Neue Strategie beim Hochrisiko-NSCLC: Amivantamab plus Chemotherapie verlängern progressionsfreies Überleben deutlich

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

23. Oktober 2023

Madrid – Eine Erstlinien-Kombinationstherapie mit dem bispezifischen Antikörper Amivantamab und mit Chemotherapie verlängert im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie bei NSCLC-Patienten mit EGFR-Exon20-Insertionsmutation das progressionsfreie Überleben (PFS) signifikant von 6,7 Monaten auf 11,4 Monate. Damit hat die Phase-3-Studie PAPILLON ihren primären Endpunkt erreicht, wie Prof. Dr. Nicolas Girard, Institut Curie, Paris, bei der Jahrestagung der European Society for Medical Oncology (ESMO) 2023 berichtet hat [1]. Parallel sind die Ergebnisse im New England Journal of Medicine erschienen [2].

Diskutant Prof. Dr. Benjamin Besse, Gustav Roussy Cancer Campus, Paris, wies darauf hin, dass bei Lungenkrebs mittlerweile etliche Mutationen bekannt seien, was zu einer Aufteilung in immer kleinere Subgruppen führe. Dazu gehört auch das NSCLC mit EGFR-Exon20-Insertionsmutation.

„Die Verringerung des Risikos für den primären Endpunkt um 60% ist ziemlich bemerkenswert“, kommentierte Besse die Ergebnisse. Die Kombination von Amivantamab mit einer Chemotherapie ist seiner Meinung nach sinnvoll, denn in der Phase-1-Studie CHRYSALIS war Amivantamab bei stark vorbehandelten Patienten eingesetzt worden.

 
Die Verringerung des Risikos für den primären Endpunkt um 60% ist ziemlich bemerkenswert. Prof. Dr. Benjamin Besse
 

Besse erläuterte, dass mit Mobocertinib in den USA ein weiterer Tyrosinkinase-Inhibitor für die Behandlung von NSCLC mit EGFR-Exon20-Insertionsmutation bedingt zugelassen worden sei. Dieser wurde aber Anfang Oktober 2023 wegen fehlender Wirksamkeit in der Phase-3-Studie EXCLAIM-2 vom Hersteller vom Markt genommen.

Sein Fazit lautete, dass die PAPILLON-Studie Amivantamab plus Chemotherapie als neuen Standard in der Erstlinientherapie bei NSCLC mit EGFR-Exon20-Insertionsmutation etabliert habe.

Seltene Mutation – kaum Therapiemöglichkeiten

Veränderungen im EGFR-Gen gehören zu den häufigsten aktivierenden Mutationen bei NSCLC. Insertionen in Exon 20 können bei bis zu 12% aller EGFR-mutierten Lungenkarzinom vorkommen. Insgesamt liegt bei etwa 1,3% aller NSCLC eine solche Mutation vor, sie ist also selten. Die Prognose der betroffenen Patienten ist schlecht. Sie überleben im Median 16 bis 24 Monate, die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei 8%.

Weil durch die Insertionsmutation die Konformation an der Kinase-aktiven Stelle verändert ist, binden Tyrosinkinase-Inhibitoren nur unzureichend; sie sind weitgehend unwirksam. Auch für Immuncheckpoint-Inhibitoren konnte bislang kein Nutzen gezeigt werden. Als Standard gilt eine Platin-basierte Chemotherapie, aber sie hat ebenfalls nur eine begrenzte Wirkung.

Amivantanab (Rybrevant®) ist seit Dezember 2021 in der EU bedingt als zur Monotherapie erwachsener Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC und aktivierenden Exon-20-Insertionsmutationen des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR) nach Versagen einer platinbasierten Therapie zugelassen.

Es ist ein bispezifischer Antikörper, der gegen den epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGFR) und den mesenchymal-epithelialen Transitionsfaktor (MET) gerichtet ist. Er bindet an die extrazellulären Domänen von EGFR und MET.

Der bedingten Zulassung lagen die Daten der Phase-1-Studie CHRYSALIS zu Grunde. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte jedoch Amivantamab im Juli 2022 mit „Zusatznutzen nicht belegt“ beurteilt. Darauf hatte Janssen-Cilag das Medikament im August 2022 kurzfristig vom deutschen Markt genommen, was von Experten kritisiert wurde.

Avimantamab in Kombination mit Chemotherapie

Nun verglich die internationale Arbeitsgruppe in der randomisierten Phase-3-Studie PAPILLON die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Amivantamab plus Chemotherapie (Carboplatin/Pemetrexed; n=153) mit Chemotherapie allein (n=155) als Erstlinientherapie bei Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC und Exon-20-Insertionsmutation. Patienten der Chemotherapie-Gruppe konnten optional auf eine Zweitlinientherapie mit Amivantanab allein wechseln.

Die demographischen Parameter der beiden Gruppen waren ähnlich. Das mediane Alter der Patienten lag bei 61 Jahren. Der Frauenanteil lag bei 56 bis 60%; 59 bis 64% der Patienten waren Asiaten und fast 60% hatte nie geraucht, was typisch für diese Patientenpopulation ist. 23% hatten zu Studienbeginn Hirnmetastasen.

Nach einem medianen Follow-Up von 14,9 Monaten waren die Patienten im median 9,7 Monate mit Amivantamab-Chemotherapie und 6,7 Monate mit Chemotherapie behandelt worden. Bei der Datenerhebung am 3. Mai 2023 wurden in der Verum-Gruppe noch 46%, in der Vergleichsgruppe 15% weiter behandelt. Aus der Vergleichsgruppe hatten 65 Patienten auf Amivantamab gewechselt.

Primärer Endpunkt erreicht

Der primäre Endpunkt der Studie wurde erreicht. In der Amivantamab-Chemotherapie-Gruppe lebten Patienten 11,4 Monate progressionsfrei (PFS), in der Chemotherapie-Gruppe 6,7 Monate. Das bedeutet eine signifikante Senkung des Risikos für Progression oder Tod um fast 60% (HR 0,395, p<0,0001). Das 12-Monats-PFS lag bei 48 bzw. 13%, das 18-Monats-PFS bei 31 bzw. 3%. Dieser Effekt auf das PFS war in allen vordefinierten Subgruppen nachzuweisen.

Auf Amivantamab-Chemotherapie sprachen 73% der Patienten, auf alleinige Chemotherapie 47% an (OR 3,0, p<0,0001). Im Median dauerte es 6,7 bzw. 11,4 Wochen, bis die Patienten auf die Antikörper-Chemo-Kombi bzw. die Chemo ansprachen. Das Ansprechen hielt 9,7 bzw. 4,4 Monate an.

 
Obwohl wir ausgereiftere OS-Daten benötigen, ist es ermutigend, einen Trend zugunsten von Amivantamab als Erstmedikation zu sehen (…). Prof. Dr. Benjamin Besse
 

Das mediane PFS nach der ersten Folgetherapie (PFS2) ist in der Avimantamab-Chemotherapie-Gruppe derzeit noch nicht erreicht, in der Chemotherapie-Gruppe dauerte es 17,2 Monate. Dies bedeutet eine Senkung des Risikos für eine 2. Progression oder Tod von über 50% (HR 0,493, p=0,001).

Die Daten zum Gesamtüberleben (OS) sind noch nicht reif. Insgesamt waren bis zur ersten Datenanalyse 70 Patienten gestorben. Das mediane OS ist in der Verum-Gruppe noch nicht erreicht, in der Chemotherapie lag es bei 24,4 Monaten. Im Trend zeigte sich eine Risikosenkung um über 30%. „Obwohl wir ausgereiftere OS-Daten benötigen, ist es ermutigend, einen Trend zugunsten von Amivantamab als Erstmedikation zu sehen, trotz der Crossover-Rate von 54% bei Progression der Patienten vom Kontrollarm zu Amivantamab“, kommentierte Besse.

Nebenwirkungen vom Schweregrad 3 waren mit 75% in der Amivantamab-Gruppe häufiger als mit 54% in der Chemotherapie-Gruppe. Bei 5% bzw. 3% der Patienten führten Nebenwirkungen zum Tod.

Die häufigsten unerwünschten Ereignisse, die bei mindestens 15% der Patienten in beiden Gruppen berichtet wurden, waren Neutropenie (59%), Paronychie (56%) und Hautausschlag (54%) in der Amivantamab-Chemotherapie-Gruppe sowie Anämie (55%), Neutropenie (45%) und Übelkeit (42%) in der Chemotherapie-Gruppe. Zu Infusions-bedingten Reaktionen kam es bei 42% in der Amivantamab-Chemotherapie-Gruppe und 1% in der Chemotherapie-Gruppe.

 

Die für EGFR-Inhibitoren charakteristischen Nebenwirkungen können für Patienten sehr unangenehm sein. Prof. Dr. Benjamin Besse

 

Nach Aussage von Besse hat die Wirksamkeit von Amivantamab ihren Preis: „Die für EGFR-Inhibitoren charakteristischen Nebenwirkungen können für Patienten sehr unangenehm sein. Die Halbwertszeit von Amivantamab von 11 Tagen bedeutet, dass es einige Zeit dauert, bis die Wirkung nachlässt, wenn die Behandlung abgebrochen oder unterbrochen wird. Ärzte sollten daher aggressiv bei Nebenwirkungen vorgehen, sobald sie auftreten“, sagte er.

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Kommentar

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