Patienten, die 1 Jahr nach dem Myokardinfarkt (MI) an mäßigen oder an starken Schmerzen leiden, scheinen ein höheres Risiko zu haben, innerhalb der nächsten 8 Jahre zu sterben, als Patienten ohne Schmerzen nach einem MI. Das berichten Forscher aus Schweden. Sie haben auch Schmerzen erfasst, die auf nicht kardiologische Erkrankungen zurückzuführen sind. Wie die Autoren schreiben, seien Schmerzen sogar ein stärkerer Prädiktor für die Mortalität als Rauchen. Alle Ergebnisse ihrer Studie sind im Journal of the American Heart Association publiziert worden [1].
Schmerzen – mehr als ein Symptom
Die Forscher haben Gesundheitsdaten von mehr als 18.300 schwedischen Erwachsenen nach einem Myokardinfarkt ausgewertet. Hier war die Wahrscheinlichkeit, während der Nachbeobachtungszeit an einer beliebigen Ursache zu sterben, bei Personen mit mäßigen Schmerzen um 35% höher als bei Personen ohne Schmerzen. Bei Personen mit starken Schmerzen war die Wahrscheinlichkeit, zu sterben, sogar mehr als doppelt so hoch als bei Kontrollen.
„Lange Zeit wurden Schmerzen lediglich als Symptom einer Krankheit und nicht als eigenständige Krankheit betrachtet“, sagt die Studienautorin Dr. Linda Vixner von der Dalarna-Universität in Falun, Schweden, gegenüber Medscape. „Wir hatten nicht erwartet, dass Schmerzen einen so starken Einfluss auf das Sterberisiko haben würden.“ Überraschend sei auch der stärkere Effekt im Vergleich zum Nikotinkonsum gewesen. Vixners Resümee: „Ärzte sollten Schmerzen als wichtigen kardiovaskulären Risikofaktor betrachten.“
Auswertung von Gesundheitsdaten als Basis der Studie
In der Studie untersuchten Forscher die Auswirkungen von Schmerzen auf das langfristige Überleben nach einem Herzinfarkt. Eine aktualisierte Definition von chronischen Schmerzen in der 11. Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) hatte den Anstoß zu der Studie gegeben – wie auch eine aktuelle Studie mit Daten aus der UK Biobank, die zeigt, dass chronische Schmerzen mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert sind.
Grundlage der Analyse waren Daten aus dem SWEDEHEART-Register mit 18.376 Patienten, die zwischen 2004 und 2013 einen Herzinfarkt erlitten hatten. Das Durchschnittsalter lag bei 62 Jahren; 75% waren Männer. Die Nachbeobachtungszeit lag bei 8,5 Jahren.
12 Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus haben Patienten Schmerzwerte mit dem EQ-5D-Fragebogen selbst erfasst. 38,2% der Studienteilnehmer berichteten dabei über mäßige Schmerzen und 4,5% über starke Schmerzen.
In der Kategorie der Personen mit starken Schmerzen waren folgende Patienten überrepräsentiert:
Frauen (7,5% gegenüber 3,6% der Männer),
Raucher,
Patienten mit Diabetes,
mit Herzinfarkt,
mit Schlaganfall,
mit perkutaner Koronarintervention,
mit Herzinfarkt ohne ST-Segment-Elevation sowie
körperlich inaktiv eingestufte Patienten.
Darüber hinaus wiesen Patienten mit starken Schmerzen 12 Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus einen höheren Body-Mass-Index und Taillenumfang auf als Kontrollen ohne Schmerzen.
Die meisten (73%) aller 7.889 Patienten, die bei der Nachuntersuchung 2 Monate nach einem Herzinfarkt keine Schmerzen hatten, waren auch bei der Nachuntersuchung nach 12 Monaten schmerzfrei. Dagegen hatten 65% der Patienten, die nach 2 Monaten Schmerzen angaben, diese auch nach 12 Monaten.
Insgesamt gab es 1.067 Todesfälle in der Kohorte. Die bereinigte Hazard Ratio betrug 1,35 für moderate Schmerzen und 2,06 für starke Schmerzen.
Schmerzen sind ein stärkerer Prädiktor der Mortalität als Rauchen
Im Vergleich zum Faktor „Rauchen“ war der Faktor „Schmerzen“ ein stärkerer Prädiktor für die Mortalität. „Ärzte, die Patienten nach einem Herzinfarkt betreuen, sollten die Notwendigkeit erkennen, Schmerzen als prognostischen Faktor zu betrachten, der mit anhaltendem Rauchen vergleichbar ist”, schreiben die Autoren der Studie.
Bei der Gestaltung individuell angepasster [kardialer Rehabilitations-] und Sekundärpräventionsmaßnahmen sollten Ärzte dies berücksichtigen. Umso wichtiger sei auch, Schmerzen bei Nachuntersuchungen zu erfassen. Vixner schlägt vor, Schmerzen nach einem Herzinfarkt als wichtigen Risikofaktor in der ärztlichen Praxis zu berücksichtigen.
„Die Ergebnisse decken sich mit früheren Studien und mit meiner eigenen klinischen Erfahrung“, sagte Prof. Dr. Gregg C. Fonarow gegenüber Medscape. Er ist Interimschef der Abteilung für Kardiologie an der UCLA, Direktor des Ahmanson-UCLA Cardiomyopathy Center und Experte der American Heart Association.
„Es gibt viele mögliche Ursachen für Schmerzen im Jahr nach einem Herzinfarkt“, sagt Fonarow. Er nennt eine höhere kardiovaskuläre Belastung, komorbide Erkrankungen, wenig körperliche Aktivität bzw. die langfristige Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika oder von Opioiden. Dies könne alles zu einem erhöhten Sterberisiko beitragen, kommentiert der Experte.
Allerdings gebe es weitere, in der Studie nicht erhobene Parameter, die Zusammenhänge erklären könnten, sagt er. „Sozioökonomische Faktoren wurden nicht berücksichtigt.“ Informationen über die Art, Dosierung und Häufigkeit der Einnahme von Schmerzmitteln seien auch nicht erhoben worden.
„Ärzte, die Patienten mit früherem Herzinfarkt betreuen, sollten Schmerzen sorgfältig beurteilen und diese Informationen nutzen”, rät Fonarow. Damit sei es vielleicht möglich, Empfehlungen zur Kontrolle von Risikofaktoren oder Entscheidungen für Therapien zu optimieren.
Seiner Meinung nach sollte in weiteren Studien untersucht werden, ob die Assoziationen auch für andere Patientenpopulationen zuträfen, sagt Fonarow. „Darüber hinaus könnte in Interventionsstudien untersucht werden, ob verbesserte Behandlungsstrategien bei diesen Hochrisikopatienten mit Schmerzen das Sterberisiko erfolgreich senken können.“
Körperliche Aktivitäten könnten Mortalität verringern
Vixner betont die Relevanz körperlicher Aktivität bei der Verringerung des Mortalitätsrisikos. „Eine der wichtigsten Therapien für chronische Schmerzen ist körperliche Betätigung“, sagte sie. „Sie wirkt sich positiv auf die Lebensqualität, auf Aktivitäten des täglichen Lebens, auf die Schmerzintensität und auf die allgemeine körperliche Funktion aus; sie verringert das Risiko der sozialen Isolation und das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.”
Vixners Team hat vor kurzem die Intervention „eVISualisation of physical activity and pain“ (eVIS) entwickelt. Ziel ist, ein gesundes Maß an körperlicher Aktivität bei Menschen mit chronischen Schmerzen zu fördern. Derzeit laufen registergestützte, randomisierte, kontrollierte Studien zur Bewertung des Ansatzes.
Der Beitrag ist im Original erschienen auf Medscape.com.
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Photographer: © Rawpixelimages
Lead image: Dreamstime.com
Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Starke Schmerzen nach dem Herzinfarkt weisen auf ein höheres Mortalitätsrisiko hin – eignet sich Sport als Intervention? - Medscape - 11. Sep 2023.
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