Mit der Impfung gegen Humane Papillomaviren (HPV) bei Jungen und Mädchen lässt sich Herdenimmunität gegen die geimpften Hochrisikovarianten erreichen. Sie ermöglicht aber anderen HPV-Genotypen, sich in der Bevölkerung zu verbreiten. Das berichten Forschende aus Schweden und Finnland im Fachblatt Cell Host & Microbe [1].
„Eine Verschiebung der Häufigkeiten und relative Zunahme von einigen HPV-Genotypen war diskutiert und erwartet worden und ist nicht überraschend. Solche Phänomene werden auch bei anderen Viren beobachtet“, erklärt PD Dr. Andreas M. Kaufmann, Leiter der Arbeitsgruppe Gynäkologische Tumorimmunologie an der Klinik für Gynäkologie der Charité - Universitätsmedizin Berlin und Vertreter des HPV-Management Forums.
HPV-Infektionen gehören zu den häufigsten sexuell übertragbaren Infektionen weltweit. Von den insgesamt über 200 HPV-Varianten können Niedrigrisiko-Typen, wie vor allem HPV 6 und 11 zu Genitalwarzen und Hochrisiko-Typen, wie HPV 16 und HPV 18 zu bösartigen Tumoren führen.
Um das Risiko einer HPV-Infektion zu reduzieren, empfiehlt die Ständige Impfkommission deshalb seit 2007 die HPV-Impfung für Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren und seit 2018 auch für Jungen. 2021 haben in Deutschland 54% der Mädchen und 27% der Jungen bis zu ihrem 15. Lebensjahr die HPV-Impfung vollständig erhalten.
Studienarm entspricht in etwa der Durchimpfungsquote in Deutschland
Die Forschenden um Dr. Ville N. Pimenoff von der Abteilung für Klinische Forschung, Intervention und Technologie am Karolinska-Institut in Stockholm, Schweden, untersuchten die Ausbreitung unterschiedlicher HPV-Varianten in insgesamt 33 Gemeinden in Finnland.
Von den circa 20.000 zur Studie eingeladenen 13- bis 14-jährigen Jugendlichen wurden in Studienarm A 43% der Mädchen und 17,5% der Jungen mit dem bivalenten HPV-Impfstoff Cervarix geimpft. Im Studienarm B wurden 49% der Mädchen geimpft und die Jungen erhielten als Placebo eine Hepatitis-Impfung. Im Studienarm C erhielten alle Studienteilnehmenden die Hepatitis-Placeboimpfung.
„Demnach ist die Durchimpfungsquote im Studienarm A in etwa so hoch wie gerade in Deutschland – wobei wir in Deutschland zur Hälfte Ältere als 14-Jährige impfen, was die Effektivität beeinträchtigt“, so Kaufmann.
Im Abstand von 4 und 8 Jahren nach der Impfung testeten die Forschenden geimpfte Teilnehmerinnen auf das Vorkommen von 16 unterschiedlichen HPV-Typen. Neben der Bestimmung der im bivalenten HPV-Impfstoff enthaltenen Genotypen HPV 16 und HPV 18 sowie der nahe verwandten Typen HPV 31 und HPV 45 (hier besteht Kreuzprotektion) wurde auf weitere 12 HPV-Varianten getestet.
HPV-Impfung führt zu Type Replacement
Die Datenanalyse zeigte, dass die Herdenimmunität in den Gemeinden am stärksten war, in denen Mädchen und Jungen geimpft worden waren. Allerdings breiteten sich dort auch die HPV-Genotypen, gegen die nicht geimpft worden war, stärker aus.
Dieses Phänomen ist auch bei anderen Viren zu beobachten und wird als Type Replacement bezeichnet: „Wenn sich evolutionärer Druck auf ein Virus auswirkt, weicht dieses dem Druck aus. Evolutionärer Druck entsteht gegen die Virus-Typen, gegen die geimpft wird – in diesem Fall die zwei Hochrisiko-Typen 16 und 18“, erklärt Dr. Tim Waterboer, Abteilungsleiter Infektionen und Krebs-Epidemiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.
„Es ist daher plausibel, dass diese Hochrisikotypen langfristig durch andere Hochrisikotypen ersetzt werden könnten, was zu einer Änderung der Zusammensetzung der Hochrisikotypen führt. Auswirkungen auf Niedrigrisikotypen wie 6 oder 11 sind dagegen bei bivalenter Impfung eher nicht zu erwarten.“
Auffällig in der Studie war, dass das Type Replacement in geschlechtsübergreifenden Impfgruppen stärker war als in Gruppen, in denen nur Mädchen geimpft wurden. „Das ist damit zu erklären, dass der Begriff der Herdenimmunität sich immer auf die ganze Bevölkerung bezieht. Herdenimmunität ist dort nicht zu erreichen, wo nur Mädchen geimpft werden“, so Waterboer. Nur in geschlechtsübergreifenden Impfgruppen sei der evolutionäre Druck so groß, dass die HPV-Typen, gegen die geimpft werde, ihre ökologische Nische für andere HPV-Typen freimachten.
Vermutlich keine Auswirkungen auf das Krebsrisiko
Das Type Replacement hat Experten zufolge zunächst keine Auswirkungen auf das Krebsrisiko der Bevölkerung. Prof. Dr. Ulrike Wieland, Oberärztin und stellvertretende Direktorin des Instituts für Virologie an der Uniklinik Köln und Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für Papillom- und Polyomaviren, betont: „Der bei uns seit 2016/2017 vorwiegend eingesetzte nonavalente Impfstoff deckt einige der [in der Studie nach der HPV-Impfung verstärkt aufgetretenen] HPV-Varianten bereits ab, zum Beispiel HPV 33, 52 und 58. Darüber hinaus kommen diese HPV-Typen in Zervixkarzinomen nur sehr selten vor.“
Kaufmann ergänzt: „Der Effekt der HPV-Impfung, die Verhinderung von 70 bis 90 Prozent der Karzinome, wird nicht maßgeblich reduziert.“ Außerdem würden diese vermehrt auftretenden HPV-Genotypen nicht karzinogener, es steige nur die Anzahl der Infizierten, die aber individuell das gleiche Risiko hätten wie in einer ungeimpften Population.“
Das Screening in Deutschland kann so bleiben
Auch auf das derzeit gängige Screening werden die neuen Erkenntnisse keine Auswirkungen haben. Zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs wird Frauen zwischen 20 und 34 Jahren derzeit der Pap-Abstrich angeboten. Bei Frauen über 35 Jahren kann alle 3 Jahre zusätzlich ein HPV-Test erfolgen. Nur der HPV-Test gibt Auskunft über die vorhandenen Virusvarianten.
„Das aktuelle Screeningverfahren in Deutschland braucht momentan meiner Meinung nach infolge dieser Studie nicht überdacht zu werden, betont Wieland. „Frauen unter 35, egal ob geimpft oder ungeimpft, sollten routinemäßig nicht auf HPV gescreent werden, da sie zu häufig ohne Krankheitswert positiv wären.“
Auch Kaufmann sieht derzeit keinen Anlass, das Screening durch HPV-zytologische Ko-Testung auf Grund dieser Studiendaten zu ändern: „Die [in der Studie] als leicht ansteigend beschriebenen HPV-Genotypen 52 und 66 sind in den aktuell verwendeten Screening-HPV-Tests enthalten.“
Darüber hinaus liege die Impfquote in Deutschland bei maximal 60% der Mädchen, von denen die Hälfte erst nach dem 15. Geburtstag geimpft werde. Oft sind sie dann bereits mit HPV infiziert, wodurch die Impfwirkung reduziert ist. „Somit müssen auch Geimpfte weiterhin unverändert gescreent werden.“
Das Robert Koch-Institut hat in Zusammenarbeit mit dem HPV-Labor der Klinik für Gynäkologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin eine HPV-Prävalenzuntersuchung für Deutschland durchgeführt. Es wurden in 2 Studienrunden die HPV-Genotypen bei Frauen im Alter von 20 bis 25 Jahren untersucht. Zuerst als Basisstudie 2010/2011, als diese Altersgruppe noch nicht geimpft war, und nochmals als Effektivitätsstudie 2017/2018, als diese Altersgruppe die ersten Geimpften umfasste.
Die populationsbasierte Studie mit deutschlandweiter repräsentativer Studienteilnahme zeigte vergleichbare Effekte wie in der Studie aus Finnland. Bei HPV-Geimpften nahmen die Impfstoff-HPV-Genotypen deutlich ab, wobei eine adjustierte Impfstoffeffizienz von 46,4% für HPV 16/18 und 49,1% für HPV 6/11/16/18 dokumentiert wurde. Gegenüber der Basisstudie nahm die Prävalenz von HPV 16/18 von 22,5% auf 10,3% bei den nicht-geimpften jungen Frauen ab. Dies repräsentiert den Effekt der Herdenimmunität durch reduzierte Weitergabe einer Infektion durch geimpfte Personen in der Population.
Auch in dieser Studie im realen Versorgungskontext zeigte sich ein Anstieg der Prävalenzen von einigen Nicht-Impfstoff-Genotypen. Dies betraf die Genotypen HPV 31, 33, 45 und 52. Da in Deutschland vorwiegend der quadrivalente Impfstoff (Gardasil) verwendet wurde und bei diesem eine Kreuzprotektion gegen die Genotypen HPV 31 und 45 nur marginal besteht, ist das Spektrum der zunehmenden Genotypen etwas breiter. Allerdings sind alle diese Typen in den HPV-Screeningtests enthalten und im Nachfolgeimpfstoff (nonavalentes Vakzin, Gardasil 9) mit abgedeckt, sodass sie durch Impfung ebenfalls verhinderbar sind.
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Diesen Artikel so zitieren: HPV-Impfung fördert Herdenimmunität aber auch Ausbreitung anderer Virus-Varianten – was das für die Impfstrategie bedeutet - Medscape - 10. Nov 2023.
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