Rote Beete essen vorm Herzcheck? Nitrate können Nephropathie (CIN) durch Kontrastmittel vor der Koronarangiographie verringern

Interessenkonflikte

4. September 2023

Amsterdam – Eine einfache und kostengünstige 5-tägige Diät mit anorganischem Nitrat hat sich in der Prävention der kontrastmittelinduzierten Nephropathie (CIN) und zur Verringerung von Folgeschäden an den Nieren und am kardiovaskulären System als sehr hilfreich erwiesen. Die Studie wurde von Dr. Dan Jones vom Barts Health NHS Trust in London am 28. August auf dem Kongress der European Society of Cardiology (ESC) 2023 in Amsterdam vorgestellt [1].

Dr. Dan Jones

In der NITRATE-CIN-Studie konnten bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom (AKS) ohne ST-Strecken-Hebung, bei denen das Risiko einer Nierenschädigung während einer Koronarangiographie bestand, die CIN nach Einnahme von anorganischen Nitraten um 70% im Vergleich zu einer Placebogruppe verringert werden.

In der „Nitratgruppe“ wurde auch eine beeindruckende Verringerung periprozeduraler Myokardinfarkte (MI) und eine Verbesserung der Nierenfunktion nach 3 Monaten sowie eine Halbierung schwerer kardiovaskulärer und schwerer renaler Nebenwirkungen nach 1 Jahr beobachtet. 

„Neben der i.v.-Flüssigkeitsgabe gibt es derzeit keine etablierte Therapie bei der CIN. Wir glauben jedoch, dass das anorganische Nitrat aus der Nahrung hier eine wichtige Rolle spielen und die schwerwiegenden Komplikationen bei einer Koronarangiographie reduzieren könnte“, sagte Jones. 

 
Das anorganische Nitrat aus der Nahrung könnte hier eine wichtige Rolle spielen und die schwerwiegenden Komplikationen bei einer Koronarangiographie reduzieren. Dr. Dan Jones
 

Bei dem verwendeten Produkt handelte es sich um eine Formulierung anorganischer Nitrate in Form von Kaliumnitratkapseln, die von den Forschenden speziell für diese Studie hergestellt wurde.

Derzeit „besteht die einzige Möglichkeit, anorganisches Nitrat zu sich zu nehmen, in der Ernährung. Dazu müsste vor allem Rote-Bete-Saft oder grünes Blattgemüse wie Spinat und Rucola auf dem Speiseplan stehen. Aus klinischer Sicht könnten diese Ergebnisse eine wirksame Therapie mit großem Potenzial aufzeigen, doch ist es derzeit nicht möglich das in unserer Studie verwendete Medikament zu verschreiben, obwohl wir an der Herstellung eines kommerziellen Produkts arbeiten“, erklärte er gegenüber Medscape.

Jones wies darauf hin, dass man in Reformhäusern und im Internet Rote-Bete-Spritzen mit jeweils 7 mmol Kaliumnitrat kaufen kann, und dass 2 solcher Spritzen pro Tag über 5 Tage eine ähnliche Dosis ergeben würden wie jene, die in dieser Studie verwendet wurde, wenn man am Tag vor der Angiographie beginnt.

„Diese Ergebnisse müssen zwar in einer größeren, multizentrischen Studie bestätigt werden, doch deuten die bisherigen Untersuchungen nicht darauf hin, dass dieser Ansatz irgendwie schädlich sein könnte. Es ist aber womöglich von großem Nutzen, sich vor und einige Tage nach einer Angiographie ein paar Spritzen mit Rote-Bete-Extrakt injizieren zu lassen.“

 
Es ist aber womöglich von großem Nutzen, sich vor und einige Tage nach einer Angiographie ein paar Spritzen mit Rote-Bete-Extrakt injizieren zu lassen. Dr. Dan Jones
 

Nitrate in der Ernährung ergeben Sinn

Dr. Roxanna Mehran von der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Hospital in New York, die an der ESC-Diskussionsrunde zur NITRATE-CIN-Studie teilnahm, sagte, die Studie sei gut konzipiert und die „interessante und auch plausible“ Hypothese, dass Nitrate in der Nahrung den Stickstoffmonoxidspiegel erhöhen, „ergebe absolut Sinn“.

Dr. Roxanna Mehran

Zu dem Hauptergebnis einer signifikanten 50%igen Reduktion bei den akuten Nierenschädigungen sagte Mehran: „Es ist schwer vorstellbar, dass eine solche Reduktion überhaupt möglich ist.“ Sie wies darauf hin, dass die signifikante Verringerung der schwerwiegenden unerwünschten kardialen und renalen Ereignisse nach einem Jahr ebenfalls für einen nachhaltigen Benefit beim Schutz der Nieren sprechen. „Nach dieser Studie werden wir wohl alle auf Rote-Bete-Saft umsteigen“, scherzte sie.

Dennoch bezweifelte sie die Ergebnisse – sie seien „zu gut, um wahr zu sein“. Daher sei eine größere Studie, die auch längerfristige Ergebnisse berücksichtige, sowie ein besseres Verständnis dafür, inwieweit eine CIN eine kausale Rolle bei der Sterblichkeit spiele, erforderlich.

Auf die Frage, ob Nitrate in der Nahrung tatsächlich einen so großen Effekt haben könnten, antwortete Jones, dass es für ihn definitiv einen Benefit gäbe, der aber letztlich vielleicht nicht so groß sei, wie der in dieser Studie beobachtete.

Reduktion in dieser Größenordnung kam unerwartet

„Aufgrund unserer Pilotuntersuchungen gingen wir davon aus, dass Nitrate zur Prävention der CIN wirksam sein könnten“, sagte er gegenüber Medscape. „Wir haben eine Gruppe mit höherem Risiko als erwartet rekrutiert, daher waren auch die Raten der Ereignisse in der Kontrollgruppe höher als erwartet. Die Reduktion der akuten Nierenschädigung entsprach jedoch in etwa unseren Erwartungen und ist auch biologisch schlüssig.“

Jones räumte ein, dass der deutliche Rückgang bei den langfristigen schweren unerwünschten kardiovaskulären und renalen Ereignissen unerwartet kam.

„Die Studie war nicht darauf ausgelegt, diese Ergebnisse in den Outcomes zu erzielen. Wir müssen sehen, ob sich diese Resultate in größeren multizentrischen Studien wiederholen lassen“, sagte er. „Aber es war eine doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studie, also sind die Effekte in dieser Studie echt, und ich denke, dass eher die Effektgröße in dieser Studie zu groß ist, als dass es keinen positiven Effekt geben könnte.“ 

 
Die Studie war nicht darauf ausgelegt, diese Ergebnisse in den Outcomes zu erzielen. Wir müssen sehen, ob sich diese Resultate in größeren multizentrischen Studien wiederholen lassen. Dr. Dan Jones
 

„Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob wir in einer größeren Studie mit engeren Konfidenzintervallen die gleiche Größenordnung des Effekts sehen würden, aber vielleicht ist ein Rückgang der Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen um 20% bis 25% realistischer, was für eine so einfache und kostengünstige Intervention immer noch höchst erfreulich wäre“, fügte Jones hinzu. Eine größere Studie ist bereits in Planung.

Das Forschungsteam arbeitet auch an der Entwicklung einer kommerziellen Form von anorganischem Nitrat in der Nahrung, die für größere multizentrische Studien benötigt wird und dann allgemein verfügbar wäre. „Wir wollen, dass es ein kostengünstiges Produkt ist, das jedermann nutzen kann“, sagt Jones.

Er wies weiter darauf hin, dass in anderen Studien diätetische anorganische Nitrate in Rote-Bete-Saft zu Blutdrucksenkungen geführt haben. Es gibt Hinweise, dass sie auch den Cholesterinspiegel senken und die Restenose von Stents verhindern können. Sporttreibende nehmen sie mitunter ein, um ihre aerobe Kapazität zu erhöhen.

„Es scheint viele Vorteile von Nitraten in der Nahrung zu geben. Das Einzige, was wir jedoch im Moment tun können, ist, die Menschen zu ermutigen, ihren Nitratkonsum durch den Verzehr großer Mengen von grünem Blattgemüse und roter Beete zu erhöhen“, sagte Jones.

Verlorene Stickoxide ersetzen

In seinem Vortrag wies Jones darauf hin, dass die CIN eine schwerwiegende Komplikation nach einer Koronarangiographie ist, die mit längeren Krankenhausaufenthalten, einer langfristig schlechteren Nierenfunktion und einem erhöhten Infarktrisiko sowie einer erhöhten Mortalität einhergeht.

Die Inzidenz variiert je nach persönlichem Risiko und verwendeten Definitionen, kann aber bis zu 50% der Hochrisikopatienten mit AKS betreffen. Dazu zählen ältere Menschen und Personen mit Herzinsuffizienz, chronischer Nierenerkrankung oder Diabetes.

„Wir verstehen die Mechanismen, die eine CIN verursachen, bisher noch nicht vollständig. Es sind verschiedene Pathomechanismen denkbar und aus früheren Studien wissen wir, dass ein Stickoxidmangel für die Entwicklung einer CIN maßgeblich ist“, erklärte er. „Wir wissen auch, dass Stickoxide für die normale Blutstillung in der Niere wichtig sind. Ein mögliches therapeutisches Ziel zur Vorbeugung einer CIN wäre daher der Ersatz dieser verlorenen Stickoxide.“ 

 
Es sind verschiedene Pathomechanismen denkbar und aus früheren Studien wissen wir, dass ein Stickoxidmangel für die Entwicklung einer CIN maßgeblich ist. Dr. Dan Jones
 

Das anorganische Nitrat, das in dieser Studie untersucht wurde, kommt in der Nahrung vor, wird endogen produziert und unterscheidet sich von medizinisch synthetisierten organischen Nitraten wie Isosorbidmononitrat.

„Isosorbidmono-/-dinitrat-Tabletten enthalten organische Nitrate, die zwar gut gegen Angina pectoris helfen, von denen wir aber wissen, dass sie nicht die gleichen positiven Auswirkungen auf die nachhaltige Bildung von Stickoxiden haben wie anorganische Nitrate“, fügte Jones hinzu.

Design der NITRATE-CIN-Studie

NITRATE-CIN war eine randomisierte, Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie, die in London an der Queen Mary University und am St. Bartholomew's Hospital durchgeführt wurde. Sie untersuchte die Wirksamkeit von anorganischem Nitrat zur Prävention einer kontrastmittelinduzierten Nephropathie bei 640 Personen mit AKS ohne ST-Streckenhebung, die zur invasiven Koronarangiographie überwiesen wurden.

Um für die Studie infrage zu kommen, mussten die Patienten ein erhöhtes Risiko für eine CIN mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von unter 60 ml/min/1,73 m2 oder 2 der folgenden signifikanten Risikofaktoren aufweisen:

  • Diabetes,

  • Leberinsuffizienz,

  • Alter über 70 Jahre,

  • Kontrastmittelexposition innerhalb der letzten 7 Tage,

  • Herzinsuffizienz oder

  • gleichzeitige Einnahme von Nierenmedikamenten.

Die Teilnehmenden erhielten zufällig entweder eine Formulierung von täglich 12 mmol/744 mg Kaliumnitrat in Kapseln über 5 Tage beginnend vor der Angiographie oder Kaliumchlorid mit einer angepassten Kaliumkonzentration in der Kontrollgruppe.

Das Durchschnittsalter lag bei 71 Jahren, 73% waren männlich, 75% waren ethnisch weiß, 46% hatten Diabetes und 56% eine chronische Nierenerkrankung. 13% der Teilnehmenden schieden aufgrund der COVID-19-Pandemie aus der Studie aus.

Die Menge des verabreichten Kontrastmittels betrug 180 ml in der Placebo-Gruppe und 170 ml in der Nitrat-Gruppe, wobei sich 50% der Personen einer Revaskularisierung unterzogen. Der primäre Endpunkt war das Auftreten einer CIN nach den KDIGO-Kriterien (Kidney Disease – Improving Global Outcomes). Diese definieren eine Reihe von Stadien der akuten Nierenschädigung anhand von Veränderungen des Serumkreatinins innerhalb von 72 Stunden bis zu einer Woche.

CIN-Risiko deutlich verringert

Die Ergebnisse zeigten, dass dieser primäre CIN-Endpunkt signifikant von 30% in der Placebo-Gruppe auf 9,1% in der Nitratgruppe zurückging, was einer relativen Verringerung des Risikos von 70% entspricht (p < 0,0001). Bei der Mehrzahl (90%) dieser CIN handelte es sich um Stadium 1, bei 10% jedoch um Stadium 2. Verwendete man eine alternative CIN-Definition (Mehran) blieben die Ergebnisse konsistent, wenngleich die Raten in beiden Gruppen niedriger waren als unter der KDIGO-Definition.

Der Benefit zeigte sich in allen vordefinierten Untergruppen: Diabetes, erhöhte Troponin-Werte und Risikoeinstufung nach Mehran. Allerdings schien der Nutzen bei Personen, die bereits eine organische Nitrattherapie erhielten, schwächer zu sein, wenngleich die Anzahl dieser Personen zu niedrig war, um endgültige Schlussfolgerungen zu erlauben.

Bis zu 72 Stunden nach dem Eingriff stiegen die systemischen Nitrat- und Nitritwerte signifikant an, was mit dem 5-Tage-Schema zu erwarten gewesen war. Damit kam es zu einer Senkung des systolischen und diastolischen Blutdrucks und unerwünschte Folgen blieben aus, berichtete Jones.

Die Rate der prozedurbedingten Myokardinfarkte, die einer der vordefinierten sekundären Endpunkte war, sank bei Personen, die anorganische Nitrate erhalten hatten, von 12,5% auf 4,1% (p = 0,003).

Langfristige Verbesserung für Niere Herz und der Gesamtsterblichkeit

Bei den längerfristigen Ergebnissen verbesserte sich die Nierenfunktion nach 3 Monaten, gemessen an der Veränderung der eGFR, die in der Nitratgruppe im Vergleich zur Placebogruppe eine relative Verbesserung von 5,2 ml/min/1,73 m2 (10 %) zeigte. Auch das Serumkreatinin war in der Nitratgruppe signifikant erhöht.

Nach 12 Monaten kam es zu einem signifikanten relativen Rückgang bei den schweren unerwünschten kardiovaskulären Ereignissen (Gesamtmortalität, rezidivierender Myokardinfarkt und Revaskularisationen) um 50% von 18,1% in der Placebo-Gruppe auf 9,1% in der Nitrat-Gruppe, wobei der Rückgang alle 3 Komponenten des zusammengesetzten Endpunkts betraf, d.h. auch die Gesamtmortalität.

Auch bei den schwerwiegenden renalen Ereignissen (Gesamtmortalität, Nierenersatztherapie oder anhaltende Nierenfunktionsstörung) konnte nach 12 Monaten ein Rückgang von 28,4% in der Placebo-Gruppe auf 10,7% in der Nitrat-Gruppe verzeichnet werden (p < 0,0001), was einer relativen Verringerung von 60% entspricht. Dies wurde vor allem durch niedrigere Werte für die Gesamtmortalität und eine anhaltende Nierenfunktion erreicht.

Biologische Mechanismen noch unklar

Für Jones sind die Ergebnisse zu den kardiovaskulären und nephrologischen Hauptfolgen zum jetzigen Zeitpunkt noch als Hypothesen zu betrachten, doch gebe es biologische Mechanismen, die diese Vorteile erklären könnten.

„Wir beobachten einen Rückgang der prozedurbedingten Myokardinfarkte und wissen, dass es viele ähnliche biologische Mechanismen gibt, die prozedurbedingte Myokardinfarkte und nachfolgende kardiale Ereignisse in der akuten Phase verhindern können. Dies könnte zusammen mit der starken Reduktion bei den akuten Nierenschädigungen erklären, warum der Benefit noch bis zu 12 Monate später bemerkbar ist.“ 

Wir beobachten einen Rückgang der prozedurbedingten Myokardinfarkte und wissen, dass es viele ähnliche biologische Mechanismen gibt.

In einem Kommentar gratulierte Mehran dem Forschungsteam zur Durchführung der ersten Studie, die einen Nutzen bei der Prävention der kontrastmittelassoziierten akuten Nierenschädigung und schwerwiegender unerwünschter kardiovaskulärer und renaler Outcomes im Zusammenhang mit dieser Erkrankung nachweisen konnte.

Sie verwendete den Begriff „kontrastmittelassoziierte akute Nierenschädigung“ anstelle von „kontrastmittelinduzierter Nephropathie“ (CIN), da nicht bewiesen sei, dass die akute Nierenschädigung nach einer Angiographie tatsächlich durch das Kontrastmittel verursacht werde und „es können bei Personen, die mit verschiedenen Syndromen vorstellig werden, so viele andere Dinge während des Eingriffs passieren“.

 
Bei Personen, die mit verschiedenen Syndromen vorstellig werden, können so viele andere Dinge während des Eingriffs passieren. Dr. Roxanna Mehran
 

Mehran wies auch auf einige Schwächen der NITRATE-CIN-Studie hin: das monozentrische Design, die große verabreichte Kontrastmittelmenge, 13% Ausfälle bei den Teilnehmenden, deren Blutwerte nicht in die Bewertung des primären Endpunkts einfließen konnten sowie ein Ungleichgewicht bei den relevanten Ausgangsdaten trotz Randomisierung.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus https://www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

Fanden Sie diesen Artikel interessant? Hier ist der  Link  zu unseren kostenlosen Newsletter-Angeboten – damit Sie keine Nachrichten aus der Medizin verpassen.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....