Dubiose COVID-19-Therapien; mehr Situs inversus durch Infektionen?; stärkerer kognitiver Abbau durch Lockdowns

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

9. November 2023

Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.

Corona-Newsblog, Update vom 9. November 2023

  • COVID-19 – die Lage in Deutschland

  • COVID-19: Geschäfte mit der Angst der Menschen

  • Mehr Situs inversus: Ist COVID-19 die Ursache?

  • Kognitiver Abbau bei älteren Menschen während COVID-19

  • COVID-19 – auch ein Risikofaktor für den Urogenitaltrakt

  • Long-COVID: Kein Hinweis auf Hirnschädigung

  • USA: 14% weniger Schwangerschaftsabbrüche während COVID-19

COVID-19 – die Lage in Deutschland

Im Corona-Pandemieradar berichtet das Bundesministerium für Gesundheit über aktuelle Zahlen. Die 7-Tage-Inzidenz liegt derzeit bei 22 Fällen pro 100.000 Einwohner (Vorwoche: 16). Und die Zahl der Arztbesuche wegen einer akuten Atemwegserkrankung beträgt 1.686 je 100.000 Einwohner pro Woche; sie ist etwas niedriger als in der Vorwoche (1.687). Aktuell befinden sich 780 Patientinnen und Patienten mit COVID-19 in intensivmedizinischer Behandlung. Das sind 19 % mehr als in der Vorwoche (657). Engpässe gibt es derzeit nicht. Gesundheitspolitiker warnen dennoch, COVID-19 nicht zu unterschätzen. 

„Leider ist die Impfbereitschaft gegen COVID derzeit viel zu gering“, kommentiert Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. „Nur ein Bruchteil der Risikogruppen hat den neuen angepassten Impfstoff bisher genutzt. In der Kombination mit der Grippeimpfung kann man sich für den kommenden Winter sehr gut schützen.“

COVID-19: Geschäfte mit der Angst der Menschen

Ein Wissenschaftlerteam hat bei Online-Recherchen 38 Unternehmen identifiziert, die Stammzell-Interventionen und Exosomen-Produkte für COVID-19 bewerben. Darüber berichten die Autoren in  Stem Cell Reports . Exosomen sind membranumhüllte Partikel, die 20 und 120 nm groß sind. Sie können biologisch aktive Makromoleküle transportieren. 

Diese Unternehmen betreiben Kliniken oder ermöglichten Patienten den Zugang zu Krankenhäusern mit entsprechenden Therapien. Insgesamt 60 Einrichtungen haben die Forscher identifiziert. Mehr als 75% dieser Kliniken befinden sich in den USA und Mexiko. Europa stellt mit 2 Zentren (1 in Polen, 1 in Spanien) die Ausnahme dar. 

36 der Unternehmen vermarkten ihre Stammzell- und Exosomen-Produkte zur Behandlung von Long-COVID, 6 bewarben sie als „Immunverstärker“, 5 gaben an, Patienten in der akuten Infektionsphase zu behandeln, und 2 behaupteten, ihre Produkte seien präventiv gegen COVID-19 wirksam. 

Das günstigste Produkt kostete 2.950 US-Dollar, das teuerste 25.000 US-Dollar. Die durchschnittlichen Kosten pro Kopf lagen bei 11.322 US-Dollar. 

„Die Werbung für diese Produkte ist besorgniserregend, da sie nicht von den nationalen Regulierungsbehörden zugelassen wurden und offenbar nicht durch überzeugende Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten gestützt werden“, heißt es im Artikel. 

Mehr Situs inversus: Ist COVID-19 die Ursache?

Beim Situs inversus befinden sich Organe spiegelverkehrt jeweils auf der anderen Seite des Körpers. Jetzt berichten Forscher im  NEJM  von einem „bemerkenswerten Anstieg der Fälle von fetalem Situs inversus“ in China – mehrere Monate, nachdem das Land seine „Null-COVID“-Politik beendet hat. 

In den ersten 7 Monaten des Jahres 2023 war die Inzidenz von Situs inversus (diagnostiziert anhand von routinemäßigen Ultraschall-Untersuchungen im Gestationsalter von etwa 20 bis 24 Wochen) 4-mal so hoch wie die durchschnittliche jährliche Inzidenz von 2014 bis 2022. Die Inzidenz erreichte im April 2023 ihren Höhepunkt und blieb bis Juni 2023 erhöht.

„Der Trend folgte dem Anstieg schwerer Infektionen mit SARS-CoV-2, der nach der Abschaffung der Null-COVID-Politik auftrat“, heiß es im Artikel. „Dieser Anstieg [an Infektionen], von dem letztendlich Schätzungen zufolge etwa 82% der Bevölkerung in China betroffen waren, begann Anfang Dezember 2022, erreichte seinen Höhepunkt um den 20. Dezember 2022 und endete Anfang Februar 2023.“

Die Studie zeigt keine Kausalität auf. Dennoch haben die Autoren 2 Hypothesen für Pathomechanismen:

  • Die Infektion mit SARS-CoV-2 zu Beginn der Schwangerschaft könnte die viszerale Lateralisierung beeinflussen.

  • Alternativ könnten durch SARS-CoV-2 vermittelte Entzündungsreaktionen der Mutter indirekt die viszerale Lateralisierung verändern.

Was in der Tat gegen eine Kausalität spreche, wie die Autoren einräumen, sei, dass der Trend in anderen Geburtseinrichtungen – und zu anderen Zeitpunkten der Pandemie – nicht beobachtet worden sei. 

Kognitiver Abbau bei älteren Menschen während COVID-19

Die Pandemie hat nicht nur mit Post- oder Long-COVID langfristige gesundheitliche Folgen mit sich gebracht. Eine in  The Lancet Healthy Longevity  veröffentlichte Längsschnittanalyse zeigt auch, dass sich kognitive Fähigkeiten älterer Erwachsener signifikant verschlechtert haben. Dies sei ein bekannter Demenz-Risikofaktor, schreiben sie Autoren. „Zur Förderung der kognitiven Gesundheit sollte eine langfristige Intervention für Menschen mit einer Vorgeschichte von COVID-19 in Betracht gezogen werden.“

Für die Längsschnittanalyse wurden neuropsychologische Daten von Personen im Alter von mindestens 50 Jahren verwendet, die an der PROTECT-Studie im Vereinigten Königreich teilnahmen. Die Forscher haben Angaben von denselben Teilnehmern vor der COVID-19-Pandemie (1. März 2019 bis 29. Februar 2020) sowie im 1. (1. März 2020 bis 28. Februar 2021) und 2. Jahr (1. März 2021 bis 28. Februar 2022) erhoben. 

Vor der Pandemie wurden Daten von 3.142 Teilnehmern erfasst, von denen 1.696 (54,0%) Frauen und 1.446 (46,0%) Männer waren. Das Durchschnittsalter lag bei 67,5 Jahren.

Eine signifikante Verschlechterung der exekutiven Funktionen und des Arbeitsgedächtnisses beobachteten die Wissenschaftler im 1. Jahr der Pandemie in der gesamten Kohorte bei Personen mit zuvor bestehender leichter kognitiven Beeinträchtigung und bei Personen mit einer Vorgeschichte von COVID-19. Die Verschlechterung des Arbeitsgedächtnisses setzte sich in der gesamten Kohorte im 2. Jahr der Pandemie fort. Eine Regressionsanalyse ergab, dass der kognitive Abbau signifikant mit verminderter körperlicher Betätigung, mit erhöhtem Alkoholkonsum und mit Depressionen verbunden war. 

COVID-19 – auch ein Risikofaktor für den Urogenitaltrakt

SARS-CoV-2 hat nicht nur Folgen für die Atemwege. Im  Journal of Internal Medicine  berichten Forscher über eine erhöhte Inzidenz von Harnverhalt, Hämaturie und Harnwegsinfektionen in Zusammenhang mit der Virusinfektion. Das galt unabhängig vom COVID-19-Schweregrad.

Alle männlichen Patienten, die Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitssystems in Hongkong besucht und von 2021 bis 2022 eine Alpha-Blocker-Monotherapie für Symptome des unteren Harntraktes erhalten hatten, wurden in diese Studie aufgenommen. Die Wirkstoffe werden bei benigner Prostatahyperplasie verordnet. Patienten mit und ohne positivem PCR-Test auf SARS-CoV-2 wurden als Expositionsgruppe bzw. Kontrollgruppe ausgewählt. 

Insgesamt haben die Forscher Daten von 17.986 Patienten in ihre Analyse einbezogen, von denen jeder 2. Teilnehmer eine PCR-bestätigte SARS-CoV-2-Infektion hatte (n=8.993). Im Vergleich zu den Kontrollen wies die SARS-CoV-2-Gruppe eine statistisch signifikant höhere Inzidenz von Harnverhalt (4,55% vs. 0,86%, p<0,001), Hämaturie (1,36% vs. 0,41%, p<0,001), Harnwegsinfektionen (4,31% vs. 1,49%, p<0,001), Bakteriurie mit Nachweis von Bakterien anhand einer Kultur (9,02% vs. 1,97%, p<0,001) und Neuverordnung von 5α-Reduktase-Hemmern (5-ARI; 0,50% vs. 0,02%, p<0,001) auf. Die Medikamente haben antiandrogene Wirkung und werden zur Behandlung von Prostatavergrößerung eingesetzt. 

Long-COVID: Kein Hinweis auf Schädigung des Gehirns

Patienten, die an Long-COVID leiden, haben offenbar keine irreversible Schädigung ihres Gehirns, wir Forscher im  Journal of Infectious Diseases  berichten. Sie haben bei 31 Erwachsenen eine Lumbalpunktion und eine Blutabnahme durchgeführt. Ziel der Studie war, Veränderungen im Immunsystem und in Nervenzellen aufzuspüren, welche die Übertragung neuronaler Signale beeinträchtigen könnten. 

Unter den Teilnehmern hatten 25 Personen neurokognitive Symptome von Long-COVID wie Gedächtnisverlust oder Aufmerksamkeitsprobleme. 6 Teilnehmer hatten sich vollständig von COVID-19 erholt und 17 Personen waren noch nie an COVID-19 erkrankt. 

Bei Probanden mit COVID-19 in der Vorgeschichte wurde die Diagnose zwischen März 2020 und Mai 2021 gestellt. Proben wurden mindestens 3 Monate nach den ersten Symptomen entnommen. 

Laut einer Zusammenfassung der Universität Göteborg in Schweden, an der die Forscher arbeiten, „gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen bei der Analyse von Blut und Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit auf Immunaktivierungs- oder Hirnverletzungs-Marker.“ Die Ergebnisse legten daher nahe, dass der Post-COVID-Zustand nicht das Ergebnis einer anhaltenden Infektion, Immunaktivierung oder Schädigung des Gehirns sei. 

USA: 14% weniger Schwangerschaftsabbrüche während COVID-19

Obwohl die Raten medikamentöser Schwangerschaftsabbrüche vor und nach Beginn der COVID-19-Pandemie in den USA ähnlich waren, sank die Rate chirurgischer Schwangerschaftsabbrüche um 31%. Das zeigt eine Analyse von Versicherungsdaten.

Der Rückgang speziell bei chirurgischen Eingriffen führte zu einem Gesamtrückgang um 14% im Vergleich zum Zeitraum vor der Pandemie. Darüber hinaus blieb die Rate chirurgischer Interventionen selbst nach Ende aller Einschränkungen durch COVID-19 auf niedrigem Niveau. 

Weniger als 4% der medikamentösen Schwangerschaftsabbrüche pro Monat wurden laut Versicherungsdaten über Telemedizin durchgeführt, obwohl die Verpflichtung, dass Ärzte Mifepriston persönlich verabreichen müssen, während der Pandemie vorübergehend ausgesetzt wurde. 

Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der  Link  zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....