Eine Hydrotherapie könnte helfen, verschiedenen Erkrankungen vorzubeugen oder sie zu behandeln – etwa venöse Insuffizienz, Wechseljahresbeschwerden, Defizite in der Kognition bzw. der mentalen Gesundheit. Aber wie ist es um die Evidenz bestellt? Ein Forschungsteam hat sich dieser Frage angenommen und Ergebnisse im BMJ veröffentlicht [1].
Typische Elemente der Naturheilkunde nach Kneipp
Die Hydrotherapie nach Sebastian Kneipp (1821-1897) ist Teil des Kneipp'schen Naturheilkunde-Konzepts aus insgesamt 5 Säulen:
Lebensstil und Geist-Körper-Interventionen
gesunde Ernährung
Bewegung
Phytotherapie
Hydrotherapie
Die Kneipp'sche Hydrotherapie (KH) unterscheidet zwischen mehr als 100 verschiedenen Wasseranwendungen, um Erkrankungen vorzubeugen oder zu therapieren. Charakterisiert ist die KH durch die Anwendung kalten Wassers.
Evidenz der Kneipp'schen Hydrotherapie bisher gering
Laut den Autoren des Reviews liege zwar Literatur vor, die zeige, dass kaltes Wasser eine ausgleichende und regulierende Wirkung für das Herz-Kreislauf-System und im Bereich des Hormon- und Immunsystems und der Psyche haben könne.
Allerdings sei die wissenschaftliche Evidenz zur KH bisher hauptsächlich in 2 Übersichtsarbeiten zusammengefasst, die sich auf einen begrenzten Publikationszeitraum und auf die deutsche und englische Sprache beschränken würden.
Neue Arbeit findet positive Effekte u. a. bei Varikose
Um nun die tatsächliche therapeutische und präventive Wirkung der KH zum heutigen Stand zusammenzufassen, führten die Autoren der aktuellen Arbeit eine systematische Literaturrecherche durch. Nach Prüfung schlossen sie 22 Artikel zu 20 randomisierten kontrollierten Studien (RCT, n=4.247 Probanden) ein.
Die Arbeit zeigte verschiedene positive Wirkungen der KH, meist im Vergleich zu unbehandelten Kontrollen. Die Autoren fanden in jeweils mehr als einer Studie positive Effekte bei Varikose, Wechseljahresbeschwerden und bei Fieber bei Kindern.
Zu Bluthochdruck und leichter Herzinsuffizienz stellten sie positive Effekte lediglich in einzelnen Studien fest. Generell gestaltete sich die Studienlage heterogen bezüglich Teilnehmenden, Endpunkten, Bedingungen und Interventionen. Die Qualität der meisten Studien war eher gering; sie unterlagen einem hohen Risiko für Verzerrungen.
Teils positive Ergebnisse bei Varikose
8 Studien hatten Ergebnisse in Zusammenhang mit kardiovaskulären Symptomen publiziert. Diese umfassten sowohl Bluthochdruck als auch leichte Herzinsuffizienz und Varikose. Von insgesamt 44 Vergleichen, die gezogen wurden, sprachen 18 für den Einsatz der KH, ein Vergleich zeigte einen Trend in dieselbe Richtung. In 25 Fällen zeigte sich kein Unterschied zwischen den Gruppen.
Die Autoren bewerteten positive Ergebnisse bei Patienten mit Varikose als am meisten konsistent.
Infektion der oberen Atemwege: Kurzzeiteffekt bei Kindern
Der Einfluss auf Infektionen der oberen Atemwege bei Kindern und Erwachsenen wurde in 3 Studien untersucht. Von 17 gezogenen Vergleichen sprachen 6 für die KH, 2 zeigten einen Trend zugunsten von KH und 6 zeigten keinen Unterschied. 3 Vergleiche sprachen sogar für die Kontrollbehandlung und gegen die KH.
Die vielversprechendsten Ergebnisse wurden hinsichtlich Kurzzeiteffekten zur Hydrotherapie bei Kindern mit Fieber und mit Infektionen der oberen Atemwege beschrieben.
Möglicher Effekt bei Wechseljahresbeschwerden
2 Studien zu Wechseljahresbeschwerden kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen: Ein Teil sprach für eine KH, ein Teil zeigte lediglich einen Trend und ein weiterer Teil sprach für die Kontrollbehandlung.
Positive Ergebnisse konnten zumindest in 2 Studien für somato-vegetative Symptome der Wechseljahre (z. B. Hitzewallungen, Schlafstörungen) nachgewiesen werden.
Hilfreich bei bestimmten neuropathischen Symptomen
2 Studien umfassten neuropathische Symptome bei Menschen mit Post-Polio und Polyneuropathie. Auch hier waren die Ergebnisse heterogen: Etwa die Hälfte der gezogenen Vergleiche sprach für die KH, die andere Hälfte zeigte lediglich einen Trend und ein Vergleich ergab überhaupt keinen Unterschied zwischen den Gruppen.
Die Vergleiche, die zugunsten der KH ausfielen, bezogen sich auf Varikose mit Krämpfen und Schmerzen.
Dünne Evidenz bei weiteren Symptomen und Erkrankungen
Zur Auswirkung auf gastrointestinale Symptome, auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität, auf die mentale Gesundheit (z. B. auf Angststörungen und Depression), auf muskuloskelettale Symptome, auf Schmerzen bei Wundheilung und auf Arbeitsunfähigkeit lag nur geringe Evidenz vor.
Wohl keine Nebenwirkungen
Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wurden insgesamt 23 gemeldet, die aber nicht mit der KH in Zusammenhang standen.
Einschränkungen der Arbeit
Zu den Einschränkungen des Reviews zählen die geringe Anzahl an Studien und die Heterogenität der Teilnehmenden bzw. der Interventionen.
Die Aussagekraft der vorliegenden Arbeit könnte dadurch eingeschränkt sein, dass die meisten Studien ein hohes Risiko der Verzerrung in Bezug auf Verblindung oder Generierung von Zufallssequenzen aufweisen. Da eine Verblindung in KH-Studien aufgrund der Natur der KH schwierig zu erreichen ist, schlagen die Autoren vor, in weiteren Studien angemessene aktive Kontrollen zu wählen. Dies könne u. a. eine Verzerrung durch die Erwartungshaltung von Teilnehmenden ausgleichen.
Das Resümee der Autoren: „Obwohl die RCTs zu KH bei einigen Bedingungen und Ergebnisparametern positive Effekte zu zeigen scheinen, ist es aufgrund des hohen Risikos einer Verzerrung und der Heterogenität der meisten Studien nach wie vor schwierig, Behandlungseffekte festzustellen.“ Dafür seien weitere hochwertige RCTs erforderlich.
Der Artikel ist im Original erschienen auf Coliqio.de.
Credits:
Photographer: © Sebastian Czapnik
Lead Image: Dreamstime
Medscape Nachrichten © 2023 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Bei Patienten beliebt, bei Wissenschaftlern umstritten: Kneipp-Therapien im Fadenkreuz der evidenzbasierten Medizin - Medscape - 8. Sep 2023.
Kommentar