Mehr Steuerung und mehr Transparenz in der Weiterbildung – das wünscht sich Prof. Dr. Marco Roos vom Institut für Allgemeinmedizin an der Universität Augsburg. Roos ist Leiter des Kompetenzzentrums Weiterbildung Allgemeinmedizin Bayern (KWAB). Im Gespräch mit Medscape mahnt er Reformen an und wagt einen Blick über die Grenze.
Medscape: Herr Professor Roos, Sie halten die Struktur der Weiterbildung in Deutschland für eine „Blackbox“. Das haben Sie auf der KBV-Pre-Conference zum Sicherstellungskongress der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gesagt. Was meinen Sie damit?
Roos: Damit meine ich, dass man in Deutschland nicht weiß, welchen Weiterbildungsweg die einzelnen jungen Ärztinnen und Ärzte nach der Approbation gehen. Sie müssen sich zwar zu Beginn der Weiterbildung bei ihrem ärztlichen Kreisverband melden. Aber es findet keine zentrale Registrierung statt und auch keine Steuerung durch die Kammern, wie viele Ärztinnen und Ärzte sich für welches Fach entscheiden oder in welchem Stadium der Weiterbildung sich die jungen Leute befinden.
Im europäischen Ausland ist das oft anders. Wenn wir dort die Versorgungsplanung ansehen, dann erkennen wir eine höhere Reglementierung, zum Beispiel über Einschreibeprogramme. Das hat zur Folge, dass man besser vorhersagen kann, wie viele Fachärzte in den verschiedenen Facharztrichtungen vermutlich wann in die Versorgung kommen.
Medscape: So weiß man in Deutschland auch nichts über die Abschlussquote?
Roos: Man kann die Abschlussquote nur abschätzen. So können wir bei der allgemeinmedizinischen Weiterbildung im Rahmen des Förderprogramms nach Paragraf 75a SGB V …
Medscape: … wonach die kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen die allgemeinmedizinische Weiterbildung fördern müssen …
Roos: … die Quote abschätzen, weil die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) die Zahlen an die Kassenärztliche Bundesvereinigung rückmelden. Aber ein deutschlandweites Register für die Weiterbildung gibt es nicht.
Medscape: Wären Sie für eine Quotierung, um die Bedarfsplanung zu erleichtern?
Roos: Nein, davon halte ich nichts. Wir müssten stattdessen die Weiterbildung qualitativ-inhaltlich verbessern. Das könnte die langen Zeiten der Facharztausbildung verkürzen. Dann wäre klar, welche Inhalte während der 60 Monate der Weiterbildung wann dran sind. Derzeit verlieren wir dagegen vielen Monate, in denen die fertigen Ärztinnen und Ärzte wegen ihrer langen Weiterbildungszeiten, bis zu 8 Jahren, der Versorgung nicht zur Verfügung stehen konnten.
Eine Quotierung wäre aus meiner Sicht nur die letzte Eskalationsstufe. Zwang hat selten eine gute Wirkung.
Medscape: In Holland werden so viele Weiterbildungsplätze geschaffen, wie Ärztinnen und Ärzte aus dem Beruf ausscheiden.
Roos: In Holland ist die komplette Weiterbildung anders geregelt. Sie ist viel stärker an die Universitäten gebunden, zu denen die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung regelmäßig zurückkehren. Zudem ist die Finanzierung staatlich. Das heißt, der Wirtschaftsfaktor „junger Arzt“ ist bei unserem Nachbarn nicht so groß.
Medscape: Ist denn die Qualität der Weiterbildung bei uns auch eine Blackbox?
Roos: Nein. Aber sie ist ein Zufallsprodukt. Denn fachärztliche Weiterbildung in Deutschland bedeutet „training on the job“. Das heißt, die meisten Assistentinnen und Assistenten arbeiten auf den Krankenhausstationen oder in den Praxen in dem ganz normalen Arbeitssetting.
Aber es fehlen flächendeckende Programme, die festlegen, was die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung in welchem Jahr erreicht haben sollten. Zwar geben die Weiterbildungsordnungen und Logbücher der Landesärztekammern Inhalte vor, aber es hapert an der praktischen Umsetzung, etwa einem 5-Jahres-Plan mit einem kontinuierlichen Aufbau.
Medscape: Also bewirkt das Logbuch nicht viel?
Roos: Das würde ich nicht sagen. Aber man könnte sich in der Logbuch-gestützten Weiterbildung ein Beispiel an den Inhalten des Medizinstudiums nehmen, die von jeder Fakultät in ein Curriculum übersetzt werden. Da werden die Lehrenden didaktisch geschult, Lehrende und Lernende wissen, was wann gemacht wird. So etwas fehlt in der Weiterbildung.
Medscape: Was wissen wir über die Qualität speziell der allgemeinmedizinischen Weiterbildung?
Roos: Wir von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, DEGAM, haben Inhalte vorgeschlagen. Aber es wird nicht kontrolliert, wie die Inhalte an die jungen Ärztinnen und Ärzte vermittelt werden. Das ist eine Lücke in der Allgemeinmedizin.
Jedoch haben wir seit 2017 die Kompetenzzentren Weiterbildung Allgemeinmedizin – und damit ein Instrument in der Hand, die Weiterbildung zu verbessern. Dort werden wichtige inhaltliche Begleitprogramme angeboten. Dazu hat jede Ärztin in Weiterbildung die Chance, einen erfahrenen Kollegen als Mentor an die Seite zu bekommen.
Und was nicht zu unterschätzen ist: die „Train-the-Trainer-Programme“. Sie schulen Weiterbildungsbefugte, wie Weiterbildung praktisch aussehen kann.
Medscape: Wie sieht Ihre Zukunftsvision aus?
Roos: Bei dem inhaltlichen Ausbau der Weiterbildung wurde schon einiges erreicht. So hat die Bundesärztekammer in der jüngsten Weiterbildungsordnung einen Paradigmenwechsel vorgenommen – weg von den vielen zählbaren Untersuchungen, hin zu Kompetenz-orientierter Bearbeitung komplexer Arbeitsfelder.
Der nächste Schritt wäre dann, dass da ein Weiterbildungsbefugter ist, der die Kompetenzen auch qualifiziert vermitteln kann. Idealerweise müsste dann jeder junge Arzt und jede junge Ärztin für sich sagen können: „Okay – ich brauche diese 100 Kompetenzen. Die ersten 20 kann ich an meiner jetzigen Weiterbildungsstelle, die Übrigen an anderer Stelle mit jeweils einheitlicher Qualität erwerben.“ Das wäre ein großer Schritt.
Womöglich könnten sich auch andere Aspekte auftun. So wären Kompetenzen denkbar, die in jeder Facharztausbildung eine Rolle spielen und an sehr vielen Weiterbildungsstellen erworben werden können – in einem „Common-trunk-Modell“, wie bei manchen unserer europäischen Nachbarn. Von einer Qualitätsverbesserung würden dann alle Fächer gemeinsam profitieren.
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Credits:
Photographer: © Viktor Gladkov
Lead image: Dreamstime.com
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Diesen Artikel so zitieren: Facharztausbildung verkürzen? Allgemeinmediziner kritisiert Blindflug und mangelnde Qualitätskontrolle bei der Weiterbildung - Medscape - 8. Nov 2023.
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