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Kranke Stars der Zeitgeschichte: Woran litten Freud, van Gogh, John Wayne und Chopin – kennen Sie diese Patientenakten?

Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

Mitten im Klavierspiel sprang er auf. Welche Trugbilder plagten den polnisch-französischen Komponisten Frederic Chopin? Welche Qualen hat wohl Sigmund Freud ausgehalten während er 16 Jahre an Mundhöhlenkrebs litt? Wie lassen sich die Beschwerden des niederländischen Malers Vincent van Gogh aus heutiger Sicht interpretieren? Und, wussten Sie, dass sich der schwer an Lungenkrebs erkrankte John Wayne sein Ende wünschte, wie einen Showdown in einem Western?

Krankengeschichten von 99 bekannten Persönlichkeiten aus aller Welt beschreibt der Arzt und Autor Dr. Thomas Meißner in seinem faszinierenden Buch „Der prominente Patient“ (Springer, 2019, 39,90 Euro). Er recherchierte die Schicksale und Tragödien hinter den glänzenden Fassaden von Berühmtheiten aus Wissenschaft und Kultur. Fesselnd beschreibt er, welche Krankheiten das Leben dieser Menschen prägte, deren Karrieren beendete oder zu ihrem Tod führte.

In Teil 3 unserer Diashow finden Sie eine Auswahl von prominenten Schriftstellern, Musikern, Ärzten und Politikern. Rätseln Sie selbst, wie die medizinischen Diagnosen möglicherweise das Lebenswerk dieser Stars der Geschichte beeinflusst haben.

Quelle: Musée de la Musique / Wikimedia Commons, CCO

Kranke Stars der Zeitgeschichte: Woran litten Freud, van Gogh, John Wayne und Chopin – kennen Sie diese Patientenakten?

Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

Frederic Chopin: Kreaturen aus dem Klavier

Über die Ursache des Lungenleidens von Frédéric Chopin (1810-1849) ist viel spekuliert worden. Eine Tatsache wurde dabei regelmäßig übersehen, obwohl Chopin selbst und seine Umgebung darüber berichtet hat: Anfälle visueller Halluzinationen sowie Jamais-vu-Erlebnisse (Anm.d. Red: das Gegenteil von Déja-vu-Erlebnissen) mit dem Gefühl der Entfremdung gegenüber vertrauten Personen oder vertrauter Umgebung.

Während eines Privatkonzerts am 29. August 1848 in Manchester brach Frédéric Chopin (1810-1849) mitten im Spiel seiner Sonate Nr. 2 op. 35 abrupt ab und verließ den Raum. Bald danach kam er wieder und setzte kommentarlos das Konzert fort. Er hatte Kreaturen aus dem Klavier auftauchen zu sehen, die ihm Angst machten.

Über die Ursache des Lungenleidens von Chopin ist viel spekuliert worden. Eine Tatsache wurde dabei regelmäßig übersehen, obwohl Chopin selbst und seine Umgebung darüber berichtet hat: Anfälle visueller Halluzinationen sowie Jamais-vu-Erlebnisse (Anm.d. Red: das Gegenteil von Déja-vu-Erlebnissen) mit dem Gefühl der Entfremdung gegenüber vertrauten Personen oder vertrauter Umgebung.

Ähnliches hatte er bereits wiederholt in Valldemossa auf Mallorca erlebt. So passierte es einmal, dass er mit einem Schrei plötzlich sein Klavierspiel unterbrach, kurzzeitig einen verwirrten, angstvollen Eindruck machte, sich dann aber relativ rasch wieder beruhigte. Ein anderes Mal, mit Fieber im Bett liegend und aufgrund des Bluthustens geschwächt, bildete er sich ein, jemand klopfe an die Tür, und er sah den Tod an seinem Bett stehen.

Es waren traumähnliche Zustände, Einbildung und Realität vermischten sich. Teilweise war sich Chopin der Irrealität der Attacken bewusst. Neurologische Defizite begleiteten die Episoden nicht. Bei einigen optischen Halluzinationen handelte es sich offenbar um Liliput-Wahrnehmungen – die Dinge der Umgebung sehen kleiner aus als sie tatsächlich sind (Mikropsie). Als wahrscheinlichste Ursache gilt die Diagnose einer Temporallappen-Epilepsie.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: George Grantham Bain-Sammlung der US Library of Congress / Wikimedia Commons, CC0

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

George Gershwin: Abruptes Ende eines Ausnahmemusikers

Am 11. Februar 1937 spielte George Gershwin (1898-1937) sein Klavierkonzert in F-Dur mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra, als er während einer nur Sekunden andauernden Absence einige Passagen ausließ. Das Publikum bemerkte nichts. Bereits am Vortag war er bei einer Probe fast vom Podium gefallen. Zwei Monate später kam es bei seinem Frisör zu einer Bewusstlosigkeit für etwa eine halbe Minute.

Der Komponist beschrieb dem Psychiater Gregory Zilboorg (1890-1959) diese Episoden als „Blackouts“. Ihnen geht die Wahrnehmung des Geruchs von verbranntem Gummi voraus. Später litt Gershwin zunehmend über migräneartige Kopfschmerzen. Unter anderen untersuchte Gershwin auch der deutsche Psychoanalytiker Ernst Simmel (1882-1947), der wenige Jahre zuvor in die USA emigriert war. Simmel vermutete eine organische Ursache, ohne diese benennen zu können.

Der Komponist arbeitete normal weiter, etwa an der Musik zum Film „A Damsel in Distress“ (Ein Fräulein in Nöten) mit Fred Astaire, ging zu Partys, spielte Tennis. Er hatte weiterhin Geruchshalluzinationen, Kopfschmerzen, Schwindel. Später kamen motorische Störungen hinzu, die sein Klavierspiel beeinträchtigten.

Am 9. Juli 1937 wurde Gershwin bewusstlos ins Cedars of Lebanon Hospital in Hollywood gebracht, der Liquordruck war massiv erhöht. Bei der Trepanation am folgenden Tag fanden Ärzte einen Hirntumor festgestellt, der sich als Glioblastoma multiforme herausstellen sollte; 5 Stunden nach der Operation war Gershwin tot.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: Metropolitan Museum of Art/ Wikimedia Commons, CC0

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

Vincent van Gogh: Pinsellecker und Lampenöltrinker

Die exzentrische Persönlichkeit Vincent van Goghs (1853-1890) ist Legende und Anlass für dutzende Postmortem-Diagnosen. Seine erhebliche Bleibelastung darf dabei nicht außer Acht gelassen werden. Das Schwermetall fand sich damals überall im täglichen Leben: Wein wurde mit Bleiweiß und Bleizucker geschönt. Blei war Bestandteil von Farben, Arzneimitteln, Tabak, Kohlestaub sowie von Wasser aus Bleirohren.

Vincent van Gogh tat jedoch etwas, was ihm zusätzlich schadete: Er aß Blei. Er tat das bewusst, indem er die von ihm verwendeten bleihaltigen Farben aufnahm, zum Beispiel, indem er die Pinselborsten mit den Lippen anspitzte oder mit Farbe überzogenen Pinsel am Stiel im Mund hielt. Er leckte seine farbverschmierten Hände ab. Und er trank Lampenöl, wie Zeitzeugen bestätigt haben. Es ist daher anzunehmen, dass viele seiner körperlichen Symptome auf eine chronische Bleiintoxikation zurückzuführen waren.

Zugleich war er arm, hungerte oft und war unterernährt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit litt er an einer Eisenmangelanämie. Viele Patienten mit Eisendefizit entwickeln ein Pica-Syndrom, eine Essstörung mit Verzehr eigentlich ungenießbarer Stoffe.

Die kontinuierliche Akkumulation von Blei im Körper führte schließlich zur peripheren Neuropathie, wahrscheinlich mit Lähmung des Nervus radialis. Das Halten des Pinsels wurde für den Künstler problematisch. Und die verminderte visuell-motorische Koordination könnte den veränderten Pinselstrich und andere Merkmale später Bilder van Goghs im Vergleich zu frühen Werken mit erklären.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: U.S. National Archives and Records Administration / Wikimedia Commons, CC0

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

Ernest Hemingway: Depressivität lag in der Familie

Tiefe körperliche und seelische Wunden, deren Anzahl mit den Lebensjahren zunahm, führten zum dramatischen Ende Ernest Hemingways (1899-1961): ein Ende, das in scharfem Kontrast stand zu seinem offenen Wesen und seinem Erfolg als Autor.

In seiner Familie fanden sich viele Risikofaktoren für Suizidalität. Hemingways strenger Vater, ein Arzt, litt unter starken Stimmungsschwankungen – er erschoss sich 1928 mit einer Pistole. Ernests Schwester Ursula und der Bruder Leicester töteten sich ebenfalls selbst. Die ältere Schwester Marcelline soll depressiv gewesen sein. Hemingways Verhältnis zur dominanten Mutter war schwierig und später von Wut, Hass und Schuldgefühlen bestimmt.

Hemingway war von ehrgeizigem Charakter, ein impulsiver Mensch, der sich oft kindlich und egozentrisch verhielt. Zugleich fühlte er sich unzulänglich, war mit sich selbst unzufrieden. Seine Geschlechtsidentität war, womöglich auch erziehungsbedingt, keineswegs stabil.

Der liebenswerte und sympathische Hemingway konnte unverhofft aggressiv werden. Es wird vermutet, dass er unter einem Borderline-Syndrom mit Störungen der Affektregulation litt. Hinzu kam seine Alkoholabhängigkeit. Schließlich entwickelte er Wahnideen.

Im April 1961 unternahm er innerhalb von 4 Tagen 3 Suizidversuche. Nach einer erfolglosen Behandlung in der Mayo Clinic in Rochester im Juni 1961 und einer 5-tägigen Autofahrt nach Hause in Ketchum, Idaho, erschoss er sich wenige Tage vor seinem 62. Geburtstag mit einem Gewehr.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: Guillermo Kahlo / Wikimedia Commons, CC0

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

Frida Kahlo: Gemaltes Leid und seelische Qual

Es gibt wohl kaum Künstler von Rang, deren Werke so stark von körperlichem Leiden, seelischer Qual und Krankheit geprägt worden sind wie die der deutsch-mexikanischen Malerin Frida Kahlo (1907-1954).

Vielleicht hätte sie niemals gemalt, wenn der damals 18-jährige Schülerin nicht ein schwerer Busunfall passiert wäre. Eine eiserne Griffleiste durchbohrte Kahlos linke Hüfte und trat am Damm wieder aus. Sie verlor viel Blut, überlebte nur knapp. Man zweifelte, dass sie je wieder laufen würde. Die untere Wirbelsäule war an 3 Stellen gebrochen; 11 Frakturen fanden Ärzte am rechten Bein, der rechte Fuß war luxiert und gequetscht, das Schambein 3-fach gebrochen. Ein Schlüsselbeinbruch, 2 Rippenbrüche und eine Luxation der linken Schulter kamen mit hinzu.

Kahlo erlitt später mehrere Fehlgeburten, vermutlich infolge des Unfalls. Das rechte Bein war wegen einer Poliomyelitis-Erkrankung im Alter von 6 Jahren bereits dauerhaft geschwächt. Die junge Frau war nahezu komplett eingegipst worden und lag so 4 Wochen im Krankenhaus. Lebenslang sollte sie unter den Folgen des Unfalls leiden und musste auch später immer wieder wochen- und monatelang im Bett verbringen oder Korsetts aus Gips, Leder oder Stahl tragen.

Zu malen fing die ans Bett gefesselte Kahlo aus purer Langeweile an. Ihre Mutter hatte eine Spezialstaffelei anfertigen lassen, die das Mahlen im Liegen ermöglichte. Sie blieb ihr Leben lang Autodidaktin, auch wenn sie einiges von ihrem Lebensgefährten und Ehemann, dem Maler Diego Rivera, gelernt haben dürfte. In ihren Werken, meist Selbstbildnisse, setzte sich Kahlo oft mit Schmerz, Gebrechlichkeit und mit dem Tod auseinander.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: Berkshire Athenaeum, Pittsfield, Mass / Wikimedia Commons, CC0

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

Herman Melville: Schreiben im Zustand der Ekstase

Der Roman „Moby Dick“ über die Jagd des von Hass getriebenen Kapitäns Ahab auf den weißen Pottwal Moby Dick ist eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur. Zu Lebzeiten Herman Melvilles (1819-1891) verkaufte es sich eher schlecht. Leben konnten er und seine Familie von der Schriftstellerei nicht.

Nach der Veröffentlichung von „Moby Dick“ im Jahre 1851 entwickelte Melville eine Reihe von psychischen und körperlichen Beschwerden, die manche Biografen als „psychosomatisch“ abgetan, andere als Ausdruck einer Geisteskrankheit gesehen haben.

Wenn er, zumindest in jungen Jahren, an einem Roman arbeitete, dann in einem stundenlangen Zustand der Ekstase und bis zur völligen Erschöpfung. Er schreibe in einem Zustand „morbider Nervosität“ hieß es. Manches spricht dafür, dass bei ihm Phasen von Hypomanien und Depression im Sinne einer bipolaren Störung wechselten.

Zudem klagte er über heftige Kopf-, Rücken- und Gliederschmerzen. Aus Passanträgen mit Angaben seiner Körpergröße geht hervor, dass Melville zwischen 1849 und 1856 um etwa 3,5 cm kleiner geworden war. Zeitgenossen haben seine aufrechte und steife Körperhaltung in mittleren und späten Lebensjahren beschrieben. Hinzu kamen schubförmige Augenschmerzen und Photophobien. Daher spricht einiges dafür, dass Melville an einer Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) gelitten hat.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: Cassowary Colorizations - George Orwell, c. 1940, Wikimedia Commons / CC BY 2.0

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

George Orwell: Er hustete Blut beim Schreiben seines Buchs „1984”

Mit „Farm der Tiere“ gelang ihm der Durchbruch, „1984“ wurde sein Vermächtnis: Letzteres verfasste George Orwell (Eric Arthur Blair, 1903-1950) bereits unter gesundheitlich bedenklichen Umständen.

Seit seiner Kindheit litt er an Bronchitiden und an chronischem Husten. Womöglich hatte er sich bereits in jungen Jahren mit Mycobacterium tuberculosis infiziert. Der oft unterernährte und ärmlich lebende Kettenraucher litt wiederholt an Pneumonien. Im Spanischen Bürgerkrieg überlebte er nur mit viel Glück eine Schussverletzung am Hals.

1945 ging er als Kriegskorrespondent nach Paris. Als seine Frau kurz darauf unerwartet starb, zog er sich 1946, bereits geschwächt, für 18 Monate auf die einsame Hebriden-Insel Jura zurück. In dem feuchtkalten Klima musste er ohne Elektrizität und warmes Wasser auskommen. Dort schrieb er, Blut hustend, oft fiebernd und mehr und mehr Gewicht verlierend, seine düstere Zukunftsvision eines totalitären Überwachungsstaats nieder: „1984“.

Erst 1947 wurde der seit langem bestehende Verdacht auf Tuberkulose diagnostisch bestätigt. Die neue Kaverne lag im linken unteren Lungenlappen. Es folgte eine „Kollapstherapie“ mit Ausschaltung des linken Nervus phrenicus. Ziel der Ärzte war, das linke Zwerchfell zu lähmen, um den Lungenlappen zum Kollabieren zu bringen. Wöchentliche Luftinjektionen in den darunterliegenden Bauchraum sollten dies unterstützen. Später erhielt Orwell das damals neue Streptomycin. Die Behandlung musste jedoch nach 50 Tagen wegen eines Lyell-Syndroms abgebrochen werden.

1948 kehrte Orwell nach Jura zurück, um die Endfassung von „1984“ zu verfassen. Der Roman erschien im Sommer 1949 und war sofort ein großer Erfolg. Ein halbes Jahr später starb der Schriftsteller.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: Otto Wegener / Wikimedia Commons, CC0

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

Marcel Proust: Als Asthma noch als Neurose galt

Der französische Schriftsteller Marcel Proust (1871-1922) litt seit seiner Kindheit an Asthma bronchiale, einer Krankheit, von der man damals glaubte, sie sei „nervöser“ Natur. Er suchte deshalb bevorzugt Hilfe bei Neurologen.

Vielleicht hatte das auch mit seinem Vater, Prof. Dr. Adrien Proust (1834-1903), zu tun, einer damals berühmten Persönlichkeit an der Medizinischen Fakultät in Paris und selbst Neurologe. Adrien Proust sah schlechte Erziehung und mütterliche Überfürsorglichkeit als Ursachen der „Neurasthenie“ an. Asthma galt weithin als Ausdruck einer solchen Neurasthenie. Folgerichtig betrachtete Marcel Proust sich selbst als „nervöse“ Persönlichkeit.

Er behandelte sich selbst mit verschiedenen Medikamenten und Diäten. Dazu gehörten Anti-Asthma-Pulver, Anti-Asthma-Zigaretten, Ether, Balsame, Opiumderivate, Barbiturate, Chloralhydrat, Adrenalin, das Alkaloid Spartein (Lupinidin), Acetylsalicylsäure und weitere Substanzen in allen möglichen Kombinationen.

Später wollte er sich einer 3-monatigen „Isolationskur“ in einer Pariser Klinik unterziehen – der behandelnde Arzt hatte im versprochen, danach geheilt zu sein. Schließlich versuchte Proust eine kürzere Isolationskur in einer anderen Klinik. Er sei kränker aus dem Krankenhaus heraus- als hineingekommen, äußerte er bald darauf.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: Hugo van Gelderen / Anefo - Nationaal Archief / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 nl

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

John Wayne: Krebs? – Den habe ich erledigt!

„I licked the big C“ [umgangssprachlich für „cancer“; sinngemäß: „Ich habe den Krebs erledigt“]: Das diktierte John Wayne (1907-1979) lässig und noch ans Krankenbett gefesselt dem Hollywood-Kolumnisten James Bacon ins Notizbuch. „Ich weiß, der da oben wird den Stöpsel ziehen, wenn er das tun möchte, aber ich will mein Leben nicht krank beenden, ich werde hier auf zwei Beinen hinausmarschieren.“ Oder im englischen Original: „I know the man upstairs will pull the plug when he wants to, but I don’t want to end my life beeing sick, I want to go out on two feet, in action.“

Entgegen den Empfehlungen seines Umfelds machte Wayne keinen Hehl aus seiner Krebsdiagnose: 1964 waren ihm wegen eines Golfball-großen Tumors ein Lungenflügel links sowie vier Rippen entfernt worden. Er überlebte die Erkrankung 15 Jahre.

Sein 2. gravierendes Gesundheitsproblem war eine insuffiziente Mitralklappe, die er sich 1978 bei einer offenen Herzoperation ersetzen ließ. Nur wenige Monate später, im Januar 1979, kam er abgemagert und wegen abdomineller Schmerzen ins Krankenhaus. Unter der Annahme, es sei ein Gallenblasenproblem, wurde er operiert. Daraus wurde ein 9-stündiger Eingriff mit totaler Gastrektomie wegen eines Magenkarzinoms mit Streuung ins Lymphsystem. Später erhielt Wayne zusätzlich eine Radiotherapie, Interferon sowie eine neu entwickelte immunologische Vakzine. Dies alles half ihm nicht.

Trotz der medizinischen Niederlage stifteten Waynes Kinder dem UCLA Medical Center in Los Angeles einen großen Geldbetrag. Heute ist das John Wayne Cancer Institute in Kalifornien eines der profiliertesten Krebsforschungszentren der Welt.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: Napoleon Sarony / Wikimedia Commons, CC0

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

Oscar Wilde: Ohr-Operation im Hotelzimmer

Der frühe Tod des irischen Dramatikers, Schriftstellers und Journalisten Oscar Wilde (1854-1900) ist lange mit seinem Sexualleben und einer angeblichen Syphilis in Zusammenhang gebracht worden. Die finale Meningoenzephalitis hatte jedoch einen ganz anderen Hintergrund.

Während seiner Gefängnishaft wegen „Unzucht“ von 1895 bis 1897 litt er unter einer zunehmenden Schwerhörigkeit mit rezidivierendem Ausfluss rechts. Schließlich war er auf dem rechten Ohr fast taub, weil ein Abszess das Trommelfell perforiert hatte. Unter täglichen Spülungen mit Karbolsäure besserte sich der Befund. Später entwickelte Wilde offenbar ein Cholesteatom, einen zwar gutartigen, aber expansiv und destruktiv wachsenden Tumor am Trommelfell mit fortschreitender Knochenzerstörung und chronischer Mittelohrentzündung.

Ende September 1900 wurde Wilde trotz seiner Mittellosigkeit im Pariser Hôtel d’Alsace beherbergt und versorgt. Er war schwer krank. In den folgenden Wochen wurde er 68-mal vom HNO-Spezialisten Maurice a’Court Tucker von der britischen Botschaft aufgesucht. Die chronische Mittelohrinfektion war akut exazerbiert und hatte sich auf das Mastoid ausgedehnt.

Als letzte Chance sah sein Arzt eine Operation an, die am 10. Oktober 1900 im Hotelzimmer unter Chloroform-Anästhesie stattfand. Leider sind keine Details überliefert, doch es dürfte sich um eine radikale Mastoidektomie gehandelt haben. Der Eingriff war erst kurz zuvor von den deutschen Otologen Emanuel Zaufal (1837-1910) und Ludwig Stacke (1859-1918) beschrieben worden.

Zurück blieb eine große Wunde, die täglich versorgt werden musste. Antibiotika gab es damals noch nicht. Die Infektion kehrte mit hohem Fieber zurück. Oscar Wilde starb 10 Wochen nach seiner Aufnahme ins Hotel an der sekundären Meningoenzephalitis.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: Max Halberstadt / Wikimedia Commons, CC0

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

Sigmund Freud: 16 Jahre leben mit einem Mundhöhlenkarzinom

Es ist aus heutiger Sicht erstaunlich, wie lange der Vater der Psychoanalyse Sigmund Freud (1856-1939) mit seinem Mundhöhlenkarzinom überlebt hat: 16 Jahre. Trotz schwerer Krankheit und großer Qualen arbeitete er auch jenseits des 80. Lebensjahres noch und empfing Patienten.

Der extensive Zigarrenraucher suchte im April 1923 die Ambulanz der HNO-Universitätsklinik in Wien auf, um sich eine „schmerzhafte Gaumenschwellung“ entfernen zu lassen. Er glaubte, gleich danach wieder nach Hause gehen zu können. Doch daraus wurde nichts. Denn in Wirklichkeit handelte es sich um ein fortgeschrittenes Plattenepithelkarzinom.

Der Zahnarzt und Kieferchirurg Hans Pichler (1877-1949) entfernte bereits wenige Monate später unter intravenöser Sedierung den größten Teil des rechten Oberkiefers und des Unterkiefers sowie des rechten weichen Gaumens sowie der Wangen- und Zungenschleimhaut. Freud wurde eine große Kieferprothese angepasst, die er nur mit fremder Hilfe einsetzen konnte. Essen und Sprechen waren nur mit großer Anstrengung möglich, ebenso das Rauchen der geliebten Zigarren.

Im Sommer 1936, Freud war inzwischen 80 Jahre alt, mussten erneut ein Rezidivtumor und Teile des darunter liegenden Knochens entfernt werden. Er litt nahezu ständig unter schmerzenden Wunden im Mund-Nasenraum. Immer wieder auftretende Rezidive waren chirurgisch kaum noch zu erreichen; eine Röntgenbestrahlung brachte nichts.

Nach Freuds Emigration 1938 flog Pichler sogar nach London, um seinen Patienten dort erneut zu operieren. Nachdem der Zustand unerträglich geworden und er stark abgemagert war, ließ sich Freud von seinem befreundeten Arzt Max Schur (1897-1969), wie bereits Jahre zuvor besprochen, hohe Dosen Morphin injizieren und starb in den frühen Morgenstunden des 23. September 1939.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: Friedrich Hermann Hartmann / Wikimedia Commons, CC0

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

Friedrich Nietzsche: Zeichen einer Mitochondriopathie

Von Hirntumor und Demenz bis Neurosyphilis reichen die vermuteten Diagnosen, die Friedrich Nietzsches (1844-1900) lange Leiden erklären sollen.

Eine jüngere Befundanalyse ergibt jedoch das Bild einer mitochondrialen Enzephalopathie, einem Syndrom namens MELAS (Mitochondrial Encephalopathy, Lactic Acidosis, and Stroke-like episodes syndrome). Mutationen der mitochondrialen DNA, die ausschließlich über die Mutter vererbt werden, führen dabei zu einem klinisch sehr heterogenen Bild einer progredienten Neurodegeneration, ausgelöst durch die verminderte Energiebereitstellung für die Zellen.

Bereits im Alter von 4 Jahren war bei Nietzsche eine Anisokorie sowie ein sehr unterschiedliches Sehvermögen der Augen festgestellt worden. Ab 11 Jahren litt er unter anfallsartigen Kopfschmerzen mit Erbrechen sowie unter Muskelschmerzen als Zeichen der Myopathie. Spätere Untersuchungen ergaben Pigmentveränderungen der Netzhaut, Strabismus convergens sowie eine extreme Kurzsichtigkeit des rechten Auges und starke Kurzsichtigkeit links.

Ab seinem 31. Lebensjahr intensivierten sich die abdominalen Probleme mit Schmerzen, Obstipation und Appetitlosigkeit. Die Kopf- und Augenschmerzen verschlimmerten sich. Hinzu kamen starke Rückenschmerzen, Sprechstörungen, Bewusstseinsstörungen, Schwindelanfälle, Lähmungserscheinungen und Gangstörungen. Manchmal war Nietzsche erregt, desorientiert, euphorisch oder aggressiv, hatte Wahnvorstellungen. Zwischenzeitlich war er dann wieder völlig klar.

Wichtig ist der Blick auf die Familienanamnese: Nietzsches Mutter hatte ebenfalls eine Anisokorie. Mehrere Mitglieder der Familie mütterlicherseits litten an Migräne und psychiatrischen oder neurologischen Krankheiten. Nietzsche war am Ende seines Lebens gelähmt, dement und wahrscheinlich blind. Für ein MELAS sprechen der frühe Krankheitsbeginn, die hohe Wahrscheinlichkeit einer Vererbung des Leidens, die Symptomatik und die Komplikationen.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

Quelle: Alexander Gardner / Wikimedia Commons, CC0

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Dr. Thomas Meißner | Dezember 21, 2021 | Interessenkonflikte

Abraham Lincoln: Pockenkrank in Gettysburg

Es begann am Tag, bevor Präsident Abraham Lincoln (1809-1865) eine der berühmtesten Rede der US-Geschichte halten sollte: die „Gettysburg Address“ auf dem Soldatenfriedhof am Schlachtfeld von Gettysburg. Dort waren während des Bürgerkriegs zehntausende Soldaten gefallen.

Schon während der Bahnfahrt am 18. November 1863 von Washington D.C. kommend fühlte sich der 54-Jährige schwach und unwohl. Dennoch stand er am folgenden Tag die mehrstündige Zeremonie durch und hielt seine etwas etwas mehr als 2 Minuten lang dauernde Rede, die noch heute als rhetorisches Meisterwerk gilt.

Auf der Rückfahrt im Zug fieberte Lincoln, er war matt, erschöpft, klagte über Schwindel und starke Kopfschmerzen. Das Fieber steig. Am 4. Tag bekam der bettlägerige Patient einen scharlachroten Hautausschlag, gefolgt von blasigen Hauterscheinungen.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Lincolns 10-jähriger Sohn Tad der Überträger gewesen ist. Dieser hatte kurz zuvor mit einer fieberhaften Erkrankung und Hautausschlag mehrere Wochen im Bett verbringen müssen, wurde aber gesund. Ein weiteres Indiz, das für Pocken spricht, ist die Tatsache, dass Lincolns Diener William H. Johnson, der sich während der gesamten Krankheitsdauer um den Präsidenten gekümmert hatte, im Januar 1864 erkrankte und starb.

Die Mortalitätsrate bei Pocken betrug damals etwa 30%. Lincoln überlebte, was wesentlich zum Ende des Bürgerkrieges und zum Ende der Sklaverei in den USA beigetragen hat.

Quelle: Meißner, T: Der prominente Patient. Springer-Verlag GmbH 2019

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Prominente Patienten: Hätten Sie gewusst, welche Leiden diese berühmten Dichter, Schauspieler, Musiker und Maler plagten?

Auch nur Menschen: Der Autor und Arzt Thomas Meißner deckt auf, welche Krankheiten berühmte Persönlichkeiten gequält haben. Teil 1: von Goethe zu Beethoven, über Marley bis Bogart.
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