definierte Berufsausübungspflichten. Also besser einmal zu viel in bestehende Verträge geschaut als einmal zu wenig.

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Pflegereform: Selbstständigkeit der Patienten rückt in den Fokus

Am Freitag, den 13. November dieses Jahres ging es durch den Deutschen Bundestag: das Zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II). Damit werden die 3 Pflegestufen ersetzt durch 5 Pflegegrade. Die bisherigen basierend auf Zeitaufwand berechneten Stufen führten  zur „Pflege im Minutentakt“. Das soll nun anders werden, denn maßgebend sind der Grad der Selbstständigkeit der Betroffenen bzw. ihre Beeinträchtigung von Selbstständigkeit. Zudem fällt die bisherige Unterscheidung zwischen Pflegebedürftigen mit körperlichen und solchen mit kognitiven und psychischen Einschränkungen weg: Eine Verbesserung der Pflegebedingungen für Demenzkranke, hoffen viele.

Für generell bessere Pflegebedingungen reichten 7 Patienten wenige Tage vor dem 13. November Verfassungsbeschwerde für eine menschliche Pflege ein. Doch ob sich an der Situation in den Pflegeheimen durch das neue Gesetz etwas ändern wird, bleibt abzuwarten. Manche fürchten sogar eher noch eine Verschärfung des Personalmangels. Ganz abgesehen davon, dass einige Experten die langfristige Finanzierung­ des neuen Vorgaben für nicht gesichert halten.

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Wenn Bakterien zu Arzneimitteln werden

Allein unser Darm trägt rund 2 kg Mikrobenmasse mit sich. Dass die unser Leben auch beeinflussen, ist nicht nur naheliegend, es ist mittlerweile wissenschaftlich anerkannt. Bezogen auf Darmkrebs etwa konnten Forscher bereits 12 konkrete Keime benennen, die vermutlich für die Entstehung von Karzinomen mitverantwortlich sind. Und auch Zusammenhänge zwischen gastrointestinalem Mikrobiom und anderen Erkrankungen wie Multipler Sklerose und Rheumatoider Arthritis werden derzeit erforscht. Doch nicht nur das Darm- auch das Lungen-Mikrobiom soll  an bestimmten Erkrankungen, in diesem Fall der Atemwege, beteiligt sein. Dabei zeichnet sich ab: Je vielfältiger die Flora desto gesünder der Mensch. Die Evidenz ist jedenfalls schon so groß, dass die FDA bereits 2013 Fäkalien zur Transplantation als „Arzneimittel“ eingestuft hat.

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