Genschere extrem teuer: Erste CRISPR/Cas-Therapie in UK zugelassen – bei Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

20. November 2023

Die britische Arzneimittelbehörde MHRA (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency) hat die erste Therapie auf Basis der Genschere CRISPR/Cas zugelassen. Es handelt sich dabei um die Gentherapie „exa-cel“ gegen Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie. Exa-cel soll die Patienten von den schwächenden und schmerzhaften Auswirkungen der Bluterkrankungen befreien.

„Erkrankungen wie die Sichelzellanämie oder auch die ß-Thalassämie kommen vergleichsweise häufig vor. An ihnen leidet eine nennenswerte Zahl an Patienten“, erklärt Prof. Dr. Selim Corbacioglu, Leiter der Abteilung für Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation, Universitätsklinikum Regensburg gegenüber dem Science Media Center (SMC).

Wie Corbacioglu erläutert, handelt es sich bei diesem CRISPR-basierten Konzept nicht um eine echte Genreparatur, sondern um eine Gentherapie, bei der ein bestimmtes Gen inaktiviert wird. „Das hat zur Folge, dass eine genetisch gesunde Hämoglobinvariante, das fetale Hämoglobin, wieder aktiviert wird, sodass man den Gendefekt der Sichelzellanämie und der ß-Thalassämie quasi umgeht“, so Corbacioglu .

„Mithilfe der CRISPR-Therapie kann die Produktion von fetalem Hämoglobin auch jenseits des Neugeborenenalters wieder so weit angekurbelt werden, dass die roten Blutkörperchen ihre Funktion wieder erfüllen können und die Symptome der Sichelzellkrankheit verschwinden“, erklärt PD Dr. Joachim Kunz, Oberarzt und ärztlicher Leiter der Spezialsprechstunde für seltene Anämien und Hämoglobinkrankheiten, Universitätsklinikum Heidelberg.

Bei der Thalassämie könne die Gentherapie erreichen, dass die Patienten selbst wieder Blut bilden können und keine Transfusionen mehr benötigen, so Kunz.

Nur wenige Patienten und relativ kurze Nachbeobachtungszeit

Die Zulassungsstudien der beiden federführenden Unternehmen Vertex Pharmaceuticals und CRISPR Therapeutics beruhen nur auf wenigen Patienten, bei denen jedoch vielversprechende Ergebnisse erzielt werden konnten. Im Fokus der Arzneimittelbehörden stehen derweil Bedenken, inwieweit durch die CRISPR-Technik auch unbeabsichtigt weitere Genabschnitte verändert werden können. Dass dies grundsätzlich möglich ist, haben Studien bereits gezeigt.

Laut Corbacioglu ist der große Vorteil der CRISPR-Therapie, dass es, anders als bei der Stammzelltransplantation, weder eine Immunreaktion des Körpers noch eine Immunreaktion der Spende gibt, da es sich um eine autologe Zellspende handelt. 

In den aktuellen Studien der Hersteller benötigte ein Großteil der Probanden mit ß-Thalassämie am Ende des Studienzeitraums keine Bluttransfusionen mehr beziehungsweise hatten Sichelzellpatienten auch keine Schmerzkrisen mehr. 

Allerdings sei der Nachbeobachtungszeitraum mit 4 Jahren vergleichsweise kurz. „Wir wissen einfach noch nicht, ob die Patienten womöglich nach einigen Jahren plötzlich doch wieder Transfusionen benötigten oder Schmerzkrisen bekommen, weil die Zellen verschwunden sind“, erklärt Corbacioglu. 

 
Wir wissen einfach noch nicht, ob die Patienten womöglich nach einigen Jahren plötzlich doch wieder Transfusionen benötigten oder Schmerzkrisen bekommen, weil die Zellen verschwunden sind. Prof. Dr. Selim Corbacioglu
 

Kunz betont, dass der Zeitpunkt der Therapie entscheidend ist. Bereits eingetretene Organschäden durch die Sichelzellkrankheit können durch die CRISPR-Therapie nicht wieder rückgängig gemacht werden. Die Behandlung muss also beginnen, bevor solche nicht wieder gut zu machende Schäden eingetreten sind, die gemeinsam mit der Chemotherapie im ungünstigsten Fall zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen könnten. 

Hohe Therapiekosten werden die Anwendung beschränken

„Wir können nicht zu 100% sicherstellen, dass durch die Genschere nicht auch andere DNA-Abschnitte verändert werden“, stellt Corbacioglu klar. Aktuell müsse man sich darauf ein Stück weit verlassen. Die CRISPR-Therapie sei auch nicht „mal eben“ durchführbar. Der Therapie muss eine Chemotherapie voraus gehen. Die Herstellung der Zellen ist sehr aufwendig. Die Laborstrukturen dafür sind momentan noch nicht zufriedenstellend ausgebaut. Zudem ist die Therapie sehr teuer: Rund 2 Millionen Euro soll sie pro Patienten kosten. „Die Stammzelltransplantation liegt bei maximal 300.000 Euro“, erklärte Corbacioglu. 

 
„Wir können nicht zu 100% sicherstellen, dass durch die Genschere nicht auch andere DNA-Abschnitte verändert werden. Prof. Dr. Selim Corbacioglu
 

„Die Gentherapie mittels CRISPR ist trotz ihrer Limitationen hoch willkommen, weil aktuell für nur rund 20% der Patienten mit Sichelzellkrankheit ein geeigneter Stammzellspender für eine Transplantation zur Verfügung steht“, sagt Kunz. „Die Kosten der CRISPR-Therapie werden aber die Anwendung beschränken. 

In Deutschland leben geschätzt 3.000 bis 4.000 Patienten mit Sichelzellanämie. Davon kämen aufgrund des Alters etwa 500 bis 1.000 für die CRISPR-Therapie infrage. Damit kämen allein in Deutschland Kosten von 1 bis 2 Milliarden Euro auf die Krankenkassen zu. 

„Dem stehen zwar Einsparungen gegenüber, weil die Patienten nicht mehr wegen der Komplikationen der Sichelzellkrankheit behandelt werden müssten. Diese werden aber auch im günstigen Fall erst nach Jahrzehnten die einmaligen Kosten der Gentherapie aufwiegen“, so Kunz. Corbacioglu meint deshalb, dass die CRISPR-Therapie auf absehbare Zeit die Stammzelltransplantation nicht ersetzen, sondern sie ergänzen wird.

Verfeinerung der Technologie in Aussicht

Spannend für die Klinik seien vor allem Verfeinerungen des CRISPR-Ansatzes. Denn die klassische Genschere verursache Doppelstrangbrüche der DNA, welche dann zu Leukämien führen könnten. 

„Weiterentwicklungen der Genschere greifen nur an einem Strang der DNA an. Die körpereigenen Reparaturmechanismen verändern dann auch den anderen Strang. Sehr subtil und elegant“, sagte Corbacioglu.

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat für die Sichelzellanämie eine Entscheidung für den 8. Dezember angekündigt. Anfang Oktober hatte die FDA bereits die Sicherheit und den klinischen Nutzen der Therapie betont. Über den Einsatz der Therapie gegen die Beta-Thalassämie soll im Frühjahr 2024 entschieden werden. Bei der EMA läuft derzeit noch ein Bewertungsverfahren für exa-cel.

 

Kommentar

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