
Stickoxid, Ozon und Feinstaub im Faktencheck: Dies sind die Argumente, die Sie als Arzt für die Schadstoff-Diskussion brauchen
Um Feinstaub und Stickoxide scheint ein Glaubenskrieg entbrannt. Die Wogen schlagen hoch in der Diskussion um Grenzwerte und Messmethoden (Medscape berichtete). Meinungen mischen sich mit komplizierten Fakten. Viele Fragen stehen im Raum. Welche Gesundheitsgefahren drohen? Wie kommen Grenzwerte zustande? Und welche sind eigentlich grechtfertigtl?
Den aktuellen Forschungsstand bringen jetzt renommierte Umweltforscher und Epidemiologen der Internationalen Gesellschaft für Umweltepidemiologie (ISEE) und der European Respiratory Society (ERS) mit einer druckfrischen Expertise ein. Um die Diskussion zu versachlichen, haben sie unter dem Titel „Die Rolle der Luftschadstoffe für die Gesundheit“ die Datenlage zu Feinstaub, Ozon und Stickstoffoxiden zusammengetragen und leicht verständlich aufbereitet.
Auch zu den Mythen und populistischen Hypothesen, die in den vergangenen Wochen von der einen Seite mit wütenden Kommentaren und von der anderen Seite mit Beifall bedacht worden waren, nehmen sie Stellung. In dieser Diashow präsentieren wir Ihnen die wichtigsten Infos – damit Sie auf dem Stand der Forschung argumentieren können.
Zu den Verfassern gehören Prof. Dr. Annette Peters vom Helmholtz Zentrum München, Prof. Dr. Barbara Hoffmann (siehe Interview auf Medscape), Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Nino Künzli, Universität Basel, Prof. Dr. Beate Ritz, University of California, Prof. Dr. Holger Schulz, Helmholtz Zentrum München, PD Dr. Kurt Straif, Lyon, und Prof. Dr. H. Erich Wichmann.
Quelle:
Die Rolle der Luftschadstoffe für die Gesundheit“. Eine Expertise im Namen der Internationalen Gesellschaft für Umweltepidemiologie (ISEE) und der European Respiratory Society (ERS). 2019
Stickoxid, Ozon und Feinstaub im Faktencheck: Dies sind die Argumente, die Sie als Arzt für die Schadstoff-Diskussion brauchen
Feinstaub
Als Feinstaub gelten Partikel kleiner als 10 Mikrometer. Freigesetzt werden sie über Kraftfahrzeuge, Kraft- und Fernheizwerke, Öfen und Heizungen in Wohnhäusern und Industrieanlagen. Zusätzlich stoßen diese Quellen auch die gasförmigen Vorläuferschadstoffe Schwefeldioxid und Stickoxide aus. Ammoniak-Emissionen der Landwirtschaft tragen ebenfalls zur Bildung von Feinstaub in der Atmosphäre und damit zur Belastung bei.
Natürliche Ursachen für Feinstaub sind beispielsweise die Bodenerosion oder Freisetzung von Partikeln durch Pflanzen und Mikroorganismen.
Auf dem Foto ist ein neuer und ein gebrauchter Luftfilter eines Autos zu sehen.
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Medizinische Auswirkungen von Feinstaub
Feinstaub wird über die Atmung und die Atemwege in die Lunge transportiert. Insbesondere Feinstaub kleiner als 2,5 μm gelangt bis in die kleinsten Atemwege und Lungenbläschen. Auf der mikroskopischen Aufnahme sind in dem Schnitt vom Lungengewebe Kohlestaub-Partikel zu sehen.
Ultrafeine Partikel, die kleiner als 100 Nanometer sind, können außerdem in den Blutkreislauf eintreten und so zu anderen Organen gelangen. Eine Vielzahl chemischer und physikalischer Eigenschaften ist für die Wirkung der Partikel verantwortlich, sie erzeugen oxidativen Stress und entzündliche Reaktionen im Körper.
Die krebserzeugende Wirkung von Feinstaub gilt inzwischen als gesichert. Vermutet wird inzwischen auch, dass Feinstaub Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes im Mutterleib, auf die Lungenfunktions- und Gehirnentwicklung bei Kindern zeigt. Studien weisen auch darauf hin, dass die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes und einer Demenz durch Feinstaub gefördert werden kann. Neuere Studien dokumentieren auch Auswirkungen unterhalb der gegenwärtig geltenden Grenzwerte.
Die Studienautoren plädieren deshalb dafür, dass der Grenzwert für Feinstaub kleiner als 2,5 μm in der EU zum Schutz der Gesundheit deutlich abgesenkt und mit den WHO-Empfehlungen (10 μg/m3 PM2.5) in Einklang gebracht wird.
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Stickstoffoxide
Stickstoffoxide gehören zu den so genannten reaktiven Stickstoffverbindungen. Sie können zu einer Vielzahl von negativen Umweltwirkungen führen. Zusammen mit flüchtigen Kohlenwasserstoffen sind Stickstoffoxide für die sommerliche Ozonbildung verantwortlich.
Stickstoffoxid – oder kurz Stickoxid (NOX) – ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene gasförmige Verbindungen, die aus den Atomen Stickstoff (N) und Sauerstoff (O) aufgebaut sind. Die beiden wichtigsten Verbindungen sind Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2). Stickstoffoxide entstehen bei Verbrennungsprozessen. Die Hauptquellen von Stickstoffoxiden sind Verbrennungsmotoren und Feuerungsanlagen für Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfälle. In Ballungsgebieten ist der Straßenverkehr die bedeutendste Quelle.
Insbesondere für das Stickstoffdioxid wird diskutiert, ob es sich bei den Langzeitwirkungen um Wirkungen von Stickstoffdioxid allein handelt oder um Wirkungen eines Schadstoffgemischs, für das Stickstoffdioxid als Indikator anzusehen ist.
Es gibt Hinweise, dass Stickstoffoxide die Wirkung von Feinstaub verstärken können. Außerdem können sie sich mit ammoniakhaltigen Gasen aus der Landwirtschaft verbinden und Ammoniumsalze bilden, wodurch sogenannter "sekundärer Feinstaub" entsteht. Dadurch tragen Stickoxide also auch zur Feinstaubbelastung bei.
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Medizinische Auswirkungen von Ozon und Stickstoffoxid
Ozon und Stickstoffdioxidsind oxidierende Reizgase. Sie dringen tief in die Lungen ein, erzeugen oxidativen Stress, lösen Entzündungsreaktionen aus und reagieren mit den Wandstrukturen der Lunge.
Stickstoffmonoxid ist für den Körper unschädlich.
Stickstoffdioxid hingegen verschlechtert bei Asthmatikern (s. Abb.) die Gesundheit und wird als kausal eingestuft. Als „wahrscheinlich kausal“ wird das Auftreten von Atemwegserkrankungen unter Stickstoffdioxid eingestuft. Neuere Studien weisen auf einen Zusammenhang von NO2 mit Herzkreislauferkrankungen und Diabetes hin.
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Auswirkungen von Luftschadstoffen auf den Körper
Das Dilemma: Der Arzt in der Praxis kann die direkte Ursache eines Herzinfarkts oder eines Asthmaanfalls in den meisten Fällen nicht erkennen, weil es oft viele Faktoren sind, die für die Entstehung verantwortlich waren. Luftverschmutzung ist nur einer von mehreren.
Feinstaub, Ozon und Stickstoffdioxid haben gemeinsame Quellen. Sie treten deshalb oft zeitlich und räumlich paralell auf und wirken dann gemeinsam auf den menschlichen Körper. Hinzu kommen weitere Schadstoffe wie Ruß, winzige Partikel im Nanometerbereich, oder organische Kohlenwasserstoffe, die mit dem Feinstaub und dem Stickstoffdioxid gemeinsam auftreten können.
In bevölkerungsbasierten Studien wurden folgende Auswirkungen beobachtet (siehe auch Grafik):
Gehirn: Nicht nur das Risiko für Schlaganfall und neurodegenerative Erkrankungen kann beeinflusst werden, auch die neurologische Entwicklung von Kindern.
Atemwege: Die Sterblichkeit und Morbidität wegen Atemwegserkrankungen wird durch Luftschadstoffe erhöht. Lungenfunktion und -wachstum bei Kindern können sich verringern. Die Risiken für Entzündungen der Lunge und Atemwege sowie Krebs steigen.
Herz und Kreislauf: Fast alle Erkrankungen an Gefäßen werden mit Luftschadstoffen in Verbindung gebracht. Beobachtungen zeigen, dass sich auch die Sterblichkeit erhöht. Zum Beispiel durch Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen.
Schwangerschaft: Nicht nur alte Menschen werden von den ungesunder Luft in Mitleidenschaft gezogen. Beim Nachwuchs beobachten Epidemiologen verringertes Geburtsgewicht. Schwangere haben häufiger Frühgeburten und Praeklampsie. Bei Männern verringert sich die Spermienqualität.
Weitere Einflüsse von Umweltgiften in der Luft beobachten Forscher bei Diabetes, Knochenstoffwechsel und sogar auf die Hautalterung.
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Streit um die Grenzwerte
In ihrer Stellungnahme bezeichnen Köhler und Kollegen Stickoxide und Feinstaub in der Atemluft als längst nicht so gefährlich wie behauptet und die strengen EU-Grenzwerte als wissenschaftlich nicht fundiert. Auch der wissenschaftliche Kenntnisstand wird in Zweifel gezogen.
Doch tragen aktuell mehr als 71.000 Arbeiten in der medizinischen Fachliteratur zum Gesamtbild der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Luftschadstoffen bei: Experimente an Zellen, Tierversuche, kontrollierte Expositionen von Freiwilligen sowie epidemiologische Beobachtungsstudien gehören dazu.
- Dabei dienen experimentelle Studien vor allem dazu, die negativen gesundheitlichen Auswirkungen der Luftschadstoffe aufgrund ihrer chemischen und physikalischen Eigenschaften zu untersuchen und die Wirkungsmechanismen zu verstehen.
- Expositionsstudien am Menschen untersuchen kurzfristige Effekte.
- Langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit der gesamten Bevölkerung werden in großen epidemiologischen Beobachtungsstudien untersucht.
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Wie kommen die Grenzwerte zustande?
Internationale Expertengremien erarbeiten regelmäßig Zusammenfassungen der gesamten verfügbaren wissenschaftlichen Literatur. 2005 wurde die aktuell gültige WHO-Empfehlung erarbeitet. Die Ableitung eines Richtwertes war speziell für Feinstaub und Stickstoffdioxid eine Herausforderung, weil die epidemiologischen Studien keinen Hinweis auf Werte zuließen, unter denen keine schädlichen Gesundheitsfolgen zu erwarten wären.
Das Festlegen von Grenzwerten ist ein politischer Prozess. In der EU werden die Grenzwerte durch das EU Parlament verabschiedet und dann in nationales Recht umgesetzt. In Teilen stützt sich die EU dabei auf die WHO-Empfehlungen. Die US-amerikanische Gesetzgebung leitet sich aus gesetzlich vorgeschriebenen wissenschaftlichen Bewertungen ab, die in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden. Weil jede Region andere Gesetze hat, ergeben sich auch unterschiedliche Richtwerte weltweit.
Für Stickstoffdioxid liegt der Grenzwert aktuell in der EU bei 40 μg/m3. Der Wert wurde auf der Basis von Langzeit-Tierexperimenten und von bevölkerungsbezogenen Studien festgelegt. 2008 wurde die Empfehlung für einen Langzeitgrenzwert beim Stickstoffdioxid von 40 μg/m3 von der WHO übernommen.
Künftig niedrigere Ziele für Stickstoffdioxid? Aufgrund vieler neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse wurde im Auftrag der EU im Jahr 2013 eine aktualisierte Analyse der Studienlage von der WHO durchgeführt. Ergebnis: Für Stickstoffdioxid wurden dabei statistisch signifikante Gesundheitseffekte bereits ab einem Wert von 20 μg/m3 festgestellt. Basis für diesen niedrigeren Wert ist eine Metaanalyse von mehr als 15 Langzeitstudien zu Stickstoffdioxid. Derzeit werden nun die Empfehlungen von 2005 unter Leitung der WHO (auf Basis der Bewertung von 2013 plus zusätzlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse) überarbeitet.
Für Feinstaub wurde in der EU nur ein Grenzwert von 25 μg/m3 umgesetzt. Die WHO empfiehlt jedoch einen Grenzwert von 10 μg/m3 für PM2.5. Die Autoren dieser Expertise drängen darauf, dass die Feinstaub-Grenzwerte gesenkt werden. Der EU-Grenzwert liegt mehr als doppelt so hoch, wie der von der WHO empfohlenen Grenzwerte. Vorbild Schweiz? Dort wurden für Feinstaub die WHO-Empfehlungen übernommen. Bei Stickstoffdioxid wurde die Empfehlung mit einem Grenzwert von 30 μg/m3 sogar unterboten.
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Die Mythen und die Fakten
Mythos 1: „Rauchen ist viel giftiger und die Dosis viel höher, deshalb kann bei der vergleichsweise niedrigen Dosis der Luftverschmutzung kein Schaden entstehen.“
Falsch. Es gibt viele biologische Zusammenhänge, bei denen die Dosis und die Wirkung nicht linear zusammenhängen. Beim Rauchen lässt sich dies gut beobachten: So unterscheidet sich das Infarktrisiko kaum, wenn jemand nur 5 oder 20 Zigaretten täglich raucht: Beide Raucher haben im Vergleich zu einem Nichtraucher ein ca. 100% erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt. Regelmäßiges Passivrauchen erhöht das Infarktrisiko auch immer noch um ca. 50% im Vergleich zu unbelasteten Personen. Obwohl die Dosis viel geringer ist als bei einem Raucher ist der Effekt auf die Gesundheit überraschend hoch. Auf der Abbildung ist die mikroskopische Aufnahme einer Raucherlunge zu sehen. Zum Vergleich: Eine Langzeitbelastung von zusätzlichen 5 μg/m3 Feinstaub (Grenzwert liegt bei 25 μg/m3) erhöht die Herzinfarkt-Wahrscheinlichkeit um ca. 10%. Fazit: Passivrauchen und niedrige Luftverschmutzung führen zu vergleichbaren Gesundheitsschäden.
Rauchen und Luftverschmutzung unterscheiden sich aus anderen Gründen, das Belastungsmuster ist anders:
- Rauchen führt zu hoher Belastung mit Pausen zwischen den Zigaretten. Luftverschmutzung hingegen wirkt kontinuierlich den ganzen Tag und das ganze Jahr über ohne Unterbrechung.
- Rauchen belastet in erster Linie erwachsene Menschen, während sich Luftverschmutzung auch auf Ungeborene, Säuglinge, Kinder mit Asthma und alte Menschen auswirkt.
- Rauchen kann man im Prinzip selbst kontrollieren und aufhören. Luftverschmutzung hingegen kann man nicht oder nur schwer aus dem Weg gehen.
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Mythos 2: „Es fehlt ein typisches Vergiftungsmuster.“
Falsch. Stattdessen haben Feinstaub, Ozon und Stickstoffoxide durchaus ein typisches Wirkungs-Muster, sie wirken nämlich über oxidativen Stress und entzündliche Reaktionen. Sie haben ähnliche Effekte wie Tabakrauch.
Viele Experimente und Beobachtungsstudien zeigen, dass Feinstaub entzündliche Reaktionen in der Lunge und im gesamten Körper verursacht, die Bildung von Blutgerinnseln fördert, den Herzrhythmus stört, die Arterienverkalkung verstärkt, und den Fettstoffwechsel verändert.
Zusätzlich gelangt Feinstaub bis in das Gehirn oder zum Fötus. Die gleichen biologischen Veränderungen sind vom aktiven Rauchen und vom Passivrauchen bekannt. Es kommt auch zu den gleichen Erkrankungen: Herzinfarkte, Schlaganfälle, Lungenerkrankungen und Lungenkrebs.
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Mythos 3: „Tote durch Feinstaub oder Stickoxide gibt es nicht.“
Das ist richtig. Folgt aber man dieser Logik, stirbtauch niemand am Rauchen. Dennoch ist gesichert, dass Rauchen wie auch Luftverschmutzung auf lange Sicht schädlich sind und zu Atemwegs- oder Herz-Kreislauferkrankungenführen. Erkennbar sind diese Zusammenhänge aber nur in Langzeitstudien und nichtan einem einzelnen Patienten oder an einem Todesfall. Bei einem einzelnen lässtsich meist nicht sagen, wie die Risikofaktoren zusammengespielt haben, die zu Erkrankung oder Tod geführt haben.
Mythos 4: „Die Studienberücksichtigen andere Risikofaktoren nicht und führen deshalb zu viel zu hohen Krankheitslasten.“
Das ist falsch. Dieanerkannten Methoden einer hochwertigen Beobachtungsstudie (epidemiologische Studie) verlangen ausdrücklich, dass möglichst alle weiteren Risikofaktoren fürdie Erkrankung berücksichtigt werden (also z. B. Rauchen, mangelnde körperliche Bewegung, Ernährung, Bildung, Einkommen, etc.). Auch die Behauptung, dass inden Studien lediglich die Landbevölkerung mit der Stadtbevölkerung verglichen wordensei, ist nicht richtig. Im Gegenteil: Die meisten Studien vergleichenheutzutage unterschiedlich belastete Stadtbevölkerungen.
Stickoxid, Ozon und Feinstaub im Faktencheck: Dies sind die Argumente, die Sie als Arzt für die Schadstoff-Diskussion brauchen
Mythos 5: „Grenzwerte in den USA für Stickstoffdioxid sind mehr als doppelt so hoch. Deshalb kann Stickstoffdioxid gar nicht so schlimm sein.“
Tatsächlich liegt der Grenzwert für Stickstoffdioxid in den USA mit 100 μg/m3 deutlich höher als bei uns in der EU mit 40 μg/m3. Allerdings haben die Amerikaner deutlich strengere Regeln bei der Emission, also der Menge von Stickoxiden, die vom Fahrzeug ausgestoßen werden. Sie regulieren also direkt an der Quelle beim Auto. Deshalb ist für deutsche Autos in den USA eine spezielle Nachrüstung erforderlich.
In der EU ist zurzeit 270 mg/km Stickstoffoxide erlaubt. Die höchste Schadstoffklasse in den USA liegt hingegen bei 100 mg/km (Stickstoffoxide und organische Methangase), bei einem Flottenmittelwert von unter 20 mg/km.
Die EU ist den WHO-Empfehlungen gefolgt und hat den empfohlenen Richtwert für Stickstoffdioxid in der Umgebungsluft übernommen. Damit berücksichtigt die EU also eher die Schadstoffkonzentration, die wir tatsächlich einatmen.
Beim Feinstaub ist die USA dagegen sehr streng. Der Grenzwert liegt bei 12 μg/m3 für PM2.5. Im Gegensatz dazu liegt in der EU der Grenzwert für Feinstaub mehr als doppelt so hoch, nämlich bei 25 μg/m3.
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Wie wird die Krankheitslast durch Luftschadstoffe berechnet?
Wie stark sich verschiedene Risikofaktoren auf die Gesundheit auswirken, kann zwangsläufig nur berechnet werden. Die Krankheitslast wird für die ganze Bevölkerung ermittelt. Man kann so vergleichen, welcher Risikofaktor besonders viele Erkrankungen, verlorene Lebenszeit oder Todesfälle hervorruft, um dann entsprechende Prioritäten bei der Prävention zu setzen Typische Risikofaktoren, die in solchen Berechnungen verglichen werden, sind z. B. Rauchen, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, Luftverschmutzung und Lärm.
- Luftverschmutzung ist in Deutschland der mit Abstand wichtigste umweltbedingte Risikofaktor für Krankheiten und verlorene Lebenszeit. Dies ergaben die Berechnungen mit einer anerkannten Methode, die von der WHO und anderen Institutionen regelmäßig angewandt wird. Im „Global Burden of Disease“ Projekt des „Institute for Health Metrics and Evaluation“ (IHME) werden Länder der ganzen Welt verglichen.
- 2018 wurde im Auftrag des Umweltbundesamtes eine Studie veröffentlicht zur Krankheitslast durch Stickstoffdioxid. Auch hier lautet das Ergebnis: Stickstoffdioxid als Luftschadstoff oder als Indikator für ein Luftschadstoff-Gemisch hat negative Auswirkungen auf die Lebenserwartung.
- Auf EU-Ebene berechnet die europäische Umweltagentur jährlich die Krankheitslast für Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon, um Informationen über die Bedeutung der Luftschadstoffe bereit zu stellen und die Entwicklung der Krankheitslast über die Jahre hinweg zu untersuchen.
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