Berlin – In den USA sind die monoklonalen Antikörper Aducanumab und Lecanemab Antikörper bereits zur Behandlung der Alzheimer-Demenz zugelassen, in Deutschland ist die Zulassung von Lecanumab wohl nur noch eine Frage der Zeit: „Wir rechnen damit, dass auch in Deutschland in den nächsten Wochen die Zulassung kommt“, sagte Prof. Dr. Peter Berlitt, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), auf der Pressekonferenz zum Auftakt des DGN-Kongresses in Berlin [1].
Auch wenn es um eine Modifikation der Erkrankung und nicht um eine Heilung gehe – „natürlich haben wir die Hoffnung, dass mehr daraus wird“, sagte Prof. Dr. Lars Timmermann, Präsident der DGN. „Meiner Einschätzung nach gelangen wir damit in eine neue Ära“, fügte Prof. Dr. Richard Dodel hinzu, Neurologe und Chefarzt des Geriatrie-Zentrums Haus Berge in Essen.
Die Experten versprechen sich von den neuen Therapeutika eine Verlangsamung des kognitiven Verfalls, rechnen damit, dass es in absehbarer Zeit zur Verfügung steht und bereiten sich auf den Einsatz vor. Prof. Dr. Lutz Frölich, Gerontopsychiater am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, berichtete, dass am ZI eine Infusions-Ambulanz für die Gabe der monoklonalen Antikörper entstehe. „Das erfordert eine komplexe Infrastruktur, die zu etablieren zugegebenermaßen eine große Herausforderung darstellen wird“, sagte Frölich.
In Deutschland leben etwa 1,6 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen, 60% davon weisen eine Demenz vom Typ Alzheimer auf. Gelingt kein Durchbruch in Prävention und Therapie, wird die Zahl der Demenzerkrankten bis 2050 auf 2,4 bis 2,8 Millionen steigen.
Was leisten Aducanumab, Lecanemab und Donanemab?
Aducanumab wurde bereits Anfang Juni 2021 in einem beschleunigten Verfahren von der FDA zugelassen. Nicht zuletzt, weil die Studienlage ausgesprochen heterogen war, hat sich die EMA gegen die Zulassung entschieden. Denn die im Vorfeld durchgeführten Studien konnten zwar nachweisen, dass das schädliche Amyloid im Gehirn der Erkrankten durch das Medikament reduziert wird, erbrachten jedoch keinen klaren Nachweis, ob dies auch Auswirkungen auf das Gedächtnis und weitere geistige Fähigkeiten der Betroffenen hat.
Als Kliniker, der viele Alzheimer-Patienten betreut, sei er ganz froh über die Entscheidung der EMA gewesen, berichtete Dodel: „Wir wären in eine sehr schwierige Situation gekommen – einerseits die hohen Kosten zu rechtfertigen bei einer geringen Therapie-Effektivität.“ Dodel erinnerte daran, dass sich die DGN entsprechend kritisch zu Aducanumab geäußert hatte.
Positive Daten aus Phase-2-Studien und Phase-3-Studien gibt es hingegen zu Lecanemab, Anfang Juli 2023 hat die FDA die Zulassung erteilt. Die primären Endpunkte der Studien waren positiv, ebenso alle sekundären Endpunkte.
Dazu zählte neben der Reduktion des β-Amyloids auch die klinische Progression der Erkrankung, gemessen an kognitiven Parametern und Aktivitäten des täglichen Lebens. „Wir rechnen alle damit, dass es im ersten Quartal 2024 zu einer Zulassung durch die EMA kommen wird“, sagte Dodel.
Die auf der Alzheimer-Tagung im Juli 2023 in Amsterdam vorgestellten Phase-3-Daten zu Donanemab belegen eine klinische Wirksamkeit. In der TRAILBLAZER-ALZ2-Studie konnte der monoklonale Antikörper die Progression der Alzheimer-Erkrankung um ca. 35% verlangsamen. „Zu Donanemab erwarten wir eine Zulassung oder zumindest die erste Rückmeldung im September 2024“, berichtete Dodel.
„Diese Medikamente zeigen, dass sie über einen längeren Zeitraum die Progression reduzieren, den kognitiven Verlust verlangsamen können“, fasste Dodel zusammen. Er betonte aber auch, dass der Effekt der Therapeutika sehr kritisch diskutiert werde und verwies auf eine Anfang Oktober erschienene Arbeit. Es gebe, so heißt es darin, nur wenige Belege dafür, dass die monoklonalen Antikörper Alzheimer-Patienten tatsächlich klinisch sinnvoll helfen; in der Arbeit wird der Effekt auf maximal 10% geschätzt.
Alle 3 Antikörper sind gegen das gleiche Therapieziel, gegen das N-terminale Ende des Beta-Amlyoids, gerichtet, ein Peptid aus 42 Aminosäuren. Das Beta-Amyloid liegt in verschiedenen Aggregatzuständen vor: entweder löslich als Monomer oder Oligomer, oder es hat Protofibrillen oder Fibrillen gebildet, aus denen die Amyloid-Plaques bestehen.
Während Aducanumab lösliche Oligomere und Fibrillen bindet und Lecanemab sich besonders gegen kleine und mittelgroße, lösliche Beta-Amyloid-Protofibrillen richtet, zielt Donanemab auf die Amyloid-Plaques. Das widerspricht bisherigen Annahmen, dass der Therapieerfolg dem löslichen Aggregatzustand zuzuschreiben ist.
ARIA-E und ARIA-H: Ödeme und Hämorrhagien
Die Therapie ist mit Nebenwirkungen verbunden: Unter der Behandlung können ARIAs („Amyloid-Related Imaging Abnormalities“) auftreten, die in der Kernspintomografie zu sehen sind. Man unterscheidet ARIA-E (E für Ödem) und ARIA-H (für Hämorrhagien).
ARIA-E treten bei etwa einem Viertel aller Patientinnen und Patienten unter Lecanemab auf. Allerdings werden sie nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen symptomatisch. Die Neigung zur Ödembildung war bei Aducanumab mit 30 bis 40% recht hoch, bei Lecanemab mit 12% und bei Donanemab mit 24% niedriger. Allerdings traten die Nebenwirkungen auch unter Placebo auf: bei 9 bis 14%. Der Anteil der mit Antikörpern Behandelten war aber höher und lag bei 17% (unter Lecanemab) und 31,4% (unter Donanemab). Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern unter Koagulation schienen besonders gefährdet.
Hohe Kosten und große Herausforderung für die Verlaufskontrollen
Ein nicht zu vernachlässigender Punkt ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis: „Die Behandlungskosten für Lecanemab betragen in den USA 26.000 Dollar pro Jahr. Angesichts der hohen Zahl der zu behandelnden Patientinnen und Patienten – 400.000 neue Demenzdiagnosen pro Jahr in Deutschland, ein Großteil davon ist der Alzheimer-Erkrankung zuzuschreiben – würden diese Therapien das Gesundheitsbudget massiv belasten“, betonte Dodel.
Er sagte auch: „Wir heilen Alzheimer damit nicht, wir verlangsamen bisher nur die klinische Progression um vielleicht 30%.“ In Anbetracht dessen müsse hinterfragt werden, ob – gesamtgesellschaftlich betrachtet – die Ausgaben zu rechtfertigen seien. Selbst wenn man die monoklonalen Antikörper nur für besonders frühe Formen verwende – also für Patienten mit MCI (Mild Cognitive Impairment) – sei die Zahl der infrage kommenden Patienten groß: „Allein in Essen wären das 20.000 Menschen, wir sprechen da über relevante Größenordnungen“, erinnerte Dodel.
Eine weitere Limitation sehen sowohl Dodel als auch Timmermann in der Versorgungslogistik. Die Verlaufskontrollen der Patienten stellten eine „ganz große Herausforderung“ dar, sagte Timmermann. Denn Lecanemab muss unter fachärztlicher Aufsicht alle 2 Wochen, die anderen Antikörper alle 4 Wochen infundiert werden. Hinzu kommen diagnostische Herausforderungen des Amyloid-Nachweises und zumindest im ersten Behandlungsjahr ca. vierteljährliche Kontrolluntersuchungen mittels MRT.
Hohe Kosten und große Herausforderung für die Verlaufskontrollen
Ein nicht zu vernachlässigender Punkt ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis: „Die Behandlungskosten für Lecanemab betragen in den USA 26.000 Dollar pro Jahr. Angesichts der hohen Zahl der zu behandelnden Patientinnen und Patienten – 400.000 neue Demenzdiagnosen pro Jahr in Deutschland, ein Großteil davon ist der Alzheimer-Erkrankung zuzuschreiben – würden diese Therapien das Gesundheitsbudget massiv belasten“, betonte Dodel.
Er sagte auch: „Wir heilen Alzheimer damit nicht, wir verlangsamen bisher nur die klinische Progression um vielleicht 30%.“ In Anbetracht dessen müsse hinterfragt werden, ob – gesamtgesellschaftlich betrachtet – die Ausgaben zu rechtfertigen seien. Selbst wenn man die monoklonalen Antikörper nur für besonders frühe Formen verwende – also für Patienten mit MCI (Mild Cognitive Impairment) – sei die Zahl der infrage kommenden Patienten groß: „Allein in Essen wären das 20.000 Menschen, wir sprechen da über relevante Größenordnungen“, erinnerte Dodel.
Eine weitere Limitation sehen sowohl Dodel als auch Timmermann in der Versorgungslogistik. Die Verlaufskontrollen der Patienten stellten eine „ganz große Herausforderung“ dar, sagte Timmermann. Denn Lecanemab muss unter fachärztlicher Aufsicht alle 2 Wochen, die anderen Antikörper alle 4 Wochen infundiert werden. Hinzu kommen diagnostische Herausforderungen des Amyloid-Nachweises und zumindest im ersten Behandlungsjahr ca. vierteljährliche Kontrolluntersuchungen mittels MRT.
Frauen und ApoE-Gen-Träger sprechen weniger gut darauf an
Subgruppen-Analysen zu Lecanemab legen nahe, dass Frauen offenbar nicht in dem Ausmaß profitieren wie Männer. Auch Träger des ApoE-Gens – eines Alzheimer-Risikofaktors – profitieren nicht im selben Maße. Dodel gab zu bedenken, dass die Ergebnisse der Studie nicht ausreichend gepowered waren, um die Fragen im Hinblick auf Frauen und ApoE-Gen-Träger zu beantworten. „Momentan wissen wir nicht, weshalb Frauen schlechter auf Lecanemab ansprechen, das gilt genauso für das Apolipoprotein E. Wir müssen abwarten, sicher wird es in den nächsten Monaten entsprechende Informationen geben, weshalb das der Fall ist“.
Berlitt hob einen wichtigen Unterschied zu den bislang zugelassenen und eingesetzten Cholinesterase-Hemmern hervor: „Cholinesterase-Hemmer geben wir, wenn die klinische Diagnose Alzheimer vorliegt, der Patient also die volle Symptomatik zeigt.“ Cholinesterase-Hemmer in einem früheren Stadium zu geben, dafür liege keine Evidenz vor. „Anders ist das mit dem monoklonalen Antikörper, den wir womöglich ab nächstem Jahr einsetzen: Dieser muss im MCI-Stadium gegeben werden – also bevor die Kriterien eines Alzheimer erfüllt sind.“
Credits:
Photographer: © Ioan Vladescu
Lead Image: Dreamstime
Medscape Nachrichten © 2023 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Monoklonale Antikörper gegen Alzheimer: Was können sie leisten –was nicht? DGN bereitet Neurologen auf Einsatz vor - Medscape - 13. Nov 2023.
Kommentar