Nicht nachlassen! Intensive Blutdrucktherapie ist auch bei orthostatischer Hypotonie sinnvoll

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

20. November 2023

Patienten mit chronischem Bluthochdruck, aber auch einer asymptomatischen orthostatischen Hypotonie (OH) profitieren ebenso von einer intensiveren Blutdrucktherapie wie Patienten ohne Blutdruckabfall beim Aufstehen. Das zeigt eine Metanalyse von 9 randomisierten Studien, deren Ergebnisse jetzt in JAMA publiziert wurden [1].

Dr. Lucas Lauder
Quelle: Armin Schweitzer

„Etwa 10% der Patienten mit Bluthochdruck haben eine orthostatische Hypotonie“, sagt Dr. Lucas Lauder von der Klinik für Innere Medizin III – Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin am Universitätsklinikum des Saarlandes. „Häufig sind es Patienten, die älter und gebrechlicher sind und Komorbiditäten wie einen Diabetes oder eine chronische Nierenerkrankung aufweisen, aber auch diejenigen, bei denen der Bluthochdruck nicht gut eingestellt ist.“

 
Die Sorge, die Hypotonie zu verschlimmern, hat zu Empfehlungen gegen eine intensivere Blutdrucktherapie geführt, insbesondere bei älteren Menschen. Dr. Stephen P. Juraschek
 

Gerade ältere und gebrechliche Patienten seien in Studien häufig unterrepräsentiert, ergänzt Lauder, weshalb sich die Frage stelle, ob man sie behandeln könne wie jüngere Patienten. Die Studienautoren um Dr. Stephen P. Juraschek von der Division of General Medicine am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston, USA, berichten: „Die Sorge, die Hypotonie zu verschlimmern, hat zu Empfehlungen gegen eine intensivere Blutdrucktherapie geführt, insbesondere bei älteren Menschen. Als erste Maßnahme bei orthostatischer Hypotonie wird sogar das Absetzen der antihypertensiven Medikation empfohlen.“

Intensivere Blutdrucktherapie kann Risiko für orthostatische Hypotonie senken

Dass dies die denkbar schlechteste Maßnahme sein könnte, demonstrierte die Forschungsgruppe bereits in einer früheren Metaanalyse: In dieser hatte sich nicht nur keine Assoziation zwischen intensiver Blutdrucktherapie und OH gezeigt. Es gab auch eindeutige Hinweise darauf, dass eine intensivere Blutdrucktherapie das Risiko für OH reduziert.

Aber beeinflusst eine OH, welchen Nutzen Patienten hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse und Todesfälle aus einer Blutdrucktherapie ziehen? Das untersuchten Juraschek und seine Kollegen mit einer Metaanalyse der individuelle Patientendaten von 29.235 Patienten aus 9 Studien. Sie waren median 4 Jahre nachbeobachtet worden.

Die Teilnehmenden waren zu Studienbeginn im Schnitt 69 Jahre alt, 9% von ihnen hatten eine orthostatische Hypotonie und 5% eine Hypotonie im Stehen. Als OH definierten die Forschenden einen Blutdruckabfall beim Aufstehen um mindestens 20 mmHg systolisch oder mindestens 10 mmHg diastolisch (Blutdruck im Stehen minus Blutdruck im Sitzen). Von einer Hypotonie im Stehen gingen sie aus, wenn der Blutdruck im Stehen systolisch unter 110mmHg und diastolisch unter 60 mmHg lag – unabhängig vom Blutdruck im Sitzen.

 
Die große Mehrheit der OH-Fälle ist asymptomatisch, nur etwa 10% der Patienten zeigen Symptome wie Schwindel oder Synkopen. Dr. Stephen P. Juraschek
 

Die meisten OH-Patienten hatten keine Symptome. „Die große Mehrheit der OH-Fälle ist asymptomatisch, nur etwa 10% der Patienten zeigen Symptome wie Schwindel oder Synkopen“, so Lauder.

Jede Blutdrucktherapie ist besser als keine

In den Studien wurde entweder eine intensive mit einer Standard-Blutdrucktherapie verglichen oder eine aktive Therapie mit einem Placebo. Juraschek und seine Kollegen berichten, dass es keinen Unterschied zwischen Patienten mit oder ohne OH gegeben habe. Die Blutdrucktherapie verringerte das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen oder Tod bei denjenigen mit OH (Hazard Ratio: 0,83; 95-%-Konfidenzintervall: 0,70-1,00) genauso stark wie bei denjenigen ohne OH (HR: 0,81; 95-%-KI: 0,76-0,86).

Nur bei der Hypotonie im Stehen gab es einen kleinen Unterschied: Die Blutdrucktherapie reduzierte das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen oder Tod nur bei den Patienten ohne Hypotonie im Stehen signifikant (HR 0,80; 95-%-KI 0,75-0,85). Eine Risikoreduktion war zwar auch bei denjenigen mit Hypotonie im Stehen zu beobachten, erreichte aber in diesem Fall keine statistische Signifikanz (HR: 0,94; 95-%-KI 0,75-1,18).

Die Autorengruppe um Juraschek schlussfolgert, dass „sich Ärzte von einer asymptomatischen orthostatischen Hypotonie oder einer Hypotonie im Stehen nicht davon abhalten lassen sollten, bei erwachsenen Patienten mit Hypertonie eine intensivere Blutdrucktherapie einzuleiten“.

Nicht auf Patienten mit symptomatischer OH übertragbar

Die Unterscheidung zwischen OH-Patienten mit und ohne Symptome ist für Lauder von größer Bedeutung, denn: „Die meisten Studien in dieser Metaanalyse schlossen Patienten mit symptomatischer OH und sehr gebrechliche Patienten aus, sodass die Ergebnisse und Schlussfolgerungen nicht auf diese Patientengruppen übertragbar sind.“

Beim Management von Patienten mit symptomatischer orthostatischer Hypotonie steht dem kardiologischen Assistenzarzt zufolge die Identifikation behebbarer Ursachen im Vordergrund. „Es gibt zum Beispiel verschiedene Medikamente, die eine OH begünstigen können, etwa Alpha-Rezeptorblocker wie Tamsulosin, Antidepressiva wie Amitriptylin, Schleifendiuretika oder Betablocker. Hier kann eine Umstellung der Medikation sinnvoll sein.“

Darüber hinaus gebe es nicht-pharmakologische Maßnahmen, die bei OH helfen können: die Einnahme kleinerer Mahlzeiten, den Verzicht auf Alkohol, die Reduktion des orthostatischen Stresses durch langsame Lagewechsel, die Nutzung isometrischer Gegenmanöver, Wassertrinken und das Tragen von Kompressionsstrümpfen.

„Bei Patienten mit – trotz dieser Maßnahmen – persistierenden Symptomen sowie sehr gebrechlichen Patienten sollte die blutdrucksenkende Therapie reduziert werden“, empfiehlt Lauder.

 

Kommentar

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