Depressionstherapie 2.0: Psychedelika in Verbindung mit Psychotherapie könnten einen Paradigmenwechsel darstellen

Bettina Micka

Interessenkonflikte

6. November 2023

Berlin – Therapieresistente Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), Abhängigkeitserkrankungen, Angst- und Essstörungen – für all diese psychischen Erkrankungen gibt es bereits Belege, dass Psychedelika einen therapeutischen Effekt haben können. In der Schweiz können sich Patienten bereits mit diesen Substanzen behandeln lassen.

Auch in Deutschland ist das seit einiger Zeit möglich. Ein Erfahrungsbericht aus der ersten deutschen Praxis für psychedelisch augmentierte Psychotherapie wurde auf der INSIGHT-Konferenz vorgestellt [1]. Neues erfuhr dort die internationale Forscher-Community auch von der deutschen EPIsoDE-Studie zu Psilocybin bei therapieresistenter Depression.

Prof. Dr. Gerhard Gründer

Veranstaltet wurde die INSIGHT-Konferenz von der MIND Foundation, einer gemeinnützigen Organisation zur Förderung von psychedelischer Forschung und Therapie.

Bessere Antidepressiva dringend gesucht

Warum es sich unbedingt lohnt, die Forschung zur Psychedelika-Therapie weiter voranzutreiben, erläuterte Prof. Dr. Gerhard Gründer, Leiter der Abteilung Molekulares Neuroimaging am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim, in einem Vortrag.

Zum einen gebe es Patientinnen und Patienten, denen weder Psychotherapie noch eines der zugelassenen Antidepressiva helfen könne, konstatierte Gründer. Doch auch Patienten, bei denen eine Therapie die Symptome lindern kann, sind damit nicht unbedingt geheilt. Oft müssen diese Antidepressiva über Jahre einnehmen.

Das bedeutet dann auch jahrelange Nebenwirkungen, wie etwa bei einigen Antidepressiva das „emotional blunting“ – emotionale Abstumpfung. Die Patienten leiden dann nicht mehr so sehr unter ihren Depressionen, aber auch die positiven Gefühle werden abgeschwächt. Zudem führen einige Antidepressiva, wie z.B. Venlafaxin, zu Entzugserscheinungen.

Die mit Psychedelika unterstützte Psychotherapie könnte dagegen die Salutogenese fördern – also Gesundung anstatt Symptomunterdrückung, so Gründers Standpunkt.

Für die Psychedelika-Therapie interessiert sich inzwischen auch die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND), sozusagen die staatliche Anlaufstelle für visionäre Ideen in Deutschland.

„Die SPRIND sieht, dass gerade im Bereich Depression neue Lösungen dringend nötig sind“, so Dr. Erik Schäffner von dieser Bundesagentur gegenüber Medscape am Rande der Konferenz. „Die Anwendung von Psychedelika hat in mehreren kleinen Studien ein gewisses Potenzial bewiesen. Wie groß dieses Potenzial in Wirklichkeit ist, wird erst durch exzellente und mit den regulatorischen Behörden abgestimmte klinischen Studien sichtbar werden.“

Die EPIsoDE-Studie – bisherige Erfahrungen

Ein weiterer Schritt dazu, das Potenzial sichtbarer werden zu lassen, könnte die EPIsoDE-Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von Psilocybin bei therapierefraktärer unipolarer Depression sein. Gründer leitet die Studie, die am Zentralinstitut für seelische Gesundheit und an der Berliner Charité durchgeführt wird. Die MIND Foundation ist Projektpartner.

Die Ergebnisse der Studie sind Anfang 2024 zu erwarten. Aktuell haben noch nicht alle 144 Patienten die Therapie abgeschlossen. Daher wurden auf der Konferenz noch keine Ergebnisse präsentiert, aber schon einige Erfahrungen mit dem internationalen Auditorium geteilt und diskutiert.

Die Forscher verwendeten bei der Studie 25 mg Psilocybin zum Einnehmen als therapeutische Dosis gegen 5 mg und Placebo. 25 mg hätten sich in bisherigen Studien bewährt, sagte Gründer. An der Johns-Hopkins-University in Baltimore, USA, seien bereits Untersuchungen mit 30 mg durchgeführt worden. „Oberhalb der 25 mg scheinen jedoch die herausfordernden psychischen Erfahrungen zuzunehmen, ohne dass der therapeutische Effekt zunimmt“, erläuterte Gründer.

Die Patienten erhielten in der EPIsoDE-Studie nach psychotherapeutischer Vorbereitung Psilocybin unter therapeutischer Begleitung. Anschließend absolvierten sie weitere psychotherapeutische Sitzungen, um die Erlebnisse unter Psilocybin aufzuarbeiten. Einige der Teilnehmer erhielten nach einiger Zeit eine zweite Dosis Psilocybin, um zu testen, ob eine zweifache Gabe einen Effekt auf den Therapierfolg hat.

Von Kritikern bemängelt und letztlich ein Problem beim Design aller Studien mit Psychedelika: Es gibt kein adäquates Placebo. Die Patienten merken in der Regel unmittelbar, ob sie ein Psychedelikum oder Placebo erhalten haben.

Vieles an der Wirkung von Psilocybin bleibt weiterhin ungeklärt. So gebe es bisher nur wenige Daten zur Pharmakokinetik, erläuterte Gründer gegenüber Medscape. Unklar ist daher unter anderem, warum der Wirkungseintritt so variabel ist – wie es auch bei EPIsoDE der Fall war. Einige Patienten bemerkten schon nach 20 Minuten eine Wirkung, andere erst nach 2 Stunden, wie Gründer berichtete.

Psychosen mit sorgfältiger Patientenauswahl vermeidbar

In der Studie bestätigte sich auch, dass es unter Psilocybin nur leichte Nebenwirkungen gibt, die vorübergehend sind, wie etwa Übelkeit und ein Anstieg des Blutdrucks. Und vor allem: Auch Psychosen oder andere psychische Störungen traten in der Studie nicht auf. „Das Risiko halte ich für sehr gering“, so Gründer.

 
Die SPRIND sieht, dass gerade im Bereich Depression neue Lösungen dringend nötig sind. Die Anwendung von Psychedelika hat in mehreren kleinen Studien ein gewisses Potenzial bewiesen. Dr. Erik Schäffner
 

Entscheidend sei eine gute Patientenauswahl. Psychosen, bipolare Störungen und Schizophrenie in der Vorgeschichte oder bei einem Verwandten ersten Grades waren ein Ausschlusskriterium.

Zudem mussten Patienten mindestens 25 Jahre sein, um in die Studie aufgenommen zu werden. Erst kürzlich hatte eine umfangreiche Studie in The Lancet Psychiatry belegt, dass während der Pubertät und im frühen Erwachsenenalter psychische Erkrankungen wie etwa Schizophrenie besonders häufig erstmals auftreten. Der Median lag in der Studie für männliche Personen bei 19 Jahren, für weibliche bei 20 Jahren.

Ein weiterer Schutzfaktor vor negativen psychischen Effekten sei die intensive psychotherapeutische Versorgung im Rahmen der Studie, betonte Gründer.

Im Anschluss an die EPIsoDE-Studie plant das Forschungsteam, Psilocybin gegen die Standardtherapie mit SSRI (selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren) zu testen. Für eine potenziell breite therapeutische Anwendung von Psilocybin ist es entscheidend, eine Überlegenheit nachzuweisen. Denn nur dann würden die Kosten für eine Psilocybin-Therapie von den Kassen übernommen.

Doch die erste Hürde ist zunächst die Zulassung. „Die Studienlage für Psilocybin reicht bei weitem noch nicht aus. Es braucht größere Studien, doch die haben noch nicht einmal angefangen. Von einer Zulassung sind wir noch Jahre entfernt“, räumte Gründer ein.

Erste Praxis für Psychedelische Therapie in Deutschland

Dass der Mannheimer Psychiater trotz aller Schwierigkeiten vom therapeutischen Potenzial der Psychedelika überzeugt ist, zeigt sich auch daran, dass er Mitbegründer der ersten Praxis für psychedelische Therapie in Deutschland ist, der Ovid Clinic Berlin. Er und seine Kollegeninnen und Kollegen behandeln dort seit 2021 mit Ketamin-assistierter Psychotherapie.

 
Die Studienlage für Psilocybin reicht bei weitem noch nicht aus. … Von einer Zulassung sind wir noch Jahre entfernt. Prof. Dr. Gerhard Gründer
 

Ketamin ist, anders als Psilocybin, in Deutschland zugelassen und wird als Anästhetikum und Analgetikum eingesetzt. Die Anwendung bei Depressionen geschieht off-label. Deshalb wird die Therapie nur in bestimmten Fällen und in der Regel nur von wenigen privaten Krankenkassen übernommen. Dennoch ist der Andrang von hilfesuchenden Menschen mit Depressionen groß. Um unerwünschte Effekte auf die Psyche zu vermeiden, sind die Auswahlkriterien streng, sodass nur ein kleiner Teil der Interessenten in der Ovid Clinic behandelt werden kann – bisher rund 350 Patienten.

 
Ich glaube, Psilocybin hat mehr Potenzial als Therapeutikum, aber dass es Ketamin komplett ablösen wird, dass glaube ich nicht. Prof. Dr. Gerhard Gründer
 

In der Regel werden die Patienten mittels Stroboskoplichts, mit dem sich psychedelische Zustände erzeugen lassen, auf die psychedelische Erfahrung mit Ketamin vorbereitet. Meist folgen 5 bis 6 Substanzsitzungen, begleitet von einer Psychotherapie. Insgesamt dauert eine solche Therapie rund 12 Wochen.

Könnte Psilocybin eines Tages Ketamin in diesem Therapieansatz ablösen? „Ich glaube, Psilocybin hat mehr Potenzial als Therapeutikum, aber dass es Ketamin komplett ablösen wird, dass glaube ich nicht“, so Gründer. Es gebe Patienten, die mit Ketamin sehr gut zurechtkämen und bei denen es sehr gut wirksam sei. Zudem habe Ketamin auch einen Vorteil gegenüber Psilocybin. Es sei per Infusion leichter steuerbar: Mit Abdrehen der Infusion sei die Wirkung vorbei.  

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