Digitalisierung: Lauterbach plant „Aufholjagt“ in der Versorgung und der Forschung – Patientenschützer sind skeptisch

Christian Beneker

Interessenkonflikte

6. September 2023

Die elektronische Gesundheitsakte, das E-Rezept und die Telemedizin: Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach will zur weiteren Digitalisierung des Gesundheitswesens große Pläne umsetzen. Er plane, „sowohl im Versorgungsalltag wie in der Forschung eine Aufholjagt“ zu starten. Das Bundeskabinett hat dazu am vergangenen Mittwoch zwei Gesetzesvorlagen beschlossen, das Digitalgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz.

Elektronische Gesundheitsakten für alle

Im Zentrum des Digitalgesetzes steht die elektronische Gesundheitsakte (ePA). Sie soll laut Gesetz Anfang 2025 für alle Versicherten eingerichtet werden. Dabei gilt die Opt-Out-Regel:  Jeder Versicherte, der die ePA nicht nutzen will, muss sich also aktiv gegen sie entscheiden und der Einrichtung seiner Akte widersprechen. Andernfalls wird sie automatisch für ihn angelegt. „Ziel ist die vollumfängliche, weitestgehend automatisiert laufende Befüllung der ePA mit strukturierten Daten, die die Versorgung gezielt unterstützen“, heißt es in dem Gesetzentwurf.

 
Ziel ist die vollumfängliche, weitestgehend automatisiert laufende Befüllung der ePA mit strukturierten Daten. Digitalgesetz
 

Neue Standards der Arzneimittelversorgung

Zusammen mit der ePA erhalten Versicherte eine automatisch erstellte digitale Medikationsübersicht. Damit sollen Arzneimittel-Wechselwirkungen vermieden werden.

Auch das e-Rezept soll weiterentwickelt werden. Es wird laut Gesetzentwurf ab 1. Januar 2024 „verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung.“ Mit dem e-Rezept dürften die stärkste Veränderung für niedergelassene Ärzte verbunden sein. Anders als für die e-PA gibt es beim e-Rezept keinen Weg, die Neuerung abzulehnen, da sie „das bisherige Papierrezept perspektivisch vollständig ersetzen wird“, erklärt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Allerdings können die Versicherten der automatischen Übermittlung der Arzneimittelinformationen aus dem e-Rezeptdienst der ePA widersprechen. 

2,1 Milliarden Euro für die Digitalisierung im Gesundheitswesen

Auch digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA, „Apps auf Rezept“) sollen breiter eingesetzt werden, zum Beispiel für kompliziertere Anwendungen wie das Telemonitoring.

Bisher sind DIGA nur Medizinprodukte der Risikoklassen I oder IIa. Nach dem Willen des Kabinetts soll nun auch Medizinprodukte der Klasse IIb als DIGA gelten. Vor allem sollen DIGA preisgünstiger werden: „Die Preisgestaltung bei DiGA soll stärker an Erfolgskriterien ausgerichtet und damit für eine Steuerung des Angebots noch besser nutzbar werden. Es wird ein transparenter Qualitätswettbewerb etabliert“, heißt es in dem Gesetzentwurf.

Hinzu kommen Regelungen zur Cybersicherheit und Interoperabilität.

Das Geld für die Umsetzung des Gesetzes – es dreht sich für die Jahre 2024 bis 2028 um mehr als 2,1 Milliarden Euro – kommt nicht aus dem Säckel des Bundes, sondern der Sozialversicherungen.

Nutzung von Gesundheitsdaten

Der 2. Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett auf den Weg gebracht hat, betrifft die Nutzung von Gesundheitsdaten. „So bieten zum Beispiel Abrechnungsdaten einen breiten Überblick über Pfade durch die unterschiedlichen Versorgungsbereiche und einen Einblick in diverse Krankheitsbilder“, heißt es in dem Gesetzentwurf. 

Zwar würden in Deutschland an vielen Stellen Gesundheitsdaten erhoben, aber sie seien nicht zugänglich für die Forschung „und weiteren im Gemeinwohl liegenden Zwecken“, umreißt der Gesetzentwurf das Problem. Denn in Deutschland erschwerten viele verschiedene Vorgaben der EU, der Länder und des Bundesrechts den Zugang zu den Gesundheitsdaten. Hinzu kämen uneinheitliche Rechtsauslegungen durch Datenschutzbeauftragten´ und Aufsichtsbehörden. Viele Daten könnten also nicht „außerhalb des Versorgungskontextes“ genutzt werden, hieß es. 

Das soll sich nun ändern. Künftig wird nach dem Willen des Kabinetts eine unabhängige Stelle die unabhängige Nutzung von Gesundheitsdaten koordinieren. „Hier werden erstmalig Daten aus verschiedenen Datenquellen miteinander verknüpft. Die Zugangsstelle soll als zentrale Anlaufstelle für Datennutzende fungieren“, erklärt das BMG.

„Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass ihre Gesundheitsdaten überall sicher genutzt werden, um sie besser zu versorgen“, versicherte Lauterbach. „Und Wissenschaftler sollen sicher sein, dass sie in Deutschland die beste Voraussetzung für ihre Forschung bekommen.“

 
Patienten sollen sich darauf verlassen können, dass ihre Gesundheitsdaten überall sicher genutzt werden, um sie besser zu versorgen Prof. Dr. Karl Lauterbach
 

Krankenkassen fordern mehr Zeit

Krankenkassen befürworten Lauterbachs Gesetzesvorhaben als „dringend nötige Weichen für ein digitales Gesundheitswesen“, wie die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, in einer Stellungnahme sagte. Ausdrücklich begrüßte sie die Opt-Out-Regelung bei der ePA. 

Allerdings forderte Pfeiffer 1 Jahr mehr Vorlauf. „Damit die ePA mit all ihren Vorteilen akzeptiert wird, benötigen die gesetzlichen Krankenkassen Zeit für die Vorbereitung, die Information und die Aufklärung ihrer Versicherten. Um keine unrealistischen Erwartungen zu wecken, sollte die Einführung der „ePA für alle“ zum 1. Juli 2025 erfolgen“, so Pfeiffer.

Kritik von Patientenschützern

Anders Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, hat sich mit der Thematik befasst. Er kritisierte unter anderem die Opt-Out-Regelung. Schweigen bedeute nicht Zustimmung, so Brysch. „Die Bundesregierung wischt mit den Digitalgesetzen alle Bedenken weg.“ Ohne Not werde so die Skepsis in der Bevölkerung bei der elektronischen Patientenakte befeuert, obwohl die Einführung für Patientinnen und Patienten wichtig sei. 

Brysch: „Auch darf keine Weitergabe von medizinischen Daten ohne Einwilligung an die Forschung erfolgen. Vollkommen abgehängt werden zudem Menschen, die keinen Zugang zum Internet haben.“ 

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Kommentar

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