Ein junger Mann alarmiert den Notarzt, weil seine Ehefrau (27) starke Bauchschmerzen hat und zunehmend desorientiert und schläfrig wirkt. Bekannt ist nur, dass sie seit 12 Jahren an Typ-1-Diabetes leidet. Sie ist insulinpflichtig.
Der Mann berichtet, nach einem Strandurlaub in Italien kurz zuvor seien trotz der Insulintherapie hyperglykämische Werte über 250 mg/dl (13,9 mmol/l) aufgetreten. Ihren starken Durst und ihre erhöhte Urinausscheidung habe die Patientin auf das heiße Wetter zurückgeführt. Ketonkörper kann sie nicht bestimmen, da keine Teststreifen griffbereit sind [1].
Körperliche und apparative Untersuchungen
Eine Messung durch den Notarzt zeigt, dass die Blutglukose bei 375 mg/dl (20,8 mmol/l) liegt. Auch der Wert für Ketonkörper ist mit 7,5 mmol/l (normal unter 0,6 mmol/l) deutlich erhöht. Der Arzt vor Ort beginnt mit einer Volumensubstitution, verabreicht Insulin i.v. und veranlasst den Transport in die Notaufnahme.
Dort sehen die Ärzte eine Patientin mit 70 kg Körpergewicht und mit einem BMI von 25,3 kg/m2. Sie wirkt dehydriert und schläfrig, lässt sich durch Ansprache aber aufwecken.
Körpertemperatur: 36,9°C
Blutdruck 88/55 mmHg
Atemfrequenz 24/min.
Atemgeräusche und Herztöne sind unauffällig.
Abwehrspannung im Oberbauch
Zeitgleich geben die Ärzte Blutanalysen in Auftrag. Die wichtigsten Ergebnisse (in Klammern jeweils der Normbereich):
Natrium 153 mmol/l (135-145 mmol/l)
Kalium 5,7 mmol/l (3,5-5,0 mmol/l)
Chlorid 99 mmol/l (97-108 mmol/l)
Kreatinin 2,1 mg/dl (0,6-1,1 mg/dl)
Leukozyten 11,4/nl (4,0-9,0/nl)
CRP 54 mg/l (< 5 mg/l)
GOT 58,7U/l (< 50 U/l)
GPT 70 U/l (< 50 U/l)
Lipase 1.340 U/l (< 60 U/l)
Triglyzeride 865 U/l < 150 U/l
Glukose 188 mg/dl (70-100 mg/dl)
HbA1c 8,4% (< 6,0%)
Diagnose und Therapie
Die Bauchschmerzen lassen zumindest den Verdacht auf ein akutes Abdomen plausibel erscheinen. Deshalb wird die Chirurgie zu Rate gezogen. Kollegen vermuten aufgrund der Beschwerden und der Laborwerte eine akute Pankreatitis, werden jedoch bei der Sonographie überrascht. Sie finden keine Hinweise auf eine verdickte Gallenblasenwand, auf eine Gallenstauung, auf eine Verdickung der Darmwand oder auf einen Ileus. Die Bachspeicheldrüse ist ebenfalls unauffällig.
Bei der Patientin wird auch ein EKG abgeleitet. Es zeigt einen tachykarden Sinusrhythmus ohne weitere Anomalien. Damit bleibt als Arbeitshypothese, dass die Patientin an einer massiven Exsikkose mit Ketoazidose und Pseudoperitonitis (Schmerzen, Übelkeit und geblähtem Bauch) leidet.
Daraufhin beginnen die Ärzte mit einer Volumen- und einer Kaliumsubstitution. Insulin erhält die Patientin über eine Perfusor. Bereits nach 1 Tag normalisiert sich die Stoffwechsellage sichtlich.
Rätselhaft bleibt an dieser Stelle, wie es zu derart massiven Entgleisungen kommen konnte. Denn es gilt, zu vermeiden, dass die Frau erneut in eine medizinische Notlage kommt.
Diskussion
Aus den Gesprächen mit der Patientin selbst, aber auch mit ihrem Mann, wissen die Ärzte, dass ein zeitlicher Zusammenhang zum Strandurlaub in Italien besteht. Gezielte Nachfragen bringen den Fehler bei der Insulintherapie ans Licht: Der Patientin war unbekannt, dass sie ihr Insulin nicht ungekühlt mit zum Strand nehmen darf. Bei geschätzten Temperaturen von 35°C oder mehr ist mit einem Verlust der Wirkung zu rechnen. Die maximale Lagertemperatur liegt je nach Insulin zwischen 25°C und 30°C.
Weichen Blutzuckerwerte stark ab, denken Patienten – zu Recht – erst einmal an ihr Essverhalten oder an ein zu schlechtes Ansprechen auf die Therapie. Dass hohe Temperaturen mit einer Inaktivierung des Proteins Insulin eine Ursache sein können, ist nicht hinlänglich bekannt.
Pens aus der Apotheke, die Patienten als Vorrat zu Hause haben, sollten im Kühlschrank gelagert werden. Der jeweilige Pen kann außerhalb des Kühlschranks aufbewahrt werden, jedoch unterhalb von 30°C. Unabhängig davon sollte er spätestens nach 4-6 Wochen ausgetauscht werden. Wichtig ist, Patienten darüber zu informieren, dass sie ausreichend trinken sollten.
Gerade bei jungen, noch unerfahrenen Patienten ist eine gute Aufklärung erforderlich, denn Stoffwechselentgleisungen wie bei der Patientin können potenziell tödlich verlaufen. Viele der Beschwerden werden fälschlich mit der Hitze gedeutet; der absolute Insulinmangel trotz Therapie bleibt unerkannt.
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Credits:
Photographer: © Alla Rudenko
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Diesen Artikel so zitieren: Fall: Eine Patientin mit Typ-1-Diabetes und mit hyperglykämischer Entgleisung nach dem Urlaub – Ihre Erklärung? - Medscape - 24. Aug 2023.
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