Unangemessenes Verhalten von Ärzten

Report: So verbreitet ist Fehlverhalten von Ärzten und Ärztinnen im Job und Privatleben – Ergebnisse der Medscape-Umfrage
Unangemessenes Verhalten von Ärzten
Niemand ist davor gefeit, mal im Arbeitsalltag falsch zu reagieren. Nur von Ärzten und Ärztinnen erwartet man oft besonders korrektes und professionelles Verhalten. Dass im Umgang miteinander Wunschdenken und Realität weit auseinanderklaffen, zeigt dieser neue Report.
Fehlverhalten ist in der Medizin anscheinend sehr verbreitet. Mehr als jeder 3. Kollege berichteten bei der großen Medscape-Umfrage von unangemessenem Verhalten, das er oder sie im Job beobachtet oder erlebt hat. An der Online-Umfrage haben 1.144 Medscape-Leser im Herbst 2021 teilgenommen.
Manche Teilnehmer nennen in der Umfrage etwa impfkritische Äußerungen oder abfällige Bemerkungen über Patienten als Beispiele. Rassistische oder sexistische Kommentare gehören ebenfalls zum Arbeitsalltag. Andere spielen sich wohl gern als Egozentriker auf, indem sie „bestimmte medizinische Situationen überdramatisieren und sich dadurch unangemessen selbst darstellen“, so ein Teilnehmer. Blickt man über den Feierabend hinaus ins Privatleben und bezieht die Social-Media-Aktivitäten der Ärzte mit ein, wird die Liste der unpassenden Aktionen noch länger.
Aber was sind die Ursachen für Entgleisungen, wie soll man als Kollege darauf reagieren und hat die Pandemie dafür gesorgt, dass die Nerven noch mehr blank liegen? Lesen Sie hier die wichtigsten Ergebnisse und Beispiele:
Fehlverhalten beobachtet oder selbst erlebt?
Report: So verbreitet ist Fehlverhalten von Ärzten und Ärztinnen im Job und Privatleben – Ergebnisse der Medscape-Umfrage
Fehlverhalten beobachtet oder selbst erlebt?
Ausraster, Beleidigungen, blöde Anmache: Die Möglichkeiten, sich als Arzt oder Ärztin* danebenzubenehmen, sind grenzenlos. Die einen zielen auf Kollegen ab, andere auf Patienten oder sogar Freunde.
Beobachtet hatten solche Ereignisse 37% der Umfrageteilnehmer am Arbeitsplatz, 24% außerhalb des Arbeitsplatzes und 21% in sozialen Medien.
Von eigenen Erlebnissen am Arbeitsplatz berichten 30%. Übergriffe außerhalb (10%) oder in sozialen Medien (4%) waren seltener.
Einige der Teilnehmer nannten zum Beispiel Defizite im Führungsverhalten: „Chefärzte sollten evtl. bezüglich ihrer Eignung überprüft werden. Es finden sich auffallend viele narzisstische und manipulative Menschen in diesen Positionen“, schreibt eine Ärztin aus der Psychiatrie.
*Anmerkung: In allen weiteren Texten dieser Umfrage sind immer beide Geschlechter gemeint. Übersteigt die Summe aller Antworten 100% waren Mehrfachnennungen möglich.
Benehmen sich immer mehr Ärzte daneben?
Report: So verbreitet ist Fehlverhalten von Ärzten und Ärztinnen im Job und Privatleben – Ergebnisse der Medscape-Umfrage
Benehmen sich immer mehr Ärzte daneben?
Wie hat sich unangemessenes Verhalten von Ärzten Ihrer Meinung nach – im Beruf und auch außerhalb – verändert, verglichen mit der Situation vor 5 Jahren? Diese Frage stellte Medscape den Teilnehmern der Umfrage mit dem Hintergedanken, dass möglicherweise die Pandemie oder die immer stärker werdende Arbeitsbelastung generell das Nervenkostüm der Mitarbeiter im Gesundheitsbereich strapaziert.
Die Ergebnisse: Im Job geben 63% keine Veränderung zu Protokoll, während 22% von mehr und 16% von weniger Eskalationen sprechen.
Außerhalb des beruflichen Umfelds setzt sich der Trend im Großen und Ganzen fort: mit 65%, die keine Veränderung spüren, während 26% von zunehmenden und 9% von abnehmenden Tendenzen berichten.
Das geht zu weit: Beispiele für Fehlverhalten von Ärzten
Report: So verbreitet ist Fehlverhalten von Ärzten und Ärztinnen im Job und Privatleben – Ergebnisse der Medscape-Umfrage
Das geht zu weit: Beispiele für Fehlverhalten von Ärzten
Welche der folgenden Situationen haben Sie persönlich in den letzten 5 Jahren von Ärzten am Arbeitsplatz erlebt oder davon erfahren? Alle zutreffenden Punkte konnten die Teilnehmer bei dieser Frage ankreuzen.
Fehlverhalten hat viele Gesichter. Man macht sich über andere lustig, verunglimpft sie, verwendet rassistische Ausdrücke, lügt, belästigt andere und vieles mehr.
In den Kommentaren wurden Rassismus, Sexismus und Mobbing häufig genannt. Eine Kardiologin berichtet, sie habe am eigenen Leib gespürt, „dass türkische Frauen doch eher vor dem Herd stehen, ihrem Mann dienen und Kinder gebären sollten, anstatt ärztliche Tätigkeiten auszuführen“.
Und ein Facharzt für Allgemeinmedizin hat ein „nicht immer kollegiales Verhalten gegenüber älteren Ärzten“ moniert.
Eine Psychiaterin wiederum berichtet über „Mobbing von Ärztinnen durch männliche Kollegen“. Auch „Homophobie, abfällige Bemerkungen über das Körpergewicht und das Aussehen von Kollegen“ war einem Neurologen unangenehm aufgefallen.
Das geht gar nicht!
Report: So verbreitet ist Fehlverhalten von Ärzten und Ärztinnen im Job und Privatleben – Ergebnisse der Medscape-Umfrage
Das geht gar nicht!
Von Rassismus bis Sexismus alles dabei: Hier ein paar Beispiele, die unsere Umfrageteilnehmer in den Kommentaren genannt haben.
Vor allem Männer benehmen sich daneben
Report: So verbreitet ist Fehlverhalten von Ärzten und Ärztinnen im Job und Privatleben – Ergebnisse der Medscape-Umfrage
Vor allem Männer benehmen sich daneben
Die Umfrage zeigt extrem deutlich, dass Fehlverhalten oft von Männern (75%), aber deutlich seltener von Frauen ausgeübt wird.
In den Altersgruppen 40 bis 49 (49%) und 50 bis 59 (47%) traten die meisten Fälle auf. Hier ist allerdings zu bedenken, dass diese Altersgruppen bei Ärzten besonders stark vertreten sind und die Ergebnisse daher verzerrt sein können.
Direkt anprechen oder doch lieber ignoieren?
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Direkt anprechen oder doch lieber ignoieren?
Aber hat Fehlverhalten in der täglichen Praxis auch Konsequenzen? Haben Sie miterlebt, dass Ärzte wegen unangemessenen Verhaltens in der Öffentlichkeit von ihrem Arbeitsplatz oder ihrer medizinischen Organisation gemaßregelt wurden, wollten wir von den Teilnehmern wissen.
Tatsächlich haben 48% das Fehlverhalten selbst angesprochen, 13% ihre Vorgesetzten informiert – aber 36% sind untätig geblieben. Männer haben öfter als Frauen negatives Verhalten direkt adressiert (57% versus 36%). Allerdings haben sie seltener Vorgesetzte kontaktiert (10% versus 18%) – Daten nicht graphisch dargestellt.
Melden, verwarnen, kündigen?
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Melden, verwarnen, kündigen?
Wie sollte man mit Kollegen verfahren, die sich am Arbeitsplatz daneben benehmen? Hier konnten die Teilnehmer der Umfrage alle Antworten auswählen, die zutreffen.
Besonders viele Umfrageteilnehmer sprechen sich für mündliche Verwarnungen (43%) aus, speziell für Verwarnungen durch Führungskräfte (27%). Drakonische Strafen, etwa Disziplinarverfahren (15%), Meldungen bei der Ärztekammer (11%) oder gar Kündigungen (4%) befürworten nur wenige Kollegen.
Haben Sie sich selbst schon daneben benommen?
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Haben Sie sich selbst schon daneben benommen?
Aber was sagt der Blick in den Spiegel? Haben die Teilnehmer der Umfrage vielleicht auch selbst das Gefühl, dass sie sich im vergangenen Jahr als Arzt oder Ärztin unangemessen verhalten haben – entweder irrtümlich oder wissentlich? Diese Frage hat immerhin jeder 5. Umfrageteilnehmer bejaht, ein überraschend hoher Wert.
Wie führen sich Ärzte im Privatleben auf?
Report: So verbreitet ist Fehlverhalten von Ärzten und Ärztinnen im Job und Privatleben – Ergebnisse der Medscape-Umfrage
Wie führen sich Ärzte im Privatleben auf?
Sind Ärzte im Privatleben vielleicht bessere Mitmenschen? Wohl eher nicht.
Ganz oben rangiert unter den Beschwerden das Lästern hinter dem Rücken anderer (69%), gefolgt von Mobbing oder Belästigungen (34%), rassistischen Ausdrücken (42%), Sexismus (38%) oder Trunkenheit (30%).
„Unangemessenes Verhalten nach zuviel Alkoholkonsum“ nennt auch eine Intensivmedizinerin als Negativ-Beispiel. Und ein Hämatologe/Onkologe kritisiert im privaten Umgang mit Kollegen die „zunehmende Diskriminierung Nicht-Deutscher“. Andere berichten von der Weitergabe vertraulicher Meinungen, von Lügen im privaten und beruflichen Umfeld oder von Drogenkonsum. Auch COVID-19 fordert seinen Tribut. Ein Internist kritisiert bei einem Kollegen die „Teilnahme an Querdenkerdemos und Kommentare mit fehlerhaften Infos in Internet-Foren“.
Warum nur – Corona, private Probleme, Stress?
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Warum nur – Corona, private Probleme, Stress?
Ursachen für unprofessionelles Benehmen gibt es theoretisch viele. Überraschend war, dass in der Umfrage (mehrere Antworten waren möglich) am häufigsten die Arroganz (60%) eines Kollegen oder einer Kollegin genannt wurde.
Etwas empathisch fällt die Nummer 2 aus in dieser Liste der negativen Eigenschaften: Persönliche Probleme außerhalb des Arbeitsumfelds halten immerhin 52% für die Auslöser des unkollegialen Umgangs miteinander.
Stress im Beruf rangiert mit 51% der Nennungen bei der Ursachensuche an 3. Stelle – gefolgt von geringen sozialen Kompetenzen (40%). Recht überraschend nannten nur 21% den Druck durch die COVID-19-Pandemie als Grund für unprofessionelles Verhalten.
Wie Ärzte soziale Medien nutzen
Report: So verbreitet ist Fehlverhalten von Ärzten und Ärztinnen im Job und Privatleben – Ergebnisse der Medscape-Umfrage
Wie Ärzte soziale Medien nutzen
Soziale Medien gehören heute für viele Menschen zum Alltag, um sich zu informieren oder um zu kommunizieren. Doch deren Einsatz ist in Zeiten von Shitstorms und Fake News umstritten.
43% der Befragten nutzen aktuell soziale Medien. Wer sich von diesen Kanälen bislang fernhielt, nannte mangelndes Interesse (70%), keine Zeit (37%), die Angst, dass vertrauliche Inhalte nach außen gelangen (25%) oder die Angst, belästigt zu werden (16%), als Grund. Mehrfachangaben waren möglich.
Nutzer sozialer Medien hatten meist ein privates Profil (71%), seltener ein berufliches plus privates Profil (22%) und kaum nur ein privates Profil (7%). Das zeigt: Soziale Medien sind mehr im privaten als im beruflichen Bereich verortet.
Um neue Follower zu gewinnen, haben sich nur 5% der Ärzte mit Patienten „befreundet“ bzw. Folgen diesen. Und nur 4% würden dies in Erwägung ziehen, während 91% solche Social-Media-Strategien ablehnen (Daten nicht dargestellt).
Vor allem unangemessene Kommentare – auch über Patienten
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Vor allem unangemessene Kommentare – auch über Patienten
Einige Ärzte berichteten bei der Umfrage auch über Fehlverhalten in den sozialen Medien – vor allem unangemessene Kommentare über Personen oder Themen (69%).
Unangemessene Kommentare über Patienten (22%) oder gar Bilder von Patienten (6%) wurden deutlich seltener beobachtet. Generell ungeeignete Bilder ohne Zusammenhang zu Patienten (15%) landeten etwas häufiger in Postings (15%).
In Kommentaren berichten Kollegen über „Zitate in rechtsradikalem Kontext“, über die „Herabwürdigung von Frauen und über irreführende Postings zu COVID-19, inklusive der Unterstützung von Querdenkern”. Einem Intensivmediziner ist die „unzulässige Werbung für eigene Behandlungsverfahren“ mit „unrealistischen Erfolgsversprechen“ aufgefallen. Herabwürdigende Kommentare über Migranten wurden auch mehrfach genannt.
Über diese Kanäle kommunizieren Ärzte im Netz
Report: So verbreitet ist Fehlverhalten von Ärzten und Ärztinnen im Job und Privatleben – Ergebnisse der Medscape-Umfrage
Über diese Kanäle kommunizieren Ärzte im Netz
Am liebsten nutzen Ärzte von den sozialen Medien WhatsApp bzw. Telegram (86%), gefolgt von Facebook (54%) und Twitter (16%). Andere Kanäle spielen praktisch keine Rolle.
Fehlverhalten wurde vor allem bei Whatsapp/Telegram beobachtet, seltener bei Twitter (5%).
Knipsen im OP oder in der Pathologie?
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Knipsen im OP oder in der Pathologie?
Thema der Umfrage war auch, ob Ärzte ihre Kollegen dabei beobachtet haben, in unangemessenen Situationen etwas zu posten, etwa während einer Konsultation, im Operationssaal, im Leichenschauhaus oder in ähnlichen Situationen.
Den Antworten zufolge war das eher selten der Fall. Unpassende Selfies haben 6% und unpassende Fotos 9% beobachtet.
Peinliche Bilder von der Party oder im Urlaub?
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Peinliche Bilder von der Party oder im Urlaub?
Aber auch im privaten Umfeld gibt es umstrittene Inhalte bei Postings. Dazu zählen Feiern mit Fast Food (18%), mit Alkohol (15%) oder beim Rauchen (13%). 82% sehen hier keine Einschränkungen.
Urlaubsfotos mit Ärzten in Badeklamotten halten 25% für ungeeignet. Das zeigt: Nur ein Teil der Kollegen hält eine strikte Trennung von Beruf und Privatleben bei Postings für erforderlich.
Keine Ahnung vom Datenschutz
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Keine Ahnung vom Datenschutz
In der Medizin spielt die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eine immens wichtige Rolle. Sie schützt personenbezogene Daten aller Art, auch in den sozialen Medien.
Recht überraschend gaben 64% der Umfrageteilnehmer an, die Regelungen nicht zu verstehen – hier besteht immenser Nachholbedarf. Die gute Nachricht: 75% nehmen solche Vorschriften ernst.
Doch wie hoch sollte die Messlatte angelegt werden?
Report: So verbreitet ist Fehlverhalten von Ärzten und Ärztinnen im Job und Privatleben – Ergebnisse der Medscape-Umfrage
Doch wie hoch sollte die Messlatte angelegt werden?
Während viele Kommentatoren hier ähnliche Maßstäbe wie bei der Allgemeinbevölkerung anlegen, schreibt ein Psychiater: „Innerhalb des ärztlichen Verantwortungsfeldes sind meiner Einschätzung nach, höhere Anforderungen an die Verhaltenssteuerung zu stellen.“
Alles in allem ist der moralisch-ethische Anspruch der Umfrageteilnehmer hoch. So gaben 75% an, Ärzte sollten sich generell besser verhalten als die Allgemeinheit.
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