Wischen um Fortzufahren

Wenn das Klima krank macht: Diese Auswirkungen und konkreten Maßnahmen sollten Sie im Gespräch mit Patienten thematisieren

Michael van den Heuvel | September 19, 2019 | Interessenkonflikte

Die 4 wichtigsten Klimaschutz-Maßnahmen für eine gesunde Zukunft

Am 20. September 2019 demonstrierten Erwachsene weltweit zusammen mit der Fridays For Future-Bewegung unter dem weltweiten Motto „Global Climate Strike“. Sie fordern nicht nur, dass das Pariser Klimaabkommen eingehalten wird, sondern auch mehr politisches Engagement gegen den Klimawandel.

Ärzte können dabei eine besondere Rolle einnehmen. Nicht nur als Vorbilder sondern auch als kompetente Berater ihrer Patienten. Aber welche Fakten sind denn wirklich abgesichert?

Seit langem wird immer darauf hingewiesen, wie gefährlich die globale Erwärmung und ihre Folgen für die Gesundheit sind – zum Beispiel in der Europäischen Charta zu Umwelt und Gesundheit von 1989. Aus der Fülle möglicher Maßnahmen hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 4 Empfehlungen priorisiert, weil sie das größte Potential haben, die Gesundheit der Menschen zu verbessern:

  1. Weniger Emissionen aus Fahrzeugen durch höhere technische und regulatorische Standards,
  2. Priorität für den öffentlichen Personennahverkehr, für Fahrradfahrer oder Fußgänger,
  3. saubere Brennstoffe für den Haushalt (ein Problem vor allem der Entwicklungsländer),
  4. weniger Fleisch, dafür mehr pflanzliche Kost.

US-amerikanische Ärzte bezeichnen den Klimawandel in einem Statement als „größten Notfall für die Gesundheit“ und unterstützen damit eine Klage von Jugendlichen gegen die Regierung wegen fehlender Maßnahmen. Sie betonen: Langfristig steigende und extrem hohe Temperaturen  führen zu einer Vielzahl an medizinischen Folgen.

Wenn das Klima krank macht: Diese Auswirkungen und konkreten Maßnahmen sollten Sie im Gespräch mit Patienten thematisieren

Michael van den Heuvel | September 19, 2019 | Interessenkonflikte

Viele Tote durch hohe Temperaturen

Das Robert Koch-Institut Berlin definiert „Sommertage“ anhand einer Temperatur von mindestens 25°C, während es an „heißen Tagen“ mindestens 30°C sein müssen.

Der Sommer  2003 war laut Meteorologen der heißeste in Europa seit Beginn der Wetteraufzeichnung Mitte des 20. Jahrhunderts. Er führte zu rund 70.000 zusätzlichen Todesfällen in Europa, darunter 9.400 in Deutschland, 350 in Österreich, 1.050 in der Schweiz, 19.500 in Frankreich, 20.100 in Italien und 15.100 in Spanien. Besonders gefährdet sind alte Menschen, Kinder, Patienten mit kardiovaskulären, respiratorischen oder anderen chronischen Erkrankungen und Personen mit eingeschränkter Mobilität – auf diese vulnerablen Gruppen sollten Ärzte besonders achten.

Hitzewellen haben nicht nur eine medizinische, sondern auch eine volkswirtschaftliche Dimension. Für Deutschland haben Gesundheitsökonomen errechnet, dass ein Tag mit Werten über 30°C zusätzliche Kosten von rund 50 Millionen Euro pro 100 Millionen Einwohner verursacht. Ihre so genannte „Harvesting Hypothesis“ bestätigt Assoziationen der Mortalität mit höheren Temperaturen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebserkrankungen, aber nicht bei Atemwegserkrankungen und Infektionskrankheiten.

Seit 2003 haben sich weitere Hitzeextreme gehäuft – zuletzt in den Sommern 2018 und weniger ausgeprägt auch im Frühsommer 2019. Für Ärzte wachsen die Herausforderungen, Risikopatienten zu erkennen. Welche vorbeugenden Maßnahmen sind möglich?

Mit Ratschlägen wie „ausreichend viel trinken“ ist es bei vulnerablen Personengruppen nicht getan. Auch die beliebten Ventilatoren bringen aus medizinischem Blickwinkel nur bei heißen, sehr feuchten Bedingungen wünschenswerte Effekte. Dann senken elektrische Gebläse die Kerntemperatur des Körpers und die kardiovaskuläre Belastung. Bei heißem, trockenem Wetter aber bringen sie nur wenig. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat in einer Publikation mehrere Tipps gegen Hitzestress für Patienten zusammengestellt.

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Michael van den Heuvel | September 19, 2019 | Interessenkonflikte

Wer hat die gesundheitspolitische Verantwortung?

Damit wird klar: Temperaturextreme führen zu mehr Patienten in der klinischen Versorgung. Ist unser Gesundheitswesen darauf vorbereitet?

Ende 2012 hatten nur 18 von 53 Mitgliedsstaaten im Bereich WHO/Europe Gesundheitspläne für Hitzeperioden entwickelt. In Deutschland fehlen einheitliche Regelungen. Vielmehr arbeiten die Bundesländer jeweils an separaten Konzepten. Ein Beispiel ist der Hessische Aktionsplan zur Vermeidung hitzebedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen der Bevölkerung (HEAT).

Das Konzept umfasst Maßnahmen zur Warnung vor drohenden Extremwetterlagen, aber auch Empfehlungen zum Gesundheitsschutz und zum Monitoring der Morbidität bzw. Mortalität. Auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) hat Empfehlungen zusammengestellt.

„Ein Problem in Deutschland ist: Das Bundesministerium für Gesundheit und somit auch das Robert Koch-Institut als oberste Gesundheitsbehörde haben das Thema Hitze – oder allgemeiner: Klimawandel und Gesundheit – nicht bzw. nur rudimentär auf ihrer Agenda“, kommentiert Prof. Dr. Henny Annette Grewe von der Hochschule Fulda, University of Applied Sciences. Sie war an der Entwicklung von HEAT beteiligt.

Grewe erklärt dies mit Zuständigkeiten: Klimawandel und Klimaanpassung seien gänzlich beim Umweltministerium angesiedelt. Aber: „Wenn sich das Bundesgesundheitsministerium nicht ernsthaft mit der Frage des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung während Hitzewellen beschäftigt, dann fehlt ein wichtiger politischer Player.“

Sie schränkt ein: „Auch im Umweltbundesamt ist gesundheitliche Expertise vorhanden, aber wenn nicht die Gesundheitsexperten beider Ministerien und ihrer jeweiligen Behörden bei diesem Thema zusammenarbeiten, dann ist die Reichweite gering und bleibt wie bislang auf der unverbindlichen Empfehlungsebene“, ergänzt die Expertin.

Wie der Klimawandel mit zahlreichen Erkrankungen in Verbindung gebracht wird, erfahren Sie auf den Slides 5 bis 9.

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Michael van den Heuvel | September 19, 2019 | Interessenkonflikte

Tropische Infektionen – auch in Deutschland?

Heiße Sommer und milde Winter haben Folgen – etwa bei der Übertragung von Krankheiten. Die ursprünglich in den Tropen und Subtropen beheimateten Aedes-Stechmückenarten, die Tigermücke (siehe Foto), die japanische oder asiatische Buschmücke oder auch die Gelbfieber-Mücke, breiten sich in Europa aus. Mitte 2019 kam es laut Medienberichten zu einer Infektion mit dem Chikungunya-Virus an der spanischen Costa Blanca: mit Sicherheit nicht der letzte Fall.

Mückenschutz wird damit auch in Europa zum Thema. In einem Videokommentar rät PD Dr. Martin Hartmann vom Klinikum Heidelberg, Repellentien einzusetzen. „Die Wahrscheinlichkeit, gestochen zu werden, kann damit um bis zu 75% reduziert werden“, so der Dermatologe. „Die Wirkdauer liegt bei 4 bis 8 Stunden und je nach Konzentration kann sie auch länger anhalten.“

Gute Erfahrungen gibt es mit Diethyltoluamid (DEET), einem von der WHO explizit als tropentauglich eingestuften Wirkstoff. Icaridin, seit den 1990er-Jahren erhältlich, ist dem Experten zufolge etwas hautverträglicher als DEET. Die Präparate aus dem Zitronen-Eukalyptus-Bereich bewertet der Experte als „gegen Stechmücken etwas weniger wirksam“.

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Michael van den Heuvel | September 19, 2019 | Interessenkonflikte

Riskante Schwangerschaft, riskante Kindheit

Als vulnerable Gruppe sind schwangere Frauen und Babys besonders stark vom Klimawandel betroffen. Studien zufolge steigt die Säuglingssterblichkeit an heißen Tagen um bis zu 25%. Und Temperaturmaxima oder -minima sind mit niedrigeren Geburtsgewichten assoziiert, wie ältere Arbeiten gezeigt haben. Die bislang größte Analyse bestätigte mögliche Zusammenhänge zwischen pränatal heißen Wetterlagen und einem niedrigeren Geburtsgewicht.

Hinzu kommt: Schulkinder und Jugendliche sind von Pollen, Luftverschmutzung und hohen Ozonwerten stärker betroffen als Erwachsene, weil sie eine höhere Atemfrequenz haben und sich mehr im Freien aufhalten.

Und plötzlich sehen Kinderärzte auch ein anderes Krankheitsspektrum als noch vor 10 oder 20 Jahren: Hausstaubmilben etwa erreichen höhere Lagen, wo sie früher nicht zu finden waren.

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Michael van den Heuvel | September 19, 2019 | Interessenkonflikte

Allergien werden zur Umweltkrankheit

Die Pollenflugsaison hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verlängert. Vor allem die sehr aggressiven Allergene der eingewanderten Ambrosien werden zu einer Belastung. Sie blühen inzwischen bis in den Oktober hinein. „Der Klimawandel düngt also sozusagen diese Pflanze“, so Dr. Stephan Böse-O’Reilly, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Globale Umweltmedizin an Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Universitätsklinikums München. Auch an der Verbreitung des Eichen-Prozessionsspinners sei der Klimawandel mitschuldig, so der Experte. Er rechnet mit mehr Kindern, aber auch Erwachsenen, die ärztliche Hilfe wegen solcher allergischer Probleme benötigen.

Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann vom Helmholtz Zentrum München weist darauf hin, dass die Pollen durch mehr Kohlendioxid und Umweltschadstoffe zudem aggressiver würden.

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Michael van den Heuvel | September 19, 2019 | Interessenkonflikte

Wetterkapriolen und Herzinfarkte

Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind ebenfalls bei Wetterextremen stark gefährdet. Dr. Hedvig Bille Andersson und ihr Team von der Universität von Michigan in Ann Arbor fanden heraus, dass an Tagen mit Schwankungen der Temperatur von über 10° C mehr Patienten mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI) in Krankenhäuser eingeliefert werden. Im Vergleich zu Tagen mit geringen Schwankungen stieg die Zahl der STEMI-Ereignisse an Tagen mit einer Temperatur-Amplitude von 5 bis 10 °C, um 1,2%. Bei Schwankungen von 10 bis 15 °C (plus 6,9%) oder mehr (plus 11,1%) mussten sich noch mehr Patienten in stationäre Behandlung begeben.

Ob tatsächlich eine Kausalität vorliegt, ist unklar. Auch der zugrundeliegende Mechanismus ist unbekannt. Andersson und Kollegen sehen auch hier die Gefahr, dass häufig auftretende extreme Wetterlagen den Effekt noch verstärken. Auch darauf sollten sich Ärzte vorbereiten.

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Michael van den Heuvel | September 19, 2019 | Interessenkonflikte

Herzfehler durch Hitze?

Hitze gefährdet aus kardialer Sicht auch ungeborene Kinder. Ein Forscherteam unter der Leitung von Prof. Dr. Shao Lin von der School of Public Health an der University of Albany, New York, fand Assoziationen zwischen hohen Temperaturwerten während der Schwangerschaft und kongenitalen Herzfehlern. Ihr Team hat verschiedene Datenquellen, u.a. NASA-Wetterdaten und ältere Veröffentlichungen zur Hitzebelastung in der Frühschwangerschaft (3 bis 8 Wochen post conceptionem) analysiert.

Das Ergebnis: Steigende Temperaturen, die auf den globalen Klimawandel zurückzuführen sind, könnten in 8 untersuchten US-Bundesstaaten zwischen 2025 und 2035 zu rund 7.000 zusätzlichen kongenitalen Herzfehlern führen. Lin spricht von einer „alarmierenden Wirkung des Klimawandels auf die menschliche Gesundheit“.

Die Details der Assoziation sind allerdings unklar. Möglicherweise kommt es zur Dehydrierung oder zu Stoffwechselentgleisungen, die teratogen auf die frühe embryonale Organentwicklung wirken, so eine Hypothese.

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Michael van den Heuvel | September 19, 2019 | Interessenkonflikte

Mehr UV-Strahlung, mehr Hautkrebs

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) weist auf noch einen Effekt des Klimawandels hin, dem in öffentlichen Diskussionen bislang kaum Beachtung geschenkt wird: Viele Sonnentage bedeuten auch eine höhere Exposition mit UV-Strahlung. Laut Daten der KKH Kaufmännischen Krankenkasse diagnostizierten Ärzte heute bundesweit bei 87% mehr Frauen und Männern maligne Melanome (siehe Gewebeschnitt oben) als noch im Jahr 2007. Und bei Basalzell- und spinozellulären Karzinomen waren es sogar plus 145%, gemessen am Wert von vor 10 Jahren.

Wenig überraschend ist auch, dass Personen, die im Freien arbeiten, besonders gefährdet sind. Das belegten Linda Tizek von der Abteilung für Dermatologie der TU München und Kollegen anhand einer Längsschnittstudie. Sie screenten 2.701 Personen (53,5% Frauen, 46,2% Männer) des Bayerischen Zentral-Landwirtschaftsfestes. Die häufigsten Diagnosen waren aktinische Keratosen (26,6%), Rosacea (25,5%) und Ekzeme (11,7%). Tizek und ihre Kollegen empfehlen – wie in der Studie umgesetzt – niedrigschwellige Angebote für Haut-Checks. 

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Michael van den Heuvel | September 19, 2019 | Interessenkonflikte

Was kann der Hausarzt tun?

Bleibt als Fazit, dass der Klimawandel Ärzte in ihrer beruflichen Tätigkeit vor große Herausforderungen stellt. Warum sie sich gerade jetzt für Klimaziele einsetzen sollten – wie beim Global Climate Strike – haben Prof. Dr. Cheryl C. Macpherson von der St. George’s University School of Medicine in Grenada und Prof. Dr. Matthew Wynia von der University of Colorado in Denver zusammengefasst:

  • Ärzte diagnostizieren und therapieren klimabedingte Verletzungen, Infektionen und Krankheiten.
  • Sie sind oft Ersthelfer vor Ort und haben Informationen aus erster Hand.
  • Ärzte könnten aufgrund ihrer Expertise besser als andere Berufsgruppen Lobbyarbeit leisten, um Klimaziele zu erreichen.  
  • Diese Fürsprache ist nicht mit hohen Kosten oder großen beruflichen Risiken verbunden.
  • Ärzte haben – wenn auch nur über Umwege wie Standesvertretungen – Einfluss auf die Verteilung der Ressourcen im Gesundheitswesen. Das könnte angesichts der im Artikel geschilderten Erkrankungen von Bedeutung sein.
  • Schweigen Ärzte, gilt das als Akzeptanz für untätige Regierungen – gerade in Ländern mit starken Vorbehalten, etwas gegen die Emission von Treibhausgasen zu unternehmen.
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