Ungewöhnliche Krebstherapie: Mit Strom gegen aggressive Tumore –Tumortherapiefelder nun auch bei Lungenkrebs im Einsatz

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

14. November 2023

Im September 2023 berichtete eine internationale Forschungsgruppe in Lancet Oncology, dass Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) in der Rezidivsituation 3,3 Monate länger leben, wenn sie zusätzlich zur Standardtherapie mit Tumortherapiefeldern (TTFields) behandelt werden [1]. Es ist die mittlerweile 3. Krebserkrankung, bei der TTFields einen signifikanten Überlebensvorteil zeigen. Dennoch ist die bislang vor allem beim Glioblastom eingesetzte Therapie umstritten.

Prof. Dr. Martin Glas

Bei der Therapie mit TTFields wird der Tumor einem elektrischen Wechselfeld ausgesetzt. Zu diesem Zweck erzeugt ein tragbarer Feldgenerator lokal schnell wechselnde elektrische Felder niedriger Intensität (1-3 V/cm) und intermediärer Frequenz (100-300 kHz). Sie werden über sogenannte Transducer-Arrays an den Körper abgegeben.

„In Europa sind TTFields bislang für die Behandlung des Glioblastoms und des Astrozytoms ZNS WHO Grad 4 sowie des Pleuramesothelioms zugelassen. Sie werden aber bei einer Reihe solider Tumore untersucht“, berichtet Prof. Dr. Martin Glas, Leiter der Abteilung Klinische Neuroonkologie der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Essen.

In der aktuell publizierten LUNAR-Studie war es das metastasierten NSCLC, bei dem Tumortherapiefelder das mediane Gesamtüberleben im Vergleich zur Standardtherapie alleine (Immun-Checkpoint-Inhibitoren [ICI] oder Docetaxel) von 9,9 auf 13,2 Monate signifikant verlängerten. Im Detail wurde das mediane Gesamtüberleben durch die Hinzunahme von TTFields zu einem ICI sogar signifikant von 10,8 auf 18,5 Monate verlängert.

Zudem laufen weitere Studien zum Bauchspeicheldrüsenkrebs, zum Glioblastom und nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) sowie zu Hirnmetastasen bei NSCLC.

Der Wirkmechanismus ist vielseitig

Tumortherapiefelder können aufgrund ihrer physikalischen Wirkweise vielfältige Bereiche des Tumorwachstums beeinträchtigen. Die Therapieform basiert auf der Beobachtung, dass rasch wechselnde elektrische Felder in Zellkulturen die Teilung von Tumorzellen stören. Es wird angenommen, dass die elektrischen Wechselfelder die Orientierung von geladenen Proteinen und Molekülen in der Zelle beeinflussen und sie in ihrer biologischen Funktion beeinträchtigen. Während der Mitose könnten sie auf diese Weise die Ausbildung des Spindelapparates und den regulären Ablauf der Zellteilung stören. Darüber hinaus wurden auch Effekte auf die Migration gezeigt.

Neue Untersuchungen beschäftigen sich mit dem Einfluss von Tumortherapiefeldern auf DNA-Reparaturmechanismen und mit dem Thema antitumorale Immunität. „Letzteres ist noch Gegenstand der gegenwärtigen Diskussion und Forschung. Man weiß aber schon jetzt, dass es durch die Therapie mit TTFields zur Induktion eines immunogenen Zelltods kommen und das Immunsystem aktiviert werden kann. Das Immunsystem kann sich dann wiederum verstärkt gegen den Tumor richten“, erklärt Glas. „Dieser Wirkmechanismus diente auch als Grundlage für die LUNAR-Studie und wird in weiteren klinischen Studien – beim Glioblastom, NSCLC und Bauchspeicheldrüsenkrebs – nun getestet und weiter erforscht.“

Die meiste klinische Erfahrung mit TTFields gibt es bei der Behandlung von Patienten mit Glioblastom während und nach der Erhaltungsphase mit Temozolomid. Bei dem aggressiven Hirntumor wurde gezeigt, dass Tumortherapiefelder effektiv sein können. „In der Primärsituation besteht die häufig eingesetzte Routinetherapie des Glioblastoms – das sogenannte Stupp-Schema – aus der chirurgischen Resektion, falls diese möglich ist, und der anschließenden Radiochemotherapie“, erläutert PD Dr. Laila König, Geschäftsführende Oberärztin an der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie des Universitätsklinikums Heidelberg.

In der EF-14-Studie verlängerte sich das Gesamtüberleben signifikant von 16,0 auf 20,9 Monate, wenn die Patienten mit einem neudiagnostiziertem Glioblastom nach der Radiochemotherapie zusätzlich mit TTFields behandelt wurden, statt nur die standardmäßige Erhaltungstherapie mit Temozolomid zu erhalten. Eine kürzlich veröffentliche Metaanalyse zur Wirksamkeit in der klinischen Routine unterstützt die Ergebnisse aus der EF-14 Studie.

Erste neue Therapieoption seit Langem

„Das mag zunächst nach wenigen Monaten klingen, ist jedoch für diese Patienten und diese Entität doch relativ viel“, so König. Dennoch ist die Therapieform umstritten. Einerseits wird die Behandlungsmethode als eine neue und positive Therapieoption beschrieben: „Für das Glioblastom haben wir das 2005 publizierte Stupp-Schema, seitdem haben wir in fast 30 randomisierten Phase-3-Studien versucht, diesen Standard zu schlagen, was aber nur in 2 Studien, die auch für jüngere Patienten zugelassen waren, gelungen ist“, berichtet Glas. „Das war zum einen die EF14-Studie mit TTFields und zum anderen in der CeTeG-Studie eine Kombinations-Chemotherapie, die allerdings nur in einer Subgruppe mit methyliertem MGMT-Promotor zum Einsatz kommt.“

Ein Problem der EF-14 Studie ist, dass es die relativ ungewöhnliche Patientenpopulation erschwert, eine Gruppe zu definieren, die voraussichtlich von der Behandlung profitiert, oder zu ermitteln, wann genau mit der Therapie begonnen werden sollte.

Nur ein Hersteller für TTFields-Geräte

Bisher gibt es nur einen Hersteller, der Geräte für die Behandlung mit Tumortherapiefeldern anbietet. Die Novocure GmbH vermarktet unter dem Handelsnamen Optune® ein Gerät zur Behandlung des Glioblastoms und unter dem Handelsnamen Optune Lua® ein Gerät zur Behandlung des Pleuramesothelioms. Die Behandlung mit TTFields wird von speziell qualifizierten Ärzten verschrieben. Eine Übersicht über die rund 260 deutschen Zentren mit zertifizierten Behandlern findet sich hier.

Ein Kritikpunkt an Tumortherapiefeldern besteht auch darin, dass die Therapie für die Patienten sehr belastend sein kann. Für die Therapie mit TTFields werden die Transducer-Arrays auf die rasierte Haut geklebt. Sie sind über einen Konnektor und ein Anschlusskabel mit einem tragbaren Wechselfeldgenerator verbunden. Feldgenerator und Batterie wiegen zusammen etwa 1,2 kg und werden in einem Rucksack oder einer Umhängetasche getragen.

Therapie wird Teil der täglichen Routine

Es handelt sich um eine Dauertherapie, das Gerät soll mindestens 18 Stunden am Tag getragen werden. „Man weiß, dass die Länge der Tragezeit prognostisch relevant ist“, sagt König. „Idealerweise wird das Gerät nur zum Duschen abgenommen.“

Allerdings konnte sich die Kritik in allen bisher durchgeführten akademischen Analysen zur Lebensqualität nicht bestätigen. So unterschied sich beispielweise in einer Sekundäranalyse der EF-14-Studie die Lebensqualität nicht zwischen den Gruppen mit und ohne TTFields. Eine Ausnahme bildete nur das durch die Transducer-Arrays bedingte Hautjucken.

Ob das auch in der klinischen Routine der Fall ist, wird in der Real-Life-Studie TIGER untersucht: Sie zeigte bislang über einen Nachbeobachtungszeitraum von bisher 4 Monaten einen stabilen Verlauf der Lebensqualitätsdaten und bestätigt damit die Erkenntnisse aus EF-14.

Gute Compliance, wenig Nebenwirkungen

Auch die Compliance der Patienten ist nach Glas und König gut – beide sind qualifizierte TTFields-verschreibende Ärzte. „Viele von ihnen tragen die Geräte über bis zu einem Dreivierteljahr mit Trageraten von 75 Prozent“, berichtet Glas. Dazu beitragen dürfte auch, dass die Therapie mit Tumortherapiefeldern gut verträglich ist. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind nicht bekannt. Nur lokale Hautreizungen bzw. Juckreiz durch die Transducer-Arrays sind mit etwa 50% betroffenen Patienten relativ häufig.

Zugelassen ist die Therapie in Deutschland zwar auch schon beim Pleuramesotheliom, von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet wird aber bislang nur die Behandlung des Glioblastoms mit Tumortherapiefeldern. Voraussetzung ist, dass der Tumor unter der postoperativen Radiochemotherapie nicht gewachsen ist und eine Therapieempfehlung einer interdisziplinären Tumorkonferenz vorliegt. Die TTFields-Therapie wird dann begleitend zur üblichen Erhaltungschemotherapie mit Temozolomid durchgeführt und kann bis zum 2. Rezidiv angewendet werden.
 

Kommentar

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