Ist Ihr Herz in Form? Cardisiographie könnte eine KI-basierte Alternative zum EKG bieten

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

15. September 2023

Koronare Herzerkrankungen können völlig überraschend auftreten. Über die Cardisiographie (CSG) – ein KI-basiertes Vektor-EKG – wird versucht, Ischämien im Ruhezustand und nicht-invasiv zu erkennen. „Das Vektor-EKG gibt neben den Aussagen durch das EKG über Herzrhythmus und Herzschlag-Abfolge weitere Auskunft über die Abläufe innerhalb des Herzmuskels. Es lässt somit auch indirekt Aussagen über Veränderungen der Form sowie der Struktur des Herzens zu“, erklärt Dr. Oliver Funken, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Nordrhein, gegenüber Medscape.

 
Das Vektor-EKG lässt auch indirekt Aussagen über Veränderungen der Form sowie der Struktur des Herzens zu. Dr. Oliver Funken
 

In Kooperation mit dem Hausärzteverband Nordrhein bezahlen verschiedene gesetzliche Krankenkassen seit dem 1. Januar 2023 die Kosten für eine Cardisiographie. Als Pilotprojekt ist die CSG in Nordrhein damit Teil der Hausarzt-zentrierten Versorgung.

So funktioniert Cardisiographie

Die Cardisiographie ist ein 2016 von der Frankfurter Cardisio GmbH entwickeltes, dreidimensionales Vektor-EKG. Die elektrischen Signale des Herzens werden für 4 Minuten aufgenommen. Sobald in irgendeiner Art und Weise eine Minderperfusion vorliegt, reagieren die Myokardzellen entsprechend verzögert. Dadurch entsteht eine Asymmetrie in der Erregungsausbreitung. Die Messtechnologie der CSG ist hochsensibel und in der Lage, kleinste Veränderungen in der Erregungsausbreitung festzustellen.

Nach abgeschlossener Messung werden die Daten automatisch in das Rechenzentrum der Cardisio GmbH nach Frankfurt gesendet. Dort werden pro Herzschlag 290 Parameter berechnet. Dabei handelt es sich um verschiedene Berechnungen aus dem EKG-Signal, wie zum Beispiel Längen, Abstände, Höhen, Breiten, Winkel usw.

Die Ergebnisse werden dann durch eine Kombination verschiedener KI-Methoden auf signifikante Veränderungen hin geprüft.

Hinsichtlich ihrer Genauigkeit sei die CSG mit einem Herzkatheter vergleichbar, sagt Meik Baumeister aus der Geschäftsführung der Cardisio GmbH. Daraus ermittelt sich dann der Cardisio-Index. Dieser Index kann das bestehende Risiko farbig mit rot, gelb oder grün einordnen. Dazu sagt eine Prozentzahl noch aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Risiko zutreffend ist.

Herzbeteiligungen nach COVID steigerten das Interesse an der CSG

„Die Aufmerksamkeit auf das Vektor-EKG wurde bei uns schon vor Jahren geweckt. Durch Hinweise der Kostenträger und auch wegen diffuser Herzbeteiligungen bei Corona hat sich das Interesse intensiviert“, berichtet Funken. Anfangs, so Funken, sei das Interesse an dem neuen Gerät zögerlich gewesen, aber zunehmend werde der Mehrwert erkannt und die Nachfrage steige.

Zur Kooperation mit den gesetzlichen Kassen sagt er: „Wir hatten das Glück, gleichgerichtete Interessen bei Krankenkassen zu finden. Hierdurch konnten wir hier mit einer Begleitevaluation den Weg bahnen.“ Der Hausärzteverband Nordrhein hofft, dass weitere große Krankenkassen und auch Landesverbände bei der Übernahme der Kosten für die Cardisiographie nachziehen.

Die Nutzung der Technologie und der erforderlichen Geräte kostet monatlich pauschal 340 Euro, der Hausärzteverband Nordrhein hat für seine Mitglieder eine reduzierte Gebühr von 305 Euro ausgehandelt. Ein weiterer Vorteil für die Praxen ist, dass die Untersuchung nicht durch einen Arzt erfolgen muss, sondern auch durch eine medizinische Fachangestellte (MFA) vorgenommen werden kann.

CSG: Präselektions-Tool für hausärztliche oder kardiologische Praxen

In der Cardisio Peer-Review-Studie 2020 wurde die KI-unterstützte Vektorkardiografie an 595 Patienten untersucht. Von den Probanden wiesen 62% eine durch Koronarangiografie festgestellte Gefäßerkrankung auf. Die CSG zeigte eine Sensitivität von 90,2% bei Frauen und 97,2% bei Männern – und eine Spezifität von 74,4% bei Frauen und von 76,1% bei Männern. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die KI-gestützte Vektorkardiografie als hochgradig valides Screening-Instrument geeignet ist“, schreiben die Studienautoren um Prof. Dr. Gero Tenderich.

 
Unsere Ergebnisse zeigen, dass die KI-gestützte Vektorkardiografie als hochgradig valides Screening Instrument geeignet ist. Prof. Dr. Gero Tenderich und Kollegen
 

Neben der Cardisio-Peer-Review-Studie wurde das Verfahren bislang in 2 weiteren Untersuchungen geprüft. In die Cardisio-Validierungsstudie, durchgeführt am SANA Herzzentrum in Cottbus, flossen Daten von 106 Patienten ein, bei denen eine Koronarangiografie durchgeführt wurde; bei 86 Patienten wurde eine Gefäßerkrankung festgestellt. Mittels CSG ließen sich 82 der 86 Fälle (95,4%) identifizieren, mit der Echokardiografie hingegen nur 12 Fälle. Für die CSG ergibt sich daraus eine Sensitivität von 95,4%, eine Spezifität von 90% und ein positiver Voraussagewert von 97,6% für die KHK.

 
Die Cardisiographie ist eine einfache, präzise und hochvalide Methode, die sich als nicht-invasive diagnostische Modalität für die Erstbeurteilung stabiler KHK im klinischen Setting eignet. Dr. Temirlan Erkenov und Kollegen
 

„Die Cardisiographie ist eine einfache, präzise und hochvalide Methode, die sich als nicht-invasive diagnostische Modalität für die Erstbeurteilung stabiler KHK im klinischen Setting eignet“, schreiben die Studienautoren um Dr. Temirlan Erkenov vom SANA Herzzentrum.

In der Studie am Herzzentrum in Bad Oeynhausen wurde die diagnostische Genauigkeit der CSG mit der Myokard-SPECT (MPS; SPECT: Single Photon Emission Computed Tomography) hinsichtlich eines Ischämie-Nachweises verglichen (n=88). Bei Patienten mit Verdacht auf KHK ergab sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen der CSG und MPS (p<0,01). Nach Einschätzung der Studienautoren eignet sich die CSG als Präselektions-Tool für hausärztliche oder kardiologische Praxen für die Entscheidung zur nicht-invasiven Bildgebung bei Patienten mit Verdacht auf KHK.

Die durch die CSG erlangten Informationen gingen dank der Kombination aus hochauflösendem 3-D-Vektor-EKG und künstlicher Intelligenz „weit über den normalen EKG-Befund hinaus“, erklärt Baumeister und fügt hinzu: „Anhand dieser Daten kann der Hausarzt entscheiden, ob es weitere diagnostische Mittel wie eine CT, eine MRT oder eine Katheter-Untersuchung braucht.“

Eine abschließende Beurteilung der Cardisiographie durch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) steht noch aus. Zwar könne man die Cardisiographie wohl als „interessante Möglichkeit“ ansehen, die Datenlage sei allerdings „noch zu klein, um eine eindeutige Position zu beziehen“, teilt Tobias Kruse, Sprecher der DGK, auf Anfrage mit.

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Kommentar

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