Wischen um Fortzufahren

100 Tage Coronavirus in Deutschland: Was Forscher bisher über den Eindringling wissen, der unser Leben auf den Kopf stellt

Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Die Krise begann mit einem Warnschuss

Am 28. Januar 2020 kurz nach Mitternacht meldet die Deutsche Presseagentur: Ein Virus, das bis dahin vor allem nur in China verbreitet gewesen war, konnte am Tag zuvor bei einem 33 Jahre alten Mann mit einem Test festgestellt werden. Damit war es offiziell: Das neue Coronavirus war auch in Deutschland angekommen. Der Betroffene, ein Mitarbeiter des Automobilzulieferers Webasto im Landkreis Starnberg, hatte sich während einer Schulung bei einer Kollegin aus China angesteckt.

Mitarbeiter und Personen wurden in den ersten Februartagen positiv getestet. Alle Fälle konnten zurückverfolgt werden und verliefen nicht sehr dramatisch. Doch man war gewarnt.

2 Tage später ruft die Weltgesundheitsorganisation WHO den „öffentlichen Gesundheitsnotstand von internationaler Bedeutung“ aus. Am 11. März bezeichnet sie COVID-19 als Pandemie. Am 9. März treten in Deutschland die ersten beiden Todesfälle auf.

Weltweit haben sich inzwischen mehr als 3.5 Millionen Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert, 247.838 sind daran gestorben (Stand 4. Mai 2020). Forscher rund um den Globus untersuchen SARS-CoV-2 mit Hochdruck. In Deutschland wurden innerhalb der ersten 100 Tage rund 165.000 Menschen offiziell positiv getestet, fast 7.000 starben. Laut einer Hochrechnung, die auf Daten der gerade veröffentlichten Heinsberg-Studie unternommen wurde, könnte die Dunkelziffer der Infizierten 10 Mal so hoch sein. Die Forscher der Uni Bonn schätzen, dass in Deutschland etwa 1,8 Millionen Menschen bereits mit SARS-CoV-2 infiziert wurden. Lesen Sie auf den folgenden Seiten, was wir bis heute alles über den Erreger, seine Verbreitung, mögliche Therapie und Langzeitschäden wissen.

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Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Symptome: COVID das Chamälion

Die Krankheitsverläufe sind unspezifisch, vielfältig und variieren stark, von symptomlosen Verläufen bis zu schweren Pneumonien mit Lungenversagen und Tod. Daher lassen sich keine allgemeingültigen Aussagen zum „typischen“ Krankheitsverlauf machen. Aus den kumulierten in China erfassten Fällen (n = 55.924 laborbestätigte Fälle, zum größten Teil aus der Provinz Hubei) werden als häufigste Symptome Fieber (90%) und Husten (68%) berichtet.

Patienten in Deutschland (Stand 15.4.2020) berichten laut Robert Koch-Institut am häufigsten über Husten (53 %), Fieber (42 %) und Schnupfen (23 %). Weitere Anzeichen sind Halsschmerzen, Atemnot, Kopf- und Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Bindehautentzündung, Hautausschlag, Lymphknotenschwellung, Apathie und krankhafte Schläfrigkeit. Die Krankheit, die durch das neue Coronavirus verursacht wird, bekommt auch einen neuen Namen: COVID-19.

Diverse Untersuchungen zeigen inzwischen, dass auch ein gestörter Geruchs- und Geschmackssinn auf COVID-19 hinweisen kann. Das berichten der Bonner Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck und Mediziner aus Italien. Im Rahmen seiner Heinsberg-Studie berichtete Streeck im Zusammenhang mit COVID-19 auch von Schwindel, Taubheit und Durchfall. Von Fieber, Husten und Geruchs- und Geschmacksverlust als häufigen Symptomen berichten auch Prof. Dr. Clemens Wendtner und Kollegen in Nature. Sie haben Ende Januar in München die ersten Patienten mit COVID-19 betreut. Weil die Symptome stark variieren und auch oft unspezifisch sind, haben Schweizer Mediziner COVID-19 als “Chamäleon” bezeichnet.

In einigen Fällen stellten Forscher bei gestorbenen Patienten sogar schwere Hirnschäden fest. Mediziner in den USA berichten auch von Hautläsionen, die im Zusammenhang mit COVID-19 auftreten.

In einer aktuellen Studie aus Wuhan wiesen 40 von 88 Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen neurologische Symptome auf. Allein 5 von ihnen hatten einen Schlaganfall erlitten. Ob die zerebrovaskulären Ereignisse eine direkte Infektionsfolge sind oder bei schwerkranken COVID-19-Patienten häufiger auftreten, weil sie in der Regel mehr Schlaganfall-begünstigende Begleiterkrankungen aufweisen, muss weiter untersucht werden.

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Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Unberechenbarer Verlauf: asymptomatisch bis atemlos

Von symptomlosen Verläufen bis zu einer schweren Lungenentzündung ist alles möglich. Deshalb ist die Verunsicherung groß. SARS-CoV-2 vermehrt sich anfangs wie Grippeviren im Rachen, was das Virus ansteckender macht, als zunächst vermutet.

Die Erreger infizieren im weiteren Verlauf vor allem Zellen der unteren Atemwege und können eine Lungenentzündung verursachen. Der Virusnachweis im Rachen ist in den ersten Tagen der Erkrankung hoch, die pulmonale Erkrankung beginnt jedoch erst mit der Replikation in der Lunge und kennzeichnet den Beginn der viralen Pneumonie. Klinisch kommen Luftnot und Husten hinzu; ein pulmonales Infiltrat ist in der Thorax-Übersichtsaufnahme oder im Thorax-CT dokumentierbar

Wie die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in einem Positionspapier darstellt, verlaufen 80% der COVID-19-Erkrankungen mild, bei 20% verläuft die Erkrankung schwerer mit Zeichen einer hypoxischen respiratorischen Insuffizienz und 5% dieser Patienten müssen intensivmedizinisch behandelt werden.

Etwa 85% der schwer erkrankten COVID-19-Patienten entwickeln eine Lymphopenie, bei tödlich verlaufenden Erkrankungen kam es zu einer anhaltenden Lymphopenie. Schwer erkrankte COVID-19 Patienten entwickeln häufig zudem einen Zytokinsturm. Laborwerte weisen darauf hin, dass COVID-19 womöglich Blutgerinnsel fördert. Heparin jedenfalls scheint den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen, wie eine chinesische Studie zeigen konnte.

Womöglich kann COVID-19 auch direkt den Herzmuskel angreifen. Es mehren sich Fallberichte über Patienten, die unter der Infektion eine Myokarditis entwickelt haben.

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Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Inkubationszeit: Patienten sind schon vor Einsetzen der Symptome infektiös

Ein wesentlicher Unterschied zum SARS-Coronavirus ist, dass Patienten schon einige Tage vor Einsetzen der Krankheitssymptome infektiös sein können. Eine in Nature Medcine veröffentlichte chinesische Arbeit hat gezeigt, dass bei den untersuchten Fällen die Infektiösität schon 2 bis 3 Tage vor Ausbildung von Symptomen begann. Daher ist das Fiebermessen (Foto) nur bedingt als Unbedenklichkeitskontrolle sinnvoll.

Die Inkubationszeit liegt laut RKI zwischen 5 bis 6 Tagen. Sie kann aber auch nur einen oder sogar 14 Tage betragen. Eine Studie in Annals of Internal Medicinean 181 bestätigten COVID-19-Fällen außerhalb der Provinz Hubei, zeigt, dass die mediane Inkubationszeit 5,1 Tage beträgt und außerdem 97,5% der Infizierten innerhalb von 11,5 Tagen Symptome entwickeln.

Zur Frage der Dauer einer Erkrankung sagte Prof. Dr. Lars Schaade, beim Pressebriefing am 28. Februar, dass bei mildem Verlauf die Erkrankung 10 bis 14 Tage dauere. Danach werde das Virus nicht mehr in den oberen Atemwegen produziert und nicht mehr verbreitet. Nach 9 Tagen könne es bei einigen Patienten zu einer Verschlechterung der Symptome kommen. In diesen Fällen könne die Erkrankung 3 bis 4 Wochen und in Einzelfällen bis zu 6 Wochen anhalten.

In einer chinesischen Studie Anfang Februar 2020 mit 138 Patienten betrug die mediane Zeit vom ersten Symptom bis zur Dyspnoe 5 Tage, bis zur Krankenhauseinweisung 7 Tage und bis zum schweren Lungenversagen (ARDS) 8 Tage.

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Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Wie hoch ist die Sterberate bei COVID-19?

227.847 Menschen sind weltweit bislang (Stand 30. April 2020)  an den Folgen der Infektion mit SARS-CoV-2 gestorben.

Eine erste Auswertung, wie sich COVID-19 in Italien in der Klinik entwickelt hat, wurde in JAMA veröffentlicht.

Basis sind 22.512 Erkrankungen. Die Case Fatality Rate steigt mit dem Alter von 0% (0 bis 29 Jahre) auf 12,5% (70 bi 79 Jahre), 19,7% (80 bis 89) und weiter auf 22,7% (ab 90 Jahre). Damit bestätigen die italienischen Forscher, dass vor allem ältere und alte Menschen gefährdet sind.

Allerdings variiert die Sterberate von COVID-19 stark. In Deutschland liegt sie, so Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf einer Pressekonferenz, bei 4,0% (Stand 30.4.2020) – in Italien bei 13%. Die Dunkelziffer der Infizierten könnte den Anteil jedoch stark verringern.

Die Heinsberg-Studie errechnete dagegen eine Sterblichkeit für die Gemeinde Gangelt von nur 0,36% (Medscape berichtete). Die Autoren hatten für Ihre Berechnungsgrundlage eine Zufallsstichprobe mit 919 Bürgern der Gemeinde getestet. 22% der postitiv Getesteten waren asymptomatisch. Die Forscher räumen ein, dass die Sterblichkeit regional sehr unterschiedlich ausfallen kann. Außerdem war die Zahl der Todesfälle in Gangelt sehr klein, was eine Hochrechnung auf Deutschland schnell verzerren könnte.

Das neuartige Coronavirus ist nach Angaben der WHO 10 mal tödlicher als die “Schweinegrippe". Das Virus H1N1 hatte im Jahr 2009 eine Pandemie ausgelöst. Inzwischen lägen immer mehr Daten aus verschiedenen Ländern vor, weshalb es ein klareres Bild über die Auswirkungen des Virus gebe, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Es sei inzwischen klar, dass das neue Virus „sich schnell ausbreitet und tödlich ist: 10mal mehr als H1N1 2009", sagte Tedros.

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Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Risikofaktoren für einen schweren Verlauf

Welche COVID-19-Patienten sind besonders stark gefährdet? Mögliche Antworten liefert Dr. Fei Zhou vom Peking Union Medical College in einem Artikel in The Lancet .

Zhou und Team werteten Fallberichte von 191 Patienten aus Wuhan aus. Insgesamt wurden 37 als geheilt entlassen und 54 starben im Krankenhaus. 91 (48%) der Patienten hatten mindestens eine Grunderkrankung, wobei Bluthochdruck am häufigsten auftrat (58 [30%] Patienten), gefolgt von Diabetes (36 [19%] Patienten) und koronarer Herzkrankheit (15 [8%] Patienten).

Als Risikofaktoren für den Tod im Krankenhaus identifizieren Forscher das Alter (Odds Ratio gemittelt 1,10; pro Lebensjahr ansteigend), einen höheren Score beim Sequential Organ Failure Assessment (SOFA; Odds Ratio 5,65) und ein D-Dimer von mehr als 1 μg/l (Odds Ratio 18,42).  „Die potenziellen Risikofaktoren könnten Klinikern helfen, Patienten mit schlechter Prognose frühzeitig zu erkennen“, schreiben die Autoren.

Daten aus den USA zeigen, dass 78% der Menschen, die intensivmedizinisch betreut werden mussten, eine Vorerkrankung hatten. In die Untersuchung wurden mehr als 7.000 COVID-19-Patienten eingeschlossen, darunter 358 Intensivpatienten. Demnach waren Risikofaktoren für einen schweren Verlauf:

  • Diabetes mellitus
  • Herz- und Gefäßerkrankungen
  • chronische Lungenerkrankungen
  • chronische Nierenerkrankungen und
  • andere chronische Erkrankungen, wie zum Beispiel Bluthochdruck

Auch Menschen mit Immunschwäche und Raucher waren offenbar gefährdeter. Die Daten entsprechen weitgehend denen des RKI, das folgende Risikogruppen nennt:

  • ältere Personen - das Risiko steigt ab 50 Jahren stetig an
  • Raucher
  • Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Menschen mit chronischen Krankheiten der Lunge
  • Menschen mit chronischen Lebererkrankungen
  • Patienten mit Diabetes mellitus
  • Patienten mit Krebserkrankungen
  • Menschen mit geschwächtem Immunsystem

Ärzte wie Dr. Matthew Bai vom Mount Sinai Hospital in New York berichten aber auch über junge, gesunde Menschen, die an COVID-19 erkranken und schwere Verläufe aufweisen. Wie Medscape berichtete zählt inzwischen Adipositas zu einem weiteren wichtigen Risikofaktor. Die Krankheit verdoppelt das Risiko für einen schweren Verlauf.

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Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Wie wird SARS-CoV-2 übertragen?

SARS-CoV-2 wird primär durch eine Tröpfcheninfektion übertragen. Dabei gelangen Tröpfchen beim Husten oder Niesen einer infizierten Person beim Gegenüber auf die Schleimhäute der Nase, des Mundes und ggf. des Auges.

Inwieweit auch Tröpfchenkerne (airborne transmission) oder Übertragungen durch Kontakte (sogenannte Schmierinfektionen – siehe Foto) eine zusätzliche Rolle spielen, sei nicht abschließend geklärt, so die DGP.

Eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen insbesondere in der unmittelbaren Umgebung des Infizierten sei jedenfalls nicht auszuschließen, so das RKI. Bei COVID-19-Patienten wurden vereinzelt auch PCR-positive Stuhlproben identifiziert. Für eine Ansteckung über den Stuhl müssten diese Viren jedoch vermehrungsfähig sein. Das ist jedoch unklar.

Zur möglichen Übertragung von SARS-CoV-2 über Aerosole teilt das RKI mit, dass in einer Studie mit experimentell erzeugten und mit SARS-CoV-2-Viren angereicherten Aerosolen vermehrungsfähige Viren zwar bis zu 3 Stunden nachweisbar waren. Dabei handelte es sich aber um eine künstliche, mechanische Aerosolproduktion, die sich grundlegend von hustenden/niesenden Patienten mit COVID-19 im normalen gesellschaftlichen Umgang unterscheidet.

In 3 Studien wurden Coronavirus-RNA-haltige Aerosole in Luftproben der Ausatemluft von Patienten oder in der Raumluft in Patientenzimmern nachgewiesen. In 2 Studien wurden SARS-CoV-2-Viren und in einer Studie wurden (neben Influenza- und Rhinoviren) saisonale humane Coronaviren (Subtypen: NL63, OC43, 229E, HKU1) untersucht.

In der letztgenannten Studie konnte gezeigt werden, dass die Ausbreitung von Coronavirus-RNA-haltigem Aerosol in die Raumluft durch chirurgische Masken, die die Infizierten trugen, verhindert werden konnte. Vermehrungsfähige Viren in Aerosolen wurden in keiner der Studien untersucht.

Auch wenn eine abschließende Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich erscheint, weisen die bisherigen Untersuchungen insgesamt darauf hin, dass eine Übertragung von SARS-CoV-2 über Aerosole im normalen gesellschaftlichen Umgang nicht wahrscheinlich ist, so das RKI.

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Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Wer kann sich mit dem Virus anstecken?

Infizieren können sich alle, die noch nicht immun sind. Gerade für ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen besteht die Gefahr, eine schwere Form der Lungenkrankheit COVID-19 zu entwickeln. Mediziner betonen jedoch auch, dass jüngere Patienten ebenfalls nicht vor einem schweren Krankheitsverlauf gefeit seien.

Dass auch Kinder schwer erkranken können, zeigt jetzt eine in Pediatrics erschienene Fallserien-Analyse mit Daten von mehr als 2.100 Kindern und Jugendlichen aus China. Je jünger die Erkrankten sind, desto höher offenbar das Risiko für schwere Verläufe.

Nur wenige Daten gibt es bisher zur Frage, ob und wie eine SARS-CoV-2-Infektion eine Schwangerschaft und die Gesundheit von Mutter und Kind beeinflusst (Medscape berichtete). Die Infektionsraten scheinen bei Schwangeren im Vergleich zu gleichaltrigen, nicht schwangeren Frauen nicht erhöht zu sein. Es wird zwar über schwere Krankheitsverläufe einschließlich Pneumonien berichtet. Aber die Infektion scheint – anders als Influenza – kein erhöhtes Risiko für Schwangere zu bergen. Schwere Krankheitsverläufe scheinen eher im 3. Trimenon zu liegen als im 1. und 2. Trimenon. Infektionen und Pneumonien von Neugeborenen kommen vor. Alle Kinder erholten sich von der Infektion allerdings rasch.

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Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Pneumonie-Typ L oder H? Was COVID-19 in der Lunge anrichtet

Dringt SARS-CoV-2 bis in die Lunge vor, unterscheidet sich die Erkrankung in mehreren Punkten von bekannten schweren Atemwegsinfektionen. Während sich Influenza-Patienten schlagartig schlecht fühlen, entwickeln viele Patienten mit COVID-19, die später schwer erkranken, anfangs nur milde Symptome, sie husten, der Hals kratzt, bei manchen kommt Fieber oder Durchfall hinzu. Nach knapp einer Woche kann sich der Zustand rapide verschlechtern, so dass sie in die Klinik müssen.

In ihrem Positionspapier hat die DGP die COVID-19-Pneumonie in 2 Phasen eingeteilt – den Typ L (frühe Phase) und den Typ H (späte Phase). Mit der Unterscheidung der COVID-19-Pneumonie in 2 Phasen soll der momentane klinische Verlauf abgebildet werden.

Die 1. Phase ist geprägt von einer zunehmenden Verschlechterung des Gasaustausches, die Sauerstoffsättigung ist verringert, doch die Patienten sind in dieser Phase relativ stabil, empfinden auch noch keine starke Atemnot. Die kommt häufig erst unter Belastung.

Bei einem Teil der Patienten wechselt die Erkrankung in eine 2. Phase: Es kommt verstärkt zu Atemnot und einem kritischen Abfall der Sauerstoffsättigung mit weiteren Organkomplikationen wie Kreislauf-Insuffizienz und kardialen Symptomen. Innerhalb nur weniger Stunden kann es zu einer deutlichen und schwerwiegenden Destabilisierung des Patienten kommen.

Es wird vermutet, dass dieser Verlauf mit dem Übergang der Viren aus dem Rachen in die Lunge zusammenhängt. Dafür spricht auch, dass die Viren im Rachenabstrich nicht mehr nachweisbar sind, wenn die Patienten mit Atemnot und Lungenentzündung ins Krankenhaus kommen.

Immer mehr Viren dringen in die Lunge ein, zusätzlich beginnt das Immunsystem, die Eindringlinge zu bekämpfen. Das Lungengewebe entzündet sich, aber anders, als Mediziner es bei anderen Erkrankungen beobachten. Ungewöhnlich ist vor allem, dass die Patienten bereits unter einem massiven Sauerstoffmangel leiden und dennoch das Gefühl haben, noch normal atmen zu können.

„Das ist eine Kombination, die man fast nie sieht", schreiben Ärzte aus Göttingen, Turin und London in Intensive Care Medicine. Grund dafür ist, dass die Lunge bei COVID-19 wohl trotz Entzündung häufig ungewöhnlich lange dehnbar bleibt.

Bei einer schweren Lungenentzündung lagern sich normalerweise große Mengen Flüssigkeit an, die das Gewebe schwerer und steifer machen. Betroffene haben das Gefühl, gegen einen Widerstand anatmen zu müssen.

Bei COVID-19 ist das häufig erst dann so, wenn die Entzündung weit fortgeschritten ist. In der ersten Phase sammelt sich deshalb vermutlich deutlich weniger Flüssigkeit in der Lunge an als bei einer klassischen Lungenentzündung. Das zeigt sich auch auf CT-Bildern: Die hellen Flächen, die auf Flüssigkeitsansammlungen hinweisen sind bei COVID-19-Patienten nicht so dicht und befinden sich vor allem am Rand der Lunge, wo sie charakteristische Wolken formen.

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Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Verzweifelte Suche nach einer Therapie

Noch gibt es kein Medikament, das SARS-CoV-2 kausal bekämpft, es kann nur symptomatisch behandelt werden. In Studien werden jedoch verschiedene antivirale Mittel getestet.

Die größten Hoffnungen ruhen auf Remdesivir das ursprünglich zur Behandlung von Infektionen mit Ebola- und dem Marburg-Virus entwickelt wurde. Im tierexperimentellen Setting war Remdesivir wirksam gegen MERS-CoV und SARS-CoV.

Das Virostatikum wird in einer international angelegten Studie an rund 1.000 Patienten in etwa 50 Kliniken rund um die Welt erprobt, die Wirkung des Medikaments soll bei 600 Patienten mit moderaten Symptomen und 400 mit schwerer Symptomatik untersucht werden.

Eine erste Placebo-kontrollierte Studie mit geringer Patientenzahl (n= 238) aus China, die am 29. April 2020 in Lancet veröffentlicht wurde, enttäuschte fürs Erste die großen Erwartungen. Sie konnte keinen statistisch signifikanten Vorteil belegen. Die Autoren räumten jedoch ein, dass ihre Stichprobe sehr klein war (Medscape berichtete). Nur einen Tag später meldeten Ärzte in den USA mit einer Studie mit mehr als 1.000 Patienten einen Erfolg. Sie konnten zeigen, dass sich mit Remdesivir die Genesungsdauer von Schwerkranken um 30% verkürzte gegenüber Placebo (von 15 auf 11 Tage). Die Sterblichkeit verringerte sich tendenziell unter der Behandlung mit dem Medikament von 11.6% (Pacebo) auf 8%.

Damit sei „zum ersten Mal die Wirksamkeit einer Substanz gegen COVID-19 in einer nach höchsten Standards durchgeführten Studie“ nachgewiesen worden, informierte Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer. Er ist Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln und Leiter einer klinischen Prüfung von Remdesivir in Deutschland. In den USA hatte die FDA eine Schnellzulassung für das Medikament des Herstellers Gilead Sciences für den Einsatz bei COVID-19 erteilt. Eine Entscheidung der EMA steht noch aus.

Intensivmediziner setzen zudem Hoffnungen in ein Rheumamittel, um die überschießende Entzündungsreaktion des Immunsystem bei schweren Fällen von COVID-19 in den Griff zu bekommen. Daten einer weltweiten Studie mit dem Wirkstoff Tocilizumab werden im Sommer erwartet. Eine kleine Studie aus China Ende April zeigte erste positive Ergebnisse mit Fiebersenkung und Reduktion des Sauerstoffverbrauchs.

Nach vorläufigen Daten einer randomisierten Studie könnte zudem hochdosiertes Chloroquin gegen COVID-19 mehr schaden als nützen (Medscape berichtete). Eine klinische Studie in Brasilien wurde aufgrund von Sicherheitsbedenken vorzeitig abgebrochen. Neben den kardialen Sicherheitsbedenken verweisen die brasilianischen Ärzte auch auf den mangelnden Nutzen gegen den Virusbefall der oberen Atemwege. Ob Chloroquin überhaupt einen Effekt auf den Krankheitsverlauf hat, bleibt folglich offen.

Bis Medikamente oder eine Impfung gegen COVID-19 zur Verfügung stehen, konzentriert sich die Therapie vor allem darauf, Beschwerden zu lindern und den Körper zu stärken. Dazu zählt etwa, den Flüssigkeitshaushalt auszugleichen, schwer Erkrankte mit Sauerstoff zu versorgen oder sogar zu beatmen.

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Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Hoffnung auf Immunität

Erste Studien haben gezeigt, dass Personen nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion spezifische Antikörper entwickeln. Bei den bislang getesteten, genesenen Patienten ließen sich 10 bis 14 Tage nach dem Beginn der Symptome im Blut Antikörper gegen SARS-CoV-2 nachweisen. Wie gut die nach einer SARS-CoV-2-Infektion gebildeten Antikörper schützen und wie lange, lässt sich zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht sicher sagen. Die Erfahrungen mit anderen Coronaviren-Infektionen (SARS und MERS) deuten darauf hin, dass die Immunität bis zu 3 Jahre anhalten könnte.

Von anderen Coronaviren ist auch bekannt, dass die gebildeten Antikörper bei einem erneuten Kontakt dafür sorgen, dass sich die Erreger im Körper nicht vermehren können und somit die Betroffenen keine andere Menschen anstecken.

Von einer Herdenimmunität noch weit entfernt

Von einer Herdenimmunität (also der Durchseuchung von 60 bis 70% der Bevölkerung) ist Deutschland noch weit entfernt – das legen erste Ergebnisse von Antikörpertests nahe. Thomas Fenner, Leiter des Labors Dr. Fenner & Kollegen in Hamburg, spricht gegenüber Spiegel online davon, dass etwa 3,4% der Blutproben positiv oder grenzwertig auf Antikörper gegen COVID-19 getestet wurden. Hochgerechnet auf die Spezifität entspreche das einer Durchseuchung von etwa 1,9%. Das RKI positionierte sich inzwischen noch deutlicher (Medscape berichtete). Vom Konzept, eine „kontrollierte Herdenimmunität“ in der Bevölkerung anzustreben, hält Chef Prof. Lothar Wieler nichts, sagte er vergangene Woche während eines Pressebriefings.

In Deutschland sollen in naher Zukunft in großem Maße Menschen auf SARS-CoV-2-Antikörper getestet werden. Am 4. Mai kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn an, dass von einem neu entwickelten Test der Firma Roche „Elecsys®-Anti-SARS-CoV-2“ (Medscape berichtete) bis Ende Mai 3 Millionen Stück zur Verfügung stehen werden. Weiterhin sollen jeweils 5 Millionen Tests pro Monat in Deutschland ausgeliefert werden, plant Spahn. Der Hersteller geben eine Sensitivität von 100% und eine Spezifität, (also wie viele Personen ohne Antikörper auch als solche erkannt werden) von 99,8% an. Falsch-positive Ergebnisse sind ein Problem bei bisherigen Antikörper-Tests, weil sie den Menschen dann eine falsche Sicherheit vermitteln. Ein zuverlässiger Test wäre deshalb tatsächlich ein Durchbruch. Ob Menschen mit einem positiven Test eine Art „Immunitätsbescheinigung“ erhalten sollen, wird noch heftig diskutiert.

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Ute Eppinger | Mai 5, 2020 | Interessenkonflikte

Systemerkrankung: Führt COVID-19 zu Folgeschäden?

Die Bundesregierung ruft derzeit ein COVID-19-Forschungsnetz der deutschen Universitätsmedizin ins Leben, das Uniklinikum Schleswig-Holstein will dazu in ihrer Biobank „ popgen“ über COVID-19-Infizierte sammeln. Wie Prof. Dr. Joachim Thiery, Dekan der Medizinischen Fakultät in Kiel, im Interview mit Spiegel online erklärte, werde vermutet, dass COVID-19 nicht nur zu Akutschäden, sondern auch zu Folgeerkrankungen führe.

Geplant ist deshalb, möglichst alle Patienten aus Schleswig-Holstein mit überstandener Infektion über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren nachzuuntersuchen, um mit moderner Bildgebung, Funktionstests und Biomarker-Analytik Spätfolgen der Infektion frühzeitig erkennen und behandeln zu können.

Es mehren sich Berichte zu neurologischen Störungen und Schädigungen des Herzens und des Gerinnungssystems. Thiery spricht deshalb von COVID-19 als einer Systemerkrankung. Die überschießende Entzündung verursache bei manchen COVID-19-Patienten schwere Schädigungen des Endothels, die Mikrogerinnsel (Foto) auslösen könnten, auch Blutdruckregulation, Leber und Niere sind betroffen.

Diese neue Krankheit ist so vielschichtig und auf allen Ebenen herausfordernd, dass Ärzte und Wissenschaftler auch künftig jede Woche neue Überraschungen erleben können. Medscape berichtet aktuell über die wichtigsten Studien, auch im News-Blog. Experten kommentieren, was von den schnell zusammengetragenen Daten zu halten ist. Wie wohl die Lage nach 200 Tagen Corona aussehen wird? Bleiben Sie dran …

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RKI: Hausärzte sollen mehr testen; kontrollierte Herdenimmunität ist „naiv und gefährlich“

Das RKI weitet Testkriterien aus auf jeden akuten Atemwegsinfekt und (zum Teil) Symptomlose. Es mehren sich Berichte zu plötzlichem Herztod, Infarkt und Schlaganfällen bei Jüngeren als COVID-19-Folgen.
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