In der Forschungsstation des Alfred-Wegener-Instituts in der Antarktis leben und arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter extremen Bedingungen. Eine ärztliche Versorgung ist da nicht wegzudenken. Dr. Tim Heitland war selbst Überwinterungsarzt auf der Station. Im Interview mit Coliquio berichtet er, wie die ärztliche Arbeit dort aussieht und was er besonders daran schätzt.
Coliquio: Wie sind Sie beruflich in die Antarktis gekommen?
Heitland: Das erste Mal in die Antarktis gekommen bin ich 2016 als Überwinterer. Ich war von 2016 bis 2018 Überwinterungsarzt und Stationsleiter an der Neumayer Station III. Die Stellenanzeige für diese Position im Deutschen Ärzteblatt hatte schon immer eine große Anziehungskraft auf mich gehabt. Mich reizte die Herausforderung des Ortes und der Aufgabe, das auf sich und sein Team zurückgeworfen sein, in einzigartiger Natur und dabei einem Zweck zu dienen, mit dem ich mich voll identifizieren kann.

Polarlicht über der Forschungsstation Neumayer III in der Antarktis (Tim Heitland)
Coliquio: Wie sieht Ihr beruflicher Werdegang aus?
Heitland: Ich habe eine recht klassische Krankenhauskarriere hinter mir. Facharzt Chirurgie, Viszeralchirurgie, spezielle Viszeralchirurgie, Proktologe. Daneben bin ich ein paar Jahre als Notarzt gefahren und habe berufsbegleitend einen Master in Gesundheitsökonomie gemacht.
Coliquio: Welche Voraussetzungen waren für Ihre Arbeit dort notwendig?
Heitland: Voraussetzung für die Anstellung als Überwinterungsarzt/-ärztin ist ein Facharzttitel in Chirurgie. Die Allgemein-, Unfall- und Viszeralchirurgie decken hier natürlich am ehesten das im Zweifel zu erwartende Spektrum ab. Es haben aber auch Kolleginnen und Kollegen anderer chirurgischer Disziplinen sehr erfolgreich überwintert. Die Fachkunde Strahlenschutz muss vorhanden sein, genauso wie die im Rettungsdienst oder die Qualifikation Notfallmedizin. Erfahrung in diesem Bereich ist notwendig, Erfahrung in der Anästhesie ist vorteilhaft. Ebenso in der Zahnheilkunde.
Während der 4-monatigen Vorbereitungszeit für die Überwinterung findet, neben vielen anderen Dingen, auch ein 4-wöchiges Anästhesiepraktikum sowie ein 3-wöchiges Zahnmedizinpraktikum statt.
Coliquio: Wie sieht der Arbeitsalltag auf der Neumayer Station III aus?
Heitland: Das hängt von der Position ab. Die Ärztin/der Arzt hat zum einen natürlich den Auftrag, für die Gesundheit des Teams Sorge zu tragen und diese im Zweifel wiederherzustellen. Dazu steht ein Hospital mit Behandlungsraum und OP zur Verfügung, eine ganz umfangreiche Apotheke und jede Menge Instrumente und diagnostische Apparate. Wir haben zum Beispiel einen Steri, ein Ultraschallgerät, digitales Röntgen, Zahnröntgen, einen C-Bogen. Dann Laborgeräte, EKG, Telemedizin usw.
Neben der eigentlichen ärztlichen Tätigkeit muss das Hospital mitsamt allen Geräten regelmäßig gewartet und geprüft werden. Die Sachen müssen ja in einwandfreiem Zustand und funktionstüchtig sein. Dazu gehört auch einmal im Monat ein Telemedizintest mit unserem Partnerkrankenhaus in Bremerhaven-Reinkenheide. Dann die Inventuren – und das sind jede Menge. Wir bekommen einmal im Jahr eine Lieferung, da muss alles dabei sein, was man benötigt, was abläuft, verbraucht ist oder verworfen wurde. Das ist eine ziemliche Aufgabe, aber notwendig.
Die Ärztin/der Arzt betreut auch mehrere medizinische Studien, die, vereinfacht gesagt, unter der Überschrift „Weltraummedizin“ laufen. Und er oder sie ist für die Hygienebelange der Station zuständig.
In der Doppelfunktion als Stationsleitung kommen dann noch eine ganze Menge weitere Aufgaben dazu. Sicherheit, Kommunikation, Teambelange, Planung etc. Langweilig wird es keinem.
Darüber hinaus ist so eine Überwinterung immer auch Teamsport. Alleine wird das nichts. Und deshalb ist es auch ganz selbstverständlich so, dass man sich gegenseitig hilft und unterstützt, wo man kann. Was im Übrigen nicht nur das Leben einfacher macht (Stichwort Inventuren), sondern auch überaus interessant und abwechslungsreich werden lässt.
Coliquio: Was sind häufige ärztliche Einsatzgebiete, und wo sind der ärztlichen Behandlung am Südpol Grenzen gesetzt?
Heitland: Im Prinzip kann man sich das wie eine hausärztliche Zahnarztpraxis vorstellen, die weltraummedizinische Studien betreut und sich, wenn nötig, in ein Kreiskrankenhaus verwandelt und unfallchirurgisch/orthopädisch oder in anderer Hinsicht tätig wird. Wir tun extrem viel dafür, dass niemand krank wird und Unfälle verhütet werden. Dazu dienen die Voruntersuchungen, und Arbeitssicherheit ist ein ganz wichtiges Thema.
Es gibt deutlich geeignetere Orte für Risiken oder gar Leichtsinn als die Antarktis im Winter. Da ist man nämlich tatsächlich auf sich allein gestellt, mal abgesehen von der Telemedizin. Und darin liegt auch die Antwort auf die Frage nach den Grenzen. Die Man- oder Womanpower ist endlich. Man hat nur 2 Hände.
Coliquio: Gibt es etwas, das Sie an der dortigen Arbeit besonders schätzen?
Heitland: Ganz vieles sogar! Es ist absolut großartig, Teil eines hoch motivierten Teams zu sein. Es ist wunderbar, Medizin, in ihrer – vielleicht – ursprünglichen Art, fernab von Verwaltung, Bürokratie und sonstigen Zwängen praktizieren zu können. Als eigentliches ärztliches Handeln. Dann das Wetter, Kälte, Polarlichter, Milchstraße, die Landschaft, die Tierwelt. Der Horizont, den man bekommt – und damit meine ich nicht nur den unendlich weiten, weißen, sondern auch den, der durch das über den Tellerrand gucken entsteht.
Coliquio: Was sind für Sie die größten Herausforderungen bei der ärztlichen Tätigkeit am Südpol?
Heitland: Im Zweifel, mit dem auszukommen, was man vor Ort hat. An Material und Personal. Und dann natürlich auch die Dauer etwaiger Rettungsketten. Die ist zum einen der Entfernung, zum anderen dem extremen Wetter und dann, je nach Saison, auch der Verfügbarkeit von Transportmitteln geschuldet.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de .
Credits:
Lead Image: Tim Heitland)
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Diesen Artikel so zitieren: Als Arzt in der Antarktis überwintern – wie die medizinische Versorgung einer Forschungsstation den Horizont erweitert - Medscape - 14. Nov 2023.
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