Bei Rheuma-Patienten altert das Immunsystems vorzeitig – warum dabei manche Immunzellen garstig werden

Dr. Bianca Bach

Interessenkonflikte

7. September 2023

Leipzig – Mit dem Alter kommen die Erkrankungen: Krebs, kardiovaskuläre und neurodegenerative Erkrankungen, gehäufte Infektionen und auch Autoimmunerkrankungen, wie Rheuma. Das hängt damit zusammen, dass auch das Immunsystem altert. Gerade bei Autoimmunerkrankungen tut es das besonders schnell.

„Es gibt ein Phänomen der vorzeitigen Immun-Alterung“, sagte Prof. Dr. Cornelia Weyand, Center for Translational Medicine, Stanford University, Stanford, USA, beim Deutschen Rheumatologiekongress 2023 [1]in Leipzig. Bei Gesunden beginnt die Immun-Alterung mit 20 Jahren. Ab dann spielt die Thymusfunktion, die mit 14 bis 15 Jahren ihr Maximum erreicht, eine zunehmend geringere Rolle. „Mit 50 Jahren nimmt der Alterungsprozess des Immunsystems an Fahrt auf.“

 
Mit 50 Jahren nimmt der Alterungsprozess des Immunsystems an Fahrt auf. Prof. Dr. Cornelia Weyand
 

„Das Gute daran ist“, meinte Prof. Dr. Thomas Dörner, Klinische Hämostaseologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, „die T- und B-Zellen altern gemeinsam, aber alle ein bisschen anders, jedes System für sich.“

Während die verminderte Bildung naiver T-Zellen auf die Thymusinvolution zurückgeht, ist die naiver B-Zellen Folge einer altersbedingten Knochenmarksverfettung. Auch unter dem Einfluss von Tumornekrosefaktor (TNF)-α aus Adipozyten wird das Knochenmark als B-Zell-Bildungsstätte immer schwächer und langsamer. „Dadurch nimmt das präimmune B-Zell-Repertoire ab und ist weniger fit als beim jungen Menschen.“

„Inflamm-Aging“

„In der Peripherie sehen wir einen Prozess, den wir auch Inflamm-Aging nennen, und wo vor allem die Zytokine Interferon (IFN)-γ, Interleukin (IL)-10 und IL-17 eine Rolle spielen. Das verändert auch die primäre und sekundäre Immunantwort“, sagte Dörner. Dabei spielt eine nachlassende Stimulation über den B-Zell-Rezeptor (BCR) durch alternde T-Lymphozyten eine Rolle.

Mit dem Alter strukturiert sich das Immunsystem gänzlich neu. „Die schützende Immunität geht unter, und die nicht so gute Immunität taucht auf“, beschrieb es Weyand. Wunden heilen schlechter, die Schutzwirkung gegenüber Infektionen und vor allem Malignomen sowie die Immunantwort auf Impfungen lässt nach.

Das vermehrte Auftreten neurodegenerativer, kardiovaskulärer und Autoimmunerkrankungen geht nicht auf einen Funktionsverlust, sondern auf neu gewonnene, unerwünschte Funktionen zurück. Diese gehen mit entzündlichen Veränderungen einher – daher der Begriff „Inflamm-Aging“.

 
Die schützende Immunität geht unter, und die nicht so gute Immunität taucht auf. Prof. Dr. Cornelia Weyand
 

Bei den B-Zellen werden funktionelle Keimzentren in den Lymphorganen und schützende Antikörper seltener, es akkumulieren altersassoziierte B-Zellen (ABC). Wie Dörner betonte, stehen diese nicht unter dem Kommando des B-Zell-Rezeptors und sind unabhängig vom Zytokin BAFF (B-Zell aktivierender Faktor). Vielmehr reagieren sie auf Signale, die von den Toll-like-Rezeptoren (TLR) 7 und 9 ausgehen.

Das erklärt womöglich auch die vermehrte Autoantikörperbildung bei älteren Menschen und die Assoziation von Virus- und Autoimmunerkrankungen. So kommen die altersassoziierten B-Zellen gehäuft etwa bei Rheumatoider Arthritis (RA), Sklerodermie und systemischem Lupus erythematodes vor. „Es gibt gute Daten, dass sie durch Infektionen getriggert werden, und sie sind darin spezialisiert, Autoantikörper zu bilden“, sagte auch Weyand über die altersassoziierten B-Zellen.

„Garstige alte T-Zellen“

Unter Einfluss genetischer Stop- und Go-Signale verändert sich im Laufe des Lebens auch die Zusammensetzung der T-Zellpopulation. Sie wird weniger divers. T-Helfer-Zellen werden weniger, dafür häufen sich terminal differenzierte T-Effektor-Gedächtniszellen (TEMRA) an. Das ist laut Weyand ein Problem: „Diese Zellen sind nicht nur faule, alte Zellen, die da herumsitzen. Leider werden sie gemein.“

„Was wir also sowohl im T- als auch im B-Zell-System sehen, ist, dass sie mit dem Alter wieder mehr innat werden“ resümierte die Rheumatologin. „Sie sind nicht ganz so präzise und nicht ganz so gut.“

 
Diese Zellen sind nicht nur faule, alte Zellen, die da herumsitzen. Leider werden sie gemein. Prof. Dr. Cornelia Weyand
 

Myeloide Zellen wiederum sind im Alter weniger aktiv bei Phagozytose und Antigenpräsentation und bekommen mehr Mutationen. Sie werden vermehrt aus dem Knochenmark freigesetzt, produzieren mehr Zytokine und tragen wesentlich zum Inflamm-Aging bei.

Zellkraftwerke versagen

Weyand hat sich in zell- und molekularbiologischen Untersuchungen viel damit beschäftigt, warum T-Zellen von Menschen mit RA vorzeitig altern. Der Schlüssel lag in der Zell- und Molekularbiologie. „Wir haben gelernt, wie die T-Zell-Alterung sich in ein metabolische Re-Programmierung der T-Zellen übersetzt – wie sie eine gute, starke und schützende T-Zelle in eine krankheitsinduzierende T-Zelle verwandelt.“

Im Zentrum der vorzeitigen T-Zell-Alterung bei RA steht eine gestörte Mitochondrienfunktion und eine unzureichende Kommunikation der Mitochondrien mit den Lysosomen und dem Endoplasmatischen Retikulum.

 
Das Synovialgewebe von RA-Patienten ist ein Friedhof sterbender T-Zellen. Prof. Dr. Cornelia Weyand
 

T-Zellen von RA-Patienten (RA-T-Zellen) enthalten im Vergleich zu denen gesunder Menschen weniger MRE11A. Das ist eine Nuklease, die die Reparatur von DNA-Brüchen ermöglicht. Inhibiert man MRE11A, akkumulieren seneszente T-Zellen, die darüber hinaus noch proinflammatorische Zytokine, wie IL-1B, IL-6, und TNF bilden: „Das ist die Dreiergruppe, mit der wir Rheumatologen ständig zu tun haben.“

Da die mitochondriale DNA-Reparatur essenziell für den Erhalt der mitochondrialen Fitness ist, können die Zell-Kraftwerke bei RA nicht so viel Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP) bereitstellen wie bei Gesunden. „Sie sind metabolisch nicht so fit“, sagte Weyand.

DNA-Lecks führen zu einem entzündlichen Zelltod

Tatsächlich sind alle Stoffwechselwege in den T-Zellen reduziert. Das bioenergetische Versagen hat Folgen: „Bedauerlicherweise leckt, wenn das Mitochondrium alt wird, seine DNA in das Zytosol“, erläuterte Weyand. „Zellen mögen das nicht.“ Denn im Zytosol aktiviert DNA über Caspase-1 das Inflammasom. Es resultiert ein hochentzündlicher Zelltod, die „Pyroptose“. Anschließend ist von den Zellen im Gewebe nichts mehr zu sehen. „Das Synovialgewebe von RA-Patienten ist ein Friedhof sterbender T-Zellen.“

 
Wir haben gelernt, wie die T-Zell-Alterung (…) eine gute, starke und schützende T-Zelle in eine krankheitsinduzierende T-Zelle verwandelt. Prof. Dr. Cornelia Weyand
 

In den Lysosomen, dem „Darm“ der Zelle, ergeben sich Probleme, weil RA-Patienten das Enzym Adenosinmonophosphat-Kinase (AMPK) nicht mehr aktivieren können. Es erhält nicht den Lipidschwanz, den es braucht, um seine Position als Energiesensor auf der Lysosomen-Membran einzunehmen. Dadurch bekommt sein Gegenspieler mTOR – beide halten sich gewöhnlich gegenseitig in Schach – Überhand. Weyand: „MTOR hat eine Party.“ Das aktiviert und stresst die Zelle.

Weitere Veränderungen betreffen das Endoplasmatische Retikulum (ER). „Das ist der Ort, wo alle Ihre Proteine synthetisiert und verpackt werden, um aus dem Zellinneren nach außen oder zur Zellmembran zu wandern.“ RA-T-Zellen haben im Vergleich zu gesunden T-Zellen rund 50% mehr ER. „Je weniger die Mitochondrien arbeiten, desto größer ist das ER. Es wird geradezu fett.“

 
Kein Wunder, dass diese Zelle derart proinflammatorisch ist – sie bildet genau das Zytokin, das Sie jeden Tag im Fokus haben. Prof. Dr. Cornelia Weyand
 

Mitochondrien kommunizieren über Aspartat, Oxalacetat und Malat mit dem ER und kontrollieren darüber auch dessen Größe. RA-T-Zellen erwiesen sich als Aspartat-defizient, im Tiermodell wirkte die Aminosäure antientzündlich.

Bei Sequenzierung an das ER gebundener mRNA stießen Weyand und ihre Kollegen vor allem auf die Bausteine für TNF. „Es gibt mehr als 3-mal soviel mRNA für TNF. Sie verwandelt diese T-Zelle in einen TNF-Superproduzenten“, sagte die Rheumatologin. „Kein Wunder, dass diese Zelle derart proinflammatorisch ist – sie bildet genau das Zytokin, das Sie jeden Tag im Fokus haben.“

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