Weil das Gesundheitswesen in erster Linie renditeorientiert ist, wird in Kliniken immer noch zu wenig für den Klimaschutz getan. Im Interview mit Coliquio warnt Notfallmediziner Dr. Moritz Völker vor den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und gesundheitlichen Risiken. Völker ist Anästhesist und Notfallmediziner in Weiterbildung im Evangelischen Krankenhaus Herne. Als Vorsitzender der jungen Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund setzt er sich für bessere Arbeitsbedingungen in der Weiterbildung sowie für mehr Klimaschutz in Kliniken ein.
Coliquio: Das Thema Klimaschutz wird im Gesundheitssystem immer noch stiefmütterlich behandelt. Woran liegt das?
Völker: Weil das Gesundheitswesen – allem voran die Krankenhäuser – nach wie vor in erster Linie renditeorientiert handeln müssen. Das steht kurzfristig oft in einem vermeintlichen Widerspruch zu notwendigen Investitionen oder auch einfachen Verhaltensänderungen. Und während geschäftsführend der Handlungsspielraum und manchmal auch die Motivation nicht ausreichend sind, sind die Mitarbeitenden oft so ausgelastet mit dem Arbeitsalltag, dass man sich vor weiteren Aufgaben schützt und dann eben weitermacht wie bisher.
Der Gesundheitssektor läuft am Limit und ist permanent mit sich beschäftigt. Klar ist auch, dass Leitungspositionen vielfachen Zwängen ausgesetzt sind und nicht immer handeln können wie sie wollen.
Coliquio: Es gibt also sehr grundlegende, strukturelle Hindernisse?
Völker: Ja, absolut. Und gleichzeitig gibt es nach wie vor Verantwortliche in Politik und dem Gesundheitssektor, die die Ernsthaftigkeit der Lage und die Zusammenhänge nicht sehen. Wir glauben manchmal, die Lösung würde diktiert werden, und wir vertrauen zu selten auf unsere eigenen Gestaltungsmöglichkeiten. Ich fürchte sogar, dass viele erst auf konkrete Anweisungen „von oben“, also gesetzgeberisch, warten.
Dabei wird es ab dem kommenden Jahr mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und der ebenfalls verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung bereits konkrete Verpflichtungen für die Klinken geben – die bei Nichteinhaltung auch sanktioniert werden.
Und na klar, es fehlt leider an finanziellen Mitteln. Aktuellen Berechnungen zufolge sind das etwa 35 Milliarden Euro, um die Krankenhäuser deutschlandweit klimafreundlich zu sanieren. Damit wäre zumindest getan, was wir direkt beeinflussen können – das Einsparpotenzial in Lieferketten und Entsorgung wäre damit noch immer nicht ausgeschöpft.
Coliquio: In welchen Bereichen wünschen sich junge Ärztinnen und Ärzte Verbesserung?
Völker: Wir wollen natürlich in erster Linie für unsere Patientinnen und Patienten da sein. Gleichzeitig hat unsere aktuelle Umfrage eindrücklich gezeigt, dass die Eindämmung des Klimawandels eine elementare Rolle spielt. 4 von 5 Befragten sehen das so, denn sie wissen auch, dass der Klimawandel sich immer stärker auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirken wird. Das Thema ist in dieser Generation so präsent, dass über 80% sogar einen Arbeitsplatz bevorzugen, der Klimaschutz stärker in den Fokus nimmt.

Dr. Moritz Völker
Der offensichtliche finanzielle Druck, das fehlende Personal und die strukturellen Begebenheiten sind keine Idealvoraussetzungen, um als guter Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Die jungen Ärztinnen und Ärzte erleben diese Limitationen ja tagtäglich, möchten aber in modernen Strukturen und unter zeitgemäßen Bedingungen arbeiten. Da gehört heute eher die Rücksichtnahme auf umweltrelevante Themen wie Mülltrennung, Dienstfahrrad, vegetarische Gerichte oder ähnliches dazu, anstatt mit einer „attraktiven“ Betriebsrente zu werben.
Coliquio: Welche Verantwortung sehen Sie bei sich bzw. beim Hartmannbund? Und welche Lösungsansätze gibt es?
Völker: Wir verstehen uns als Multiplikator, um „Green Pressure“ auszuüben. Wir gehen einerseits durch die Reduktion unseres eigenen „CO2- Fußabdrucks“ voran, als auch durch das repetitive Hinweisen auf die notwendigen Veränderungen. Es muss künftig „Health in all policies“ lauten. Und wenn wir das konsequent umsetzen, muss auch der Klimawandel und Klimaanpassungen auf allen Ebenen mitgedacht werden.
Insgesamt sind gesellschaftliche Veränderungen ja selten ein linearer Prozess. Wir müssen und werden soziale Kipppunkte erreichen, das bedeutet: Gesellschaftliche Veränderungen werden sich durchsetzen. Dazu muss man nicht direkt alle überzeugen. Es genügt eine engagierte Minderheit, die die Einstellung einer Mehrheit beeinflusst. Irgendwann ist eine kritische Masse überzeugt, bei der dann schon ein kleiner Auslöser reichen kann, um eine Dynamik auszulösen, die alle gesellschaftlichen Bereiche erfassen und verändern wird. Wir verstehen uns als ein Teil dieses Engagements.
Je mehr Menschen an etwas glauben, desto eher wird sich diese Erwartung auch erfüllen – quasi eine selbsterfüllende Prophezeiung. Das erleben wir oft im Guten wie im Schlechten. Wir müssen daran arbeiten, dass sich die relevanten Akteure nicht weiter im Fingerhakeln üben, sondern an einem Strang ziehen und die notwendigen Anpassungen auf den Weg bringen.
Das Ziel muss sein, Gesundheitseinrichtungen in den kommenden Jahren zu klimafreundlichen und klimaresilienten Organisationen zu entwickeln. Das muss auch bei der anstehenden Strukturreform mitgedacht werden. Daran arbeiten wir als gut vernetzter Verband auf verschiedenen Ebenen.
Wir wissen, dass es nicht „die“ eine Lösung gibt und das Herangehen an das Thema komplex scheint. Es wäre aber fatal, auf einen perfekten Plan zu warten oder auf die ordnende Hand „von oben“. Beim Klimaschutz ist es wichtig, einfach mal anzufangen, denn jede eingesparte Tonne CO2 spart uns Geld, verschafft uns Zeit und damit schlussendlich auch mehr Gesundheit.
Coliquio: Welche positiven Initiativen oder Entwicklungen gibt es bereits, um den Klimaschutz in Krankenhäusern zu verbessern?
Völker: Wir sehen vermehrt einzelne Arbeitgeber, die ermutigend vorangehen und beispielsweise Photovoltaikanlagen auf ihre Dächer setzen oder andere Sanierungen voranbringen. Es gibt tolle Projekte wie das KliK Green-Netzwerk mit seiner Datenbank, in der frei zugänglich Maßnahmen aus den Bereichen Energieeffizienz eingesehen werden können, oder auch das KliOL-Projekt in Heidelberg („Klimaschutz an Kliniken durch Optimierung der Lieferketten“), das CO2 Emissionen durch Transparenz und Umstrukturierung von Lieferketten erreichen möchte, sowie viele weitere Ansätze, um hier voranzukommen.
Mich erfreut besonders, dass es immer mehr große Institutionen gibt, die sich dem Thema annehmen. Zuletzt macht mir die Gründung des Kompetenzzentrum für klimaresiliente Medizin und Gesundheitseinrichtungen (KliMeG) Hoffnung. Es soll Krankenhäuser und andere Akteure des Gesundheitswesens dabei unterstützen, klimaneutral, klimaresilient und klimafreundlich zu werden.
Coliquio: Diese Projekte klingen gut. Und was kann jede und jeder Einzelne tun?
Diese Projekte sind alle großartig, es hilft aber jede und jeder „MittäterIn“. Und neben dem Bewusstsein für ein Thema braucht es auch Wissen. Unsere aktuelle Umfrage hat auch gezeigt, dass dieses noch ausbaufähig ist. Das liegt auch an fehlender Transparenz – die sich zukünftig ja deutlich verbessern soll. Hier sind aber Universitäten, Arbeitgeber und Weiterbilder in der Pflicht, aktiver zu werden, um Wissen zu verbreiten. Das kann nicht nur bei der Verbesserung (und bei Einsparungen) im eigenen Beritt helfen, sondern auch einen Dominoeffekt auslösen.
Die Ärzteschaft an sich genießt nach wie vor einen hervorragenden Ruf in der Bevölkerung. Mit unserer ganzen Reputation können wir uns tagtäglich bei unseren Patientinnen und Patienten einsetzen und Aufklärungsarbeit leisten. Das ist ein riesiges Pfund, von dem viele Kolleginnen und Kollegen bereits Gebrauch machen und den Menschen erklären, dass Klimaschutz auch Gesundheitsschutz ist. Denn viele Erkrankungen, die bei uns aufschlagen, haben in gewisser Weise damit zu tun. Manche gab es vor einigen Jahren noch gar nicht, andere treten mit erschreckender Häufigkeit auf.
Direkte Betroffenheit beschleunigt in aller Regel den Verstehensprozess. Diese Möglichkeit gilt es zu nutzen, um die Ärzteschaft insgesamt als Multiplikator zu aktivieren – denn Aufklärungsarbeit ist eine urärztliche Tätigkeit.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de .
Medscape © 2023
Diesen Artikel so zitieren: „Green Pressure“: Warum Kliniken mehr für den Klimaschutz tun müssen – welche Projekte es schon gibt - Medscape - 27. Sep 2023.
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