Schwerer Infekt? Dann sollten Sie die Blutverdünnung anpassen – die ESC gibt Orientierungshilfe für die Antithrombose-Therapie

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

21. August 2023

Werden Patientinnen und Patienten, die eine blutverdünnende Therapie erhalten, aufgrund einer schweren Infektion im Krankenhaus behandelt, kann eine Anpassung der blutverdünnenden Medikation erforderlich sein. Die European Society of Cardiology (ESC) gibt in einem neuen Konsenspapier Empfehlungen, wie dabei vorgegangen werden sollte [1].

PD Dr. Christoph B. Olivier

„Schwere bakterielle und virale Infektionen gehen häufig mit einer Sepsis-bedingten Koagulopathie einher. Die Gerinnungsstörung erhöht nicht nur die Mortalität, sie macht auch eine Anpassung von Art und Dosierung der blutverdünnenden Therapie nötig. Man muss das mit der Infektion assoziierte Blutungsrisiko senken, aber gleichzeitig weiterhin thrombotischen Komplikationen vorbeugen“, schreibt die Autorengruppe um Dr. Bruna Gigante von der Abteilung für Kardiovaskuläre Medizin am Karolinska-Institut in Stockholm, Schweden.

 
Man muss das mit der Infektion assoziierte Blutungsrisiko senken, aber gleichzeitig weiterhin thrombotischen Komplikationen vorbeugen. Dr. Bruna Gigante und Kollegen
 

Die blutverdünnende Therapie muss individuell sein

„Die blutverdünnende Therapie ist grundsätzlich etwas, das man stark individualisieren sollte“, sagt PD Dr. Christoph B. Olivier, Oberarzt am Universitäts-Herzzentrum Freiburg – Bad Krozingen und stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe Kardiovaskuläre Hämostase und antithrombotische Therapie der Deutschen Gesellschaft Kardiologie.

 
Die blutverdünnende Therapie ist grundsätzlich etwas, das man stark individualisieren sollte. PD Dr. Christoph B. Olivier
 

Eine Rolle spielen unter anderem die zugrundeliegende kardiovaskuläre Erkrankung, die Indikation für die Therapie, die klinischen Umstände und die Prognose des Patienten. „Dennoch ist es hilfreich, evidenzbasierte Empfehlungen an der Hand zu haben, an denen man sich orientieren kann“, so der Kardiologe.

Kriterien für die Anpassung

Die Expertengruppe der ESC empfiehlt, die Anpassung der blutverdünnenden Therapie an der Plättchenzahl und dem SIC-Score auszurichten. Dieser „Scoring for sepsis-Induced Coagulopathy (SIC)“-Score berücksichtigt neben der Plättchenzahl (0-2 Punkte) auch die Prothrombinzeit (0-2 Punkte) und den SOFA-Score (0-2 Punkte). Er reicht von 0 bis 6, wobei höhere Werte für eine stärkere Koagulopathie sprechen.

„Sollten die beiden Kriterien nicht übereinstimmen, etwa ein hoher SIC-Score bei hoher Plättchenzahl vorliegen, kann man sich an dem ‚kränkeren‘ Wert orientieren. In jedem Fall muss einzeln abgewogen werden“, so Olivier.

 
Sollten die beiden Kriterien nicht übereinstimmen, etwa ein hoher SIC-Score bei hoher Plättchenzahl vorliegen, kann man sich an dem ‚kränkeren‘ Wert orientieren. PD Dr. Christoph B. Olivier
 

In ihrem Konsenspapier haben sich die Experten der ESC für eine Unterteilung der Plättchenzahl in 4 Kategorien entschieden. „Natürlich handelt es sich um ein biologisches Kontinuum, jedwede Unterteilung der Plättchenzahlen ist immer etwas willkürlich. Aber es haben sich auch im klinischen Alltag bestimmte Cut-off-Werte etabliert, die weitgehend mit der hier vorgenommenen Abstufung übereinstimmen“, sagt Olivier.

Blutverdünnung mit Blick auf die Plättchenzahl

    • Plättchenzahl 149-100 × 109/l: Es ist keine Anpassung der blutverdünnenden Therapie erforderlich.

    • Plättchenzahl < 100-30 × 109/l: Singuläre (SAPT) und duale plättchenhemmende Therapie (DAPT) müssen nicht angepasst werden. Eine orale Antikoagulation (OAK) sollte auf Heparine umgestellt werden.

    • 29-20 × 109/l: Eine DAPT sollte auf eine SAPT mit einem P2Y12-Inhibitor oder niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (ASS) deeskaliert werden. Keine Antikoagulation mehr, sprich auch Heparine absetzen.

    • Plättchenzahl <20 × 109/l: Keine blutverdünnende Therapie mehr, weder Plättchenhemmung noch Antikoagulation (Ausnahme: bei akutem Koronarsyndrom vor weniger als 3 Monaten niedrig dosiertes ASS in Betracht ziehen).

    Die Autoren schreiben, dass diese Therapievorschläge immer „im Lichte der individuellen Patientencharakteristika betrachtet werden sollten“. Sie könnten auch unangebracht sein, etwa wenn das Risiko einer lebensbedrohlichen Stentthrombose hoch sei. Auch wenn andere Patientencharakteristika nahelegten, dass das mit DAPT oder einem effektiveren P2Y12-Inhibitor wie Ticagrelor oder Prasugrel einhergehende Blutungsrisiko höher einzustufen sei als das Thromboserisiko, könnten die Empfehlungen ungeeignet sein.

    Risiken müssen im Einzelfall abgewogen werden

    Und Olivier betont, dass die Therapievorschläge als „nützliche Orientierungshilfe“ betrachtet werden sollten. Dennoch erfordere eine adäquate und individuelle blutverdünnende Therapie, insbesondere wenn Komplikationen wie schwere Infektionen hinzukämen, auch viel klinische Expertise. „Wenn ein Patient trotz niedriger Plättchenzahl thrombembolische Komplikationen aufweist, verändert das die Risikobewertung“, warnt er. Und auch bei Patienten, die an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen seien oder einen zentralen Venenkatheter (ZVK) hätten, sei Vorsicht geboten, da „die Oberflächen der körperfremden Materialien thrombogen wirken können“.

     
    Wenn ein Patient trotz niedriger Plättchenzahl thrombembolische Komplikationen aufweist, verändert das die Risikobewertung. PD Dr. Christoph B. Olivier
     

    Auch die Autoren weisen darauf hin, dass Patienten an mechanischen Geräten zur Kreislaufunterstützung nicht berücksichtigt worden seien, obwohl diese bei Sepsis-Patienten auf der Intensivstation häufig seien. Das gelte auch für Patienten, die eine akute Revaskularisierung benötigten.

    Gigante und ihre Kollegen weisen darauf hin, dass „Patienten unter blutverdünnender Therapie, die eine schwere Infektion oder Sepsis entwickeln, auch weiterhin eine hohe Mortalität haben – trotz verschiedenster Anpassungen des klinischen Managements“. Sie empfehlen, Patienten mit hohem und sehr hohem kardiovaskulärem Risiko durch Impfungen vor Infektionen zu schützen.

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