Philadelphia – Der GLP-1-Rezeptoragonist Semaglutid reduziert das Risiko schwerer kardiovaskulärer Ereignisse bei Erwachsenen mit Übergewicht oder Adipositas nach einer Anwendungsdauer von 34 Monaten um 20%, auch wenn diese nicht an Diabetes erkrankt sind. Das zeigen die Ergebnisse der mit Spannung erwarteten und nun bei den Scientific Sessions der American Heart Association präsentierten SELECT-Studie [1]. Zeitgleich sind sie nun auch offiziell im New England Journal of Medicine publiziert worden [2].
„Es handelt sich hierbei um eine herausragende Studie, die erstmals an mehr als 17.600 Patienten untersucht hat, ob 2,4 mg Semaglutid pro Woche bei Patienten mit vorbestehender kardiovaskulärer Erkrankung und Übergewicht, aber ohne Diabetes, kardiovaskuläre Ereignisse reduziert“, erläutert Prof. Dr. Andreas Zeiher, Außerordentlicher Professor für Kardiologie, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main.
Tatsächlich war bereits gezeigt worden, dass Semaglutid bei Menschen mit Typ-2-Diabetes das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse senken kann. Die Ergebnisse der jetzt beim Kongress präsentierten SELECT-Studie mit Nicht-Diabetikern wurden bereits Anfang August in einer Pressemittelung des Herstellers Novo Nordisk bekannt gegeben.
Gewichtsbedingte Todesfälle meist durch kardiovaskuläre Erkrankungen
„Ein hoher BMI war 2015 weltweit für schätzungsweise 4 Millionen Todesfälle verantwortlich, davon gingen mehr als 2 Drittel auf kardiovaskuläre Erkrankungen zurück“, sagte Studienleiter Dr. A. Michael Lincoff vom Department of Cardiovascular Medicine der Cleveland Clinic, Cleveland, USA, der die Studienergebnisse beim Kongress vorstellte. „Bislang konnte noch für keine Lebensstilintervention oder pharmakologische Therapie des Übergewichts oder der Adipositas gezeigt werden, dass sie kardiovaskuläre Komplikationen verringern können.“
An der in 41 Ländern durchgeführten Studie nahmen 17.604 Patienten über 45 Jahre teil, die bereits eine kardiovaskuläre Erkrankung (Herzinfarkt, Schlaganfall, symptomatische pAVK) hatten und deren BMI bei 27 oder höher lag. Sie hatten aber keinen Diabetes.
Sie erhielten randomisiert einmal wöchentlich eine Injektion mit 2,4 mg Semaglutid oder einem Placebo – zusätzlich zur Standardtherapie der bestehenden kardiovaskulären Erkrankung. Der primäre kardiovaskuläre Endpunkt setzte sich zusammen aus kardiovaskulärer Mortalität, nicht-tödlichem Myokardinfarkt und nicht-tödlichem Schlaganfall. Die Studienteilnehmenden wurden im Schnitt 34,2 Monate mit Semaglutid oder dem Placebo behandelt. Nachbeobachtet wurden sie durchschnittlich 39,8 Monate.
Weniger Todesfälle, Herzinfarkte und Schlaganfälle unter Semaglutid
In der Semaglutid-Gruppe kam es bei signifikant weniger Patienten zu einem primären Endpunktereignis als in der Placebogruppe: 569 von 8.803 Patienten (6,5%) versus 701 von 8.801 Patienten (8,0%). Die Hazard Ratio lag bei 0,80.
„Der zusammengesetzte primäre Endpunkt wurde um 20% von 8,0% in der Placebogruppe auf 6,5% in der Semaglutid-Gruppe reduziert, was einer absoluten Reduktion von 1,5% entspricht. Dieser Effekt ist durchaus klinisch relevant“, kommentierte Zeiher.
Subgruppenanalysen bestätigten den Effekt, der unabhängig von Geschlecht, Alter, BMI und HbA1c-Wer zugunsten des GLP-1-Rezeptoragonisten ausfiel.
Gestützt worden seien die Ergebnisse auch von der Analyse sekundärer Endpunkte, wie Zeiher hervorhob: „Erfreulicherweise tragen alle 3 Komponenten des kombinierten Endpunkts zur Ereignisreduktion bei.“ Der stärkste Effekt war auf nicht-tödliche Myokardinfarkte (28% Reduktion) zu beobachten, gefolgt von der kardiovaskulären Mortalität (15% Reduktion) sowie nicht-tödlichem Schlaganfall (7% Reduktion). Auch die Gesamtsterblichkeit wurde um 19% reduziert. Daneben zeigte sich auch eine Reduktion eines kombinierten Herzinsuffizienz-Endpunktes um 18%.
„Aufgrund der vordefinierten statistischen Analyse sind nicht alle Reduktionen der einzelnen Endpunkte formal signifikant, aber nominal absolut kongruent und klinisch bedeutsam“, betonte Zeiher.
Keine Überraschungen beim Nebenwirkungsprofil
Ein Blick auf das Verträglichkeitsprofil zeigt, dass schwere Nebenwirkungen unter Semaglutid sogar seltener auftraten als unter Placebo (33,4 vs 36,4%). Allerdings traten in der Semaglutid-Gruppe Nebenwirkungen, die zum Studienabbruch führen, signifikant häufiger auf als in der Placebogruppe – bei 16,6% versus 8,2% der Patienten. Meist handelte es sich dabei um gastrointestinale Nebenwirkungen.
„Akutes Nierenversagen oder Pankreatitiden waren in ihrer Häufigkeit nicht unterschiedlich in den Gruppen, Gallenblasen-bezogene Ereignisse jedoch höher mit 2,8% versus 2,3% in der Semaglutid-Gruppe. Diese Nebenwirkungsprofil ist für GLP-1-Rezeptoragonisten bekannt“, so Zeiher. Neue Sicherheitssignale oder ein höheres Risiko für schwere Nebenwirkungen unter Semaglutid seien nicht beobachtet worden, ergänzte er. „Insgesamt zeigen diese Ergebnisse ein sehr gutes Nutzen-Risiko-Profil.“
Lincoff schlussfolgerte, dass Semaglutid bei übergewichtigen oder adipösen Patienten mit präexistierender kardiovaskulärer Erkrankung, jedoch ohne Diabetes das Risiko für kardiovaskulären Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall um 20% senken kann. „Dieser Benefit zeigte sich frühzeitig und war über alle untersuchten Subgruppen und kardiovaskulären Endpunkte hinweg einstimmig.“
Wie senkt Semaglutid das kardiovaskuläre Risiko?
„Welche Mechanismen der Reduktion des kardiovaskulären Risikos mit Semaglutid zugrunde liegen, darüber kann derzeit nur spekuliert werden“, betonte Zeiher. „Es kann ein physiologischer Benefit des reduzierten metabolisch dysfunktionalen Körperfetts sein, aber auch Wirkungen von Semaglutid, die über den Gewichtsverlust hinausgehen.“
Semaglutid führte zu einer circa 10-%igen Gewichtsreduktion, einer 39-%igen Reduktion von C-reaktivem Protein (CRP) (vergleichbar mit Statinen) und einer signifikanten Reduktion des systolischen Blutdrucks – und diese Effekte traten relativ früh in der Nachbeobachtung auf. Für Zeiher spricht dies dafür, „dass nicht nur die Gewichtsreduktion selbst – die längere Zeit braucht –, sondern auch die physiologischen Parameter zur Reduktion der Ereignisse beigetragen haben“.
Tatsächlich ein Game Changer in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse
Insbesondere die CRP-Reduktion als Zeichen reduzierter Inflammation könne möglicherweise zu einer verbesserten Endothelfunktion, Plaquestabilisierung und verringerter Plättchenaggregation beigetragen haben, so Zeiher.
„Zusammenfassend sind die Ergebnisse vergleichbar mit den Ergebnissen aus den Diabetes-Studien für Semaglutid, hier aber jetzt ohne Diabetes in der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse bei Patienten mit Übergewicht. Dieses Therapieprinzip könnte somit in der Tat ein Game Changer in der Sekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen werden, bei denen Übergewicht ein wesentlicher Risikofaktor ist.“
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Diesen Artikel so zitieren: „Game Changer in der Atherosklerose-Sekundärprävention“: Von Semaglutid profitieren auch Übergewichtige ohne Diabetes - Medscape - 13. Nov 2023.
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