Online-Verhaltenstherapien: Schnellerer Zugang für Patienten, günstiger und ähnlich wirksam wie Standardtherapien

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

13. September 2023

Online-Verhaltenstherapien haben ein sehr gutes Nutzen-Kosten-Profil – so eine britische Studie, die jetzt in Nature Mental Health veröffentlicht wurde [1]. Ana Catarino von der Firma ieso in Cambridge, UK und Kollegen hatten dafür die Daten von 27.540 britischen Patientinnen und Patienten mit Depressionen oder Angststörung analysiert, die entweder eine internetbasierte Anwendung oder eine andere Therapieform wahrgenommen hatten. Mit gesundheitsökonomischen Modellen berechneten sie die Kosten.

Die wichtigsten Kostenfaktoren sind demnach:

  • die Zeit von der Überweisung bis zum Abschluss der Behandlung,

  • die Wirksamkeit der Behandlung und

  • die mit der Behandlung verbundenen Kosten.

Eine Online-Therapie ist aus Sicht der Autoren vor allem deshalb von Vorteil, weil die Patienten im Schnitt früher behandelt werden könnten. Das verkürze insgesamt der Behandlungszeitraum. Insbesondere bei schwereren Fällen sei eine schnelle Behandlung ausschlaggebend. Der Bedarf an Psychotherapie hat in Deutschland vor allem durch die Pandemie deutlich zugenommen. Viele Praxen stoßen an ihre Belastungsgrenze.

 
Die Wirksamkeit diverser internetbasierter Behandlungen für verschiedene psychische Störungen ist mittlerweile durch zahlreiche … Studien überzeugend belegt. Prof. Dr. Christine Knaevelsrud
 

Es ist wichtig, Menschen mit Depressionen und Angststörungen „möglichst schnell in eine effektive Behandlung zu bringen“, betont Prof. Dr. Christine Knaevelsrud vom Arbeitsbereich Klinisch-Psychologische Intervention der FU Berlin gegenüber dem Science Media Center (SMC). „Internetbasierte Ansätze können hier unterstützen. Sie sind meist schneller verfügbar und zeitlich wie örtlich flexibler als Präsenzpsychotherapie. Die Wirksamkeit diverser internetbasierter Behandlungen für verschiedene psychische Störungen ist mittlerweile durch zahlreiche internationale und nationale Studien überzeugend belegt“, so Knaevelsrud weiter.

Keine kausalen Schlussfolgerungen möglich

Nach Einschätzung von Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier, Direktorin des Zentrums für Psychologische Psychotherapie der Universität Greifswald, weisen die Studienergebnisse darauf hin, „dass die wichtigsten Faktoren für die Kosten im Gesundheitswesen mit den Wartezeiten und der Wirksamkeit der Behandlung zusammenhängen“.

Praxisbasierte Studien mit großen Stichproben wie die vorliegende könnten „eine wertvolle Ergänzung zu RCTs darstellen“, hätten aber auch Limitationen. Aufgrund der fehlenden Randomisierung könnten keine kausalen Schlussfolgerungen gezogen werden. Brakemeier gab auch zu bedenken, dass die Standard-Therapiegruppe sehr heterogen sei, es eine große Vielfalt hinsichtlich Art und Modalität einschließlich Online-Therapien gebe.

Prof. Dr. Philipp Klein, Oberarzt in der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, gibt zu bedenken, dass die Patienten in der Online-Therapiegruppe häufiger an Angststörungen und seltener an Depressionen litten. „Vielleicht ist die Behandlung in der Internet-Therapie kürzer, weil Menschen mit Angststörungen nicht so lange Therapien brauchen“, meint Klein.

Weil es sich um keine randomisierte Studie handelt, „kann man nicht sicher sagen, ob die geringeren Kosten wirklich an der Internet-Therapie liegen oder ob dieser Effekt darauf zurückzuführen ist, dass sich die beiden Gruppen in ihren Eigenschaften unterscheiden“, sagt Klein. Bei der Einordnung der Studie müsse man auch berücksichtigen, dass die federführenden Autoren bei der Firma arbeiten, die die untersuchte Internet-Therapie entwickelt und betreibt.

Online-Therapien: Vor- und Nachteile

Online-Angebote ermöglichen es Patienten, von praktisch überall aus Zugang zu Behandlungen zu haben, betont Prof. Dr. Claudia Buntrock von der Abteilung für Public Health und Versorgungsforschung an der Universität Magdeburg. Ein Nachteil könne allerdings der fehlende persönliche Kontakt zwischen Therapeut und Patient sein. Auch verfüge nicht jeder über die notwendigen technischen Fähigkeiten oder die Infrastruktur, um an solchen Angeboten teilzunehmen.

 
Insgesamt kann eine schnellere Versorgung in der psychischen Gesundheitsversorgung dazu beitragen, den Verlauf von psychischen Erkrankungen zu mildern.  Prof. Dr. Claudia Buntrock
 

„Dabei kann die schnellere Verfügbarkeit von Therapie durch Online-Angebote durchaus relevant sein, besonders für Menschen, die dringend Unterstützung benötigen. Insgesamt kann eine schnellere Versorgung in der psychischen Gesundheitsversorgung dazu beitragen, den Verlauf von psychischen Erkrankungen zu mildern und die Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern“, erklärt Buntrock.

Sie erinnert daran, dass Online-Angebote auch dem Gesundheitssystem Kosten sparen können. So können durch Online-Therapien Kapazitäten besser verteilt und Engpässe reduziert werden, insbesondere durch verkürzte Wartezeiten und die Möglichkeit, mehr Patienten zu behandeln. Eine größere Reichweite solcher Angebote ermögliche zudem eine bessere Versorgung von Patienten in abgelegenen Regionen. „Allerdings erfordern Online-Angebote eine sorgfältige Qualitätssicherung“, mahnt Buntrock.

 
Indirekte Kosten und Mortalität, besonders relevant bei Depressionen, wurden ebenfalls nicht einbezogen, wodurch eine umfassende Bewertung der Kosten-Effektivität beeinträchtigt wird. Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier
 

Bedauerlicherweise fehle eine Diskussion über Risiken und potenzielle Nebenwirkungen von internetbasierten Interventionen – wie Datenschutzbedenken, Fragmentierung der Arzt-Patient-Beziehung und mehr, kritisiert Brakemeier. „Indirekte Kosten und Mortalität, besonders relevant bei Depressionen, wurden ebenfalls nicht einbezogen, wodurch eine umfassende Bewertung der Kosten-Effektivität beeinträchtigt wird“, fügt sie hinzu.

Übertragbarkeit? Therapiechats gibt es in Deutschland nicht

Lässt sich die festgestellte Kosteneffektivität auf die deutsche Versorgungslandschaft übertragen? Knaevelsrud rät zur Vorsicht: „Untersucht wurde eine spezielle Form der Online-Behandlung, die in Großbritannien verbreitet ist. In regelmäßigen Online-Sitzungen schreiben dabei PatientInnen und TherapeutInnen miteinander – eine Art Therapiechat.“ Derartige Angebote gebe es im deutschen Gesundheitssystem nicht, sagt Klein.

In Deutschland verfügbar sind vor allem Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) und die Videosprechstunde. Zahlreiche Studien belegten, dass DiGAs wirksam sind in der Behandlung von Depressionen und Angststörungen, leider würden DiGAS bislang noch viel zu wenig genutzt, so Klein. Unklar ist nach seiner Aussage allerdings, ob sie auch kosteneffektiv sind.

Die Kosteneffektivität von DiGAs ist in Deutschland bislang nicht systematisch untersucht worden, bestätigt Knaevelsrud. „Das liegt auch daran, dass Daten zur Wirksamkeit von Angeboten zur Förderung der psychischen Gesundheit nicht in einer bundesweit standardisierten Form erfasst werden, die wissenschaftlich belastbare Vergleiche ermöglichen würde. Hier ist das Gesundheitssystem in Großbritannien dem Deutschen einen großen Schritt voraus“, erklärt Knaevelsrud.

Für relevante Aussagen zur vergleichenden Kosten-Effektivität bedarf es aus Brakemeiers Sicht eines präzisen Vergleichs zwischen spezifischen Therapien und Modalitäten, wie zum Beispiel internetbasierter kognitiver Verhaltenstherapie mit „Face-to-face“-Psychotherapie oder Online-Therapie mit „Blended Therapy“ („Face-to-face“ plus Online-Elemente).

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