Thyroxin und L-Thyroxin gehören zu den Top 10 der meistverschriebenen Arzneimittel. „Eine große Krankenkasse führt die Schilddrüsenhormone an Platz 4 bei den meistverkauften Medikamenten in den USA auf, es ist wahrscheinlich das am zweithäufigsten verordnete Präparat“, berichtete Prof. Dr. Joachim Feldkamp auf der Online-Pressekonferenz zur Hormonwoche der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) [1].
Das Präparat wird verschrieben, wenn die Schilddrüse zu wenig Schilddrüsenhormon produziert. Der Botenstoff TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) wird als Screening-Wert eingesetzt, um die Schilddrüsenfunktion zu beurteilen. Eine Erhöhung kann darauf hinweisen, dass zu wenig Schilddrüsenhormone produziert werden.
„Das heißt aber nicht, dass hinter einem erhöhten TSH-Wert immer eine behandlungsbedürftige Unterfunktion der Schilddrüse steckt“, betonte Feldkamp. Normalerweise beträgt der TSH-Wert zwischen 0,3 und 4,2 Milli-Units pro Liter (mU/l). „Eine sogenannte Hypothyreose liegt formal gesehen vor, wenn der TSH-Wert über dem oberen Grenzbereich von 4,2 mU/l liegt“, erklärte Feldkamp, Direktor der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie und Infektiologie am Klinikum Bielefeld Mitte.
Erhöhter Wert sollte nach 2 bis 6 Monaten nochmal kontrolliert werden
Aber nicht jeder erhöhte TSH-Wert müsse sofort behandelt werden. „Wir wissen aus großen Untersuchungen, dass die TSH-Werte Schwankungen unterliegen“, sagte Feldkamp. Einzelne Messungen seien deshalb mit Vorsicht zu genießen und rechtfertigten fast nie eine Therapieentscheidung. Deshalb sollte ein leicht erhöhter TSH-Wert nach 2 bis 6 Monaten noch einmal kontrolliert und nach Symptomen gefragt werden. „In 50 bis 60% der Fälle findet sich bei der 2. Kontrolle eine Normalisierung des TSH-Wertes – ohne dass eine Behandlung notwendig wurde“, erklärte Feldkamp.
Die TSH-Werte können aus mehreren Gründen erhöht sein:
Schwankungen aufgrund der Tageszeit: Nachts und früh am Morgen ist der TSH-Wert deutlich höher als nachmittags; akuter Schlafmangel kann zu höheren TSH-Werten am Morgen führen.
Schwankungen aufgrund der Jahreszeit: Im Winter sind die TSH-Werte etwas höher als im Sommer aufgrund der Anpassung an kühlere Temperaturen; Forscher in der Arktis z.B. weisen deutlich höhere TSH-Werte auf als Menschen, die in milden Regionen leben.
Altersabhängige Unterschiede: Kinder und Jugendliche haben höhere TSH-Werte als Erwachsene. Man darf bei Jugendlichen nicht die TSH-Werte von Erwachsenen zugrunde legen, das würde zu Falschbehandlungen führen. Im hohen Lebensalter steigen die TSH-Werte an; leicht erhöhte Werte sind bei Menschen ab 70, 80 Jahren zunächst ohne Behandlungskonsequenz. Vorsicht bei der Behandlung, eine Übertherapie kann zu Herzrhythmusstörungen und einer Abnahme der Knochendichte führen.
Geschlechtsspezifische Unterschiede: Die TSH-Werte von Frauen sind generell etwas höher als die von Männern.
TSH bei Adipositas: Bei Adipositas steigt das TSH an und übersteigt auch oft die Normwerte, die in der Regel bei Normalgewichtigen erhoben werden. Die erhöhten Werte sind nicht Ausdruck einer Unterfunktion, sondern ein Anpassungsmechanismus des Körpers. Verlieren diese Patienten an Gewicht, sinken die TSH-Werte spontan ab. Leicht erhöhte TSH-Werte bei adipösen Menschen sollten nicht mit Schilddrüsenhormonen behandelt werden.
Das Nahrungsergänzungsmittel Biotin (Vitamin H oder Vitamin B7), das oft bei Haut-, Haar- und Nagelwuchsstörungen eingenommen wird, kann Messergebnisse verfälschen. Bei vielen eingesetzten Labormethoden konkurriert das Biotin mit den eingesetzten Testsubstanzen. Es kann dadurch zu falsch zu hohen und falsch zu niedrigen TSH-Werten kommen. Bei hohen Biotin-Dosierungen (z.B. 10 mg) sollte vor der TSH-Bestimmung mindestens eine dreitägige Pause (besser eine Woche) erfolgen.
Mitunter werden zu schnell Schilddrüsenhormone verschrieben
Leider würden in der Annahme, dass hinter jedem hohen TSH-Wert eine krankhaft bedingte Schilddrüsenunterfunktion stecke, mitunter zu schnell Schilddrüsenhormone verschrieben, sagte Feldkamp. Das gilt auch für Patienten mit Schilddrüsen-Knoten aufgrund von Jodmangel, die noch häufig Schilddrüsenhormone erhalten.
„Aus heutiger Sicht würde man – weil wir ein Jodmangelland sind – Jod geben, eventuell in Kombination mit Schilddrüsenhormonen, aber eigentlich nicht Schilddrüsenhormone alleine. Es gibt viele Patienten, die wegen Schilddrüsen-Knoten 30, 40 Jahre lang Schilddrüsenhormone einnehmen – das sollte auf jeden Fall überprüft werden“, riet Feldkamp.
Wann Diagnostik und Therapie?
Eine standardmäßige Bestimmung des TSH-Wertes hält er für nicht sinnvoll und rät, Patienten bei neu aufgetretenen Beschwerden wie Übergewicht, gestörte Gewichtsregulation trotz verringertem Appetit, Depression oder hohem Schlafbedürfnis zu untersuchen.
Liegen Beschwerden vor, muss die Schilddrüsenfunktion weiter abgeklärt werden. „Dazu gehören die Bestimmung der freien Schilddrüsenhormone T3 und T4, der Nachweis von Antikörpern gegen das eigene Schilddrüsengewebe wie TPO-AK [Antikörper gegen Thyreoperoxydase], TG-AK [Antikörper gegen Thyreoglobulin] und TRAK [Antikörper gegen den TSH-Rezeptor] und eine Ultraschalluntersuchung des Stoffwechselorgans“, zählte Feldkamp auf. Eine autoimmun bedingte Unterfunktion der Schilddrüse – die Hashimoto-Thyreoiditis – ist dann die häufigste Ursache für einen zu hohen TSH-Spiegel.
Eine Behandlung sollte erfolgen:
• bei jüngeren Patienten mit TSH-Werten >10 mU/l,
• bei jüngeren (< 65 Jahre) symptomatischen Patienten bei TSH-Werten 4 bis <10 mU/l,
• bei erhöhten TSH-Werten als Folge einer Schilddrüsen-Operation oder Radiojod-Therapie,
• bei Patienten mit diffuser vergrößerter oder stark knotig veränderter Schilddrüse,
• bei Schwangeren mit erhöhten TSH-Werten.
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Credits:
Photographer: © Andrey Popov
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Gabe von Schilddrüsenhormonen häufig überflüssig: Dies sind Gründe, warum erhöhte TSH-Werte nicht therapiebedürftig sind - Medscape - 25. Sep 2023.
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