
Die Beatmung bei COVID-19 ist eine schwierige Gradwanderung: Die verschiedenen Methoden und ihre Risiken – kurz erklärt
Wird die Luft knapp, müssen COVID-19 Patienten beatmet werden. Dann beginnt ein Kampf um Leben und Tod. Unter dem Begriff Beatmung werden jedoch eine ganze Reihe von Techniken zusammengefasst. Sie alle bergen auch Risiken – nicht nur für die Patienten, sondern auch für das medizinische Personal.
Ärzte können sich etwa durch einen hustenden Patienten, aber auch durch Aerosole anstecken. So haben zum Beispiel Notfallmediziner in Boston eine Plexiglashaube getestet, die in Taiwan erfunden worden ist. Mit dem Kasten sollen während einer Intubation weniger Viren verbreitet werden (s. Foto). Ihre Ergebnisse haben Sie im NEJM veröffentlicht.
„Wir haben in Deutschland sehr differenzierte Beatmungstechniken für COVID-19 und lernen immer besser, mit der Krankheit umzugehen“, sagt Prof. Dr. Michael Pfeifer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und Chefarzt am Zentrum für Pneumologie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum in Regensburg.
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie gab kürzlich Empfehlungen zur invasiven und nicht invasiven Beatmung heraus (Medscape berichtete). Hier bieten wir Ihnen einen Überblick über die verschiedenen Methoden und welche für die verschiedenen Stadien der Erkrankung sinnvoll sind.
Für COVID-19-Patienten ist eine mechanische Beatmung aber keine Garantie zum Überleben. Im Gegenteil: Sie dauert häufig deutlich länger als bei anderen Lungenerkrankungen und die Prognosen sind oft deutlich schlechter. Nieren und Immunsystem können zum Beispiel geschädigt werden.
Je nach Land und Region variieren die Todesraten während einer invasiven Beatmung im Moment sehr. In einer aktuellen Studie mit über 5.000 Patienten aus New York im JAMA (Medscape berichtete) erreichte sie sogar 88%. Der Beobachtungszeitraum von rund 4 Wochen war allerdings sehr kurz.
Auch China und Großbritannien verzeichnen hohe Sterberaten für COVID-19 Patienten unter Beatmung. In Großbritannien sterben z.B. knapp 2 Drittel. Ob diese ernüchternd hohe Quote auch für Deutschland repräsentativ ist, könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht eingeschätzt werden , da konkrete Zahlen aktuell noch nicht vorlägen, teilte Prof. Thorsten Bauer, Vize-Präsident der DGP, Medscape mit.
Daten über den Ausgang der verschiedenen apparativen Verfahren sind schwer zu vergleichen, da genaue Einstellungen und Parameter nicht rapportiert wurden, heißt es im Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) zur “praktischen Umsetzung der apparativen Differenzialtherapie der akuten respiratorischen Insuffizienz bei COVID-19”.
Die Beatmung bei COVID-19 ist eine schwierige Gradwanderung: Die verschiedenen Methoden und ihre Risiken – kurz erklärt
Wie entsteht der Sauerstoffmangel?
Eine wichtige Rolle für die Pathogenese spielt das Angiotensin Converting Enzyme 2 (ACE2). Als transmembranärer Rezeptor ermöglicht es den SARS-Viren das Eindringen unter anderem in die Epithelzellen der Atemwege und die Parenchymzellen der Lunge. ACE2 ist ein Enzym, das in vielen Zellen exprimiert wird, z.B. in Herzmuskelzellen, Gefäßzellen des Herzens, in den Nieren, im Darm und in der Lunge.
In den Zellen angelangt, setzt das Virus in der Lunge den Prozess des akuten Lungenversagens in Gang. Es zeigen sich direkte zytopathische Effekte infolge der Virusreplikation und/oder durch die überschießende Entzündungsreaktion. Flüssigkeit lässt das Lungengewebe anschwellen (Foto links). Die Lunge ist immer weniger in der Lage, ausreichend Sauerstoff für den Körper zur Verfügung zu stellen. Es kommt zu einer Art Schocklunge, ein akutes Lungenversagen (ARDS Acute Respiratory Distress Syndrome) droht.
Die pathologischen Veränderungen der Lunge bei COVID-19 entsprechen quasi einem ARDS, sie sind also kein Alleinstellungsmerkmal von Cororna-Infektionen. „Die Unterschiede sind nicht groß, allerdings verläuft COVID-19 etwas heftiger und hartnäckiger als ein Lungenversagen z.B. infolge einer Influenza“, erklärt Prof. Dr. Christian Werner (Foto), Direktor der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin Mainz.
Bei einigen Patienten zeigt sich ein etwas anderes klinisches Bild, wie eine neue Veröffentlichung in einem clinical update im JAMA darlegt. Dr. Luciano Gattinoni von der Universität Göttingen und seine Kollegen in den USA betonen, dass bei dieser Patientengruppe das Problem nicht nur in den Alveolen liegt, sondern in den Lungengefäßen (Medscape berichtete). Dies könnte sich auch auf die Wahl der Beatmungstechnik auswirken, wie derzeit von Pneumologen diskutiert wird. In einem Brief an den Editor warnt Gattonie sogar, das eine falsche Art der Beatmung mehr Schaden als Nutzen verursachen könnte.
Die Beatmung bei COVID-19 ist eine schwierige Gradwanderung: Die verschiedenen Methoden und ihre Risiken – kurz erklärt
1. Phase: Sauerstoff-Insufflination
Üblicherweise wird bei einer Sauerstoffsättigung von weniger als 92% eine Beatmung eingeleitet, wenn sich der Patient zusätzlich im Spontanatmungsverfahren muskulär erschöpft oder subjektiv Atemnot entwickelt. Die Patienten werden nach einem abgestuften Verfahren behandelt.
Die Sauerstoff-Insufflination via Sauerstoffsonde bzw. Nasenbrille wird dann eingesetzt, wenn subjektiv Atemnot entsteht, die Atemfrequenz > 30/min ansteigt und die Sauerstoffsättigung unter 92% fällt. Dabei wird die zugeführte Luft mit mehr Sauerstoff angereichert.
Diese Patienten bekommen über einen dünnen Schlauch in der Nase oder eine aufgelegte Maske zusätzlichen Sauerstoff. „Viele Patienten lassen sich durch die Gabe von Sauerstoff gut stabilisieren”, berichtet Pfeifer. In Kliniken befindet sich ein solcher Anschluss zumeist in der Wand neben dem Bett, für Patienten mit Atemwegsleiden ist die Therapie auch zu Hause mithilfe von Sauerstoffflaschen möglich.
Das Alter des Patienten spielt dabei keine solitäre Rolle im Entscheidungsprozess, betont Werner. Vielmehr folge seit jeher die Entscheidung zu Therapie-Eskalationen einer Gesamteinschätzung. Sie sollte die Grunderkrankung, den (mutmaßlichen) Patientenwillen, die Gesamtorganreserve und Prognoseversuche beinhalten.
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2. Phase: nicht-invastive Beatmung
Die nicht-invasive Beatmung wird über eine Maske oder einen Helm bzw. eine festsitzende Maske durchgeführt. Diese Masken erinnern ein bisschen an die C-PAP-Masken bei Patienten mit Schlafapnoe, erklärt Werner. „Der Patient atmet dabei noch spontan, wird aber durch sehr hohe Frischgasflüsse während der Inspiration unterstützt“, erläutert er weiter.
Mittels einer Beatmungsmaschine kann man zusätzlich zum Sauerstoff noch Druck verabreichen, so lässt sich eine Intubation häufig vermeiden. Das Problem ist: Liegen diese Masken nicht wirklich dicht an, gelangen infektiöse Aerosolwolken in den Raum und die Keimbelastung steigt. Die nicht-invasive Beatmung erfordert deshalb sehr hohe Schutzmaßnahmen für die behandelnden Ärzte und Schwestern, betont Pfeifer.
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3. Phase: Intubation
Die invasive Beatmung erfolgt über die oro-tracheale Intubation mit Narkose. Dazu wird ein Kunststoffschlauch über den Rachen bis in die Luftröhre vorgeschoben. Für die Intubation muss der Patient in ein künstliches Koma versetzt werden. In Abhängigkeit von der Sedierungstiefe kann der Patient dann nicht mehr selbständig schlucken und husten, was die Entstehung einer zusätzlichen Lungenentzündung durch Bakterien fördern kann.
Durch die invasive Beatmung können die noch gesunden, belüfteten Lungenabschnitte überdehnt werden. In den kollabierten Abschnitten leidet die Lunge unter dem zyklischen Eröffnen und Wiederverschließen der Alveolen. Die Folge ist eine weitere Traumatisierung des bereits geschädigten Lungengewebes. Für eine möglichst lungenschonende Beatmung müssen hohe Druckunterschiede und große Beatmungsschübe vermieden werden.
Wird mit zu hohen Spitzendrücken, zu geringem PEEP (Positive End-Expiratory Pressure) oder mit übermäßigen Atemzugvolumina beatmet, werden die Lungenbläschen während der Inspiration überdehnt und sie kollabieren während der Exspiration. So kann eine derartige Beatmung das Ventilator-assoziierte Lungenversagen durch Baro-, Volu-, Atelekt- und Biotrauma fördern.
Werner betont, dass man sich bei der invasiven Beatmung deshalb an den Kriterien des ARDS-Netzwerks orientiere. Dieses Beatmungsregime stelle eine lungenprotektive Beatmung sicher:
- Druckbegrenzte Beatmung
- kleine Zug-Volumina
- Ausreichend hoher positiver endexpiratorischer Druck (PEEP)
- Kinetische Therapie (zur Therapie gehören konsequent durchgeführte Lagerungsmaßnahmen des Patienten von der Rücken- zur Bauchlagerung und wieder zurück in einem bestimmten Stundenrythmus)
Eine Gefahr der Intubation ist auch, dass es bei manchen Patienten zu Supra-Infektionen kommen kann, d.h. zur viral ausgelösten Infektion kommt noch eine bakterielle Infektion, die dann antibiotisch behandelt werden muss.
Die Beatmung bei COVID-19 ist eine schwierige Gradwanderung: Die verschiedenen Methoden und ihre Risiken – kurz erklärt
4. Phase: ECMO
Bei der Extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) wird das Blut eines Patienten mit einer Lungenkrankheit oder einem Lungenversagen mittels einer externen Maschine künstlich mit Sauerstoff angereichert. Bei der arteriovenösen ECMO erfolgt der Abfluss über die Arteria femoralis, der Zufluss über die Vena femoralis.
Diese Methode wird zur ultraprotektiven Beatmung eingesetzt, da auf diese Weise das CO2 nur durch den eigenen Blutfluss des Patienten ausgewaschen werden kann. Die Lunge kann sich erholen, der Patient trägt keine Maske.
Wesentliche Komplikationen sind vor allem technische Defekte des Oxygenators, der Kanülen, sowie ein Versagen der Pumpe oder der Steuerungseinheit. Außerdem kann es zu Blutungen oder Gefäßverletzungen bei der Kanülen-Anlage oder deren Entfernung kommen, sowie zu Thrombosen oder Komplikationen anderer Organsysteme.
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Die Tracheotomie
Wenn absehbar ist, dass der Patient einen längeren Verlauf des Lungenversagens hat, wird man sich eher für eine Tracheotomie entscheiden. Damit, so Werner, habe man insbesondere bei der Entwöhnung der Patienten vom Respirator sehr gute Erfahrungen gemacht.
Grundsätzlich dauert die Beatmung von COVID-19-Patienten eher etwas länger als bei Influenza-Patienten mit Lungenbeteiligung, die Erkrankung scheint hartnäckiger zu sein, so Werner. Generell weisen ältere Patienten (ab 80 Jahren) eine schlechtere Prognose auf, häufig müssen sie auch eher invasiv und länger beatmet werden als jüngere COVID-19-Patienten, erklärt Pfeifer.
Doppelbelegung von Beatmungsgeräten
Der Mangel an Beatmungsgeräten macht erfinderisch: In Kliniken in New York teilen sich COVID-19-Patienten Beatmungsgeräte, wie Medscape berichtet hatte. Solche Doppelbelegungen gibt es in deutschen Klinken nicht, bestätigt Pfeifer. „Das ist technisch zwar machbar und es wird gemacht, um den Mangel an Beatmungsgeräten auszugleichen. Man versucht, für beide zu beatmende Patienten einen Kompromiss zu finden, doch das ist immer ein schlechter Kompromiss“, so Pfeifer.
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