Neue Abnehm-Medikamente: Bei Adipositas und NASH verbessert „Twincretin“ Pemvidutid auch kardiometabolische Parameter

Miriam E. Tucker

Interessenkonflikte

6. November 2023

Hamburg – Der experimentelle Inkretin-Rezeptor-Agonist Pemvidutid (Altimmune) führte in einer randomisierten Phase-2-Studie zu einer signifikanten Gewichtsabnahme und zu weiteren kardiometabolischen Vorteilen für Patienten. Innerhalb der wachsenden Zahl von Inkretin-basierten Medikamenten wird Pemvidutid als „Twincretin“, d.h. als Molekül mit dualem Effekt, eingeordnet. Es handelt sich um einen lang wirkenden, dualen Agonisten des Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) und des Glucagons.

Klinische Daten haben Forscher beim 59. Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD) präsentiert [1]. Phase-1-Daten zur Wirkung von Pemvidutid auf die Leber wurden bereits im Jahr 2022 vorgestellt.

Tirzepatid oder Pemvidutid?

Pemvidutid wird für die Behandlung von Adipositas und von nichtalkoholischer Steatohepatitis (NASH), nicht aber von Typ-2-Diabetes entwickelt, da es keinen Effekt auf den Blutzucker hat.

Im Unterschied dazu ist der duale GLP-1-glukoseabhängige insulinotrope Polypeptid (GIP)-Agonist Tirzepatid (Mounjaro®, Lilly) für die Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen worden. Eine Zulassung für Adipositas steht noch aus.

 
Es wird nicht einen Wirkstoff für alle geben. Dr. Louis J. Aronne
 

„Wenn Sie sich die Ergebnisse für einen bestimmten Wirkstoff ansehen, sollten Sie Adipositas als eines von mehreren Problemen betrachten“, sagte Dr. Louis J. Aronne, Direktor des Center for Weight Management and Metabolic Clinical Research, Weill-Cornell Medical College, New York. Teilweise, aber nicht immer, gebe es Überschneidungen. „Etwa 20 bis 25% der Menschen mit Adipositas haben Typ-2-Diabetes, aber nicht alle. Wirkstoffe, die den Blutzuckerspiegel nicht senken, eignen sich also hervorragend für Menschen mit [Fettlebererkrankung] oder Hyperlipidämie.“ Aronnes Fazit: „Es wird nicht einen Wirkstoff für alle geben.“

Daten zu verschiedenen Multiagonisten im Vergleich

Aronne hat Ergebnisse einer neuen, 24-wöchigen Zwischenanalyse der Phase-2-Studie mit Pemvidutid (MOMENTUM) auf dem 59. Jahreskongress der EASD präsentiert.

In dieser Sitzung wurden auch Daten von Survodutid, einem weiteren GLP-1-Glucagon-Dualagonisten, und Daten von Retatrutid, einem GLP-1-GIP-Glucagon-Triagonisten von Eli Lilly, vorgestellt. Retatrutid befindet sich in der Entwicklung, um eine Gewichtsabnahme herbeizuführen, während Survodutid (Boehringer Ingelheim und Zealand Pharma) wie Pemvidutid in der Entwicklung ist, um eine Gewichtsabnahme herbeizuführen und Fettlebererkrankungen zu behandeln.

Aronne: „So gut [die Daten zu] Retatrutid auch aussehen, ich bezweifle, dass jeder Mensch mit Adipositas auf der Welt damit behandelt werden wird .... Denken Sie darüber nach, wie Sie Diabetes und jede andere chronische Krankheit behandeln.“

 
So gut [die Daten zu] Retatrutid auch aussehen, ich bezweifle, dass jeder Mensch mit Adipositas auf der Welt damit behandelt werden wird. Dr. Louis J. Aronne
 

Die Moderatorin der Sitzung, Dr. Rajna Golubic vom Oxford Centre for Diabetes, Endocrinology and Metabolism in Oxford, erklärte gegenüber Medscape: „Wir müssen bei der Behandlung nicht nur an den Gewichtsverlust denken. Wir müssen die Person ganzheitlich betrachten und auch andere Aspekte der kardiometabolischen Gesundheit in Betracht ziehen und die Behandlung individuell auf die Komorbiditäten der Patienten abstimmen.“

In Bezug auf duale GLP-1-Glucagon-Agonisten, einschließlich Pemvidutid, wies Golubic darauf hin, dass der Glucagon-Agonismus den gegenteiligen Effekt glukosesenkender Wirkstoffe habe. Pemvidutid sei jedoch „in Hinblick auf eine größere Affinität zum GLP-1-Rezeptor im Vergleich zu Glucagon ausbalanciert“; die vorteilhafte Wirkung überwiege. Golubic sagte auch, es überwiege der Vorteil von Glucagon auf die Leber mit einer Verringerung des Leberfetts, mit positiven Effekten für das Herz, die Nieren und für mit weiteren positiven Effekten auf den Stoffwechsel.

Pemvidutid senkt Gewicht, LDL, Triglyceride und Blutdruck

Zu Beginn seines Vortrags wies Aronne darauf hin, dass Dyslipidämie, Fettlebererkrankung und Bluthochdruck die wichtigsten Begleiterkrankungen der Adipositas seien. Sie würden bei 66% bis 70 %, 58% bis 75% bzw. 45% bis 55% der Patienten auftreten, während Typ-2-Diabetes mit 19% bis 23% weniger häufig sei.

Der GLP-1-Rezeptor-Agonismus von Pemvidutid verringere den Appetit, die Entzündung und die Magenentleerung, während der Glucagon-Agonismus die Lipolyse erhöhe, Fette mobilisiere und den Energieverbrauch steigere, erklärte Aronne.

Design der Studie

In der 48-wöchigen Phase-2-Studie MOMENTUM haben 320 Teilnehmer mit Übergewicht oder Adipositas und mit mindestens einer Adipositas-bezogenen Komorbidität, jedoch nicht mit Diabetes, nach dem Zufallsprinzip wöchentlich 1,2 mg, 1,8 mg oder 2,4 mg Pemvidutid oder Placebo erhalten. Die beiden niedrigeren Pemvidutid-Dosen wurden sofort und ohne Titration verabreicht, während die 2,4-mg-Dosis über 4 Wochen hinweg titriert wurde.

Ergebnisse der Zwischenanalyse

In einer vordefinierten Zwischenanalyse mit 160 Teilnehmern betrug der prozentuale Verlust an Körpergewicht nach 24 Wochen 10,7%, 9,4% bzw. 7,3% bei der 2,4-mg-, der 1,8-mg- und der 1,2-mg-Dosis (p<0,001). Alle Werte für den Gewichtsverlust waren signifikant. Der Gewichtsverlust mit Placebo betrug 1% und war nicht signifikant.

Der Anteil der Patienten, die mindestens 5% ihres Körpergewichts verloren, lag bei 84,6%, 66,7% bzw. 66,7% gegenüber 25% unter Placebo. Die Hälfte der Patienten, die die 2,4-mg- und 1,8-mg-Dosis erhielten, verlor mindestens 10% ihres Körpergewichts. Der Taillenumfang verringerte sich ebenfalls. Patienten, die die 2,4-mg-Dosis erhielten, verloren im Durchschnitt 10,2 cm. „Das ist ziemlich gut, man braucht einen neuen Gürtel“, kommentierte Aronne.

Auch die Gesamtcholesterin- und Triglyzeridwerte wurden in Woche 24 mit der 2,4-mg-Dosis signifikant um 16,5% bzw. 25,0% gesenkt. Der Cholesterinspiegel bei den Lipoproteinen niedriger Dichte (LDL) sank ebenfalls, wenn auch nicht signifikant, während die Lipoproteine hoher Dichte (HDL) signifikant abnahmen.

Der systolische Blutdruck verringerte sich um 5,5 mmHg, und der diastolische Blutdruck sank um 1,8 mmHg in der 2,4-mg-Gruppe. Dieser Effekt war in geringerem Maße bei den Patienten zu beobachten, die niedrigere Dosen erhielten. Bei der Herzfrequenz gab es keine signifikanten Veränderungen.

Die Glukosehomöostase blieb in allen Gruppen über den gesamten Zeitraum von 24 Wochen erhalten.

Wie bei allen Arzneimitteln der Inkretin-Klasse kam es häufig zu gastrointestinalen unerwünschten Ereignissen. Schweres Erbrechen trat bei einer Person in der 1,8-mg-Gruppe und bei 4 Personen in der 2,4-mg-Gruppe auf. Man werde sich bemühen, diese Nebenwirkungen in nachfolgenden Studien zu reduzieren, sagte Aronne.

„Wir haben im Laufe der Zeit gelernt, dass es besser ist, diese Wirkstoffe allmählich hoch zutitrieren, eine Verringerung der Dosis zuzulassen und bei der Erhöhung der Dosis vorübergehend Antiemetika zuzulassen: eine Lektion, die viele bei diesen Studien und natürlich in unserer klinischen Praxis gelernt haben“, sagte er.

Paradigmenwechsel in der Therapie

Golubic erklärte gegenüber Medscape, die Entwicklung wirksamer Inkretin-basierter Medikamente zur Gewichtsreduktion stelle „einen gewaltigen Paradigmenwechsel“ dar. „Die Prävalenz der Adipositas wird bis 2035 bei 35% oder mehr liegen. Eine bariatrische Operation ist nicht für jeden machbar und sehr teuer. Daher brauchen wir Medikamente, die das Gewicht, den Blutzucker und andere kardiometabolische Risikofaktoren senken.“

Die vollständigen 48-Wochen-Daten der MOMENTUM-Studie werden im 4. Quartal 2023 veröffentlicht.

Der Beitrag ist im Original erschienen auf Medscape.com und wurde von Michael van den Heuvel übersetzt und adaptiert.

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