Amsterdam – Eine durch die Therapie mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) induzierte Myokarditis sei zwar selten, „aber eine potenziell fulminante entzündliche Nebenwirkung mit einem variablen Erscheinungsbild“, erklärte Prof. Dr. Peter van der Meer auf dem Kongress der European Society of Cardiology (ESC) 2023 [1].
Die am besten untersuchten Fälle sind die schwersten, die früh nach der 1. Exposition gegenüber ICI auftreten können, häufig schon nach 1 oder 2 Dosen. Oft kommt es zu Auffälligkeiten im EKG und zu einer begleitenden Skelettmyositis, die möglicherweise Myasthenia gravis imitiert. Die Mortalität ist hoch.
„Eine ICI-bedingte Myokarditis wird in etwa 1% der Fälle beobachtet“, sagte Van der Meer, der die kardiologische Care Unit an der Universität Groningen, Niederlande leitet.
Checkpoint-Inhibitoren – eine häufige Therapie
In der klinischen Praxis sind solche Nebenwirkungen durchaus bedeutsam. Denn ICI haben die Krebstherapie durch eine signifikante Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit revolutioniert; sie werden oft eingesetzt. Schon jetzt kommen beispielsweise mehr als 40% aller Patienten mit fortgeschrittenen Malignomen für eine ICI-Therapie infrage.
Die Behandlung ist mit immunvermittelten Nebenwirkungen assoziiert, die alle Organsysteme betreffen können – und von leichten, selbstlimitierend bis hin zu schweren und lebensbedrohlichen Symptomen reichen. Vor Beginn einer Checkpoint-Inhibitor-Therapie sollte das Troponin des Patienten bestimmt werden.
Ein 59-jähriger Patient mit typischen Nebenwirkungen
Als Beispiel einer ICI-bedingten Myokarditis berichtete Van der Meer von einem 59 Jahre alten Patienten mit Nierenzellkarzinom, der aufgrund von Schwindel und Ohnmachtsanfällen in die Notaufnahme gebracht wurde. 2009 waren bei ihm Diabetes und Bluthochdruck festgestellt worden, im Dezember 2018 litt Patient an einer Hämoptyse. Ärzte fanden als Folge des Nierenzellkrebs pulmonale Metastasen. Eine Strahlentherapie war zu riskant, Im Februar 2019 entwickelte sich eine Lungenembolie. Noch im selben Monate begann der Patient eine Immuntherapie mit Ipilimumab/Nivolumab. Als weitere Medikation bekam er Amlodipin 19 mg, Enalapril 20 mg, Metformin 3x500 mg und LMWH (in voller Dosis wegen aufgrund der Lungenembolie).
Sein Troponin-Wert war deutlich erhöht (528 ng/l). Im Echokardiogramm fiel eine relativ gut erhaltene Ejektionsfraktion (LVEF 50%) auf; ein Perikarderguss war nicht nachweisbar. Im MRT war eine verzögerte Anhebung infero-lateral zu erkennen.
Van der Meer und Kollegen diagnostizierten eine ICI-induzierte Myokarditis, die zu einem hochgradigen AV-Block geführt hatte. In Anbetracht der Mortalitätsrate von bis zu 50% stellt die ICI-assoziierte Myokarditis eine schwerwiegende Nebenwirkung dar, sie möglichst früh zu diagnostizieren ist deshalb von entscheidender Bedeutung, betonte Van der Meer.
Diagnostischer Eckpfeiler ist die Troponin-Erhöhung
In den kardio-onkologischen ESC-Leitlinien 2022 ist als Goldstandard die Endomyokard-Biopsie aufgeführt: „Sie ist aber nicht zwangsläufig notwendig, und wir führen sie auch nicht bei allen Patienten mit Verdacht auf eine ICI-assoziierte Myokarditis durch“, erklärte Van der Meer. Eckpfeiler der Diagnose ist die Troponin-Erhöhung. Zusätzlich müssen ein Hauptkriterium oder 2 Nebenkriterien erfüllt und sowohl eine koronare Herzerkrankung als auch eine infektiöse Myokarditis ausgeschlossen sein.
Hauptkriterium:
Ein positives Herz-MRT für eine akute ICI-assoziierte Myokarditis (nach den modifizierten Lake-Louise-Kriterien).
Nebenkriterien:
Klinische Symptome wie Müdigkeit, Myalgien, Brustschmerzen, Diplopie, Ptosis, Dyspnoe, Orthopnoe, Ödeme der unteren Extremitäten, Herzklopfen, Schwindel, Synkope, Muskelschwäche, kardiogener Schock.
Ventrikuläre Arrhythmie (einschließlich Herzstillstand) und/oder neue Erkrankungen des Reizleitungssystems.
Verschlechterung der systolischen LV-Funktion mit oder ohne regionale Wandbewegungsstörungen mit einem Nicht-Takotsubo-Muster.
Andere immunbezogene Ereignisse, insbesondere Myositits, Myopathien Myasthenia gravis.
Nicht eindeutiges Kardio-MRT.
Breites Spektrum der Krankheitsschwere bei ICI-bedingter Myokarditis
Liegt eine ICI-assoziierte Myokarditis vor, sollte die ICI-Therapie ausgesetzt werden und als Erstlinientherapie gemäß der ESC-LL eine Therapie mit hoch dosierten Kortikosteroiden erfolgen. Methylprednisolon (500-1.000 mg) wird intravenös für 3 bis 5 Tage verabreicht, gefolgt von einer Prednisolon-Dosis von 1 mg/kg. Die Prednisolon-Dosis sollte dann in der Regel um 10 mg/Woche unter EKG- und Troponin-Monitoring verringert werden.
„Wenn der Patient refraktär auf die Behandlung reagiert, sollte eine Zweitlinien-Immunsuppression durchgeführt werden“, sagte Van der Meer. Hier eignne sich die CTLA4-Agonisten Abatacept, Mycophenolat Mofetil sowie Immunglobuline und der CD52-Antikörper Alemtuzumab.
Der erwähnte Patient sprach auf die Erstlinientherapie nicht an. Deshalb erhielt er eine Zweitlinien-Immunsuppression mit Mycophenolat. Darunter sanken die Troponinwerte allmählich; der Patient konnte mit oralem Prednisolon entlassen werden. Unglücklicherweise nahm seine Krebssymptomatik zu. Er sprach auf die ICI-Therapie nicht mehr an und starb nach 6 Monaten.
Die Krankheitsschwere variiert stark
Van der Meer verwies auf eine amerikanische Studie aus 2022, in der 28 Patienten am Anderson Cancer Center in Houston, Texas, mit Verdacht auf ICI-assoziierte Myokarditis untersucht worden waren: „Diese Arbeit zeigt sehr schön, dass es ein breites Spektrum der Krankheitsschwere bei ICI-bedingter Myokarditis gibt.“ Die Arbeit zeige auch, dass in Einzelfällen – und abhängig von der Erkrankungsschwere – die ICI-Therapie fortgesetzt werden kann.
Zur Diagnosesicherung wurde bei allen 28 Patienten eine Endomyokardbiopsie durchgeführt. Bei 18 Patienten konnten Ärzte den Verdacht bestätigen; eine Einstufung von 0 bis 2 (höchste Stufe) spiegelte den Grad der Entzündung wider.
Unter allen Patienten der Kohorte kam es zu 4 Todesfällen (2 Patienten bei Grad 2 und 2 Patienten mit Grad 1), von denen jedoch nur 1 Todesfall auf eine Myokarditis zurückzuführen war.
Bei den Patienten mit Grad 2 traten keine Myokarditis-bedingten Todesfälle auf, obwohl sie die höchsten Troponin-T-Werte aufwiesen. 4 Patienten mit einer Myokarditis des Grades 1 konnten die ICI ohne Immunmodulation fortsetzen, und alle waren bei der Nachuntersuchung ohne kardiovaskuläre Zwischenfälle am Leben.
„Man kann aus diesen 4 Patienten natürlich keine generalisierte Empfehlung ableiten. Die Beispiele zeigen aber, dass es in Einzelfällen, also bei Patienten mit milder Myokarditis, möglich ist, die Behandlung fortzusetzen. Für die Patienten ist dies eine lebensrettende Therapie“, schloss Van der Meer.
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Medscape Nachrichten © 2023 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Selten, aber gefährlich – wenn Immun-Checkpoint-Inhibitoren eine Myokarditis auslösen. Alles zur Diagnostik und Therapie - Medscape - 29. Aug 2023.
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