Nicht abgesagte Termine sind Alltag in den Arztpraxen. 7 von 10 Praxen beklagen in einer Online-Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Probleme mit verpassten Terminen. An der KBV-Umfrage hatten sich Ende Juni innerhalb einer Woche über 2.000 Niedergelassene beteiligt. „Die Termine sind geblockt und stehen dann für andere Patienten nicht zur Verfügung“, betont KBV-Vorstandschef Dr. Andreas Gassen und plädiert für eine Ausfallgebühr.
Für eine „No-Show-Gebühr“, also für Patienten, die ihren Termin verstreichen lassen, ohne sich abzumelden, hatte sich im Mai bereits der Vorstandsvorsitzende der Bremer Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Bernhard Rochell, ausgesprochen. Auch der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) und der Virchowbund setzen sich für eine Säumnisgebühr ein.
„Gestern 6 No Shows, in der offenen Sprechstunde 4, die schon mit Infekt beim Hausarzt waren, mal nachsehen lassen wollten … und die Kassen verweigern den Diskurs. Lieber Neiddebatte, Fake News und Diffamierungen. So geht Selbstverwaltung kaputt“, schrieb Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbundes, vor wenigen Tagen auf X (vormals Twitter).
„Heute sind erstmals mehr Leute nicht erschienen als erschienen (Mehrzahl ohne Absage). Haben gut aufgefüllt mit AkutpatientInnen, aber next level ist, morgens schimpfend einen Sofort-Termin zu verlangen, um diesen ohne Absage dann nicht wahrzunehmen“, schrieb eine HNO-Ärztin auf X.
„Die Überinanspruchnahme und die Terminschwänzer müssen wir zum Schutz der Kranken in den Griff bekommen“, betonte Heinrich.
Geplatzte Termine: Fachärzte und Hausärzte gleichermaßen betroffen
Fachärzte und Hausärzte sind von den nicht abgesagten Terminen gleichermaßen betroffen, sagt Dr. Diana Michl, Pressereferentin des Virchowbundes. Auch der Aufwand des Termins ist nicht ausschlaggebend: Es werden auch aufwändige, zeitintensive Termine „platzen“ gelassen.
Aber der Weg, auf dem der Termin vereinbart wurde, macht einen deutlichen Unterschied: „Online vereinbarte Termine scheinen z.B. im Vergleich zu persönlich in der Praxis vereinbarten Terminen als weniger verbindlich wahrgenommen zu werden. Das zeigt die Rückmeldung unserer Mitglieder“, so Michl auf Nachfrage von Medscape.
Laut Michl platzt jeder 4. online vereinbarte Termin ohne rechtzeitige Benachrichtigung. „Das sind Schätzwerte auf Basis einer Umfrage unter unseren Mitgliedern und wiederholtem Feedback unserer Mitglieder an uns“, berichtet Michl. Die Zahlen seien plausibel, auch wenn man sie mit No-Show-Raten z.B. bei den Berliner Bürgerämtern (25%) vergleiche.
„Generell schwanken die Zahlen aller nicht abgesagten, versäumten Arzttermine zwischen etwa 5 und 20 Prozent, einige Untersuchungen der letzten Jahre kommen sogar auf 30 Prozent. Insofern nimmt die Zahl in den letzten Jahren in der Tat zu“, so Michl.
Forderung nach Ausfallgebühr ruft heftige Kritik hervor
Mit seiner Forderung nach einer Ausfallgebühr stieß Gassen auf heftige Kritik. Umgehend wies der GKV-Spitzenverband eine solche Ausfallgebühr zurück. Ein immer tieferer Griff in die Taschen der Versicherten, so der GKV-Spitzenverband, löse keine Probleme. „Stattdessen wäre es nur ein weiterer Zusatzverdienst für eine Berufsgruppe, die schon jetzt zu den Spitzenverdienern gehört“, so Helge Dickau vom GKV-Spitzenverband.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz bezweifelt die Aussagekraft der Ergebnisse der KBV-Umfrage. Bereits jetzt verlangten manche Praxen Strafgebühren für ausgefallene Termine, sagte Vorstand Eugen Brysch. Jetzt noch eine weitere Gebühr von den Versichertenbeiträgen zu fordern sei „Abzocke“, meint Brysch. Aus seiner Sicht sei eine „mangelnde Erreichbarkeit“ von Ärztinnen und Ärzten das eigentliche Problem.
Die „Polemik der Krankenkassen“ gegen eine derartige Gebühr weist Heinrich, der auch Vorstandsvorsitzender des SpiFa ist, zurück. „Bei der geforderten Ausfallgebühr von einem Zusatzverdienst für Spitzenverdiener zu sprechen, ist so einfältig wie ungeheuerlich.“
Bei der Forderung nach einer Ausfallgebühr gehe es um „nicht weniger als eine erzieherische Maßnahme bei denjenigen, die unser solidarisch finanziertes Gesundheitswesen und dessen Ressourcen missbrauchen“, betont Robert Schneider, Hauptgeschäftsführer des SpiFa. Eine Ausfallgebühr werde niemals so hoch sein können, wie der tatsächlich ausgefallene Erlös durch den versäumten Termin, so Schneider. Am Ende bleibe immer noch ein Verlust für die Praxis.
Laut Heinrich werden viele online vereinbarte Termine ohne Absage versäumt. Und das, obwohl Erinnerungsmails verschickt würden und eine Absage auf demselben Wege sehr einfach wäre.
Nach Einschätzung von Michl bekämen die Patienten über eine Säumnisgebühr die Folgen am direktesten zu spüren und könnten so am ehesten zu einer Verhaltensänderung gebracht werden. „Die Säumnisgebühr ist ein Mittel, um Patienten zu verdeutlichen, dass Arzttermine eine wertvolle und knappe Ressource sind, mit der wir alle solidarisch und verantwortungsbewusst umgehen sollten, und sie ist eine gerechte Maßnahme gegenüber denen, die unnötig warten müssen“, erklärt Michl gegenüber Medscape.
Anspruch auf Schadensersatz, wenn ein Verdienstausfall entstanden ist
Viele dieser Terminausfälle könnten nicht einfach kompensiert werden, indem etwa ein anderer Patient nachrutsche: „Für viele Termine müssen spezielle Behandlungsräume, Geräte und Personal geblockt werden, und sie finden außerhalb der Sprechstunden statt, also zu Zeiten, wo nur extra einbestellte Patienten in die Praxis kommen,“ erklärt Michl.
Der Virchowbund hält es für wünschenswert, wenn die KBV gemeinsam mit dem GKV-Spitzenverband eine entsprechende Säumnisgebühr entwickeln würde. Eine Säumnisgebühr wäre vom Patienten privat zu entrichten und nicht durch die Kassen erstattungsfähig, so Michl. Der Virchowbund hält eine Pauschale von z.B. 50 Euro für denkbar. Die Gebühr würde fällig, wenn der Termin nicht oder z.B. nicht 24 Stunden vorher abgesagt wurde und kein triftiger Grund dafür vorliegt (z. B. spontane Erkrankung, familiärer Notfall o.ä.).
„Natürlich muss es einfache Wege geben, den Termin rechtzeitig abzusagen“, stellt Michl klar. Würde ein über eine Terminservicestelle gebuchter Termin unentschuldigt platzen gelassen, könnte der betreffende Patient für eine gewisse Zeit von weiteren Terminbuchungen gesperrt werden, skizziert Michl eine weitere Möglichkeit, auf nicht rechtzeitig abgesagte Termine zu reagieren. „Selbstverständlich gibt es für den akuten Versorgungsbedarf immer Ausnahmen“, betont sie.
Laut KV Niedersachsen ist die Rechtslage zu Ausfallgebühren nicht eindeutig. Nach gängiger Rechtsprechung hätten Arztpraxen nur dann einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn sie nachweisen können, dass ihnen ein Verdienstausfall entstanden ist, sagt Sprecher Detlef Haffke. Dieser Nachweis lasse sich im Einzelfall oft aber nicht leicht führen. Dass Patienten nicht beim Arzt erscheinen, ist laut Haffke auch eine Folge davon, dass sie Termine bei mehreren Ärzten derselben Fachrichtung vereinbaren und dann den frühesten wahrnehmen, ohne die anderen abzusagen. Haffke wertet das als Reaktion auf zunehmend lange Wartezeiten auf einen Arzttermin.
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Medscape Nachrichten © 2023
Diesen Artikel so zitieren: Streit um versäumte Arzttermine: Jeder 4. online vereinbarte Termin wird nicht wahrgenommen – hilft eine Säumnisgebühr? - Medscape - 23. Aug 2023.
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