Droht der Zusammenbruch des Bereitschaftsdienst-Modells? Bundessozialgericht spricht Poolärzten Selbstständigkeit ab

Christian Beneker

Interessenkonflikte

31. Oktober 2023

Zwar waren die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigung auf die Entscheidung gefasst. Aber die Engpässe konnten sie nicht vermeiden – am 24. Oktober 2023 hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass ein Zahnarzt im Ruhestand, der als „Pool-Arzt“ arbeitete, damit nicht automatisch einer selbstständigen Arbeit nachgeht, sondern einer nicht-selbstständigen Arbeit, und deshalb sozialversicherungspflichtig ist. Er müsste also ebenso wie die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) Beiträge zahlen. Dies gilt, wenn er Einrichtung, Räume und Personal der KZV mitbenutzt und – wie ein Angestellter – nicht an unternehmerischen Entscheidungen beteiligt ist und nach Stunden bezahlt wird.

Auch wenn das Urteil nicht 1 zu 1 übertragbar ist auf die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), reagierten sie doch alarmiert. Denn ohne die Poolärztinnen und -ärzte geht im Notfalldienst vieler Regionen im Land nichts mehr.

Entscheidung über den Notdienst eines pensionierten Zahnarztes gab den Ausschlag

Der klagende Zahnarzt aus Baden-Württemberg hat 2017 seine Praxis verkauft und war nicht mehr zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen, erklärt das Gericht. Aber er übernahm immer wieder Notdienste, die von der KZV organisiert wurden. Der Arzt erhielt für seine Arbeit ein festes Honorar, rechnete also nicht patientenbezogen ab – Grund genug für die Einstufung als abhängig Beschäftigter.

Das Gericht machte allerdings auch klar, dass allein die Teilnahme am Notdienst nicht automatisch als unselbstständige Arbeit gelten muss. Vielmehr sei „eine Gesamtabwägung der konkreten Umstände vorzunehmen“, so die Richter. Der Kläger etwa hatte eine von dritter Seite organisierte Struktur im Notdienst vorgefunden, „in die er sich fremdbestimmt einfügte“, so das BSG. 

Als Pensionär verfügte er auch über keine Abrechnungsbefugnis mehr. „Dass der Kläger bei der konkreten medizinischen Behandlung als Zahnarzt frei und eigenverantwortlich handeln konnte, fällt nicht entscheidend ins Gewicht. Infolgedessen unterlag der Zahnarzt bei der vorliegenden Notdiensttätigkeit aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht“, resümiert das BSG.

Sozialversicherungspflicht – „eine große Gefahr für die Versorgungsstrukturen“

Die Gegenseite hatte argumentiert, dass der Sicherstellungsauftrag, den die KVen haben, auch für den Notdienst gilt. Deshalb unterlägen die Poolärzte, die im Notdienst arbeiteten, auch nicht der Sozialversicherungspflicht.

Bereits im Vorfeld der Entscheidung hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) die Hand gehoben. Die Sozialversicherungspflicht berge „eine große Gefahr für die Versorgungsstrukturen und erweist dem ärztlichen Bereitschaftsdienst einen Bärendienst“, gab KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen zu Protokoll. Denn die Motivation zum Bereitschaftsdienst etwa durch Pensionäre oder Klinikärztinnen und -ärzte werde dramatisch sinken, wenn es wegen der Statusänderung weniger Geld gebe, so der KBV-Chef.

KVen ziehen die Notbremse

Konkret zur Sache ging es bei einigen KVen im Land. Die KV Niedersachsen (KVN) etwa beschloss mit sofortiger Wirkung bei den 160 Poolärztinnen und Poolärzten im Land, „alle Genehmigungen zur selbstständigen Abrechnung von Leistungen im kassenärztlichen Bereitschaftsdient durch Nicht-Vertragsärzte – also Poolärzte – auszusetzen.“ Die KVN rechnet infolgedessen nach eigenen Angaben bereits am Reformationstag und den folgenden Feier- und Brückentagen mit Engpässen im Bereitschaftsdienst, „da die bereits eingeteilten 60 Poolärzte nicht unmittelbar ersetzt werden können“, so der stellvertretende KVN-Vorstandsvorsitzende, Thorsten Schmidt

Auch die KV Baden-Württemberg (KVBW) zog die Notbremse. Es gelte ab sofort (25. Oktober 2023) ein Notfallmaßnahmenplan, der für mindestens 3 Monate gelten soll, so die KVBW in einer Mitteilung. Danach sollen Poolärzte mit sofortiger Wirkung im Südwesten nicht mehr zum Bereitschaftsdienst eingeteilt werden. Vertragsärzte hingegen sollen dazu verpflichtet werden, auch wenn sie lange keinen Dienst mehr gemacht haben. Es können weiterhin Dienste getauscht oder abgegeben werden, aber nur mit anderen Vertragsärzten.

KV Bremen setzt auf Verhandlungen

Die KV Bremen indessen setzt auf Geduld und Verhandlungen. Das teilte der Sprecher der KVHB, Christoph Fox, auf Anfrage mit. „Im Bundesland Bremen übernehmen 65 sogenannter Pool-Ärzte in Spitzenzeiten bis zu etwa 45 Prozent aller Dienste in unseren 6 Bereitschaftsdienst-Zentralen“, so Fox. „Insofern haben wir das Urteil mit sehr großer Sorge zur Kenntnis genommen.“ Die KV Bremen stimme sich derzeit mit ihren Gremien ab. 

Auf der Sitzung der Vertreterversammlung der KVHB am 5. Dezember 2023 sollen dann „Entscheidungen herbeigeführt werden, die eine rechtskonforme und finanzierbare Aufrechterhaltung der Bereitschaftsdienste ermöglichen sollen.“ Die KV Bremen setze darauf, dass Regelungen getroffen werden können, die wie beim Rettungsdienst eine Befreiung von der Sozialversicherungspflicht zum Ziel haben, hieß es. Fox: „Sollte dies nicht möglich sein, kann auch die KV Bremen Leistungskürzungen im Bereitschaftsdienst nicht ausschließen.“

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