Die Gesundheitsversorgung in den Kommunen Deutschlands steht vor einer bedeutenden Veränderung. Denn die Einführung der Primärversorgungszentren wird die Struktur der ärztlichen Versorgung im Land grundlegend verändern. Hans-Joachim A. Schade, Fachanwalt für Medizinrecht, erklärt, warum.

Hans-Joachim A. Schade
Der zum 15. Juni 2023 veröffentlichte Referentenentwurf des Gesundheitsministeriums zum Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in den Kommunen (GSVG) führt den neuen Praxistyp des Primärversorgungszentrums ein. Doch was bedeutet das für die Gesundheitsversorgung im Land?
Lösung für unterversorgte Regionen?
Die Primärversorgungszentren bestehen im Kern aus mindestens 3 Hausarzt-Vollzulassungen. Bei Bedarf können sie durch fachärztliche Ergänzungen erweitert werden. Diese Zentren sollen nach den Plänen den Gesundheitsministeriums mit Gesundheitskiosken und weiteren nicht-ärztlichen Leistungserbringern sowie der Kommune kooperieren.
Das Ziel der Initiative: den besonderen Bedürfnissen älterer und multimorbider Patientinnen und Patienten in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Regionen gerecht zu werden. Ein weiteres Ziel dieser Zentren ist die Integration von Gesundheitsförderung und Prävention.
Die genaue Mindestausstattung sowohl sachlich als auch personell soll im Bundesmantelvertrag festgelegt werden. Zudem sind neue Ziffern im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) zur Vergütung nichtärztlicher Leistungen vorgesehen.
Massive Auswirkungen für Praxislandschaft in Deutschland
Für haus- und fachärztliche Unternehmerinnen und Unternehmer ist das Zentrumsmodell äußerst bedeutsam. Denn es bietet eine neue Chance für unternehmerisches Handeln in der medizinischen Versorgung. Ähnlich wie 2004 mit der Einführung der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zeichnen sich daraus Zukunftsstrukturen einer interprofessionellen Praxis mit maximaler Delegation ab.
Ein einzelner Hausarzt mit Unterstützung von 2 Physician Assistants (PA) könnte durchschnittlich 2.500 Patienten pro Quartal abrechnen. In einem Zentrum mit 7 Hausärzten würden sogar 17.500 Patienten versorgt. Dies bedeutet einen enormen Gewinn und eine beträchtliche Zuweisungsmacht für solche Praxen, die bisherige Vorstellungen von kleinteiligen Praxisstrukturen sprengen.
Starke Konzentration führt zu Handlungsbedarf bei Facharztpraxen
Allerdings besteht die Gefahr, dass niedergelassene Arztunternehmer dieses Feld Finanzinvestoren, regionalen Krankenhäusern, Kommunen oder KV-MVZ überlassen, was berufspolitisch bedauerlich wäre. Es könnten starke Konzentrationsprozesse mit oligopolistischer Tendenz entstehen.
Deshalb sollten Facharztpraxen mit Zuweisungsabhängigkeit überlegen, ob sie durch eigene Primärversorgungszentren ihren Einzugsbereich absichern und somit Finanzinvestoren fernhalten möchten.
Das Konzept „KBV 2025“ beschäftigt sich bereits seit September 2021 mit der Anpassung von Strukturen und der Nutzung der Digitalisierung, einschließlich dem Aufbau von ärztlich geleiteten Teams. Die Integration von Pflegekräften, physiotherapeutischen und psychologischen und anderen nicht-ärztlichen Fachkräften spielt dabei eine wichtige Rolle.
Neuer Praxistyp: Die Karten werden neu gemischt
Für Kommunalpolitiker wird die Schaffung von Primärversorgungszentren zu einer dringenden Angelegenheit, da eine ausreichende ärztliche Grundversorgung eine wesentliche Voraussetzung für die Ansiedlung von neuen Bürgern und Unternehmen ist.
Konkret heißt das: Etwa 40% aller Landkreise in Deutschland werden laut einer Studie der Robert Bosch Stiftung als gefährdet in der Versorgung eingestuft. Die Einführung der Primärversorgungszentren bietet der Kommunalpolitik die Möglichkeit, Allianzen mit Krankenhäusern, Kassenärztlichen Vereinigungen, Krankenkassen, Banken und lokalen Gesundheitsanbietern zu bilden, um Fördermittel und wertvolle Grundstücke für die Zentren zu gewinnen.
Die Primärversorgungszentren verkörpern gebündelte Zuweisungsmacht gegenüber Facharztpraxen und Krankenhausabteilungen. Bisher waren viele Inhaberinnen und Inhaber von Facharztpraxen zurückhaltend, wenn es um Aktivitäten im Hausarztbereich ging, aus Angst vor verdeckten Boykottaktionen von Hausärztinnen und Hausärzten.
In einer Zeit, in der es jedoch in gefährdeten Regionen genau an diesen Fachkräften mangelt, ist diese Zurückhaltung nicht mehr angebracht. Facharztpraxen sollten prüfen, ob sie im Einzugsbereich von Primärversorgungszentren als Träger auftreten möchten, um Finanzinvestoren zu verhindern und ihre Zuweisung abzusichern.
Fazit: Neue Zentren als Chance für Niedergelassene
Das Thema der Primärversorgungszentren bietet eine spannende Zukunftschance für haus- und fachärztliche Unternehmerinnen und Unternehmer. Damit lassen sich innovative Strukturen aufbauen und die medizinische Versorgung in den Kommunen verbessern.
Die kommenden Jahre werden zeigen, wie sich dieser neue Praxistyp in der Praxis bewähren wird, doch die Weichen sind gestellt, und eine neue Ära in der Gesundheitsversorgung könnte bevorstehen.
Dieser Artikel ist im Original am 3. August 2023 erschienen auf Coliquio.de .
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Diesen Artikel so zitieren: Bedeutende Veränderungen stehen an: Primärversorgungszentren als neue Praxistypen – Chancen für Niedergelassene - Medscape - 30. Aug 2023.
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