Forscher aus Frankreich und aus der Schweiz wollen Patienten mit Parkinson wieder ein flüssigeres Gehen ermöglichen und ihr Sturzrisiko verringern. Dazu haben sie eine spezielle Neuroprothese entwickelt und vor 12 Monaten dem 1. Patienten implantiert. Erwan Bezard vom Institut des Maladies Neurodégénératives, Bordeaux, und Kollegen stellen jetzt in Nature Medicine Ergebnisse des Einsatzes vor [1].
Starke Einschränkungen im Alltag
Marc, ein 62-jähriger Patient aus Bordeaux, lebt seit 25 Jahren mit Morbus Parkinson. „Seine Krankheit ist sehr weit fortgeschritten; ihm wurde bereits ein Neurostimulator implantiert“, erzählt Bezard. „Trotzdem stürzte er fast 5-mal am Tag, und das jeden Tag. Dadurch konnte er kein soziales Leben mehr führen; er hat das Haus nicht mehr verlassen.“ Seine Gehstörung habe der Neurostimulator nicht nennenswert beeinflusst.
Seit 1 Jahr ist Marc mit der Neuroprothese ausgestattet. Sie wurde entwickelt von Schweizer Forschern und Neurochirurgen, insbesondere von Grégoire Courtine, in Zusammenarbeit mit Neurowissenschaftlern des Inserm (Institut national de la santé et de la recherche médicale), des CNRS (Centre national de la recherche scientifique) und der Universität Bordeaux.
„Marc wurde im Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV) in Lausanne operiert und blieb dort 4 Monate lang stationär in Behandlung. Er war sehr motiviert, uns bei der Erprobung dieses Geräts zu helfen“, sagt Bezard.
Flüssigeres Gehen und weniger Stürze
Etablierte Parkinson-Therapien beeinflussen Regionen im Gehirn, die vom Verlust dopaminerger Neuronen stark betroffen sind. Die Neuroprothese hat jedoch den Bereich des Rückenmarks zum Ziel, der zur Aktivierung der Beinmuskeln beim Gehen notwendig ist.
Die Neuroprothese besteht aus netzartig angeordneten Elektroden und einem Generator für elektrische Impulse. „Die Elektroden bilden eine Art Zunge mit 16 Kontaktpunkten“, erklärt Bezard. „Sie werden im Lumbosakralbereich an jedem Segment des Rückenmarks angebracht, das verschiedene am Gehen beteiligte Muskeln steuert.“
Bezard: „Die Motoneuronen stimulieren die betreffenden Muskeln abwechselnd links und rechts, da die Beine antiphasig sind.“ Jede Elektrode liege Motoneuronen gegenüber, welche beim Gehen relevant seien. „Die kleinste vom Patienten initiierte Bewegung startet den Algorithmus. Wenn die Sequenz des Gehens gestartet wird, ist der Ablauf fast automatisch.“
Im Vorfeld haben Ärzte einen CT-Scan durchgeführt, um die Anatomie des Patienten zu bestimmen und das Gerät optimal zu platzieren.
Die Neuroprothese wurde zunächst an nicht-menschlichen Primaten getestet, einem Tiermodell, das durch Parkinson verursachten Bewegungsdefizite nachahmt. Sie konnte Einschränkungen abschwächen, aber auch die Gehfähigkeit wiederherstellen, indem sie das typische Freezing-Phänomen (wenn die Füße beim Gehen am Boden festzukleben scheinen) verringert hat.
Die jetzt veröffentlichten 1-Jahres-Daten zeigen, dass Marc wieder flüssiger gehen kann und weniger als 2-mal pro Tag stürzt. „Er hat keinen Stock mehr, keinen Rollstuhl, er kann sich frei bewegen“, so Bezard.
Synergie zwischen Neuroprothese und Neurostimulation
„Jetzt müssen noch einige klinische Studien am Menschen durchgeführt werden“, sagt Bezard. „Gangstörungen treten bei etwa 80 bis 90% der Menschen mit fortgeschrittener Parkinson-Krankheit auf.“ Stürze mit Prellungen oder Frakturen seien der Hauptgrund für Krankenhausaufenthalte dieser Patienten. „Unser Gerät ermöglicht echte Fortschritte“, meint er.
Wie geht es weiter? Zu den nächsten Schritten gehören eine technologische Integration, um die Neuroprothese von einem einzigen Hersteller (ONWARD) herstellen zu lassen, sowie die Beantragung einer CE-Kennzeichnung. Anschließend wird das Device bei einer klinischen Studie in Lausanne an 6 Patienten und bei einer multizentrischen Studie in Lausanne, Bordeaux und New York an 20 Patienten getestet.
„In 4 bis 5 Jahren, wenn die letzten klinischen Studien abgeschlossen sind, kann die Neuroprothese bei allen Patienten eingesetzt werden, beginnend bei Patienten unter 70 Jahren ohne kognitive Beeinträchtigungen“, hofft Bezard.
Wie er berichtet, sei das Device für Patienten mit und ohne Neurostimulation geeignet. „Bei Affen haben wir festgestellt, dass sich unser Gerät und die Neurostimulation ergänzen“, sagt er. „Unsere Neuroprothese stellt einen neuen technologischen Sprung dar – als Lösung für therapierefraktäre Symptome. Wir glauben wirklich, dass es sich um eine Revolution handelt.“
Der Beitrag ist im Original erschienen auf Medscape French Edition . Er wurde von Michael van den Heuvel übersetzt und adaptiert. n
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Diesen Artikel so zitieren: „Revolution“ für Parkinson-Patienten: Neuroprothese verbessert den Gang und verringert ihr Sturzrisiko - Medscape - 20. Nov 2023.
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