Mit jeglicher Menge an körperliche Aktivität in der Freizeit könnten Menschen mit Typ-2-Diabetes ihr Risiko für Neuropathie und Nephropathie um ein Fünftel bis ein Drittel reduzieren. Der Effekt auf die Retinopathie ist schwächer ausgeprägt. Das zeigt eine in Diabetes Care publizierte Kohortenstudie mit Teilnehmenden aus dem Vereinigten Königreich zeigt [] 1 ].
Die Forschungsarbeit basiert auf Daten von mehr als 18.000 Teilnehmenden der UK Biobank. Sie zeigt, dass die minimal notwendige Menge an körperlicher Freizeitaktivität, die nötig ist um das Risiko für Neuropathie und Nephropathie zu senken, bei einem Äquivalent von weniger als 1,5 Stunden Spazierengehen pro Woche liegen könnte.
Die Ergebnisse seien „ermutigend und beruhigend sowohl für Ärzte als auch für Patienten“, sagte Erstautor Frederik P. B. Kristensen, Doktorand an der Abteilung für Klinische Epidemiologie der Universität Aarhus, Aarhus, Dänemark, im Gespräch mit Medscape. „Unsere Ergebnisse sind insbesondere für die Neuropathie vielversprechend, da es für diese bisher keine krankheitsmodifizierende Therapie gibt und auch die Präventionsmöglichkeiten begrenzt sind.“
Mikrovaskuläre Komplikationen im Blick
Kristensen betonte, dass „sich der Großteil der Diabetesforschung auf die Gesamtmortalität und makrovaskuläre Komplikationen fokussiert hat. In der vorliegenden Studie fanden wir aber das gleiche Muster auch für mikrovaskuläre Komplikationen. Selbst kleine Mengen an körperlicher Aktivität können sich günstig auf die Gesundheit auswirken.“
Die in der Studie identifizierte Mindestmenge an notwendiger körperlicher Aktivität sei zudem ein „erreichbares Ziel für die meisten Menschen mit Typ-2-Diabetes“. Er räumte aber ein, dass die Studie limitiert sei durch den Ausschluss von Personen mit eingeschränkter Mobilität und von Bewohnern von Übergangsunterkünften und Pflegeeinrichtungen.
Zudem habe die Studie die Dosis-Response-Beziehung zwischen der Gesamtaktivität (nicht nur der in der Freizeit) – idealerweise objektiv gemessen – und dem Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen nicht untersucht, ergänzte er.
Die Autoren heben in ihrem Paper hervor, dass mikrovaskuläre Komplikationen wie Neuropathie, Nephropathie und Retinopathie bei mehr als der Hälfte der Menschen mit Typ-2-Diabetes aufträten. Sie hätten einen „beträchtlichen Einfluss“ auf die Lebensqualität, noch zusätzlich zu dem negativen Effekt, den makrovaskuläre Komplikationen wie kardiovaskuläre Erkrankungen, körperliche Einschränkungen und Mortalität hätten.
Welche Aktivitätsmenge ist mindestens erforderlich?
Aufgrund ihres günstigen Effekts auf metabolische Risikofaktoren ist körperliche Aktivität einer der Stützpfeiler im multifaktoriellen Management des Typ-2-Diabetes. Dennoch sei der Einfluss auf mikrovaskuläre Komplikationen „unklar“ und die Evidenz begrenzt und „widersprüchlich“, so die Autoren.
Die Forschenden waren deshalb bestrebt, die Dosis-Response-Beziehung einschließlich der minimal effektiven Menge zwischen körperlicher Aktivität in der Freizeit und dem Auftreten von Neuropathie, Nephropathie und Retinopathie zu klären.
In ihre Kohortenstudie schlossen sie Teilnehmende der UK Biobank im Alter von 37 bis 82 Jahren mit Typ-2-Diabetes ein. Menschen mit Typ-1-Diabetes oder Gestationsdiabetes wurden ausgeschlossen. Auch Personen mit schwer beeinträchtigenden somatischen Erkrankungen, neurodegenerativen Erkrankungen und psychischen Erkrankungen konnten nicht teilnehmen.
Die Häufigkeit, Dauer und Art der körperlichen Aktivität in der Freizeit ermittelten die Forschenden anhand von Angaben der Teilnehmenden. Alle Angaben zu körperlichen Aktivitäten wurden kombiniert, um daraus die Gesamtaktivität in MET-Stunden (Metabolisches Äquivalent - MET) pro Woche zu berechnen.
Empfohlen wurde ein moderates Aktivitätsniveau von 150 Minuten pro Woche
Sowohl die American Diabetes Association (ADA) als auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfehlen pro Woche in der Freizeit 150 bis 300 Minuten körperliche Aktivität von moderater bis hoher Intensität. Daraus leiteten die Forschenden ein empfohlenes moderates Aktivitätsniveau von 150 Minuten ab, was 2,5 Stunden oder 7,5 MET-Stunden pro Woche entspricht.
Insgesamt wurden 18.092 Menschen mit Typ-2-Diabetes in die Analyse eingeschlossen. Sie waren im Schnitt 60 Jahre alt und 37% waren Frauen. 10% der Teilnehmenden gaben an, in der Freizeit überhaupt nicht körperlich aktiv zu sein. 38% waren zwar etwas aktiv, erreichten aber nicht das empfohlene moderate Aktivitätsniveau von 150 Minuten. 20% kamen auf die empfohlene körperliche Aktivität und 32% übertrafen die Empfehlung.
Diejenigen, die in ihrer Freizeit überhaupt nicht körperlich aktiv waren, waren häufiger Frauen und häufiger jünger, sie hatten einen höheren BMI und einen höheren HbA1c-Wert sowie ein ungünstigeres soziodemographisches und Verhaltensprofil.
Geringe Aktivität reduziert bereits das Risiko
Über ein Follow-up von median 12,1 Jahren wurden bei 3,7% der Teilnehmenden eine Neuropathie diagnostiziert, bei 10,2% eine Nephropathie und bei 11,7% eine Retinopathie. Das entspricht einer Inzidenz von 3,5 (Neuropathie), 9,8 (Nephropathie) und 11,4 (Retinopathie) pro 1000 Personenjahren.
Die Forschenden stellten fest, dass jegliches Niveau an körperlicher Aktivität mit einer gewissen Reduktion des Risikos für Neuropathie und Nephropathie einherging.
Um mehrere Variablen bereinigte Analysen zeigten, dass – im Vergleich zu keiner körperlicher Aktivität – körperliche Aktivität unter dem empfohlenen Niveau mit einer adjustierten Hazard Ratio (aHR) für Neuropathie von 0,71 assoziiert war. Bei Erreichen des empfohlenen Aktivitätsniveaus lag die aHR bei 0,73 und bei Überschreiten der Empfehlungen bei 0,67.
Die aHR für Nephropathie betrug – im Vergleich zu keiner körperlichen Aktivität – 0,79 für körperliche Aktivität unterhalb des empfohlenen Niveaus, 0,80 für körperliche Aktivität, die die Empfehlungen erfüllte, und 0,80 für körperliche Aktivität oberhalb des empfohlenen Niveaus.
Die Assoziation zwischen körperlicher Aktivität und Retinopathie war schwächer ausgeprägt, mit aHRs von 0,91, 0,91 und 0,98 für Aktivität unter bzw. auf oder über dem empfohlenen Niveau. Die Forschenden vermuten, dass diese schwächere Assoziation auf Unterschiede in der Ätiologie der verschiedenen Formen mikrovaskulärer Komplikationen zurückzuführen sein könnte.
Es sei die Hyperglykämie, die die Entstehung einer Retinopathie antreibe, schreiben sie, während andere metabolische Faktoren wie Adipositas, Insulinresistenz, Inflammation, Dyslipidämie und Hypertonie bei der Entstehung von Neuropathie und Nephropathie eine Rolle spielten.
Es gab Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Die Assoziationen waren zudem bei Frauen weniger stark ausgeprägt als bei Männern. Kristensen sagte, dass es sich hierbei um ein wichtiges Gebiet handele, um welches sich gekümmert werden müsse. „Frauen und Männer unterschieden sich hinsichtlich der Inzidenz des Typ-2-Diabetes, metabolischer Risikofaktoren, Komplikationen und auch hinsichtlich Therapiebeginn und Therapieadhärenz“, sagte er, „aber die genauen Mechanismen sind immer noch ungeklärt.“
„Wir müssen geschlechtsbedingte Unterschiede in der Stoffwechselregulation noch besser verstehen, ebenso wie Unterschiede bei den materiellen Lebensbedingungen, bei sozialen und psychologischen Faktoren und beim Zugang zu Gesundheitsversorgung, die das Komplikationsrisiko beeinflussen könnten.“ Er ergänzte: „Geschlechtsbedingte Unterschiede könnte es in mehr Bereichen geben als uns bewusst ist.“
Dieser Artikel wurde von Nadine Eckert aus www.medscape.com übersetzt und angepasst.
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Credits:
Photographer: © Monkey Business Images
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Schon 1 Stunde Spazierengehen pro Woche könnte bei Typ-2-Diabetes das Risiko für Nerven- und Nierenschäden reduzieren - Medscape - 19. Sep 2023.
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