Mehr Antibiotika-Resistenzen durch Feinstaub? Das sagen Experten zu der Lancet-Studie

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

24. August 2023

Fördert Luftverschmutzung die Verbreitung resistenter Bakterien? Zu diesem Schluss kommen Dr. Zhenchao Zhou und Kollegen nach einer Analyse, die in in The Lancet Planetary Health erschienen ist [1]. Die Forscher haben für die Jahre 2000 bis 2018 Daten aus 116 Ländern ausgewertet und festgestellt, dass Luftverschmutzung durch Feinstaub weltweit mit einer erhöhten Antibiotikaresistenz korreliert.

Über Nahrung, Wasser, infizierte Tiere, Aerosole oder über kleine Feinstaubpartikel (2,5 Mikrometer Durchmesser: PM2,5) können Antibiotika-resistente Bakterien und Antibiotika-Resistenzgene auf den Menschen übertragen werden.

Zhou und Kollegen betrachteten für ihre Analyse PM2,5, 43 verschiedene Antibiotika und 9 bakterielle Krankheitserreger, darunter z.B. E. coli, Klebsiella und Staphylokokken. Sie fanden heraus, dass in vielen Ländern die Zahl der Fälle von Infektionen mit resistenten Bakterienstämmen mit zunehmender Belastung der Luft durch Feinstaub anstieg.

Aus den gefundenen Korrelationen ziehen die Autoren weitreichende Schlussfolgerungen: So könnte ein 10%iger Anstieg der jährlichen PM2,5-Konzentration weltweit zu einem Anstieg der Antibiotika-Resistenzen um 1,1% und zu über 43.000 vorzeitigen Todesfällen führen.

Nach modellierten Szenarien könnten Antibiotika-Resistenzen bis zum Jahr 2050 weltweit um 17% zunehmen – wenn keine Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung ergriffen würden. Eine Reduktion der Feinstaubbelastung dagegen könnte langfristig zur Verringerung der Antibiotika-Resistenzen weltweit beitragen.

Korrelation ja, Kausalität nein – und deutliche Kritik an der Methodik

Bislang sei noch nicht untersucht worden, ob die potenzielle Übertragung auf den Menschen über Feinstaubpartikel zu einer Zunahme von Antibiotika-Resistenzen insgesamt führt, sagte Prof. Dr. Harald Seifert, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene der Universität Köln, gegenüber dem Science Media Center (SMC). „Insofern trägt diese Studie sicher dazu bei, sich mit der Rolle von Feinstaub im Zusammenhang mit der aktuell diskutierten weltweiten Zunahme von Antibiotika-Resistenzen wissenschaftlich intensiver zu befassen.“

PD Dr. Hans-Peter Hutter, Stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien sagte: „Bisher gab es nur Hypothesen, die ein Zusammenwirken von Luftverschmutzung und Antibiotika-Resistenz vor allem auf Basis von Laboruntersuchungen vermuten ließen.“ Die vorliegende umfangreiche Arbeit zeige nun die globale Dimension dieses Zusammenhangs auf. Hutter rät, diese Korrelationen „sehr ernst zu nehmen und nicht gleich unter Hinweisen auf die in der Publikation angeführten Limitationen mit ‚da ist ja nichts bewiesen‘ zum Alltag überzugehen.“

Hutter sieht in der Studie „zwei große medizinische Herausforderungen zusammengeführt – nämlich zu hohe Belastungen durch feine Partikel und die zunehmende Bedrohung der globalen Gesundheit durch resistente Mikroorganismen.“

Dass die Studie einen wichtigen Beitrag liefert, bestätigt auch Dr. Tim Eckmanns, Leiter des Fachgebiets Nosokomiale Infektionen am RKI. Er sagte aber auch: „In der Studie wird [..] der Anteil von Feinstaub an Antibiotika-Resistenz und deren Folgen weltweit quantifiziert und für die Zukunft hochgerechnet. Die Quantifizierung ist interessant, die Modelle jedoch sind nicht genau nachvollziehbar. Der Anteil, den der Feinstaub haben soll – 10% im Mittel –, erscheint zu hoch. Die Szenarien erfolgen auf Basis unsicherer Zahlen und sind daher auch sehr unsicher.“

Noch deutlicher fällt die Kritik von Prof. em. Dr. Nino Künzli, Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut Basel, aus. Nach Künzli hätten die Zahlen der aktuellen Studie nicht publiziert werden sollen. „Die Arbeit behauptet, dass Antibiotika-Resistenz durch die Feinstaubbelastung jährlich 0,48 Millionen vorzeitige Todesfälle verursache. Das wären stattliche 37,8% der 1,27 Millionen Todesfälle, die derzeit den Antibiotika-Resistenzen angelastet werden – so zitiert auch von den Autoren der aktuellen Studie.“

 
Der Anteil, den der Feinstaub haben soll – 10% im Mittel –, erscheint zu hoch. Die Szenarien erfolgen auf Basis unsicherer Zahlen und sind daher auch sehr unsicher. Dr. Tim Eckmanns
 

Mindestens 2 Bedingungen müssten erfüllt sein, bevor man eine solche „kühne Zahlenakrobatik“ verkünde, so Künzli: Erstens müsste ein kausaler Zusammenhang ‚wahrscheinlich‘ oder ‚sehr wahrscheinlich‘ sein. Zweitens müsste für die Hochrechnung der Todesfälle, die man diesem hypothetischen Zusammenhang zuordnet, die quantitative Beziehung zwischen dieser Belastung und dem Risiko, wegen einer Antibiotikaresistenz zu sterben, bekannt sein.

Stattdessen benutzten die Autoren in Ermangelung seriöser individueller Daten die statistischen geografischen Korrelationen zwischen einigen geografischen Makrodaten. „Der Zusammenhang zwischen der Zunahme der Storchpopulationen und der Geburtenrate oder jener zwischen dem nationalen Schokoladenkonsum und der Nobelpreisträgerrate lässt hier grüßen“, so Künzli.

Frage nach der biologischen Plausibilität

Wie biologisch plausibel ist der Zusammenhang? Laut Hutter wurde bereits gezeigt, dass diese PM2,5 und auch noch viel kleinere Staubteilchen Bakterien und Fragmente von bakterieller DNA inklusive Antibiotika-Resistenzgene enthalten. Diese stammten aus der Massentierhaltung, aber auch aus anderen Quellen, würden an Feinpartikel absorbiert und verbreiteten sich durch Windverfrachtung.

„So werden sie von Menschen und Tieren inhaliert und können einerseits Infektionen auslösen, andererseits die in der Schleimhaut siedelnden Bakterien mit den Resistenzgenen ‚versorgen‘“, erklärte Hutter. „Ein weiterer Mechanismus besteht in der Fähigkeit der Feinstaubpartikel, die Zellmembran durchlässiger zu machen und so die Aufnahme der Resistenzgene zu erleichtern.“

Auch Seifert hält es für „durchaus plausibel“, dass eine größere Feinstaubbelastung der Atemluft zu einer vermehrten Aufnahme von resistenten Bakterien führen kann. Allerdings sei der Zusammenhang zwischen Feinstaubbelastung und der Zunahme von Antibiotika-Resistenzen lediglich eine statistische Korrelation, „ob hier auch tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang besteht, ist bisher unklar“, so Seifert.

„Feinstaubbelastung trägt zur Antibiotika-Resistenz bei, ist aber nur einer der Gründe, warum Antibiotika-Resistenzen häufiger werden“, sagte Dr. Tamara Schikowski, Arbeitsgruppenleiterin Umweltepidemiologie von Lunge, Gehirn und Hautalterung am Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung in Düsseldorf. Es gebe viele andere Faktoren – etwa „die hohen Antibiotika-Mengen in der industriellen Tierhaltung und der falsche Umgang mit Antibiotika“.

 
Feinstaubbelastung trägt zur Antibiotika-Resistenz bei, ist aber nur einer der Gründe, warum Antibiotika-Resistenzen häufiger werden. Dr. Tamara Schikowski
 

Prof. Dr. Martin Göttlicher, Direktor des Instituts für Molekulare Toxikologie und Pharmakologie am Helmholtz Zentrum München, warnt davor, die Gesamtmenge PM2,5 mit Antibiotika-Resistenzen-tragendem Feinstaub PM2,5 gleichzusetzen. „Bei uns ist PM2,5 im Wesentlichen durch Verbrennungsprozesse und Straßenverkehr getrieben – aus diesen Quellen kommen offensichtlich keine Antibiotika-Resistenzen her. In anderen Regionen der Welt mit anderem Umgang mit Abwässern und Abluft aus Haushalt, Viehzucht, Krankenhaus und Landwirtschaft mag das anders sein.“

Die Kernbotschaft der Studie sei, dass sich Antibiotika-Resistenzen in der ganzen Biosphäre erheblich ausbreiten könnten, wenn man sich in Landwirtschaft, Viehzucht, Trink- und Abwassermanagement, Management von Klinikabfällen nicht sorgfältig um die Begrenzung des Eintrags von Mikrobiota kümmere, so Göttlicher.

Experten befürworten Absenkung der europäischen Grenzwerte

Nach Eckmanns´ Einschätzung wird es „definitiv nicht ausreichen, sich beim Vorgehen gegen Antibiotika-Resistenz hauptsächlich auf den Feinstaub zu konzentrieren und diesen in den Mittelpunkt zu stellen.“ Bewährte Maßnahmen wie adäquater Antibiotikaeinsatz, gute Labordiagnostik, Diagnostic Stewardship, WASH (Humanitäre Maßnahmen im Bereich Wasser-, Sanitärversorgung und Hygiene), One-Health-Maßnahmen etc. seien zentral und müssten umgesetzt werden.

 
Die Forschungsergebnisse zeigen auch, dass bei der Reduzierung von Antibiotika-Resistenzen ein One-Health-Ansatz verfolgt werden sollte, der Mensch und Tier einschließt. Dr. Tamara Schikowski
 

Die aktuelle Studie bietet „weitere Evidenz, dass Feinstaub einen Einfluss auf Antibiotika-Resistenz hat. Für die Aussage, dass es ein ‚primary factor‘ ist, reicht die aktuelle Datenlage nicht aus“, sagte Eckmanns.

Hutter sieht in den Erkenntnissen der Studie einen weiteren triftigen Grund, die vom EU-Parlament vorgeschlagene Absenkung der europäischen Grenzwerte für Feinstaub gesetzlich zu regeln: „Es ist höchste Zeit!“

Auch Schikowski betonte: „Es wäre sinnvoll, die bestehenden Feinstaub-Grenzwerte weltweit den von der WHO vorgeschlagenen Richtlinien für PM2,5 anzupassen, um die vielen Antibiotika-Resistenzen und die damit verbundene erhöhte Sterblichkeit zu verhindern. Die Forschungsergebnisse zeigen auch, dass bei der Reduzierung von Antibiotika-Resistenzen ein One-Health-Ansatz verfolgt werden sollte, der Mensch und Tier einschließt.“

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