Digital Schmerzen lindern: Wie Apps und VR-Brillen die Therapie unterstützen können – vorgestellt beim Schmerzkongress

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

2. November 2023

Chronische Schmerzen beeinträchtigen die Lebensqualität, schränken oft auch das Sozialleben und die berufliche Leistungsfähigkeit ein. „Für Menschen mit chronischen Schmerzen ist die multimodale Therapie am wirksamsten. In der Versorgung ist das aber schwierig, weil entsprechende Therapieplätze nicht vorhanden sind und die Wartezeiten lang sind“, erklärte Prof. Dr. Axel Schäfer, Hildesheim, Physiotherapeut und Therapieforscher auf der Pressekonferenz zum Schmerzkongress [1].

 „Digitale Therapien über Virtual Reality (VR) und Apps können einen Beitrag leisten, um eine Schmerztherapie zu ergänzen und zu unterstützen“, erklärte Schäfer, der seit Jahren zu VR-Brillen forscht. VR-Brillen und Apps können negative Schmerzüberzeugungen adressieren aber auch das Gesundheitsverhalten positiv beeinflussen, so Schäfer.

Der Bedarf ist groß: Nach unterschiedlichen Schätzungen sind in Europa mindestens 20 bis 30% der Bevölkerung von chronischen Schmerzen betroffen. Schmerzen, die ohne erkennbare körperliche Schädigung in hoher Frequenz über mindestens 3 Monate auftreten, gelten als chronisch.

Eine multimodale Schmerztherapie schließt bisher neben der medikamentösen Therapie auch Bewegung, Entspannungstherapien und eine kognitive Verhaltenstherapie zur Schmerzbewältigung ein. Technologische Werkezuge können diese immer häufiger ergänzen.

 
Digitale Therapien über Virtual Reality und Apps können einen Beitrag leisten, um Schmerztherapie zu ergänzen und zu unterstützen. Prof. Dr. Axel Schäfer
 

Mit dem Avatar wird der eigene Körper wieder als beweglich erlebt

Mit der VR-Therapie haben Patienten die Möglichkeit in eine virtuelle Welt einzutauchen, „für viele ist das auch eine faszinierende Erfahrung“, berichtete Schäfer. Die virtuellen Welten können an die jeweiligen Therapieziele und Vorlieben der Patienten – etwa eine entspannte Umgebung wie Meeresrauschen am Strand – angepasst werden. „Das Besondere ist, dass Patienten die Möglichkeit haben, den eigenen Körper als Avatar wieder als beweglich zu erleben, als stark, gesund und fähig genug zu klettern, zu laufen oder zu springen“. 

 
Patienten haben die Möglichkeit, den eigenen Körper als Avatar wieder als beweglich zu erleben. Prof. Dr. Axel Schäfer
 

Das findet zwar „nur“ in der virtuellen Realität statt, diese Erfahrung bewirkt aber auch, dass die Repräsentation des Körpers in der Großhirnrinde positiv beeinflusst werden könne, erklärte Schäfer. Denn das Problem bei chronischen Schmerzen sei ja, dass Bewegungen und Aktivität mit Angst besetzt sind bzw. gar nicht mehr möglich sind. „Virtual Reality kann da eine wichtige Rolle spielen“, so Schäfer.

Der in einer künstlichen Welt agierende Avatar lenkt effektiv vom Schmerz ab. Gamification – also der spielerische Effekt – motiviert die Patienten dazu, die Therapie durchzuführen und auch durchzuhalten. Der Nutzer kann vollständig in die virtuelle Umgebung eintauchen und den virtuellen Körper im Idealfall als real präsent erleben.

Wie wirkt die VR?

Weil sich durch die Illusion eines virtuellen Körpers auch die Körper- und Schmerzwahrnehmung in der realen Welt verändert, hat die VR in den vergangenen Jahren in der Therapie chronischer Schmerzen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Wie Schäfer berichtete, werden in einem systematischen Review folgende Wirkmechanismen von VR beim Schmerzmanagement genannt:

  • Ablenkung

  • Schmerzedukation => Rekonzeptualisierung

  • Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie, z.B. Zielsetzung und Planung, Feedback und Monitoring, soziale Unterstützung, positive Verstärkung und Selbstbeobachtung

  • VR: Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen)

  • VR: Embodiment durch Immersivität: Die Illusion eines virtuellen Körpers wird genutzt, um die Körperwahrnehmung zu verändern 

Zur Wirksamkeit von VR hat eine Metaanalyse mit 25 Studien große Effekte auf Schmerz und Funktion (Standardized Mean Difference [SMD] 1,6 und 1,4) ergeben, eine weitere Metaanalyse zum Einsatz von VR in der Schmerztherapie (akut, chronisch, prozeduraler Schmerz) konnte kleinere Effekte (SMD 0,65) auf die Schmerzreduktion zeigen. Die Ergebnisse einer Studie aus 2016 legen nahe, dass der Effekt bei jüngeren Patienten mit moderaten bis starken Schmerzen am größten war. Als Nebenwirkungen traten Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und selten Druckgefühl auf.

Die Implementierung der VR-Brillen in die Versorgung steckt allerdings „noch sehr in den Kinderschuhen“, sagte Schäfer. Das mag auch damit zu tun haben, dass die Brillen nicht billig sind – 400 Euro muss man für ein Modell rechnen. Wie Schäfer berichtete, werden VR-Brillen vereinzelt z.B. in Reha-Kliniken oder Physiotherapiepraxen eingesetzt, ergänzend zur regulären Therapie, „aber wir sind von einer flächendeckenden Versorgung weit entfernt.“

 
Wir sind von einer flächendeckenden Versorgung weit entfernt. Prof. Dr. Axel Schäfer
 

Smartphone-Apps: 11 sind für die Indikation Schmerz vom BfArM gelistet

Eine kleine, aber signifikante schmerzreduzierende Wirkung kann auch durch speziell entwickelte Smartphone-Apps erzielt werden. Mittlerweile sind 11 solcher Apps (Stand 11.9 2023) für die Indikation Schmerz vom BfArM nach erfolgreicher Prüfung als erstattungsfähige digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) gelistet worden. „Meist beinhalten sie Elemente wie Stressreduktion, Entspannung, Schlafhygiene, Ernährung oder ein Schmerztagebuch“, fasste Schäfer zusammen. Damit könnten die Apps eine ambulante Therapie unterstützen und helfen, das Erreichte in den Alltag zu übertragen.

Ein systematischer Review zeigte einen kleinen, aber signifikanten Effekt (SMD 0,4) von Smartphone-Apps auf eine Schmerzverbesserung mit vermutlich niedriger Evidenzqualität. Ein aktuelles Review kommt zu dem Schluss, dass mHealth sowohl Schmerzen als auch Funktion und Lebensqualität verbessern kann. 

Ausgewertet wurden 22 randomisiert-kontrollierte Studien an denen 2.641 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen (CLBP), chronisch-muskuloskelettalen Schmerzen (CMSP), chronischen Nackenschmerzen (CNP), chronischen Beckenschmerzen (CPP), Fibromyalgie (FM), interstitieller Zystitis/Blasenschmerzsyndrom (IC/BPS), Reizdarmsyndrom (IBS) und Osteoarthritis (OA) teilgenommen hatten. 

Eingesetzt wurden 23 mHealth-Systeme mit verschiedenen Strategien zum Selbstmanagement. Bei CNP, FM, IC/BPS und OA verringerte sich die Intensität des Schmerzes, bei CLBP, CNP, IBS und OA verbesserte sich die Lebensqualität und bei CLBP, CMSP, CNP und OA nahm die funktionelle Behinderung ab.

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