Cholesterin langfristig senken – mit einer Dosis? Neue Therapien auf genetischer Ebene gegen hohe Lp(a) und LDL-Werte

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

16. November 2023

Philadelphia – Trotz einer Fülle an verfügbaren Therapieoptionen können die Blutlipide noch immer nicht bei allen Patienten ausreichend gesenkt werden. Neue Hoffnung machen Therapien, die das Problem auf genetischer Ebene angreifen. Bei den Scientific Sessions 2023 der American Heart Association in Philadelphia berichteten Forschende, wie sich mit einer einzigen Dosis der neuen Substanzen langfristig Lp(a) und LDL-Cholesterin senken lassen [1].

So gelang es in einer Phase-1-Studie, deren Ergebnisse zeitgleich zum Kongress auch in JAMA publiziert wurden, den Lp(a)-Spiegel für fast ein ganzes Jahr auf ein nicht mehr nachweisbares Niveau zu senken – mit einer einzigen Injektion der siRNA Lepodisiran.

 
Dies ist die erste große, randomisierte Studie, die zeigt, dass eine Senkung des Blutdrucks das Demenzrisiko bei Menschen mit hohem Blutdruck wirksam senkt.  Prof. Dr. Jiang He
 

Lp(a) kann, ebenso wie LDL-Cholesterin, zur Entstehung von Plaques in den Arterien und einer reduzierten Durchblutung von Herz, Hirn, Nieren und Beinen beitragen. Ein hoher Lp(a)-Spiegel ist ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen. Dennoch wird der Spiegel dieses Lipoproteins nur selten gemessen, denn Lp(a)-senkende Therapien gibt es bislang nicht.

Jährliche „Impfung“ gegen zu hohe Lp(a)-Spiegel?

„Wenn weitere Studien zeigen, dass dieser Wirkstoff – Lepodisiran – sicher ist und auch Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindert, dann könnten wir damit einen Risikofaktor eliminieren, denn wie bisher nicht behandeln konnten“, sagte Studienleiter Dr. Steven Nissen vom Heart, Vascular & Thoracic Institute an der Cleveland Clinic in Cleveland, USA. „Dieser Wirkstoff könnte eine einmal jährliche Spritze für Menschen mit hohen Lp(a)-Spiegeln werden, ganz ähnlich einem Impfstoff.“

Da der Spiegel von Lp(a) überwiegend genetisch festgelegt ist, haben Lebensstilveränderungen wie mehr Bewegung oder eine gesündere Ernährung kaum Einfluss darauf. Auch Medikamente, die LDL-Cholesterin senken, wie Statine, richten bei hohem Lp(a) nichts aus. Einige Patienten mit erhöhten Lp(a)-Spiegeln, die zusätzlich noch eine familiäre Hypercholesterinämie aufweisen, werden manchmal mit einer Apherese behandelt. Aber ein zugelassenes Medikament zur Behandlung von Lp(a)-Erhöhungen gibt es nicht.

Lepodisiran ist eine „small interfering RNA“, kurz siRNA, die die Produktion von Lp(a) in der Leber reduziert. Sie blockiert die mRNA für Apolipoprotein(a), einer Schlüsselkomponente des Lp(a)-Partikels. Die siRNA wurde chemisch besonders robust konstruiert, sodass sie langsamer abgebaut wird und die Wirkung länger anhält.

 
Dies ist der erste definitive Beweis für die Reduzierung des Demenzrisikos, der mit einer randomisierten Studie erbracht wurde. Dr. Daniel Jones
 

„Wie schlägt man einen Risikofaktor, der größtenteils genetisch ist? Ein sehr effektiver Ansatz ist, mit dem Gen zu interferieren, und dafür wurden Lepodisiran und andere neue Therapien designt“, sagte Nissen.

Die mediane Reduktion des Lp(a)-Spiegels lag bei 94 Prozent

In der beim Kongress präsentierten randomisierten Studie erhielten 48 Freiwillige mit anomalen Lp(a)-Spiegeln (im Schnitt 110 nmol/l) eine einzige subkutane Injektion – 36 mit Lepodisiran und 12 mit einem Placebo. In der Lepodisiran-Gruppe erhielten 6 Personen randomisiert verschiedene Dosen der siRNA: 4, 12, 32, 96, 304 oder 608 mg. 3 Tage nach der Injektion wurden die Teilnehmenden aus dem Krankenhaus entlassen. Bluttests fanden danach noch für 48 Wochen statt, also für fast ein Jahr.

Mit der höchsten Dosis Lepodisiran (608 mg) sanken die Lp(a)-Spiegel rapide ab, nach 29 Tagen war kein Lp(a) im Blut der Studienteilnehmenden mehr nachweisbar. Das Lipoprotein blieb bis Tag 281 unterhalb der Nachweisschwelle, erst danach stieg es wieder leicht an. Nach 48 Wochen lag die mediane Reduktion des Lp(a)-Spiegels bei 94% im Vergleich zum Wert vor der Injektion.

Auch mit den kleineren Lepodisiran-Dosen nahm der Lp(a)-Spiegel ab, aber die Senkungen hielten nicht so lange an. Allerdings war bei den Teilnehmenden, die die 305 mg-Dosis erhalten hatten, der Lp(a)-Spiegel nach 48 Wochen auch noch um 75% reduziert.

Gute Verträglichkeit

Das Verträglichkeitsprofil erwies sich als gut: Einige Studienteilnehmende hatten vorübergehend Schmerzen an der Injektionsstelle, bei 3 Personen kam es zu kurzfristigen Erhöhungen der Kreatinkinase. Andere unerwünschte Effekte, die auftraten, etwa eine verstopfte Nase oder Kopfschmerzen, waren leicht und vorübergehend.

„Unserer Meinung nach handelt es sich um ein sehr vielversprechendes Therapeutikum. Diese Daten deuten darauf hin, dass Lepodisiran sicher und extrem effektiv ist, mit einer fast vollständigen Elimination von Lp(a) über eine lange Zeit. Nach der Phase-2-Studie, die gerade läuft, werden wir mehr wissen“, so Nissen.

Die zur Diskussion der Studienergebnisse geladene Kardiologin Prof. Dr. Karol E. Watson betonte, dass die Studie in „unerforschte Regionen des Lipidmanagements eindringe“. Sie zeige, dass sich mit Lepodisiran Lp(A) senken lasse und dass die siRNA sicher sei. „Was nun aber noch fehlt, ist der Beweis, dass die neue Therapie auch die Outcomes der Patienten beeinflusst, sprich ob die Lp(a)-Senkung mit Lepodisiran auch kardiovaskuläre Endpunkte verbessert“, so die Ko-Direktorin des Programms für Präventive Kardiologie an der University of California in Los Angeles, Los Angeles, USA.

Gene-Editing-Therapie zur LDL-Cholesterinsenkung schaltet PCSK9 in der Leber aus

Während es für die Behandlung zu hoher Lp(a)-Spiegel bislang keinerlei Therapieoptionen gibt, stehen für die LDL-Cholesterinsenkung zahlreiche Medikamente zur Verfügung. Bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie kann aber mit den verfügbaren Cholesterinsenkern oft keine ausreichende Cholesterinsenkung erzielt werden.

In Philadelphia berichtete Dr. Andrew M. Bellinger, Kardiologe am Brigham and Women’s Hospital und Chief Scientific Officer bei Verve Therapeutics, beides in Boston, über eine neue Gene-Editing-Therapie. Diese führte in einer kleinen Phase-1b-Studie zu signifikanten Reduktionen des LDL-Cholesterins bei Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie.

Ebenso wie Lepodisiran muss auch die experimentelle Therapie namens VERVE-101 nur ein einziges Mal verabreicht werden. „Anstatt über Jahrzehnte jeden Tag Tabletten schlucken zu müssen oder in regelmäßigen Abständen Spritzen zu bekommen, zeigt diese Studie eine neue Therapieoption auf – eine einzige Behandlung, die das LDL-Cholesterin möglicherwiese über Jahrzehnte senkt“, sagte der Seniorautor der Studie.

VERVE-101 verwendet Gene Editing, um das PCSK9-Gen in der Leber permanent abzuschalten. In der beim Kongress präsentierten Studie wurde die Therapie erstmals bei Menschen getestet. In Tierstudien hatte VERVE-101 die PCSK9-Konzentrationen um 67 bis 83% und das LDL-Cholesterin um 49 bis 69% reduzieren können. Nach einer einzigen Dosis halten die Reduktionen bei den Tieren seit mittlerweile 2,5 Jahren an.

Extrem hohe Cholesterinspiegel trotz maximaler Therapie

An der noch laufenden ersten Humanstudie nahmen 7 Männer und 2 Frauen in Neuseeland und dem Vereinigten Königreich teil. Sie alle haben eine heterozygote familiäre Hypercholesterinämie und wiesen trotz Einnahme der maximal tolerierten Dosis an Cholesterinsenkern extrem hohe LDL-Cholesterin-Spiegel (im Schnitt 201 mg/dl) auf.

„Diese Zahlen spiegeln wider, dass trotz der verfügbaren Therapien weltweit nur etwa 3% der Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie ihre Therapieziele erreichen“, sagte Bellinger. Die meisten der 9 Studienteilnehmenden hatten eine schwere KHK und bereits einen Herzinfarkt gehabt oder sich einer koronaren Bypass-Operation unterzogen. Sie nahmen während der Studie keine PCSK9-Hemmer.

Die Patienten erhielten unterschiedlich hohe Dosen VERVE-101, die zwischen 0,1 und 0,6 mg/kg lagen. Eine beim Kongress präsentierte Interimsanalyse zeigt: Die beiden höchsten Dosen reduzierten das LDL-Cholesterin um 39 bzw. 48% (0,45 mg/kg) und 55% (0,6 mg/kg). Die PCSK9-Konzentrationen sanken bei diesen 3 Patienten um 47%, 59% und 84%. Bei dem einen Patienten, der die 0,6 mg/kg-Dosis erhalten hatten, war das LDL-Cholesterin auch nach 6 Monaten noch reduziert.

Prof. Dr. Anne Carol Goldberg von der Washington University School of Medicine, St. Louis, USA, die beim Kongress zur Diskussion der Studienergebnisse eingeladen war, betonte, dass die möglicherweise nur einmalige Behandlung „der große Vorteil des Gene-Editing-Ansatzes“ sei.

Abhängig von den Ausgangswerten reiche eine Senkung des LDL-Cholesterins um 50 bis 70% zwar möglicherweise nicht aus, um den LDL-C-Zielwert zu erreichen, ergänzte sie. Aber selbst wenn Patienten anschließend „vielleicht nur noch ein oder 2 Tabletten am Tag brauchen, könnte das die Therapieadhärenz fördern.“

Bislang keine besorgniserregenden Nebenwirkungen

Bis dato waren die meisten unerwünschten Ereignisse, die in der Studie auftraten, leicht und standen nicht mit der Behandlung in Zusammenhang. Schwere kardiovaskuläre Ereignisse – ein Herzstillstand, ein Herzinfarkt und eine Arrhythmie – traten bei 2 Patienten mit fortgeschrittener KHK auf. „Alle Sicherheitsereignisse wurden vom unabhängigen Datenüberwachungskomitee überprüft, es empfahl die Fortführung der Studie ohne Anpassungen des Protokolls“, sagte Bellinger.

Die Studie schließt weiterhin Patienten ein, die die höchste Dosis VERVE-101 erhalten sollen. Nach einem Jahr Follow-up werden alle Teilnehmenden in eine Langzeit-Follow-up-Studie eingeschlossen, die für weitere 14 Jahre laufen wird. Dabei handelt es sich um eine Vorgabe der US-Arzneimittelbehörde FDA für Gene-Editing-Studien am Menschen.

„Bislang gibt es nur Follow-up-Daten bis Tag 180“, so Goldberg. „Es muss sich erst noch zeigen, ob der Effekt dauerhaft ist. Auch Off-Target-Effekte des Gene-Editing kann man noch nicht ausschließen: Möglicherweise gibt es unerwünschte Veränderungen in anderen Genen oder nicht-kodierenden Regionen der DNA.“ Sollte sich die Gene-Editing-Therapie aber als sicher und effektiv erweisen, geht Goldberg davon aus, dass sie zu einem Game Changer in der Behandlung zu hoher LDL-Cholesterinspiegel werden könnte.

 

Kommentar

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