Krebs: „Screening rettet Leben“ – stimmt das wirklich? Eine Metaanalyse sorgt für Kontroversen

Dr. Thomas Kron

Interessenkonflikte

14. November 2023

Seit es Krebs-Früherkennungs-Untersuchungen gibt, werden Zweifel am Nutzen des Screenings geäußert. Gestützt werden die Zweifler nun durch eine kürzlich veröffentlichte Metaanalyse. Leider seien die Ergebnisse dieser Analyse in den deutschen Medien kaum kommuniziert worden, kritisieren der Berliner Psychologe Prof. Dr. Gerd Gigerenzer und seine Mitstreiter vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Seit einigen Jahren bemühen sie sich um mehr Statistik- und Daten-Kompetenz der Bürger bemüht.

Neuerungen bei der Krebs-Früherkennung

In wenigen Tagen werde die Welt wieder pink, denn es beginne der Brustkrebsmonat Oktober, erklären Gigerenzer und Kollegen. Passenderweise habe es in den vergangenen Wochen 2 wichtige neue Nachrichten zur Krebs-Früherkennung gegeben:

  • Das höchste Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, der Gemeinsame Bundesausschuss, kündigte am 21. September 2023 an, die Altersgrenze der kostenlosen Brustkrebsfrüherkennung für gesetzlich Versicherte von 69 auf 75 Jahre anzuheben.

  • In  JAMA Internal Medicine  wurde die von der bisher umfangreichsten Metastudie zu 6 Krebs-Früherkennungs-Untersuchungen mit über 2 Millionen Teilnehmern erschienen.

Lebensverlängerung nur durch die Sigmoidoskopie?

Die Autoren fanden keinen Hinweis, dass eine Teilnahme am Mammografie-Screening das Leben verlängert. Das gilt auch für Prostatakrebs-Screening mit PSA-Test, Stuhltest und Koloskopie für Darmkrebs und Niedrigdosis-Computertomographie (CT) für Lungenkrebs. Nur die Sigmoidoskopie scheint das Leben zu verlängern – um etwa 3 Monate.

Ausgewertet hatte das Team aus norwegischen, schwedischen und polnischen Forschern 18 randomisierte klinische Studien. Das primäre Ergebnis waren die gewonnenen Lebensjahre beim Vergleich zwischen gescreenten und nicht gescreenten Gruppen. 

Die mediane Nachbeobachtung betrug 10 Jahre bei der Computertomografie für Lungenkrebs, einem Test auf prostataspezifisches Antigen für Prostatakrebs und der Koloskopie für Darmkrebs, 13 Jahre bei der Mammografie und 15 Jahre bei der Sigmoidoskopie und dem Test auf okkultes Blut im Stuhl. Eingeschränkt wird die Aussagekraft der Daten-Analyse den Autoren zufolge möglicherweise durch eine zu geringe Dauer der ausgewerteten Studien und zu geringe Zahl an Teilnehmern. 

Schlussfolgerung der Metaanalyse ausreichend begründet?

Kritisch zu der Metaanalyse äußerte sich der britische Screening-Experte Prof. Dr. Stephen Duffy von der Queen Mary University of London: „Aufgrund des Titels hätte man erwarten können, dass diese Studien-Auswertung auf der Analyse individueller Lebenszeitdaten beruht. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Schlussfolgerungen der Autoren beruhen auf einer arithmetischen Manipulation der relativen Raten der Gesamtmortalität in einigen der Screening-Studien.“ 

Laut Duffy sei es daher schwierig, der Behauptung Glauben zu schenken, dass Screenings die Lebenserwartung weitgehend nicht verlängerten. Darüber hinaus könne die Verwendung des Parameters Gesamtmortalität zu irreführenden Ergebnissen führen. Außerdem sei es besorgniserregend, „dass die Metaanalyse die kanadische National Breast Screening Study einschließt“. Denn es gebe inzwischen öffentlich zugängliche Beweise für die fehlgeschlagene Randomisierung dieser Studie.

Das Fazit von Duffy: „Aus diesem Grund wird die Schlussfolgerung, dass Krebs-Vorsorgeuntersuchungen die Lebenserwartung im Allgemeinen nicht erhöhen, durch die Belege nicht gestützt.“

Zweifel am Screening in Deutschland zu wenig beachtet?

Über die Metaanalyse sei, klagt allerdings das Autorenteam um Gigerenzer, in Deutschland anders als in anderen Ländern so gut wie nichts zu hören und lesen gewesen. Eine begrenzte Online-Suche für die vergangenen vier Wochen habe in Deutschland 24 Medienberichte über die Ausweitung des Mammografie-Screenings auf 75 Jahre ergeben, aber nur vier über die Metastudie, und zwar in medizinischen Fachmedien, die von der allgemeinen Bevölkerung kaum gelesen würden. 

In Deutschland werde mit dem Slogan „Screening rettet Leben“ geworben. Also denke man, es sei bewiesen, dass man mit Screening länger statt ohne Screening lebe. Dem sei jedoch nicht so – mit der möglichen Ausnahme der kleinen Darmspiegelung, heißt es in der Mitteilung des Berliner Psychologen und seiner Mitautoren.

Rosa Schleifchen, Teddybären und Flamingos

Der Gemeinsame Bundesausschuss behaupte auch nicht, einen Nachweis einer Verlängerung des Lebens durch Mammographie-Screening bei Frauen in irgendeinem Alter zu haben, so Gigerenzer und Kollegen. Er definiere den Nutzen lediglich als Verringerung der brustkrebsspezifischen Sterblichkeit. Diese liege bei Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren bei 1 in je 1.000 Frauen. 

Es sei jedoch schon lange bekannt, dass unter jenen, welche zur Früherkennung gingen, zugleich 1 in je 1.000 Frauen mehr mit einer anderen Krebsdiagnose sterbe. Damit würden gleich viele Frauen an Krebs (einschließlich Brustkrebs) sterben, mit oder ohne Mammografie-Screening. Dies zeige, warum das Screening kein Leben rette oder verlängere.

Diese Erkenntnisse könnte man Gigerenzer und seinen Kollegen zufolge ehrlich allen Frauen erklären. Doch stattdessen würden „im Brustkrebsmonat Oktober von Promis rosa Schleifchen, Teddybären und Flamingos verteilt“.   

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Univadis.de.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....