Vorsicht bei Endoskopie: Sollen GLP-1-Agonisten davor abgesetzt werden oder nicht? Empfehlungen der Fachgesellschaften

Megan Brooks

Interessenkonflikte

22. September 2023

In einer aktuellen Stellungnahme warnen 5 gastroenterologische Fachgesellschaften davor, dass es derzeit keine Daten dazu gibt, die das Absetzen von GLP-1-Rezeptor-Agonisten vor einer elektiven Endoskopie rechtfertigen [] 1 ].

Diese Wirkstoffklasse, zu denen u.a. Medikamente wie Semaglutid (Ozempic®, Wegovy®), Tirzepatid (Mounjaro®) und Liraglutid (Saxenda®) gehören, werden zur Diabetes-Behandlung oder zur Gewichtsreduktion eingesetzt und können die Magenentleerung verzögern.

„Wir kennen die Risiken noch nicht genau. Bei der Endoskopie könnten sie signifikant sein, vielleicht aber auch nicht“, sagte Dr. Jonathan Leighton, Gastroenterologe an der Mayo Clinic in Arizona und designierter Präsident des American College of Gastroenterology (ACG), gegenüber Medscape. „Es gibt viele Faktoren, die eine Rolle spielen, und wir wollen einfach vorsichtig sein, bis wir Genaueres wissen.“

Die ACG, die American Gastroenterological Association (AGA), die American Association for the Study of Liver Diseases, die American Society for Gastrointestinal Endoscopy und die North American Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition haben die Erklärung am 11. August gemeinsam veröffentlicht.

Sie wird als Reaktion auf die jüngsten Leitlinien der American Society of Anesthesiologists (ASA) zur präoperativen Behandlung von Erwachsenen und Kindern mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten veröffentlicht.

 
Wir kennen die Risiken noch nicht genau. Bei der Endoskopie könnten sie signifikant sein, vielleicht aber auch nicht. Dr. Jonathan Leighton
 

ASA-Empfehlungen

Die „Task Force on Preoperative Fasting“ der ASA hatte die verfügbare Literatur zu GLP-1-Rezeptor-Agonisten und den damit verbundenen gastrointestinalen Nebenwirkungen, einschließlich der Auswirkungen einer verzögerten Magenentleerung, überprüft.

Man räumt ein, dass die Evidenzen für eine Berücksichtigung dieser Medikamente vor einer Intervention, um Regurgitationen und pulmonalen Aspirationen von Mageninhalt vorzubeugen, „spärlich und auf wenige Fallberichte beschränkt“ seien.

Angesichts der Bedenken hinsichtlich einer durch GLP-1-Rezeptoragonisten verursachten verzögerten Magenentleerung und des damit verbundenen erhöhten Risikos für eine Regurgitation und Aspiration hat die Task Force dennoch diese Empfehlungen für elektive Eingriffe formuliert:

An den Tagen vor dem Eingriff gilt:

  • Bei täglicher Einnahme sollten die GLP-1-Agonisten am Tag des Eingriffs/der Operation abgesetzt werden. Bei einer wöchentlichen Gabe sollten die GLP-1-Agonisten eine Woche vor dem Eingriff/der Operation abgesetzt werden. Diese Empfehlung gilt unabhängig von der Indikation (Typ-2-Diabetes oder Gewichtsreduktion), der Dosis oder der Art des Eingriffs.

  • Werden GLP-1-Agonisten zur Behandlung des Diabetes länger als im Dosierungsschema vorgesehen eingenommen, sollte ein Endokrinologe zur Überbrückung der antidiabetischen Therapie konsultiert werden, um eine Hyperglykämie zu vermeiden.

Am Tag des Eingriffs gilt:

  • Treten gastrointestinale Symptome wie starke Übelkeit, Erbrechen, Dyspepsie, Blähungen oder Bauchschmerzen auf, sollte der elektive Eingriff eventuell verschoben und das Risiko einer Regurgitation und pulmonalen Aspiration von Mageninhalt mit der chirurgischen Fachkraft und der Person besprochen werden.

  • Wenn keine gastrointestinale Symptomatik besteht und die GLP-1-Agonisten wie empfohlen eingenommen wurden, sollte wie üblich vorgegangen werden.

  • Wenn keine gastrointestinale Symptomatik besteht, die GLP-1-Agonisten aber nicht wie empfohlen eingenommen wurden, ist das Programm für „voller Magen“ zu befolgen oder eine Ultraschalluntersuchung des Magenvolumens in Erwägung zu ziehen, sofern dies möglich ist und diese Untersuchungstechnik beherrscht wird. Ist der Magen leer, wird wie üblich vorgegangen. Wenn der Magen voll ist oder die Ultraschalluntersuchung des Magens nicht aussagekräftig oder nicht möglich ist, sollte der Eingriff verschoben oder die Person so behandelt werden, als hätte sie einen vollen Magen.

Es gibt keine Daten zum Thema einer optimal langen Nüchternheit für Personen, die GLP-1-Agonisten einnehmen. Solange keine ausreichenden Daten dazu vorliegen, wird empfohlen, die aktuellen ASA-Richtlinien zum Nüchternstatus zu befolgen.

Wenn eine Person GLP-1-Rezeptor-Agonisten einnimmt und notfallmäßig operiert werden muss, sollte laut ASA wie beim „vollen Magen“ verfahren werden.

Best Practice

In ihrer Stellungnahme fordern die 5 Gastroenterologie-Organisationen „mehr Daten, um zu verstehen, ob und wann diese Medikamente vor einer elektiven Endoskopie abgesetzt werden sollten“.

„Es gibt Sicherheitsbedenken für diese Medikamentenklasse mit Blick auf das Thema Sedierung und Endoskopie. Es gibt zwar anekdotische Hinweise darauf, dass ein erhöhtes Risiko für eine Gastroparese von der Dosis oder von der Frage, ob das Medikament zur Diabeteskontrolle oder zur Gewichtsreduktion eingesetzt wird, abhängen könnte. Doch müssen wir auch zugeben, dass es nur wenige oder gar keine Daten zum relativen Risiko von Aspirationskomplikationen gibt“, heißt es. 

 
Es gibt Sicherheitsbedenken für diese Medikamentenklasse mit Blick auf das Thema Sedierung und Endoskopie. Stellungnahme der American Gastroenterological Association
 

Und: „Da die Sicherheit der Menschen immer an erster Stelle steht und es keine verwertbaren Daten gibt, ermutigen wir unsere Mitglieder, bei der Durchführung von Endoskopien bei Personen, die GLP-1-Rezeptoragonisten einnehmen, nach Best Practice vorzugehen.“

Die 5 Organisationen ermutigen auch ihre „Partner in der Anästhesie, der Endokrinologie und der Industrie, mit unseren Mitgliedern zusammenzuarbeiten, um die notwendigen Erkenntnisse zu gewinnen, die eine angemessene Anpassung der Medikation vor einer elektiven Endoskopie ermöglichen“.

Rat zu erhöhter Aufmerksamkeit 

„Personen, die GLP-1-Rezeptoragonisten zur Behandlung eines Diabetes einnehmen, müssen beim Absetzen des Medikaments vorsichtig sein, da die Blutzuckerkontrolle beeinträchtigt werden kann“, sagte Dr. Octavia Pickett-Blakely, Gastroenterologin an der University of Pennsylvania in Philadelphia und Sprecherin der AGA, gegenüber Medscape. „Wenn man sich einer endoskopischen Operation unterzieht, kann ein schlecht eingestellter Diabetes das Komplikationsrisiko erhöhen.“ 

 
Wenn man sich einer endoskopischen Operation unterzieht, kann ein schlecht eingestellter Diabetes das Komplikationsrisiko erhöhen. Dr. Octavia Pickett-Blakely
 

In einem Kommentar für Medscape rät Dr. David Johnson, Professor der Gastroenterologie an der Eastern Virginia Medical School in Norfolk, Virginia, dazu, sich über dieses Thema zu informieren und die betroffenen Personen entsprechend aufzuklären, wenn sie GLP-1-Rezeptoragonisten verschreiben.

„Das sind ganz neue Fragen und Herausforderungen. Für uns als gastroenterologisch tätige Fachkräfte ist es wichtig, sich mit Strategien zur Milderung der Nebenwirkungen zu befassen, um die Patienten zu schützen, die diese hilfreichen Medikamente einnehmen“, sagt er. „Manchmal haben sie aber auch erhebliche Nebenwirkungen, über die wir uns zumindest im Klaren sein müssen. Nichts ist perfekt, aber über mögliche Gefahren sollten wir in jedem Fall maximal informiert sein.“ 

 
Manchmal haben [diese Medikamente] (…) erhebliche Nebenwirkungen, über die wir uns zumindest im Klaren sein müssen. Prof. Dr. David Johnson Dr. Octavia Pickett-Blakely
 

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus https://www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

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Kommentar

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