Was tun bei präklinischem Vorhofflimmern? Laut NOAH-AFNET-6-Studie besser keine DOAK für AHRE-Patienten – wegen Komplikationen

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

29. August 2023

Die Behandlung mit einem direkten oralen Antikoagulanz (DOAK) verursacht bei Patienten mit atrialen Hochfrequenzepisoden (AHRE) Blutungen, schützt sie aber nicht vor Schlaganfällen. Dies sind die Ergebnisse der beim ESC-Kongress 2023 in Amsterdam vorgestellten und zeitgleich im New England Journal of Medicine publizierten NOAH-AFNET-6-Studie [1,2].

„Die Studie zeigte, dass Edoxaban bei Patienten mit AHRE das Blutungsrisiko erhöhte, ohne einen kombinierten Endpunkt aus Schlaganfall, systemischen Embolien und kardiovaskulärem Tod zu reduzieren“, berichtete Studienleiter Prof. Dr. Paulus Kirchhof vom Universitäres Herz- und Gefäßzentrum Hamburg beim ESC-Kongress. „Die vermehrten Blutungen waren unter einer Antikoagulationstherapie zu erwarten, die niedrige Schlaganfallrate mit und ohne Antikoagulation war überraschend.“

Die vermehrten Blutungen waren unter einer Antikoagulationstherapie zu erwarten, die niedrige Schlaganfallrate mit und ohne Antikoagulation war überraschend. Prof. Dr. Paulus Kirchhof

Zufallsbefunde von kardialen Implantaten

AHRE sind seltene und kurze atriale Tachyarrhythmien, die etwa von Herzschrittmachern oder implantierbaren Kardioverter-Defibrillatoren (ICD) aufgezeichnet werden. Sie werden manchmal als präklinisches Vorhofflimmern oder Vorstufe eines Vorhofflimmerns angesehen, aber nicht alle Patienten mit AHRE entwickeln ein klinisches, im EKG sichtbares Vorhofflimmern.

„AHRE werden bei 10 bis 30% der Patienten mit implantierten Geräten entdeckt“, so Kirchhof. Sie gingen zwar mit einem erhöhten Schlagfallrisiko einher, das Risiko sei aber weniger hoch als beim Vorhofflimmern.

Er sagte, dass die Ergebnisse auch Implikationen für Wearables haben könnten, die einen anormalen Herzrhythmus aufzeichnen, etwa Smartwatches. „Wir wissen nicht genau, was dieses Wearables aufzeichnen, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit sind es diese atrialen Hochfrequenzepisoden.“ Welche Bedeutung die Messungen solcher Wearables haben, müsse noch genauer erforscht werden. „Bevor wir eine Antikoagulation bei ihnen in Betracht ziehen können, brauchen wir randomisierte Studien in dieser spezifischen Patientenpopulation“, betonte er.

Leitlinie gibt bei AHRE keine eindeutige Empfehlung

Die Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) empfiehlt für Patienten mit Vorhofflimmern und erhöhtem Schlaganfallrisiko eine orale Antikoagulation. Bei Patienten mit AHRE dagegen, bei denen keine durch ein EKG bestätigte Diagnose eines Vorhofflimmerns vorliegt, gibt es keine eindeutige Empfehlung für oder gegen eine orale Antikoagulation. Die Therapieentscheidung soll individuell getroffen werden.

Die beim Kongress vorgestellten Studienergebnisse werden diese Entscheidung künftig erleichtern: „Endlich wissen wir, was wir mit diesen Patienten machen sollen“, sagte Sitzungsmoderatorin Prof. Dr. Barbara Casadei vom John Radcliffe Hospital in Oxford, Vereinigtes Königreich, gegenüber Medscape. „Vorher hatten wir nur eine Vielfalt von Meinungen, aber keine Evidenz.“

Endlich wissen wir, was wir mit diesen Patienten machen sollen. Prof. Dr. Barbara Casadei

In NOAH-AFNET 6-Studie wurde erstmals untersucht, ob eine orale Antikoagulation bei Patienten mit AHRE sicher und effektiv ist. In der randomisierten Studie wurde der Faktor-Xa-Inhibitor Edoxaban gegen Placebo verglichen. Die Studienteilnehmenden hatten AHRE-Episoden von mindestens 6 Minuten Dauer und mindestens einen weiteren Risikofaktor für Schlaganfall (z.B. Herzinsuffizienz, Hypertonie, Diabetes, Schlaganfall oder TIA in der Anamnese, Gefäßerkrankung oder Alter ≥ 75 Jahre). Die Indikation von Edoxaban erfasst diese Patientenpopulation nicht.

Vergleich zwischen Edoxaban und Placebo oder ASS

An 206 Studienzentren in 18 europäischen Ländern wurden die Patientinnen und Patienten auf das DOAK oder ein Placebo randomisiert. Edoxaban wurde in der für die Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern zugelassenen Dosis von 60 mg täglich verabreicht (reduziert auf 30 mg täglich gemäß den Kriterien für eine Dosisreduktion bei Vorhofflimmern). Das Placebo enthielt entweder keinen Wirkstoff oder 100 mg Acetylsalicylsäure (ASS), wenn bei den Patienten eine Thrombozytenaggregationshemmung indiziert war.

Der primäre Endpunkt der Studie war eine Kombination aus Schlaganfall, systemischer Embolie und kardiovaskulärem Tod. Zur Beurteilung der Sicherheit untersuchten die Forschenden das Auftreten von schweren Blutungen und Todesfällen.

Eine typische Kohorte älterer AHRE-Patienten

In der Intention-to-treat-Analyse konnten 2.536 Patienten, die mindestens eine Dosis des Studienmedikaments erhalten hatten, ausgewertet werden. Die Patienten – überwiegend Männer – waren im Schnitt 78 Jahre alt und hatten jeweils mehrere Risikofaktoren für einen Schlaganfall. Der CHA2DS2-VASc-Score lag bei im Median bei 4,5. „Es war eine typische Kohorte älterer Patienten mit AHRE“, berichtete Paulus.

Zu Studienbeginn dauerten die AHRE-Episoden im Median 2,8 Stunden, wobei es keine Grenze nach oben gab. Bei 97% der AHRE wurden atriale Tachyarrhythmien mit mehr als 200 Schlägen pro Minute gemessen. „Würde man in diesen Momenten ein EKG machen, würde man sehr wahrscheinlich ein Vorhofflimmern feststellen“, sagte Kirchhof.

Würde man in diesen Momenten ein EKG machen, würde man sehr wahrscheinlich ein Vorhofflimmern feststellen. Prof. Dr. Paulus Kirchhof

Vorzeitiger Abbruch nach 21 Monaten

Die NOAH-AFNET 6-Studie wurde aufgrund von Sicherheitssignalen und keinem absehbaren Nutzen nach 21 Monaten vorzeitig beendet. Kirchhof betonte, dass zu diesem Zeitpunkt bereits alle geplanten Patienten eingeschlossen gewesen und auch alle Patienten bis zum Ende der Studie nachbeobachtet worden seien.

Den kombinierten primären Endpunkt erreichten in der Edoxaban-Gruppe 83 Patienten (3,2%/Jahr) und in der Placebogruppe 101 Patienten (4,0%/Jahr). Die Hazard Ratio (HR) betrug 0,81 (95-%-KI 0,6-1,1), der numerische Unterschied war aber statistisch nicht signifikant (p=0,15).

Die Schlagfallrate war in beiden Gruppen niedrig. Ohne DOAK lag sie bei 1,1%/Jahr, mit DOAK bei 0,9%/Jahr. „Wir hatten mehr Schlaganfälle erwartet“, sagte Paulus. „Wenn es in der Placebogruppe keine Schlagfälle gibt, kann man sie auch nicht verhindern.“

Er ergänzte, dass sich auch in Subgruppen keinerlei Interaktion mit dem Therapieeffekt gezeigt habe. Auch Patienten mit der längsten AHRE-Dauer oder dem schlechtesten CHA2DS2-VASc-Score profitierten nicht von der Behandlung mit DOAK.

Casadei bestätigte: „Die Schlaganfallraten waren in dieser Studie sehr niedrig, so konnte eine Antikoagulation nicht wirken. Aber das ist eine wichtige Erkenntnis. Wir wissen, dass DOAK nicht kostenlos sind, sie gehen mit einem signifikanten Blutungsrisiko einher. Die Ergebnisse zeigen, dass wir bei der Verordnung einer Antikoagulation vorsichtiger sein müssen, wenn der Patient nicht ein klinisches, im EKG sichtbares Vorhofflimmern hat.“

Die Ergebnisse zeigen, dass wir bei der Verordnung einer Antikoagulation vorsichtiger sein müssen, wenn der Patient nicht ein klinisches, im EKG sichtbares Vorhofflimmern hat. Prof. Dr. Barbara Casadei

Kein Schutz vor Schlaganfällen, aber mehr Blutungen

Edoxaban ging mit signifikant mehr Komplikationen einher: Den Sicherheitsendpunkt erreichten 149 Patienten (5,9%/Jahr) in der Edoxaban-Gruppe und 114 Patienten (4,5%/Jahr) in der Placebogruppe – ein signifikanter Unterschied zu Ungunsten des DOAK (HR 1,3; 95-%-KI 1,0-1,7; p=0,03).

Verantwortlich für das schlechte Abschneiden der DOAK-Gruppe im Hinblick auf die Sicherheit der Behandlung war Kirchhof zufolge „die zu erwartende Zunahme an schweren Blutungen“ (HR 2,10; 95-%-KI 1,30-3,38; p=0,002). Ein EKG-diagnostiziertes Vorhofflimmern entwickelten 18% der Patienten (8,7%/Jahr).

In einem Podcast betont Dr. John M. Mandrola, Kardiologe mit Schwerpunkt Elektrophysiologie in Louisville, Kentucky sowie Autor und Podcaster für Medscape: „Man sagt, dass man von Studien mit einem nicht signifikanten primären Endpunkt genauso viel lernen kann wie von positiven Studien. Das ist bei NOAH AFNET 6-Studie sicherlich der Fall. Der primäre Endpunkt mag statistisch nicht signifikant sein, aber die Ergebnisse sind klinisch und wissenschaftlich hochsignifikant.“

Der primäre Endpunkt mag statistisch nicht signifikant sein, aber die Ergebnisse sind klinisch und wissenschaftlich hochsignifikant. Dr. John M. Mandrola

Antikoagulation nur bei EKG-Beweis

Die Studie zeige, dass Vorhofflimmern nicht gleich Vorhofflimmern ist. „Vor dem ESC-Kongress hatten wir keine Ahnung, dass die Schwelle für den Einsatz von DOAK bei Vorhofflimmern bei 3 Stunden liegt, zumindest bei Patienten wie diejenigen in der Studie“, so Mandrola.

Auch Kirchhofs Fazit liefert eine wichtige Erkenntnis: „Patienten mit AHRE sollten ohne Antikoagulation gemanagt werden, bis ein Vorhofflimmern im EKG diagnostiziert wird.“ Um das Schlaganfallrisiko bei Patienten mit kurzen atrialen Tachyarrhythmien besser zu verstehen, seien weitere Studien nötig.

Eine ähnliche Studie wie NOAH-AFNET 6-STUDIEläuft bereits. Die Ergebnisse der ARTESIA-Studie, in der Apixaban gegen ASS bei AHRE über 6 Minuten Dauer verglichen wird, werden noch in diesem Jahr erwartet.

 

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