Weniger Todesfälle durch COVID-19 in 2022; neue WHO-Empfehlungen zur Therapie; wie sich Coronaviren unterscheiden

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

16. November 2023

Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.

Corona-Newsblog, Update vom 16. November 2023

  • COVID-19 – die Lage in Deutschland

  • Todesursachen-Statistik 2022: Anteil der COVID-19-Toten sinkt

  • Weniger COVID-19-Todesfälle bei hämatologischen Patienten mit fortschreitender Pandemie-Dauer

  • WHO: Empfehlungen zur Pharmakotherapie bei COVID-19

  • Hohes Rezidiv-Risiko unter Nirmatrelvir-Ritonavir

  • Was passiert, wenn sich Patienten gleichzeitig mit COVID-19 und Grippe oder RSV infizieren?

  • Warum unterscheiden sich Coronaviren so stark in ihrer Virulenz? 

COVID-19 – die Lage in Deutschland

Im Corona-Pandemieradar berichtet das Bundesministerium für Gesundheit über aktuelle Zahlen. Die 7-Tage-Inzidenz liegt bei 26 COVID-19-Fällen pro 100.000 Einwohner (Vorwoche: 22). Als Hospitalisierungsinzidenz geben Epidemiologen 5,5 Fällen innerhalb von 7 Tagen und pro 100.000 Einwohner an (Vorwoche: 5,8). Aktuell befinden sich 783 Patienten mit COVID-19 in intensivmedizinischer Behandlung (Vorwoche: 780). Der Anteil der Messtationen mit steigender SARS-CoV-2-Viruslast im Abwasser liegt bei 55% (Vorwoche: 65%).

Todesursachen-Statistik 2022: Anteil der COVID-19-Toten sinkt

Laut Datenanalyse des Statistischen Bundeamts (DESTATIS) sind bundesweit in Jahr 2022 genau 1.066.341 Menschen gestorben. Das waren 4,2% mehr als im Jahr 2021. 

Die häufigste Todesursache war wie in den Vorjahren eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Darauf sind 33,6% aller Sterbefälle zurückzuführen. An zweiter Stelle stehen maligne Erkrankungen (21,7 %). 

Eine COVID-19-Erkrankung war in 2021 mit 6,9% noch die dritthäufigste Todesursache. In 2022 ließen sich 4,9% aller Sterbefälle auf diese Erkrankung zurückführen. 

Weniger COVID-19-Todesfälle bei hämatologischen Patienten mit fortschreitender Pandemie-Dauer

Patienten mit hämatologischen Grunderkrankungen haben wegen ihres geschwächten Immunsystems und ihrer antineoplastischen Behandlung ein höheres Risiko für Infektionen mit SARS-CoV-2. Im März 2020 waren ca. 2-3% der hämatologischen Patienten an COVID-19 erkrankt. Impfstoffe gab es ab Dezember 2020. Sie wirkten aber bei dieser Population schwächer, gemessen an der Allgemeinbevölkerung. 

Wie  Univadis.de  berichtet, zeigen Daten des Registers EPICOVIDEHA der Europäischen Gesellschaft für Hämatologie mit etwa 9.000 Patienten eine sinkende Mortalität durch COVID-19 und eine gute Wirksamkeit der Impfung.

Ausgehend vom Wildtyp über die Varianten Alpha und Delta hin zu Omikron haben sich die Behandlungsergebnisse stetig verbessert. Die Mortalität in Zusammenhang mit COVID-19 lag zunächst bei 30% (Wildtyp), und bei der Alpha-Variante bei 18%. Zu Beginn der Delta-Welle lag sie bei 19%, an deren Ende bei 9%. Sie verringerte sich unter Omikron zum Ende des Jahres 2022 auf 4%. Über die Zeit erwies sich die Impfung als Schlüsselfaktor für das Überleben – bereits nach einer einzigen Dosis.

Unabhängige Risikofaktoren für Komplikationen waren neben dem Alter Komorbiditäten, das Vorliegen einer Lymphopenie, eine aktive hämatologische Erkrankung und die Schwere der COVID-19-Erkrankung.

Unter 326 Empfängern einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation, die median 268 Tage nach Therapiebeginn an COVID-19 erkrankt waren, lag die Gesamtmortalität bei 21%. Patienten, die vor der Ansteckung geimpft worden waren, hatten eine Mortalität von 14%, und Patienten, die bereits vor der Transplantation geimpft waren, hatten eine Mortalität von 9%.

Frühere Studien hatten bei Empfängern von CAR-T-Zelltherapien eine sehr hohe Mortalität in Zusammenhang mit COVID-19 dokumentiert. Daten von 64 Patienten aus dem EPICOVIDEHA-Register zeigen nach einer Infektion mit der Omikron-Variante eine Mortalität von 7%: ein trotz der kleinen Fallzahlen signifikanter Unterschied zu früheren Varianten (58%). Die 26 geimpften Patienten mussten mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf die Intensivstation (39% versus 14%, p=0,054) und hatten deutlich kürzere Klinikaufenthalte (27,5 versus 7 Tage, p=0,022). Als einzig wirksame Therapie bei COVID-19 stellten sich monoklonale Antikörper heraus. Sie konnten die Mortalität von 32% auf 0% senkten (p=0,036).

WHO: Empfehlungen zur Pharmakotherapie bei COVID-19

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im  BMJ  ihr mittlerweile 14. Update der „Living Guideline“ zu COVID-19 veröffentlicht. Grundlage der Aktualisierung sind neue Erkenntnisse aus klinischen Studien.

Anders als zu Beginn der Pandemie verlaufen viele Erkrankungen zwar recht mild. Dennoch gilt es, gefährdete Personengruppen vor schwerem COVID-19 zu schützen. Ein hohes Risiko für Hospitalisierungen (6%) haben laut Leitlinie Patienten mit Immunschwäche, mit Immunsuppression bzw. nach einer Organtransplantation. Bei Adipositas, Diabetes, Herz-, Lungen-, Lebererkrankungen, Krebs und Behinderungen ist das Risiko für stationäre COVID-19-Therapien mittelhoch (3%). Alle anderen Patientengruppen sind im Bereich eines niedrigen Risikos einzuordnen (0,5%). 

Die Experten empfehlen Nirmatrelvir-Ritonavir bei Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion und hohem bzw. mittlerem Risiko einer Krankenhauseinweisung. Molnupiravir sollte nur für Patienten mit hohem Risiko für eine Hospitalisierung eingesetzt werden. 

Zu Remdesivir und Molnupiravir raten die Autoren bei Patienten mit mildem COVID-19 und mit mäßigem oder geringem Risiko einer Krankenhauseinweisung. Und das Virostatikum VV116 sollte nur in klinischen Studien zum Einsatz kommen. Erneut sprechen sich die Autoren gegen den Einsatz von Ivermectin aus. 

Nach Ansicht der Experten spiegeln die neuen Empfehlungen Veränderungen der Virulenz und der Übertragbarkeit der zirkulierenden SARS-CoV-2-Varianten sowie die Veränderungen der Immunität in Zusammenhang mit Impfungen wider.

Hohes Rezidiv-Risiko unter Nirmatrelvir-Ritonavir

Laut einer Analyse, die in den  Annals of Internal Medicine  veröffentlicht worden, führen antivirale Medikamente bei ambulanten Patienten nicht selten zum viralen Rezidiv. 

In einer Kohortenstudie wurden Patienten mit akutem COVID-19, die 5 Tage lang Nirmatrelvir-Ritonavir (Paxlovid®; n=72) erhalten hatten, mit Patienten ohne diese Therapie verglichen (n=55). Alle Patienten wurden ambulant behandelt.

Bei 15 von 72 Personen (20%), die Nirmatrelvir-Ritonavir einnahmen, kam es zu einem viralen Rezidiv, verglichen mit 1 von 55 Personen ohne diese Therapie. 8 der 16 Personen mit Rezidiv berichteten über typische Symptome. Menschen mit Rezidiv unter Nirmatrelvir-Ritonavir schieden SARS-CoV-2 im Mittel 14 Tage lang aus, verglichen mit 3 Tagen bei Personen ohne diese Pharmakotherapie. 

„Bei Patienten mit COVID-19 mit geringem Risiko für eine schwere Erkrankung sollte die Möglichkeit einer längeren Ausscheidung bei der Abwägung potenzieller Risiken und Vorteile einer Behandlung berücksichtigt werden“, schreiben die Forscher.

Was passiert, wenn sich Patienten gleichzeitig mit COVID-19 und Grippe oder RSV infizieren?

Wie die Virus-Saison 2023/2024 verlaufen wird, weiß niemand. In der letzten Saison haben RSV, COVID-19 und Grippe nicht zeitgleich ihr Maximum erreicht, was sowohl für Patienten als auch für Gesundheitssysteme eine gute Nachricht war. Zu Mehrfach-Infektionen ist es dennoch gekommen, wie  Medscape.com  berichtet.

Letzten Winter sah Dr. Panagis Galiatsatos, ein Pneumologe und Intensivmediziner an der Johns Hopkins University Baltimore, zum 1. Mal Patienten, die sowohl mit COVID-19 als auch mit Grippe infiziert waren. Weitaus häufiger, sagte er, hätten Patienten nur eines dieser Viren gehabt. Dennoch sei die Zahl der Menschen, die sowohl an Grippe als auch an COVID erkrankt seien, letztes Jahr „alarmierend“ gewesen. „Patienten mit Koinfektionen waren bei weitem am schwersten erkrankt“, sagte Galiatsatos.

Studien zu COVID-19 haben auch gezeigt, dass das Immunsystem nach der Genesung von einer Infektion langfristig geschädigt werden kann. Forscher haben außerdem  herausgefunden, dass Patienten, die positiv auf Influenza getestet wurden, ein geringeres Risiko hatten, positiv auf COVID-19 getestet zu werden. Aber bei Patienten, die Koinfektionen hatten, war die Krankheit viel schwerwiegender und hinterließ noch mehr langfristige Schäden an der Lunge. 

Dr. William Schaffner, ein Experte für Präventivmedizin an der Vanderbilt University in Nashville, bringt Verhaltensweisen als Risikofaktoren in das Gespräch. „Wenn Menschen nicht geimpft sind, keine Masken tragen (…) oder sich ständig Menschenmengen auszusetzen, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie sich im Laufe des Winters eine oder mehrere dieser Infektionen einfangen.“ 

Warum unterscheiden sich Coronaviren so stark in ihrer Virulenz? 

Eine Vielzahl an Studien zeigt: Die Coronaviren HKU1, 229E, NL63 und OC43 sind vergleichsweise harmlos, während SARS-CoV-1, Mers-CoV und SARS-CoV-2 zu schweren Erkrankungen führen können. 

Bisher war unbekannt, an welche Rezeptoren im Atemtrakt HKU1 und OC43 binden. Forscher ist es jetzt gelungen, die Eintrittspforte des HKU1-Virus zu identifizieren, wie sie in  Nature  berichten.

Das HKU1-Virus wurde erstmals 2005 bei einem älteren Patienten mit einer schweren Lungenentzündung in Hongkong identifiziert. Es infiziert hauptsächlich Zellen des oberen Atemtrakts, selten die Bronchien und die Lungenbläschen. Meist führt eine Infektion zu erkältungsähnlichen Beschwerden. Schätzungen zufolge sind zwischen 75 und 95% der Weltbevölkerung mit diesem Virus in Berührung gekommen.

Um Zellen zu infizieren, nutzt das Coronavirus NL63 wie SARS-CoV-2 das Angiotensin Converting Enzyme 2 (ACE2) als Rezeptor, während das Virus 229E die menschliche Aminopeptidase-N nutzt.

Die Spike-Proteine der Viren HKU1 und OC43 binden über das Sialinsäure-Acetat 9-O40 an Zellen, aber ihre Membranrezeptoren waren bislang unbekannt. In der neuen Studie zeigen die Autoren, dass die Protease TMPRSS2 ein Rezeptor für das HKU1-Virus ist. Sie weist eine hohe Affinität zum Spike-Protein des HKU1-Virus auf, was bei SARS-CoV-2 nicht der Fall ist. 

Die von Forschern entwickelten und patentierten Anti-TMPRSS2-Nanoantikörper sind in der Lage, die Interaktion des Spike-Proteins des HKU1-Virus mit TMPRSS2, die Fusion und die Virusinfektion zu hemmen. Diese Nanoantikörper verringern die Infektion von Bronchialzellen menschlichen Ursprungs mit dem HKU-1-Virus in vitro, was sie zu einem relevanten therapeutischen Ansatzpunkt macht.

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Kommentar

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