Leipzig – Patienten mit rheumatoider Arthritis sollten mindestens einmal im Jahr eine orthopädisch-rheumatologische Ganzkörperuntersuchung erhalten, am besten in einem Rheumatologischen Zentrum. Das forderte Prof. Dr. Sebastian Seitz, Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh) und Chefarzt der Orthopädie am Klinikum Hochsauerland in Arnsberg, auf einer Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Rheumatologiekongresses in Leipzig [1].
Auch schmerzlose Schwellungen können das Gelenk schädigen
Mit Einführung der Biologikatherapie sei es bei entzündlichen Synovialerkrankungen zu einer deutlichen Reduktion der Krankheitsaktivität gekommen, sagte Seitz. Schwere Verläufe mit einer Destruktion multipler Gelenke seien daher erfreulicherweise kaum noch zu beobachten.
„Dennoch kann ein Gelenk auch bei niedriger Krankheitsaktivität weiter geschädigt werden“, betonte Seitz. Aufgrund der meist schmerzlosen Schwellungen, die in diesem Fall auftreten, bestehe die Gefahr, dass die Vorstellung beim Orthopädischen Rheumatologen erst dann erfolge, wenn bereits Gelenk- oder Sehnendestruktionen entstanden seien.
Solche Schwellungen sollten nach Möglichkeit nicht länger als 6 Wochen andauern, erläuterte Seitz im Gespräch mit Medscape am Rande der Konferenz. „Allerdings ist die Motivation der Patienten, zum Arzt zu gehen, bei Schmerzfreiheit – die unter anderem auch durch die analgetische Wirkung einiger Biologika erzielt wird – erfahrungsgemäß sehr gering“, ergänzte der Mediziner.
Insbesondere Füße und Hüfte sollten gut untersucht werden
Vor allem aus diesem Grund sei eine routinemäßig durchgeführte Orthopädisch-Rheumatologische Jahreskontrolluntersuchung, kurz ORJ, so wichtig. „Bei ihr können Störungen durch eine gezielte Befragung und klinische Ganzkörperuntersuchung mit Funktions- und Stabilitätstestung frühzeitig detektiert werden“, sagte Seitz auf der Pressekonferenz. Mithilfe verschiedener bildgebender Verfahren, beispielsweise Sonografie oder Magnetresonanztomografie, lasse sich das Ausmaß der Entzündung beurteilen. Zugleich könne man erkennen, ob auch Knochen bereits betroffen sei.
Möglichen Schleimhautentzündungen an den Füßen und der Hüfte sollte dabei besondere Beachtung geschenkt werden, empfahl der Mediziner. „Diese werden vom Disease Activity Score DAS 28, der zur Beurteilung der Krankheitsaktivität oft herangezogen wird und 28 Gelenke des Körpers betrachtet, nicht miterfasst.“ Somit könne selbst bei einer hohen entzündlichen Aktivität am Fuß oder an der Hüfte eine scheinbar niedrige Krankheitsaktivität vorliegen.
Auch Allgemeinmediziner sollten für das Thema sensibilisiert werden
Während vor dem Biologikazeitalter Konsens bestanden habe, erst 6 Monate nach ausbleibendem Erfolg einer eingeleiteten Basistherapie operativ tätig zu werden, habe sich das Zeitintervall heute nach dem „Hit hard und early“-Konzept auf 6 Wochen verkürzt, sagte Seitz. Es sei daher wichtig, auch die Allgemeinmediziner für dieses Thema zu sensibilisieren, damit sie ihre Patienten bei persistierenden oder neu aufgetretenen Schwellungen der Gelenke frühzeitig zum Orthopödischen Rheumatologen überweisen könnten, betonte Seitz gegenüber Medscape.
Darüber hinaus wären seiner Ansicht nach spezielle Weiterbildungen für Allgemeinmediziner wünschenswert. „Gerade in ländlichen Regionen warten die Patienten teilweise mehrere Monate auf einen Termin beim Rheumatologen“, sagte er. „Hausärzte sollten daher in der Lage sein, eine rheumatoide Arthritis zu diagnostizieren und bereits eine entsprechende Basistherapie einzuleiten, bevor die Vorstellung beim Rheumatologen erfolgen kann.“
Oft lassen sich die Schleimhäute arthroskopisch entfernen
„Vor einem geplanten operativen Eingriff kann abhängig vom Entzündungsgrad der betroffenen Gelenkschleimhaut zunächst eine Injektion mit Kortison erfolgen“, erklärte Seitz auf der Pressekonferenz. „Bei hoher Entzündungsaktivität oder bei Versagen der Kortisoninfiltration sollte zeitnah eine komplette operative Entfernung der Gelenkschleimhaut erfolgen.“
Während früher offene Verfahren zur Anwendung gekommen seien, erfolge die Entfernung der Gelenkschleimhäute heute zunehmend weichteilschonend arthroskopisch. „Je früher und schonender die operative Entfernung der Gelenkschleimhaut durchgeführt wird, desto besser sind die Ergebnisse der Schmerzreduktion und Gelenkfunktion“, erklärte Seitz. Oft könne im Anschluss auch die Medikamentendosis reduziert werden.
Rheumatische Sehnenscheidenentzündungen erfordern Seitz zufolge besondere Aufmerksamkeit. „Denn sie sprechen generell schlechter auf eine Biologikatherapie an“, sagte er. „Persistierende Entzündungen der Sehnen unter regelrechter Immunsuppression sollten umgehend orthopädisch-rheumatologisch kontrolliert werden, um eine Durchwanderung der Sehnen und damit die Ruptur zu verhindern.“ In solchen Fällen solle man die entzündeten Schleimhäute schnellstmöglich operativ entfernen.
Für fast jedes Gelenk gibt es inzwischen eine Prothese
„Ist es bereits zu einer arthritischen Gelenkdestruktion gekommen, besteht keine Indikation zur Entfernung der Gelenkschleimhaut mehr“, führte Seitz weiter aus. In diesen Fällen sei der endoprothetische Gelenkersatz oder eine Arthrodese, also eine operative Gelenkversteifung, abhängig vom betroffenen Gelenk möglich.
„Außer den Hand- und Fußwurzelgelenken lässt sich mittlerweile nahezu jedes Gelenk endoprothetisch versorgen“, sagte er. Aufgrund der prä-, peri- und postoperativen Besonderheiten rheumatisch erkrankter Patienten erfolge die Behandlung idealerweise interdisziplinär mit Orthopädischen und Internistischen Rheumatologen.
„In den vergangenen Jahren haben sich nicht nur die Materialeigenschaften und das Prothesendesign, sondern auch die Operationstechniken mit Weichteil-schonenden minimalinvasiven Zugängen verbessert, sodass auch jüngere Patienten mit sehr guten langfristigen Ergebnissen endoprothetisch versorgt werden können“, berichtete Seitz. Man gehe heute davon aus, dass ein künstliches Gelenk etwa 15 bis 20 Jahre lang halte. Werde ein beginnender Verschleiß frühzeitig erkannt, ließen sich die Prothese oder Teile davon zudem oft mit relativ geringem Aufwand wechseln.
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Credits:
Photographer: © Suemack
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Diesen Artikel so zitieren: Operationen bei Rheuma sind dank moderner Biologika seltener geworden – vielfach aber trotzdem eine sinnvolle Option - Medscape - 11. Sep 2023.
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