Berlin – Bereits in der Onkologie entwickelte monoklonale Antikörper und andere Moleküle versprechen, ein „Gamechanger“ für die Behandlung der endokrinen Orbitopathie bei Morbus Basedow zu werden. Diese Ansicht vertrat Prof. Dr. Anja Eckstein, stellvertretende Direktorin der Klinik für Augenheilkunde im Universitätsklinikum Essen bei einer Pressekonferenz im Rahmen der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) [1].

Prof. Dr. Anja Eckstein
Demnach bewirken schon wenige Infusionen mit dem in den USA für diese Indikation bereits zugelassenen IGF1-Rezeptorblocker Teprotumumab, dass die bei Basedow-Patientinnen und -Patienten vorkommende endokrine Orbitopathie zurückgeht und ein Exophthalmus wieder verschwindet. „Dieser Behandlungseffekt bedeutet, dass auch viele Korrekturoperationen gar nicht mehr oder nur noch in reduzierter Form durchgeführt werden müssen, um Aussehen und Sehfunktion wiederherzustellen.“ Aktuell werden weitere monoklonale Antikörper für dieses Therapieziel erforscht.
Gegen krankhafte Volumenvermehrung im Auge
Typische Merkmale der Basedow‘schen Autoimmunerkrankung sind neben der bei etwa der Hälfte der Patienten auftretenden endokrinen Orbitopathie – mit Exophthalmus („Glotzaugen“) und Lidretraktion – eine vergrößerte Schilddrüse sowie eine Tachykardie (Merseburger Trias). Vor allem Frauen im mittleren Lebensalter erkranken daran.
„Betroffene haben Autoantikörper im Blut, die sowohl den TSH- bzw. Thyreotropin-Rezeptor stimulieren und zu einer Hyperthyreose führen als auch einen weiteren Rezeptor im Orbitabindegewebe anschalten“, erläuterte Eckstein. „Hierbei handelt es sich um einen Rezeptor, der normalerweise von IGF1 (insulinähnlicher Wachstumsfaktor 1) stimuliert wird, was die wesentlichen Krankheitsprozesse der endokrinen Orbitopathie, nämlich Fettvermehrung und Hyaluronsäureproduktion, in der Augenhöhle in Gang setzt.“
Die Folgen: Durch die Volumenvermehrung werden die Bulbi nach vorne geschoben (Exophthalmus). Durch die Hyaluronsäure können die Augenmuskeln verdicken und vernarben, was ihre Beweglichkeit verschlechtert und zum Schielen und Doppeltsehen (Diplopie) führen kann.
Antikörper blockieren Hyaluronsäure-Produktion
„In jüngster Zeit wurde nun entdeckt, dass bereits in der Onkologie eingesetzte monoklonale Antikörper genau diesen Mechanismus gezielt blockieren und damit die krankhafte Hyaluronsäureproduktion im Gewebe stoppen können“, erklärte die Essener Ophthalmologin, die an einer der klinischen Studien zu Teprotumumab beteiligt war.
„Bereits nach 4 von 8 Infusionen zeigte sich, dass der proliferative Umbau in der Orbita zurückging und der Exophthalmus verschwand.“ Die bisher bei der endokrinen Orbitopathie übliche Immunsuppression habe hingegen im Wesentlichen nur antientzündliche Effekte und das einmal abgelagerte Bindegewebe werde kaum aufgelöst, sodass hervortretende Augäpfel und Doppelbilder bestehen blieben.
„Dies wiederum bedeutet für stärker betroffene Patienten, dass später im Verlauf – wenn die Krankheitsdynamik meist nach etwa 1 bis 1,5 Jahren zum Stillstand gekommen ist – Korrekturoperationen notwendig werden können.“ Dabei werden u.a. Knochenwände in der Orbita chirurgisch entfernt, um eine knöcherne Dekompression zu erreichen, damit das Zuviel an Orbitagewebe zur Seite weichen kann und die Bulbi wieder in die Augenhöhle einsinken.
Nicht einfach ist Eckstein zufolge auch die Korrektur der schielenden Augen, die nicht selten mehrerer Operationen bedürfe, bis sich die Augen wieder einigermaßen symmetrisch bewegen, Doppelbilder verschwinden und der Patient wieder normal aussieht.
Vermeidbare Korrektur-Operationen
„Ein großer Teil dieser Korrektur-Operationen lässt sich mit dem IGF1-Rezeptorblocker Teprotumumab und ähnlichen, derzeit noch in der klinischen Entwicklung befindlichen Medikamenten entweder vermeiden oder zumindest in signifikant geringerem Ausmaß durchführen. Für die Therapie der betroffenen Patienten bedeutet das den Beginn eines neuen Zeitalters“, ist Eckstein überzeugt.
Allerdings bringt die Blockierung des insulinähnlichen IGF1-Rezeptors auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen mit sich: So steigt die Glukose im Blut, weshalb bei Diabetikern Einschränkungen in der Anwendbarkeit bestehen. Weiterhin spielt IGF1 bei der neuronalen Regeneration insbesondere im Innenohr eine Rolle, sodass bei 10 bis 14% der Studienpatienten Hörstörungen auftraten. Noch nicht geklärt ist, ob einige Patienten zusätzlich zur Antikörpertherapie immunsuppressiv therapiert werden sollten.
In klinischen Studien werden derzeit auch Antikörper und so genannte Small Molecules (Namensendung -mib oder -nib) untersucht bzw. Medikamente entwickelt, die nicht auf den IGF1-Rezeptor zielen, sondern direkt den TSH-Rezeptor (TSHR) blockieren.
Weitere Entwicklungen betreffen Substanzen, welche die Autoantikörperspiegel im Blut vermindern (Antikörper gegen den FcRn-Rezeptor). „Positive Effekte sind auch hier zu sehen“, sagte Eckstein auf Nachfrage von Medscape. „In den bisherigen Studien waren diese Effekte aber nicht so stark wie bei den IGF1R blockierenden Substanzen.“ Detailliertere Einblicke zur Pathogenese und zu aktuellen Entwicklungen bei der Therapie der endokrinen Orbitopathie gibt auch dieser Review.
Zulassung in Europa bis 2025?
Die Essener Expertin glaubt, dass es noch mindestens ein bis eineinhalb Jahre dauern dürfte, bis Teprotumumab auch von der EMA in Europa zugelassen wird. Bis dahin können Basedow-Patienten, die für eine Therapie mit IGF1R oder TSHR blockierenden Medikamenten in Frage kommen, diese in Deutschland nur in Orbitazentren erhalten, die dazu entsprechende Studien durchführen. Hierzu nannte Eckstein außer dem Universitätsklinikum Essen u.a. die Berliner Charité sowie die Universitätskliniken in Dresden, Göttingen, Freiburg, Mainz und Münster.
Eine große Herausforderung stellen allerdings die immensen Kosten der neuen Therapie dar: So kostet der Behandlungszyklus mit Teprotumumab mit meistens 8 Infusionen über 24 Wochen in den USA aktuell um die 400.000 Euro. „Möglicherweise“, so Eckstein, „wird es aus diesen Gründen bei uns eine Zulassungsbeschränkung bzw. Kostenerstattung nur für die Behandlung besonders schwer betroffener Patienten geben.“
Credits:
Photographer: © Zarina Lukash
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Diesen Artikel so zitieren: „Gamechanger“ bei Morbus Basedow? Teurer IGF1-Rezeptorblocker erspart dem Patienten mit Orbitopathie die Operation - Medscape - 2. Nov 2023.
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