Der Verkauf von Cannabis als Genussmittel in Kanada nach dessen Legalisierung hat laut einer neuen Studie zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen wegen Cannabis-assoziierter Gesundheitsprobleme geführt. Darunter waren auch Cannabis-induzierte Psychosen [1].
Laut Querschnittsanalyse mit 26,9 Millionen Personen ist die Rate der Krankenhauseinweisungen aufgrund von Cannabis zwischen 2015 und 2021 um das 1,62-Fache angestiegen. Den stärksten Anstieg gab es nicht direkt nach der Legalisierung, sondern ab dem Zeitpunkt der kommerziellen Verfügbarkeit. Unter anderem berichten die Autoren von einem 40-prozentigen Anstiegs der Krankenhauseinweisungen wegen Cannabis-induzierter Psychosen.

Dr. Daniel T. Myran
Dr. Daniel T. Myran, Erstautor der Studie, hat die Ergebnisse für Medscape kommentiert. Er ist Arzt für Familienmedizin und öffentliche Gesundheit an der Universität von Ottawa und Forscher am Bruyère Research Institute in Ottawa. Die neue Studie mache deutlich, „dass es einen großen Unterschied zwischen der Legalisierung oder Entkriminalisierung von Cannabis und seiner Kommerzialisierung gibt“.
Effekte der Legalisierung und der Kommerzialisierung
Für ihre Studie werteten die Forscher Daten des kanadischen Gesundheitssystems aus, speziell zu stationären Krankenhausaufenthalten aufgrund akuter Erkrankungen. Erfasst wurden Daten von Patienten zwischen 15 und 105 Jahren aus den bevölkerungsreichsten Provinzen Ontario, Quebec, Alberta und British Columbia.
Die Autoren verglichen Veränderungen bei Krankenhauseinweisungen aufgrund von Cannabis in den folgenden Zeiträumen:
vor der Legalisierung (Januar 2015 bis September 2018),
nach der Legalisierung, als Cannabis noch nicht flächendeckend verfügbar war (Oktober 2018 bis Februar 2020),
in der Phase mit Kommerzialisierung von Cannabis (März 2020 bis März 2021).
Während des Studienzeitraums gab es 105.203 Krankenhauseinweisungen aufgrund von Cannabis. Meist waren Männer betroffen (65,8%); 1 Drittel betraf Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 15 bis 24 Jahren.
Die alters- und geschlechtsstandardisierte Rate der Krankenhauseinweisungen aufgrund von Cannabis stieg um das 1,62-Fache: von 3,99 pro 100.000 Personen im Januar 2015 auf 6,46 pro 100.000 Personen im März 2021.
Der größte relative Anstieg der Krankenhauseinweisungen war auf Cannabis-assoziierte Psychosen zurückzuführen. Hier fanden die Autoren einen Zuwachs von 40% (Ratenverhältnis 1,40).
Der Zeitraum der Legalisierung mit kommerziellen Einschränkungen des Erwerbs war mit einem monatlichen Rückgang von -0,06 Krankenhauseinweisungen aufgrund von Cannabis pro 100.000 Personen verbunden.
Während des Zeitraums der Kommerzialisierung, der mit der COVID-19-Pandemie zusammenfiel, kam es zu einem unmittelbaren Anstieg von 0,83 Krankenhauseinweisungen aufgrund von Cannabis pro 100.000 Personen.
Legalisierung ja, Kommerzialisierung nein
Durch die Legalisierung von Cannabis würden Konsumenten entkriminalisiert, sagt Myran. „Das ist ein Gewinn für die öffentliche Gesundheit. Es gibt sehr aussagekräftige Daten darüber, dass der illegale Konsum von Cannabis dazu geführt hat, dass viele junge Menschen vorbestraft sind, und in Kanada trifft es unverhältnismäßig viele schwarze und indigene Jugendliche. Man wird vorbestraft, und das hat erhebliche soziale Folgen.“
Kurz bevor Cannabis in Kanada legalisiert wurde, war der Erwerb vergleichsweise einfach. Geschäfte am Rande der Legalität wurden von der Polizei nicht mehr geschlossen. Im Vorfeld der Legalisierung nahm der Cannabiskonsum zu. Als jedoch die Legalisierung mit Einschränkungen eingeführt wurde, gingen die Krankenhauseinweisungen wegen Cannabiskonsums zurück.
„Die Legalisierung in Kanada wurde schrittweise eingeführt, d.h., es gab eine anfängliche Legalisierung mit Einschränkungen, bei der die Regierung nur den Verkauf von getrockneten Cannabisblüten erlaubt hat“, berichtet Myran. „Es gab fast keine Läden, und man konnte tatsächlich einen Rückgang dieser Raten [an Hospitalisierungen] beobachten.“
Myran: „Aber später, als der Markt sich entwickelt hat und es eine große Anzahl von Geschäften gab, führte dies zu neuen Produkten wie E-Zigaretten, Lebensmitteln, Konzentraten und mit Cannabis angereicherten Getränken.“ Dies habe sich zufällig mit der COVID-19-Pandemie überschnitten. „Wir haben einen sprunghaften Anstieg der Cannabis-Krankenhauseinweisungen gefunden.“
Der Cannabiskonsum sei für manche Menschen sehr schädlich. Es sei bekannt, dass Cannabiskonsum bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit der Entwicklung von Psychosen in Verbindung gebracht wird, so Myran.
„Es gibt Personen, die für die Entstehung einer Psychose prädisponiert sind, und Cannabis scheint bei diesen anfälligen Personen psychotische Episoden auszulösen“, weiß Myran. „In einer Studie entwickelten 26% der Personen, die mit einer durch Cannabis ausgelösten Psychose in die Notaufnahme kamen, innerhalb der nächsten 3 Jahre eine Schizophrenie.“ Sein Fazit: „Wir brauchen eine Legalisierung, aber keine Kommerzialisierung.“
Fördern neue Regelungen den Cannabis-Missbrauch?
Prof. Dr. Simon Sherry, Professor für Psychologie an der Dalhousie University in Halifax, Nova Scotia, Kanada, kommentierte die Ergebnisse für Medscape: „Dies ist eine wichtige und aussagekräftige Arbeit, die uns hilft, zu verstehen, dass unsere Regierung eine aktive Rolle bei der Schaffung einer Kultur des Cannabis-Missbrauchs spielt.“ Durch die zunehmende Kommerzialisierung steige die Verfügbarkeit von Cannabis, so dass es zu Problemen mit Missbrauch und übermäßigem Konsum kommen werde.

Prof. Dr. Simon Sherry
Die Behauptung, dass der Verkauf von Cannabisprodukten eine Einnahmequelle für die Regierungen darstelle, könne zwar zutreffen. Die Haupteinnahmequelle seien aber regelmäßigen Konsumenten, so Sherry. „Das schmutzige Geheimnis bei der Legalisierung und Kommerzialisierung von Cannabis ist, dass die meisten Einnahmen von regelmäßigen oder süchtigen Kunden stammen. Jemand, der 1 Gramm kauft und innerhalb eines Monats konsumiert, ist kein guter Kunde. Die guten Kunden sind häufige Konsumenten und süchtige Personen, die 5 Gramm Cannabis pro Tag rauchen.“
Die Kommerzialisierung führe zu einer direkteren Ansprache suchtgefährdeter Menschen, so Sherry. „In Nova Scotia zum Beispiel werben wir für Cannabis als Mittel zur Entspannung und zur Verbesserung der eigenen Erfahrung. Wenn Sie zu Suchtproblemen neigen, bedeutet diese Botschaft und die zunehmende physische Verfügbarkeit von Cannabis durch die Kommerzialisierung, dass wir mehr Cannabisprobleme haben werden. Wenn es also mehr Cannabis-Verkaufsstellen gibt, wenn Cannabisprodukte stark kommerzialisiert werden, dann führt das zu mehr Cannabis-assoziierten Problemen in unserer Gesellschaft.“
Cannabis sei keine harmlose Substanz, betont Sherry. Er schlägt vor, Cannabis besser so zu vermarkten, dass Konsumenten erkennen, welche Schäden der Konsum verursachen kann – wie derzeit bei Tabak-Produkten.
„Anstelle der derzeitigen lockeren und freizügigen Haltung müssen wir … anerkennen, dass Cannabis Teil unseres Alltags sein wird, dass einige Menschen es konsumieren und einige es missbräuchlich konsumieren werden, und dass wir den Konsum von Cannabis als ein Problem für die öffentliche Gesundheit betrachten müssen“, sagte Sherry.
Der Beitrag ist im Original erschienen auf www.medscape.com und wurde von Michael van den Heuvel übersetzt und adaptiert.
Credits:
Photographer: © David Soler Marco
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2023 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Nicht die Legalisierung von Cannabis macht Probleme, sondern die Kommerzialisierung – das zeigen kanadische Daten - Medscape - 15. Nov 2023.
Kommentar