CTs sind bei Kindern mit einem erhöhten Leukämie-Risiko verbunden – Experten fordern restriktive Indikationsstellung

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

9. November 2023

Von 10.000 Kindern, die sich heute einer CT-Untersuchung unterziehen, könnten in den nächsten 12 Jahren 1 bis 2 aufgrund des Scans eine Leukämie oder ein Lymphom entwickeln. Das zeigt eine Analyse der groß angelegten EPI-CT-Studie, für die in 9 europäischen Ländern fast 1 Million Kinder nachbeobachtet wurden, bei denen vor dem 22. Lebensjahr ein CT-Scan durchgeführt worden war.

„Jedes Jahr unterziehen sich mehr als 1 Million Kinder in Europa einer CT-Untersuchung. Moderat- bis hochdosierte ionisierende Strahlung ist ein etablierter Risikofaktor für Blutkrebserkrankungen, aber welches Risiko bei Dosen besteht, wie sie bei CT-Untersuchungen zur Anwendung kommen, war ungeklärt“, schreiben Erstautorin Magda Bosch de Basea Gomez vom Barcelona Institute of Global Health, Barcelona, Spanien, und ihre Kollegen im Fachblatt Nature Medicine [1] .

„Das ist die lang erwartete EPI-CT-Studie“, sagt Prof. Dr. Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS), Bremen. „Es gab zwar bereits erste Veröffentlichungen, doch für die vorliegende Analyse wurden die Daten noch einmal aktualisiert und erweitert.“

Analyse von Kohorten in 9 europäischen Ländern

Für die EPI-CT-Studie wurden in Belgien, Dänemark, den Niederlanden, Norwegen, Spanien und Schweden neue Kohorten gebildet, während in Frankreich, Deutschland und dem Vereinigten Königreich (von dort stammen rund 50% der Daten) bereits existierende Kohorten genutzt und erweitert wurden. 

Insgesamt umfasst die Studie 948.174 Personen, bei denen als Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene eine CT-Untersuchung durchgeführt worden war. Sie wurden nach der Untersuchung im Schnitt 7,8 Jahre nachbeobachtet, wobei auftretende Erkrankungen erst ab 2 Jahren nach dem CT-Scan gezählt wurden.

„Durch die Wahl eines Mindestabstands von 2 Jahren zwischen CT-Untersuchung und Beginn der Periode, in der auftretende Erkrankungen als potenziell mit der CT-Strahlendosis in Verbindung stehend gewertet werden, wird verhindert, dass zeitlich sehr früh nach CT-Aufnahme auftretende Tumoren der Bildgebung zugeschrieben werden“, so Zeeb.

Im Nachbeobachtungszeitraum wurden 790 maligne hämatologische Erkrankungen identifiziert, darunter 578 Fälle von Lymphomen und 203 Fälle von Leukämien.

Gescannt wurden zumeist Kopf und Hals

Die Autoren berechneten die auf das Knochenmark einwirkende Strahlenbelastung anhand des gescannten Körperteils, Patientencharakteristika, Dauer und technischen Parametern der CT-Untersuchung. Die meisten CT-Untersuchungen fanden im Bereich von Kopf und Hals statt (81%). Im Schnitt hatten die Studienteilnehmenden am Ende der Nachbeobachtung eine kumulative Strahlendosis von 15,6 mGy (Gesamtkohorte) beziehungsweise 20 mGy (Patienten mit hämatologischen Krebserkrankungen).

 
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass 1 bis 2 von 10.000 Kindern, die heute eine CT-Untersuchung ... erhalten, in den nächsten 12 Jahren aufgrund der CT-Untersuchung Blutkrebs entwickeln könnten. Magda Bosch de Basea Gomez und Kollegen
 

Dabei zeigte sich eine Assoziation zwischen der kumulativen Strahlendosis und dem Risiko für maligne hämatologische Erkrankungen. Pro 100 mGy Strahlenbelastung betrug das zusätzliche relative Risiko 1,96 (95%-Konfidenzintervall: 1,10-3,12). Ein ähnliches Bild ergab sich auch bei separater Analyse für Lymphome und Leukämien.

„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass 1 bis 2 von 10.000 Kindern, die heute eine CT-Untersuchung mit einer durchschnittlichen Strahlendosis von 8 mGy erhalten, in den nächsten 12 Jahren aufgrund der CT-Untersuchung Blutkrebs entwickeln könnten“, schreiben die Autoren.

Ein möglicher Effekt von Confoundern lässt sich nicht ausschließen

Sarah McDonald, Deputy Director of Research bei Blood Cancer UK, London, Vereinigtes Königreich, betont, dass CT-Untersuchungen wichtige Instrumente für Diagnose, Therapieplanung und Follow-up seien. Es handele sich zwar um eine große und gut durchgeführte Studie, dennoch könne sie nicht beweisen, dass die CT-Untersuchungen die direkte Ursache für die Blutkrebserkrankungen waren. „Risikofaktoren sind nicht das Gleiche wie Ursachen und es gibt verschiedenste Risikofaktoren für Blutkrebs, die alle miteinander verknüpft sind, so spielen zum Beispiel auch das Alter, das Geschlecht und die Ethnizität eine wichtige Rolle.“

Und auch Zeeb weist darauf hin, dass mögliche Confounder in allen oder in einzelnen Kohorten der Studie gefehlt hätten, so etwa der sozioökonomische Status, der nur in 4 Kohorten vorhanden war, oder die klinische Indikation. „Dies ist aber kein Übersehen, diese Informationen stehen in einer Pooling-Studie dieser Art nicht überall zur Verfügung“, sagt er.

Alles in allem „ist das Gesamtergebnis erhöhter Risiken pro Dosis für hämatologische Krebserkrankungen bei jungen Menschen nicht überraschend, da viele Einzelkohorten schon vorher publiziert wurden“, so Zeeb.

Überraschend erhöhtes Risiko für das Hodgkin-Lymphom

Einige Auffälligkeiten gebe es aber schon, ergänzt er. Das seien zum Beispiel die erhöhten Risiken für das Hodgkin-Lymphom, die in der großen Referenzstudie in der Strahlenepidemiologie, der Life-Span-Study bei Überlebenden der Atombombenabwürfe in Japan, so nicht gefunden worden seien. Auch in den bisherigen Einzelveröffentlichungen zu CT-Expositionen zeigten sich keine erhöhten Risiken für das Hodgkin-Lymphom. „Das ist aber nur ein kleiner Anteil aller Fälle und muss in Zukunft weiter untersucht werden“, so Zeeb.

 
Die Strahlendosis bei Kindern sollte so niedrig wie möglich gehalten und CT-Untersuchungen bei Kindern nur durchgeführt werden, wenn sie unvermeidbar sind. Magda Bosch de Basea Gomez und Kollegen
 

Die Autoren um Bosch de Basea Gomez betonen, dass ihre Ergebnisse noch einmal bestärkten, dass „die Strahlendosis bei Kindern so niedrig wie möglich gehalten und CT-Untersuchungen bei Kindern nur durchgeführt werden sollten, wenn sie unvermeidbar sind“.

Medizinische Indikation so restriktiv wie möglich stellen

„Bei der Interpretation der Studienergebnisse ist auch zu beachten, dass es bei der Durchführung einer CT-Untersuchung nicht klar ist, welche Kinder oder Jugendliche gegebenenfalls betroffen sein werden“, sagt Zeeb.

 
In Deutschland wird insgesamt schon recht restriktiv mit CT bei Kindern und Jugendlichen umgegangen. Prof. Dr. Hajo Zeeb
 

Daher schließt er sich dem Fazit der Autoren an, dass es bei jedweder CT-Untersuchung darum gehe, die medizinische Indikation für die Durchführung genau und restriktiv zu stellen, überall wo möglich alternative Bildgebungsverfahren einzusetzen und die technischen Parameter genau auf die jungen Patienten abzustimmen, die Dosis so niedrig wie möglich zu halten.

„In Deutschland wird insgesamt schon recht restriktiv mit CT bei Kindern und Jugendlichen umgegangen“, lautet seine Einschätzung. Insofern bestätige die vorliegende Studie diese Praxis und könne gegebenenfalls an manchen Praxen oder Kliniken noch einmal für zusätzliche Klarheit und Anstrengungen führen.

 

Kommentar

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