Der Rettungsdienst muss reformiert werden. Seit Jahren hört man in der Gesundheitspolitik dieser Forderung. Wird ihr nun endlich nachgekommen? Vor allem braucht der Rettungsdienst „klare Strukturen“, sagte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach, als die Regierungskommission Krankenhaus in der vergangenen Woche die Vorschläge zu einer Reform vorgestellt hat. Klare Strukturen heißt vor allem „einheitliche Vorgaben zu Organisation, Leistungsumfang, Qualität und Bezahlung des Rettungsdienstes“, heißt es beim Bundesgesundheitsministerium (BMG) dazu.
Das ist auch nötig. Denn tatsächlich kommen die gesetzlichen Rahmenbedingungen in den 16 Bundesländern auch von 16 verschiedenen Rettungsdienstgesetzen, die die Einzelheiten des Rettungsdienstes, seiner Organisation, der Durchführung und Finanzierung oft unterschiedlich regelt, heißt es in der Stellungnahme der Regierungskommission. So werde der Notarztdienst zum Teil durch Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) der Länder organisiert; in manchen Ländern dürfen bestimmte ärztliche Tätigkeiten an Notfallsanitäter delegiert werden, in anderen nicht. Träger des Rettungsdienstes sind meistens die Landkreise und kreisfreie Städte.
240 Leitstellen mit 13 verschiedenen Organisationsformen
„Aktuell bestehen knapp 300 eigenständige Rettungsdienstbereiche mit ca. 240 Leitstellen mit 13 unterschiedlichen Organisationsformen“, so die Stellungnahme. Der Rettungsdienst wird zu 15% von den Kommunen, von Hilfsorganisation wie dem Roten Kreuz oder den Johannitern (80%) oder privaten Anbietern organisiert – mit sehr unterschiedlicher Ausstattung, namentlich bei der Digitalisierung.
Immer mehr Einsatzkräfte fahren immer mehr Einsätze. In den 10 Jahren von 2011 bis 2020 stieg die Zahl der Beschäftigten um enorme 71% auf rund 85.000. Sie werden zudem nach unterschiedlichen Vergütungsmodellen bezahlt. Solcher Wildwuchs kostet. Allein für den Krankentransport gaben die Krankenkassen im Jahre 2022 rund 8,4 Milliarden Euro aus. Das ist etwa ein Zehntel dessen, was die Kassen für die Krankenhausbehandlungen in dem Jahr auf den Tisch legten – 88 Milliarden Euro. „Im Notfall muss der Rettungsdienst schnell und zielgenau helfen“, forderte nun Lauterbach. „Die Notfallversorgung darf nicht weiter selbst ein Reformnotfall bleiben.“
Vor allen Dingen will die Kommission den Rettungsdienst künftig im SGB V geregelt wissen. Berücksichtigt werden sollten dabei die Leistung der Leitstelle, die Notfallversorgung vor Ort, der Notfalltransport und komplementäre Notfallversorgungsangebote, wie z.B. pflegerische Notfallversorgung oder psychiatrisch-psychosoziale Krisenintervention, so das BMG.
Hinzukommen sollen einheitliche Qualitätsstandards und ein digitales Echtzeit-Ressourcenregister, das anzeigt, wo welche Krankenhausbetten frei sind. Geplant ist außerdem, die Zahl der Leitstellen auf 1 pro 1 Million Einwohner zu reduzieren, also von rund 240 auf rund 83.
Ein neues Berufsbild im Rettungsdienst: „avanced paramedic practitioner“
Wichtig: Notfallsanitäter sollen medizinisch mehr dürfen, zum Beispiel Medikamente geben. Besondere, zum „advanced paramedic practitioner“ ausgebildete Sanitäter sollen zudem eine besondere Heilkundebefugnis erhalten können und „den jetzigen Notdienst substituieren“, so das BMG.
Notärzte hingegen sollen nur noch in besonders komplexen Fällen hinzugezogen werden – per Telemedizin oder Helikopter. Beide Wege müssten ausgebaut werden, so das Papier. Um in abgelegenen Gegenden zu den Patienten zu gelangen, empfiehlt die Kommission zudem, die Luftrettung auszubauen.
Lob und Kritik von Verbänden
Die bundesweit einheitliche Struktur eines neuen Rettungsdienstes wurde vom GKV-Spitzenverband ausdrücklich begrüßt. „Endlich sollen in den Leitstellen einheitliche digitale Systeme genutzt und länderübergreifende Qualitätsanforderungen eingeführt werden“, sagt Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. Ein wichtiger Schritt sei die geplante „Vernetzung der Rufnummern 112 und 116°117 zu einer gemeinsamen Notfallleitstelle – damit Patientinnen und Patienten nicht nur schnelle, sondern auch die richtige Hilfe bekommen. Dazu gehört es auch, in Echtzeit die verfügbaren Ressourcen und Auslastung der Krankenhäuser transparent zu machen“, so Stoff-Ahnis.
Der Entwurf stelle den Rettungsdienst mehr oder weniger auf den Kopf, kommentiert Marco König, Vorstand des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst e.V., der 14.000 Rettungsdienstmitarbeiter vertritt. „Offenbar wollte man den Notfallsanitätern nicht die Aufgaben zukommen lassen, die in seinem Berufsgesetz drinstehen“, sagt König zu Medscape. Der Plan, den dreijährig ausgebildeten Notfallsanitätern auch den Weg zu einem Masterabschluss zu ebnen bis hin zum „advanced paramedic practitioner“, sei überflüssig. „Wenn man den Notfallsanitäter machen ließe, was er sowieso schon darf, wäre die Möglichkeit eines Bachelor- oder Masterabschlusses gar nicht nötig“, so König.
Bei 90% der Einsätze, die derzeit von Notfallsanitätern und Ärzten gemeinsam gefahren werden, wären die Ärzte gar nicht nötig. „Ich hätte mir gewünscht, dass man Zahlen, Daten und Fakten präsentiert, die zeigen, ob wir mit den Notfallsanitätern und in 10% der Fälle auch zusätzlich mit den Notärzten auskommen oder nicht“, so König. Aber das geschehe nicht. Stattdessen werde ein neuer Beruf geschaffen. König fürchtet, dass ein „advanced paramedic practitioner“dieselbe Arbeit machen würde wie heute ein Notfallsanitäter. König: „Welche Kompetenzen erhält dann noch ein Notfallsanitäter mit einer dreijährigen Ausbildung?“
Ähnlich sieht das die Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND) e.V.. BAND-Vorsitzender Dr. Florian Reifferscheid begrüßte zwar die Absicht, den Rettungsdienst zu vereinheitlichen. „Aber wo ich Schwierigkeiten habe, ist bei der Substitution notärztlicher Aufgaben durch einen ‚paramedic‘. Wenn die meisten Einsätze nur noch von weitergebildeten Notfallsanitätern gefahren werden, wird das Versorgungsniveau abgesenkt. Notärzte werden dann nur noch telemedizinisch konsultiert oder kommen per Hubschrauber zum Einsatzort.“
Es fehlen jetzt schon Notfallsanitäter ebenso wie Notärzte. Und nun die Not bei den Ärzten lindern zu wollen, indem man die andere knappe Ressource der Notfallsanitäter anzapft und sie zu „advanced paramedic practioners“ ausbildet, hält Reifferscheid für falsch. „Im Übrigen würde es an die 10 Jahre dauern, bis allein die entsprechenden Studiengänge aufgebaut wären“, sagt der Vorsitzende. Hier trifft sich Reifferscheids Haltung mit der von Marco König: „Man muss dem Notfallsanitäter mehr Raum geben.“
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Diesen Artikel so zitieren: Rettet den Rettungsdienst! So will die Regierungskommission den Flickenteppich beim Rettungsdienst endlich vereinheitlichen - Medscape - 13. Sep 2023.
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