Vitamin C nutzlos bei COVID-19; Besonderheit in Nasenschleimhaut schützt Kinder; erhöhtes GBS-Risiko durch Infektionen – nicht durch Impfungen

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

2. November 2023

Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zu COVID-19.

Corona-Newsblog, Update vom 2. November 2023

  • COVID-19 – die Lage in Deutschland

  • Aktiveres Immunsystem in den Atemwegen schützt Kinder vor schweren Verläufen

  • Modell zur Prognose: Welche neuen SARS-CoV-2-Varianten sind zu erwarten? 

  • COVID-19: Vitamin C als Infusion bleibt ohne durchschlagenden Effekt  

  • Long-COVID: Objektiver Nachweis für mentale Fatigue

  • Guillain-Barré-Syndrom: COVID-19-Infektionen scheinen das Risiko zu erhöhen – Impfungen verringern wohl die Gefahr

  • Merkmale der Post-COVID-19-Cholangiopathie – und Möglichkeiten der Behandlung 

  • Modellprojekt zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Long-COVID

COVID-19 – die Lage in Deutschland

Im Corona-Pandemieradar berichtet das Bundesministerium für Gesundheit über aktuelle Zahlen. Die 7-Tage-Inzidenz liegt bei 21 Fällen pro 100.000 Einwohner (Vorwoche: 16). Auch die Zahl der Arztbesuche wegen einer akuten Atemwegserkrankung mit COVID-19-Diagnose ist angestiegen – auf 125 je 100.000 Einwohner (Vorwoche: 113). Aktuell sind 657 Patienten mit einer Corona-Infektion in intensivmedizinischer Behandlung (Vorwoche: 526).

Weitere Informationen kommen aus dem ARE-Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI). Forscher am Nationalen Referenzzentrum (NRZ) für Influenzaviren haben in Woche 42 in insgesamt 68 (53%) der 129 eingesandten Sentinelproben respiratorische Viren nachgewiesen. Darunter waren oft Rhinoviren (27%) oder SARS-CoV-2 (20%). 

Laut Abwasser-Surveillance setzte sich der bisherige Trend mit steigenden Nachweiswerten in der Mehrzahl der Standorte fort. Der Anteil der SARS-CoV-2-Variante EG.5 („Eris“) lag in der 40. KW 2023 bei knapp 46%. Die Variante BA.2.86 („Pirola“) wurde seit der 34. KW bisher 23-mal nachgewiesen.

Aktiveres Immunsystem in den Atemwegen schützt Kinder vor schweren Verläufen

Während der Pandemie stieg die COVID-19-Sterblichkeitsrate fast exponentiell an; sie erreichte bei hochbetagten Menschen über 10%. Zum Vergleich: Weniger als 0,001% aller infizierten Schulkinder starben an COVID-19. Wie lässt sich der Unterschied erklären? Über neue Erkenntnisse hat Univadis.de berichtet.

Wissenschaftler fanden heraus, dass die Epithelzellen der Nasenschleimhaut von gesunden Kindern dauerhaft in „erhöhter Alarmbereitschaft“ sind. Sensorproteine, welche das Virus an seinem RNA-Erbgut erkennen und eine Interferon-Antwort einleiten, sind in Zellen der kindlichen Nasenschleimhaut deutlich stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen. Dadurch kann das Virus, sobald es in der Zelle ankommt, schnell erkannt und bekämpft werden kann.

Im Vergleich zu Erwachsenen wird die Nasenschleimhaut der Kinder nicht nur von deutlich mehr Immunzellen besiedelt. Bereits bei gesunden, nicht infizierten Kindern produzieren die einzelnen Immunzellen zudem mehr entzündungsfördernde Botenstoffe, so genannte Zytokine. Über diese Botenstoffe kommuniziert das Immunsystem mit den Schleimhautzellen, und regt sie zur Produktion der Sensorproteine an.

Damit haben Kinder offenbar einen angeborenen starken Schutzmechanismus gegen Atemwegsinfekte, der wahrscheinlich auch bei der Abwehr anderer Viren greift.

Modell zur Prognose: Welche neuen SARS-CoV-2-Varianten sind zu erwarten? 

Forscher haben ein Modell entwickelt, das die wahrscheinliche Evolution von SARS-CoV-2-Virus prognostiziert. Ihr Tool kann die kurzfristige Entwicklung zirkulierender Stämme vorhersagen und neue Varianten erkennen, die vorherrschende Variante verdrängen werden. Es prognostiziert auch, wie wahrscheinlich eine Immunflucht der Varianten ist – und welche Mechanismen dazu führen. Das Modell arbeitet mit zeitaufgelösten Sequenzdaten, mit epidemiologischen Daten und mit Daten der Kreuz-Neutralisierung.

In der aktuellen Situation werden Prognosen wichtiger denn je. Wie die Forscher schreiben, zeige sich, dass die menschliche Immunität zur hauptsächlichen Triebkraft der Evolution von SARS-CoV-2 geworden sei. 

COVID-19: Vitamin C als Infusion bleibt ohne durchschlagenden Effekt  

Bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19 verbesserte intravenös verabreichtes Vitamin C das Krankheitsbild nicht signifikant, wie eine neue Studie zeigt. Deren Ergebnisse entkräfteten die Hypothese, Vitamin C könne sich aufgrund seiner Eigenschaften als Antioxidans, als Immunmodulator und als Cofaktor für zahlreiche Enzyme bei viraler Sepsis eignen, heißt es in einem begleitenden Editorial

Daten kamen aus 2 prospektiven, randomisierten klinischen Studien. Zwischen 23. Juli 2020 und 15. Juli 2022 wurden schwerkranke Patienten, die auf Intensivstationen mit Organunterstützung behandelt wurden (90 Standorte), und nicht schwerkranke Patienten (40 Standorte) eingeschlossen. Sie erhielten randomisiert alle 6 Stunden über 96 Stunden hinweg intravenös verabreichtes Vitamin C oder Placebo bzw. kein Vitamin C.

Das primäre Ergebnis war ein Kompositum aus organunterstützungsfreien Tagen, definiert als Tage, an denen Patienten auf der Intensivstation bis zum Tag 21 am Leben und frei von respiratorischer und kardiovaskulärer Unterstützung waren, sowie das Überleben bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus. 

Den Autoren standen Daten von 1.568 kritisch kranken Patienten (1.037 in der Vitamin-C-Gruppe und 531 in der Kontrollgruppe; Durchschnittsalter 60 Jahre; 35,9% waren weiblich) zur Verfügung. Hinzu kamen Daten von 1.022 Patienten, die nicht kritisch krank waren (456 in der Vitamin-C-Gruppe und 566 in der Kontrollgruppe; Durchschnittsalter 62 Jahre; 39,6% weiblich). 

Die Ergebnisse: 

  • Bei schwerkranken Patienten betrug die mediane Anzahl der organunterstützungsfreien Tage 7 für die Vitamin-C-Gruppe gegenüber 10 für die Kontrollgruppe (OR 0,88; 95%-Glaubwürdigkeitsintervall 0,73 bis 1,06). Die Wahrscheinlichkeiten lagen bei 8,6% (Wirksamkeit), 91,4% (Schaden) und 99,9% (Nutzlosigkeit). 

  • Bei nicht kritisch kranken Patienten betrug die mediane Anzahl der organunterstützungsfreien Tage 22 für die Vitamin-C-Gruppe gegenüber 22 für die Kontrollgruppe (OR 0,80; 95%-Glaubwürdigkeitsintervall 0,60 bis 1,01). Die Wahrscheinlichkeiten lagen bei 2,9% (Wirksamkeit), 97,1% (Schaden) und mehr als 99,9% (Nutzlosigkeit). 

  • Bei kritisch kranken Patienten betrug die Überlebensrate bis zur Krankenhausentlassung 61,9% (642/1.037) in der Vitamin-C-Gruppe gegenüber 64,6% (343/531) in der Kontrollgruppe (OR 0,92; 95%-Glaubwürdigkeitsintervall 0,73 bis 1,17). Die Wahrscheinlichkeit für die Wirksamkeit der Therapie lag bei 24,0%. 

  • Bei nicht kritisch kranken Patienten betrug die Überlebensrate bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus 85,1% (388/456) in der Vitamin-C-Gruppe gegenüber 86,6% (490/566) in der Kontrollgruppe (OR 0,86; 95%-Glaubwürdigkeitsintervall 0,61 bis 1,17). Die Wahrscheinlichkeit für die Wirksamkeit der Therapie lag bei 17,8%. 

Long-COVID: Objektiver Nachweis für mentale Fatigue

Charakteristisch für Aufmerksamkeits- und Konzentrationsprobleme bei Long-COVID ist eine verlangsamte Informationsverarbeitung, wie Forscher jetzt berichten. Mit entsprechenden Tests gelingt es, die Erkrankung objektiv zu belegen und eine Zielgröße für Therapien zu definieren. 

Im Rahmen ihrer Studie untersuchten Forschende die kognitive Leistungsfähigkeit von 40 Patienten mit Post-COVID und von 40 gesunden Kontrollpersonen. Alle Teilnehmer absolvierten einen computerbasierten Test, bei dem sie kurzzeitig Buchstaben erfassen und benennen sollten. Dabei gilt die Geschwindigkeit als Maß für ihre geistige Reaktionsfähigkeit. Anhand einer Brille mit integrierter Infrarotkamera erfasste das Team die physiologische Pupillenunruhe: ein Maß für die allgemeine Gehirnaktivierung. Außerdem schätzten Probanden ihre mentale Erschöpfung per Fragebogen selbst ein. 

„Die Post-COVID-Gruppe hat im Vergleich zur Kontrollgruppe eine geringere Verarbeitungsgeschwindigkeit und ermüdet schneller“, sagt Eva Maria Martin von der Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Jena. „Damit können wir die von den Betroffenen berichtete mentale Fatigue objektiv nachweisen.“ 

Auch in klinisch etablierten Standardtests zeigten Patienten mit Post-COVID-Symptomen Defizite, wenn es um eine schnelle Informationsverarbeitung und eine schnelle Reaktion ging. Die Symptome hielten unverändert 6 Monate lang an. 

Guillain-Barré-Syndrom: COVID-19-Infektionen scheinen das Risiko zu erhöhen – Impfungen verringern wohl die Gefahr

Daten zum Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms (GBS) nach einer COVID-19-Infektion oder einer Impfung waren bislang nicht schlüssig. Eine neue, populationsbasierte Studie deutet darauf hin, dass nur SARS-CoV-2-Infektionen mit einem erhöhten GBS-Risiko verbunden ist. Impfungen mit dem mRNA-Vakzin von BioNTech/Pfizer scheinen das GBS-Risiko sogar zu verringern. 

Grundlage der Publikation war eine Fall-Kontroll-Studie mit 3.193.951 Personen aus Israel im Alter von mindestens 16 Jahren ohne vorherige GBS-Diagnose. Die Probanden wurden vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2022 beobachtet. 10 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Kontrollpersonen wurden hinsichtlich Alter und Geschlecht mit jedem GBS-Fall abgeglichen. 

Insgesamt fanden Ärzte bei 76 Patienten während der Nachbeobachtung ein GBS. Ihnen wurden statistisch 760 Kontrollpersonen zugeordnet. 

Ein positiver Test auf SARS-CoV-2 lag bei 9 (11,8%) Fällen und 18 (2,4%) Kontrollen vor. 8 (10,5%) Fälle und 136 (17,9 %) hatten eine Impfung gegen COVID-19 erhalten, meist mit dem mRNA-Vakzin von BioNTech/Pfizer. Die OR für eine GBS-Diagnose in Verbindung mit einer SARS-CoV-2-Infektion bzw. mit einer COVID-19-Impfung betrug 6,30 (95%-KI 2,55-15,56) bzw. 0,41 (95%-KI 0,17-0,96). Die Autoren sehen in den Resultaten ein weiteres Argument, sich impfen zu lassen.

Merkmale der Post-COVID-19-Cholangiopathie – und Möglichkeiten der Behandlung 

SARS-CoV-2 infiziert zwar vorrangig den Respirationstrakt, kann aber auch viele andere Organsysteme in Mitleidenschaft ziehen. Bei schwerem COVID-19 kann es zu einer Cholangiopathie, sprich einer Schädigung der Gallengänge, kommen. Ziel einer neuen Studie war, die endoskopischen Merkmale des Krankheitsbildes genauer zu definieren und die Rolle der endoskopischen retrograden Cholangiopankreatographie (ERCP) bei der Behandlung dieser Erkrankung zu skizzieren. Darüber hatte  Medscape.com  berichtet. 

Die Forscher analysierten klinische Daten und endoskopische Befunde von 141 ERCP-Eingriffen bei 46 Patienten. Alle Studienteilnehmer wurden vom Zeitpunkt der Diagnose bis zur Lebertransplantation oder zum Tod beobachtet.

Die Prognose erwies sich als schlecht, mit 1-Jahres-Überlebensraten ohne Lebertransplantation von 44%. Patienten mit peribiliären Leberabszessen oder Zerstörung der zentralen Gallenwege hatten tendenziell eine schlechte Prognose. Die interventionelle Endoskopie hatte einen positiven Effekt auf die Cholestaseparameter (Gamma-Glutamyltranspeptidase, alkalische Phosphatase und Bilirubin), wobei such 58,1% aller Einzelwerte bei der Studie verbessert hatten. 

Generell ist die Post-COVID-Cholangiopathie keine Spätkomplikation der Intensivbehandlung. Vielmehr handelt es sich um ein frühes Ereignis im Verlauf von COVID-19, wie die Forscher berichten. Das Krankheitsbild ist eher destruktiver als verengender Natur. Es verursacht irreversible Schäden an den Gallengängen. Diagnosekriterien sind u.a. die Zerstörung der intrahepatischen Gallenwege in zentripetaler Richtung und multifokale Abszesse. 

Die kognitive Verhaltenstherapie – ein vielversprechender Ansatz bei Post-COVID

Forscher haben auf Grundlage eines etablierten kognitiv-behavioralen Behandlungsprotokolls eine spezielle Gruppenintervention für Personen mit Post-COVID entwickelt. Diese wurde laut einer Studie von Teilnehmern und Therapeuten gut angenommen. Jede Sitzung wurde als verständlich eingestuft; die allgemeine Zufriedenheit mit den Sitzungen war hoch. Prä-Post-Effektgrößen zeigten eine signifikant verringerte subjektive Müdigkeit und eine verbesserte Bewältigung der Krankheit.

Das Behandlungsprogramm umfasst 8 Sitzungen mit psychoedukativen und erfahrungsbasierten Interventionen. 64 stationäre Patienten mit Post-COVID-Beschwerden laut WHO-Definition haben daran teilgenommen. Nach jeder Sitzung wurden Bewertungsbögen ausgefüllt und psychometrische Fragebögen zur somatischen und psychopathologischen Symptombelastung vor und nach der Intervention erhoben.

„Die Ergebnisse müssen jedoch aufgrund des Fehlens einer Kontrollgruppe und einer Nachbeobachtung, der geringen Stichprobengröße und einer relativ hohen Abbrecherquote mit Vorsicht interpretiert werden“, schreiben die Autoren. Weitere Studien sollen die offenen Fragen klären. 

Modellprojekt zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Long-COVID

Obwohl SARS-CoV-2-Infektionen bei Kindern und Jugendlichen oft mild oder symptomlos verlaufen, sind auch sie mitunter von Long-COVID betroffen. Die Symptome reichen von einer leichten, vorübergehend auftretenden Leistungsminderung bis hin zur schwersten Ausprägung einer Myalgischen Encephalomyelitis bzw. eines Chronic Fatigue Syndroms (ME/CFS). 

Für diese Patienten haben die Unikliniken in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm das Modellprojekt „MOVE-COVID“ zur sektorenübergreifenden Versorgung entwickelt. Sie werden es unter Koordination des Universitätsklinikums Freiburg gemeinsam umsetzen. Das Akronym steht für „molekularimmunologische Charakterisierung & multimodal-multizentrische intersektorale Versorgung von Long COVID im Kindes- und Jugendalter in Baden-Württemberg“. 

Ziel ist, die Versorgung spezifisch an Bedürfnissen jugendlicher Patienten auszurichten. So können lange Fehlzeiten in der Schule gravierende Folgen für den weiteren Lebensweg haben; hier sind individuelle Angebote gefragt. Bei den Untersuchungen der Patientinnen und Patienten werden verschiedene Proben genommen und Daten gesammelt. Das Register soll die weitere, systematische und gezielte Erforschung des Krankheitsbildes ermöglichen, etwa durch virologische, immunologische und radiologische Spezialdiagnostik.

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